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Nach 80 Jahren aktuell:
 
Mit Hirschfeld
für Schröder!
 
Wieder gelesen: Die Vorträge der eugenischen
"Ersten Internationalen Tagung für Sexualreform"
in Berlin 1921, eine Vorlage für den rot lackierten Sozialabbau

Die rot-grüne Bundestagsmehrheit beschließt im Sommer 2002 eine Magnus-Hirschfeld-Stiftung, das Moses-Mendelssohn-Zentrum für europäisch-jüdische Studien in Potsdam plant für Mai 2003 eine internationale Hirschfeld-Tagung, die seit zwanzig Jahren bestehende Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft will rechtzeitig einen groß angelegten Hirschfeld-Sammelband herausbringen, der Sender Freies Berlin präsentiert Hirschfeld im November 2002 als einen Patron der Wissenschaftsstadt Berlin: "Forschungsstandort Berlin - da wird in die Zukunft geguckt. Aber ohne das Fundament der Vergangenheit fehlte einem der geschärfte Blick", so die Anmoderation für einen Film über Hirschfelds "wiederbelebtes Erbe" in der Hauptstadt, das nun "ganz in der Tradition Hirschfelds" an der Charité der Humboldt-Universität fortgeführt werde. Die Konzepte ähnelten sich, haucht Prof. Klaus M. Beier vorsichtig ins Mikrofon: wie schon Hirschfeld, so würde auch sein 1996 gegründetes Institut für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin "biologische, psychologische und soziale Faktoren" erforschen, die "auf sexuelles Erleben und Verhalten" wirkten.

In achtzig Jahren um die Welt, nun ist er wieder zurück! Und er wird offenbar dringend gebraucht, denn die gesellschaftlichen Themen, die im September 1921 Hirschfelds "1. Internationale Tagung für Sexualreform auf sexualwissenschaftlicher Grundlage in Berlin" bestimmten, sind auch wieder da: eine angeblich viel zu teure Gesundheitsversorgung, unter der die Volkswirtschaft ächzt (Lohnnebenkosten); eine trotz der gentechnischen Möglichkeiten wg. paralysierender Ethik keineswegs sinkende Zahl von Behinderten, für deren Kosten die bald zahlungsunfähigen Kommunen (Sozialämter) aufkommen müssen; der anhaltende Geburtenstreik der zukunftsträchtigen Bevölkerungsschicht (Neue Mitte), der angeblich die bestehenden Sozialsysteme bersten läßt. Da hilft Hirschfeld mit Rat und Tat. Sein Begriff von Sexualität war ein bevölkerungspolitischer und der von ihm und seinen Mitstreitern aufgeklärte biologisch-psychologisch-soziale Zusammenhang des Sexualverhaltens ein politökonomischer. Das wurde auf dem Sexualreformkongreß von 1921 bald klar.

Scharfer Blick auf die Vergangenheit

Die Tagung war eines der wichtigsten Projekte Hirschfelds und war von seinem Institut für Sexualwissenschaft (IfSw) als erste große zusammenfassende Schau der neuen interdisziplinären Fachrichtung organisiert worden. Manfred Herzer schreibt in seiner (weitgehend geschichtsverfälschenden) Hirschfeld-Biographie sogar von "Hirschfeld und seinem Sexualkongreß" (Frankfurt 1992, S. 128); jährlich hätten die Tagungen zur Demonstration der neuen 'wissenschaftlichen Erkenntnisse' stattfinden sollen, was dann jedoch nicht geschah. Die Vorträge erschienen 1922 beim IfSw-Verleger Julius Püttmann in Stuttgart, herausgegeben vom IfSw-Mitarbeiter Arthur Weil, unter dem Titel "Sexualreform und Sexualwissenschaft"; das Buch ist heute z. B. in der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Berlin nachzulesen (1), also öffentlich zugänglich.

Zweifellos: die Vorträge schärfen den Blick auf die heutige Wissenschaftsstadt Berlin (eine Hochburg der Gen- und Biotechnologie und der Pharma- und Medi-Tech-Konzerne) ungemein, doch der SFB hat es wohl ganz anders gemeint. Die Autorin des Films stellte Hirschfeld einmal mehr als den Übervater der sexuellen Emanzipation vor; das eigentliche Ziel seiner "Sexualreform", die Eugenik auf der Basis einer neuen "Ethik" volkswirtschaftlicher Verwertbarkeit des Produktes Mensch, die Züchtung des starken Volkes durch "Ausjätung" der Kranken, Schwachen und allgemein Normabweichenden, verschwieg der Film. Zu all dem, was im folgenden zitiert wird, erklärte die SFB-Redakteurin Kathrin Zauter hinterher nach Art deutscher Vergangenheitsbewältigung: "Das habe ich alles nicht gewußt!" Obwohl sie doch sogar Ralf Dose von der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft e.V. im Film interviewte; aber der hat es ihr wohl nicht erzählt, denn sein Verein hat die zwanzig Jahre seiner Bestehenszeit darauf verwendet, nicht darüber zu sprechen oder es zu verharmlosen.

Gesetze der Viehzucht

Die Tagung im IfSw-Haus begann mit Hirschfelds Begrüßungsansprache, der das biologistische "Ziel" des Kongresses verkündete: "das von Natur Gesetzte mit dem von Menschen Gesetzten in Einklang zu bringen". Nach Arthur Weils Darlegungen zu Körperproportions-Unterschieden zwischen Hetero- und Homosexuellen (Schwule erkenne man an längeren Beinen und breiteren Becken), Berichten über Steinachs Menschenexperimente zur "Heilung" der männlichen Homosexualität und Gassuls Mitteilung, daß Tuberkulose den Sexualtrieb steigere, wodurch sich die Krankheit gefährlich ausbreite, waren die medizinisch-'wissenschaftlichen' Standards geklärt: man suhlte sich im Humbug. Dann eröffnete Christian von Ehrenfels (dessen Ehefrau Emma in enger Verbindung mit dem NSDAP-Chefideologen Houston Stewart Chamberlain stand, dem sie des Gatten Erkenntnisse um Deutschlands Größe willen ans arische Herz legte) den Themenkomplex "Allgemeine Sexualreform". "Kulturelle und eugenische Sexualmoral" vergleichend, entwarf er das spätere "Lebensborn"-Fortpflanzungskonzept der SS. Nur "die einzig zulässige Basis einer polygynen Sexualmoral" (2), "die optimale eugenische Sexualmoral", bei der nur die Männer mit gesellschaftlich erwünschten Merkmalen Frauen (und zwar jeweils gleich zahlreiche) schwängern dürften, könne die "Höherentwicklung der Konstitution" - und zwar "der physischen wie der psychischen" - und damit das Oberziel der "Kriegstüchtigkeit" des Volkes gewährleisten. "Die Überzahl der von normalen Sexualfreuden auszuschließenden Männer" solle sich ein Beispiel an "den Bienen" nehmen, die "eugenisch einwandfrei funktionierende Kulturstaaten" geschaffen hätten (und bekanntlich nach Kriegern, Arbeitern und Begattern unterscheiden). Der "gegenwärtig herrschenden monogamischen Sexualmoral" dagegen sei anzulasten: allgemein der Untergang des Abendlandes, wie Oswald Spenglers gleichnamiges Buch bewiesen habe, der "im wesentlichen recht hat"; besonders aber die deutsche Niederlage im Ersten Weltkrieg. Denn "die Monogamie" setze "den 'virilen' Auslese- oder (wie man auch sagen könnte) Ausjätefaktor und damit die zur Konservierung oder gar Höherentwicklung der Konstitution so notwendige Schärfe der Auslese (oder Ausjätung) auf ein unzulässiges Maß herab" und führe zur unerwünschten "Kinderbeschränkung der sozial Emporgekommenen und Reichen. Diese sollten (aber), im Sinne der eugenischen Forderung, sich, im Vergleich zur übrigen Bevölkerung, in überdurchschnittlichem Maße fortpflanzen", denn sonst komme es "zum konstitutiven Niedergang" des Volkes, wie zur Zeit. Der Erste Weltkrieg habe zudem nicht die erhoffte eugenische "Kriegsauslese" erbracht, sondern die angeblich Besten dahingerafft; deshalb erübrige sich nunmehr auch Ehrenfels' früherer Vorschlag für die Zeit nach dem Endsieg, "das weite, von Rußland zu annektierende Gebiet durch verdiente Krieger urbar machen und besiedeln (zu) lassen" und somit "durch eine Auslese kriegserprobter Mannschaften ... einen erheblichen Teil der entsetzlichen rassenhygienischen Kriegsschäden" Deutschlands wettzumachen. An H. St. Chamberlains kelto-germano-slawischen Rassismus eines Ariertums von Galway bis Novgorod anknüpfend und Ernst Niekischs nationalrevolutionäre Vision des Zusammengehens von deutscher Volksseele und "russischem Barbarismus" (Niekisch) vorwegnehmend, träumte Ehrenfels vor den Hirschfeldianern weiter vom "kommenden Aufstieg einer großartigen panslawistischen Kultur auf Grund einer sozialistischen Wirtschaftsordnung", deren biologische Basis die "Toleranz des Ehewechsels" sein werde, "aber nicht eine Toleranz aus Laxheit, sondern eine Toleranz aus Prinzip"; "das Furchtbare, das sich gegenwärtig in Rußland vollzieht" (i.e. die Oktoberrevolution), sei nunmehr "als Geburtswehen dieser Kultur anzusehen", so Ehrenfels, nachdem der Weltkrieg ja so unglücklich ausgegangen war. Die anschließend unausweichlich kommende "Abrechnung zwischen der weißen und der gelben Rasse" mache die "Schaffung der eugenischen Sexualmoral" nötig, weil sonst am Ende noch die Gelben siegten.

Somit hatte Ehrenfels die Koordinaten der "Sexualreform" bestimmt. Sie hatten mit der von rechts noch ständig bedrohten Weimarer Demokratie nichts, mit konservativ-revolutionären, "nationalbolschewistischen" und nationalsozialistischen Zielen hingegen alles zu tun und standen frontal gegen das bereits mächtig aufblühende moderne Kulturleben der Zwanziger Jahre, gegen die "Laxheit" der Brecht, Mann, Piscator, Höch, Dix, Berg, ...

Mutterzwang für Arierinnen

Gleich im Anschluß schmalzte die Frauentümlerin Helene Stoecker (Bund für Mutterschutz) von "Erotik und Altruismus". Dabei erzählte sie im wesentlichen die 'Erkenntnisse' der "Ärztin Frau Dr. M. von Kemnitz" aus deren Büchern "Das Weib und seine Bestimmung" (1917) und "Erotische Wiedergeburt (Der Minne Genesung)" (1919) nach. Stoecker, die selbst glaubte, das "Wesen" der Frau erfülle sich erst in der Mutterschaft, verwies auf die Autorin v. Kemnitz namentlich, nannte die Titel der Bücher und machte sich deren Inhalte ausdrücklich zu eigen. Mathilde von Kemnitz (3), die wenig später den Weltkriegsgeneral Erich Ludendorff heiratete, den sie bei der Vorbereitung des Hitler-Ludendorff-Putsches 1923 in München kennengelernt hatte, trieb sich bereits länger in der deutschvölkischen, antisemitischen und okkultistischen Szene Wiens und Münchens herum. Sie hatte sich Hitler vergeblich als gleichberechtigte "Führerin" der NSDAP angeboten, offenbar auch die Ehe mit Hitler erwogen, und war mit dem 'Programmatiker' der Nazis, Gottfried Feder, befreundet, der sie mit dem "Feldherrn" (Ludendorff) zusammenbrachte, nachdem sie beim "Führer" (Hitler) abgeblitzt war. 1920 hatte sie in München ein "Frauenkonzil" einberufen, auf dem sie Haßtiraden gegen die angeblich "verjudete" Frauenemanzipationsbewegung losließ, was für einigen Wirbel sorgte, und die "Befreiung unsere Rasse" vom "vernichtenden Einfluß des Juden" gefordert; dort gründete sie auch ihren "Weltbund nationaler Frauen". 1921 war ihr Hauptwerk "Triumph des Unsterblichkeitswillens" erschienen, die Bibel der religiösen Ludendorffer-Sekte "Bund für deutsche Gotterkenntnis", in dem sie ihre Wahnvorstellungen vom "Weltmachtstreben des jüdischen Volkes" und der Selbstverteidigung der germanischen "Rasse" durch "arteigenes Gotterleben" ausbreitete. In der "Süddeutschen Frauenzeitung" hatte sie einige Monate vor dem Hirschfeld-Kongreß gegen die "überstaatlichen Mächte Rom und Juda" (am 25. April) und gegen den "Bolschewismus", der "jüdisches Werk" sei (am 13. Juni), gehetzt. Offenbar störte es auf der Sexualreform-Tagung im September jedoch niemanden, daß Stoecker sie dennoch zustimmend zitierte. In den beiden von Stoecker empfohlenen Büchern hatte Kemnitz/Ludendorff ihr Frauenideal der freien und gleichberechtigten Germanin entwickelt, die an der Seite ihres Krieger-Gatten, der das "Wehrrecht" ausübe, durch "die heiligste Aufgabe der Frau, die Mutterschaft" für die Volkserhaltung sorge. Die Schuld an der Weltkriegsniederlage gab sie hier den "Juden", die sexuell "chronisch überreizt" seien, dem "Alkohol" und der "Prostitution" usw., die allesamt eine wilde Vögelei und dadurch die Schwächung des deutschen Erbguts verursacht hätten. Schon vor dem Krieg hatte sie Artikel über Sexualität und Fortpflanzung geschrieben; der rassereine Koitus war für sie mehr als Gottesdienst, weil sie die beteiligten 'Arier' als selbst göttlich ansah. An die quasi-religiösen Biologismen der "monistischen Entwicklungstheorie" des Sozialdarwinisten Ernst Haeckel anknüpfend, dem auch Hirschfeld und seine IfSw-Mitarbeiter anhingen, verwandelte Kemnitz/Ludendorff die Forderung nach gesellschaftlicher Akzeptanz eines selbstbewußten weiblichen Sexuallebens zu einem wahnhaftem Gefasel vom rassereinen "Hochziel der Minne" und der "gesunden Fortpflanzungspflicht" zum Schutze Deutschlands vor dem "Weltjudentum". Und das also pries Stoecker nun den Hirschfeldianern als "Sexualreform" an und bekam Applaus.

Geld her - oder Kinder!

Nachdem der Kongreß in einer "Resolution betreffend Sexualstrafreform" konsequent die Abschaffung der Strafbarkeit des Ehebruchs und die Verschärfung der Strafbestimmungen gegen die Prostitution gefordert hatte (4), wurde mit dem Kapitel "Bevölkerungspolitik und Geburtenregelung" der eigentliche politische Schwerpunkt der Tagung aufgerufen. Dr. med. Goldstein aus Berlin führte "zur demographischen Entwicklung Deutschlands" sogleich in die "Nationalökonomie" ein. "Überbevölkerung" sei, "wenn mehr Menschen Arbeit anbieten, als die Gesellschaft gebrauchen kann". Daraus folge der biologische Niedergang: "Das Elend wird geboren, arme Leute haben arme Kinder, und je größer die Zahl der armen Kindererzeuger und je größer ihre Kinderzahl, desto größer wird das Elend. Die Armut beruht auf einem natürlich-sozialen Prozeß, und gerade deswegen ist sie unausrottbar und hat existiert, solange die Welt steht." Früher seien die Armen wenigstens ausgewandert, jetzt aber hätte Amerika Grenzen dicht gemacht, das Elend bleibe im Lande und es komme "unbedingt zu einer Überwucherung der höheren Klassen durch die tieferen und damit zum Untergang der Kultur". Die Freigabe der Abtreibung bringe nichts, weil die "höheren Schichten" dann mehr planen würden als "die sorglosen tieferen" mit der Folge eines "Proletarisierungsprozesses ohne gleichen". Der klassisch sozialeugenischen Gesellschaftsdiagnose folgte die Therapieforderung, das Erbrecht im Bürgerlichen Gesetzbuch so zu ändern, das nur der sein Vermögen frei an die Nachkommen vererben dürfe, "der entweder drei Kinder gezeugt hat, gleichgültig, wieviel von ihnen gestorben sind, oder wer zwei lebende Kinder hinterläßt", andernfalls er "ein Drittel seines Vermögens an den Staat abgeben" müsse. Die Drohung mit der Steuerreform werde "die verschiedene Fruchtbarkeit zwischen arm und reich" ausgleichen, "denn die reichen Familien werden mehr Kinder erzeugen als bisher, um ihr Vermögen ihren Erben zu retten". Goldstein schloß: "Die demographische Frage ist die wichtigste, die es für die Gegenwart gibt, ... denn läßt man alles wie es ist, ist die Kultur rettungslos verloren".

Weitere Redner wurden noch deutlicher. Professor Dührssen aus Berlin forderte die massenhafte Sterilisierung "bei Proletarierfrauen", deren "schrankenlosen Kindererzeugung ein Ende gemacht" werden müsse, "damit sie in den Stand gesetzt würden, zwei bis drei Kinder sorgfältig aufzuziehen". A. V. Knack aus Hamburg, der seine Mitgliedschaft in Stoeckers "Bund für Mutterschutz" und in der SPD kundtat, erklärte: "Die Beurteilung der Frage der Geburtenregelung in unserer wie in der kommenden Zeit (darf) nur vom bevölkerungspolitischen Gesichtspunkt aus erfolgen", nicht jedoch vom christlich-religiösen, sozialen (kurzfristige Notlage) oder gar menschenrechtlichen ("Eigenrecht der Persönlichkeit", so Knack). Es sei deutlich zu machen, "daß unsere Forderung nicht dazu angetan ist, das Sinnenleben zu verrohen, sondern daß wir im Gegenteil an die Selbstbeherrschung des Einzelnen die größten Anforderungen stellen" zwecks "Empfängnisverhütung", "mit der bewußten Enthaltsamkeit vom Geschlechtsverkehr beginnend"; Abtreibung dürfe nur eine seltene Ausnahme sein. "Nicht erwünschte Über- bzw. Unterproduktion von Menschen" sei administrativ zu verhindern, die "Kopfzahl der Bewohner eines Landes in einem genau berechneten Verhältnis zu Umfang und Ertragfähigkeit des verfügbaren Bodens" zu halten. "Ausgehend von meiner sozialistischen Weltanschauung" forderte Knack: "Wir müssen den Menschen selbst in das planmäßige System hineinfügen und darum nicht nur das Wirtschaftsleben rationalisieren sondern auch den Fortpflanzungstrieb des Menschen". Er wandte sich vehement gegen individualistisch-hedonistische Positionen Kurt Hillers zur Sexualität und forderte nachdrücklich eine eugenische Reinhaltung des Volkes von Behinderten.

Mit der SPD gegen sexuelle Selbstbestimmung

Die Redner (-innen) des Kongresses sprachen sich immer wieder gegen die sexuelle Emanzipation aus und forderten eine "Sexualreform" nicht etwa wie die "68er" zum Lustgewinn, für Spaß und Genuß, sondern ausschließlich zum Zwecke der Eugenik, der "Höherzüchtung" des Volkes aus Nützlichkeitsgründen, dem die überkommene Sexualmoral entgegen stehe. Es ist erstaunlich, daß die Hirschfeldianer in der heutigen Zeit das Image haben, für die Befreiung der Sexualität eingetreten zu sein; das Gegenteil war der Fall. Sexualität war für sie eine bedrohliche Gefahr im menschlichen Leben, die es galt, einzudämmen. Dr. med. Saaler aus Berlin sang zum Thema "Sexualpädagogik" ein Loblied auf die "Hemmungen" und die "Scham" und wollte keineswegs gegen all die Verklemmungen und Neurosen, die aus der konservativ-religiösen Sex-Unterdrückung entstanden, angehen. "Die Hemmungen sind dazu da, den Geschlechtstrieb zu meistern", rief er dem Kongreß zu, sie müßten den Menschen von Kindesbeinen an anerzogen werden; "gerade weil wir auf wissenschaftlichem Boden reformieren wollen, müssen wir uns hüten, der Eindruck zu erwecken, als wollten wir uns zu dem Satz bekennen: 'Erlaubt ist, was gefällt'." Kein Zweifel, der "Sexualreform"-Kongreß hätte eine Zeitschrift wie die Berliner "Siegessäule" oder die Hamburger "Hinnerk" und manche Schwulenzeitschrift vom Kiosk angewidert abgelehnt, einem Verbot sicher zugestimmt. "Ich wiederhole, um nicht mißverstanden zu werden", sagte Saaler, "daß ich nicht dafür eintrete, anstelle des asketischen Ideals Freiheit und Ungebundenheit des Sexuallebens zu setzen. Es handelt sich ja um Fragen der Ethik, und die Forderung ungehemmten Geschlechtsgenusses hat sicher nichts mit Ethik zu tun." Dann sprach er sich noch für die Koedukation von Mädchen und Jungen an den Schulen aus, weil sie "das wirksamste Mittel ist, die Homosexualität an ihren Wurzeln zu bekämpfen".

Vor allem aber bezog sich Saaler, der die biblisch fundierte Sexualmoral ablehnte, auf die religiösen Ansätze rechtsextremer deutschvölkischer Sekten, die sich allesamt mehr oder weniger deutlich auf Haeckels sozialdarwinistisches System des "Monismus" stützen und es um die Komponente der religiösen Heilssuche (in der Rasse, im "Blut", dem "Volk", der "Natur") ergänzen. Haeckel allein sei ebenso unbrauchbar für eine neue Sexualethik wie die biblischen Religionen, befand Saaler, und nannte dann ausgerechnet Arthur Drews und seine angeblich "pantheistische Religion" als positiven Bezugspunkt für eine Bindung des Sexus an "veredelte und vertiefte seelische Regungen", mithin einen der 'theologischen' Köpfe der völkisch-rassistischen Sekten, die schon früh den Nationalsozialismus unterstützten, das "Göttliche" im deutschen Volk gefunden zu haben glaubten, sich 1933 zur Unterstützung der Nazis zusammentaten und schließlich sogar Adolf Hitler als den "Führer der Deutschen" zur allerhöchsten Erscheinung des Göttlichen ausriefen. Aber nicht nur in Saalers Vortrag zeigt sich, daß die Arbeit von Hirschfelds IfSw ohne Kenntnis der Ideologie und Politik dieser rechtsextremen Sekten, die auch heute noch aktiv sind und die Idee der Eugenik weltanschaulich-religiös und scheinökologisch-naturtümelnd zu verankern suchen, nicht verstanden werden kann. Diese Kenntnis fehlt aber fast völlig in der neueren Literatur über die Hirschfeldianer. (5)

Diskriminierung abweichenden Verhalten

Dr. Hermann Rohleder aus Leipzig hielt einen praktisch orientierten Vortrag. Er pries die eugenischen Vorteile der neu entwickelten "künstlichen Befruchtung" der Frau mit der Samenspritze "vom Standpunkt der Sexualreform" aus: Es trete "hier der seltene Fall ein, daß wir Ärzte als Hygieniker bestimmen können, wann und ob die körperlichen oder geistigen Eigenschaften eine Fortpflanzung wünschenswert erscheinen lassen oder nicht. Wir hätten hier bei Hochwertigkeit der Eltern ein eugenisches Mittel, das heißt einmal die höchst seltene Gelegenheit, positive praktische Eugenik zu treiben". (6) Die volkswirtschaftliche Bedeutung dieser Art der Sexualreform hob schließlich Dr. Manfred Fraenkel aus Berlin noch einmal deutlich hervor, sein eigenes Verfahren der "künstlichen Sterilisierung" anpreisend. Seit zwanzig Jahren experimentierte er mit Röntgenstrahlen und bestrahlte fleißig die Gonaden seiner Patienten (die man heutzutage sorgfältig mit Bleischürzen abdeckt) ohne Rücksicht auf Verluste radioaktiv. "Die wachsende Durchsetzung und Verseuchung unseres Volkes mit körperlich, geistig oder sittlich minderwertigen Elementen" könne man im Sinne des "Volkswohls" verhindern, wenn man Merkmalsträger durch X-Strahlen derart verseuche, daß sie sich nicht mehr fortpflanzen könnten. "Unzählige Krüppel und Taubstumme, Geisteskranke und Schwachsinnige, Alkoholiker, Syphilitiker, rückfällige Verbrecher, Dirnen, Landstreicher usw." würden bisher "die öffentliche und private Fürsorge wie die Rechtspflege in Anspruch nehmen" und derart den volkswirtschaftlichen Reichtum verschwenden, der den "Wertvollen" fehle. "Dank ihrer ungehinderten Fortpflanzung setzen sie auch noch immer neue Kinder in die Welt, die ihre unerfreulichen, rassenschädlichen Eigenschaften weitergeben können. ... Und was geschieht gegen diese Schäden? Wir bauen mit Riesenkosten immer neue Strafanstalten, Arbeitshäuser, Trinkerheilanstalten, Irrenanstalten, Lungenheilanstalten (!) u. dgl., wir scheuen uns aber, das Übel an der Wurzel zufassen. Die Statistiken zeigen mit erschreckender Deutlichkeit, daß trotz aller dieser Maßnahmen das Verbrechen ständig zunimmt, so wie die Zahl der schwachsinnigen und Unterstützungsbedürftigen (!), der Epileptiker und Geisteskranken, der körperlich Schwächlichen, Personen mit Anlagen zu gewissen Krankheiten, Krüppel, Personen mit kranken Sinnesorganen, Psychopathen mit allen möglichen sexuellen Abnormitäten, auch wächst."

Die halbe Bevölkerung oder mehr sollte also ausgerottet werde, um das wahnhaft phantasierte Volk der Starken, Schönen, Sittlichen zu züchten und die Staatskasse zu schonen. "Sollen die Kräfte eines Staatswesens nicht allmählich durch diese Minderwertigen ausgezehrt werden, deren Unterbringung enorme Summen, anscheinend ohne jeden greifbaren Effekt, verschlingen, so fordert der einfache Erhaltungstrieb der menschlichen Gesellschaft, nach neuen Mitteln zu forschen, um dieser erschreckenden Vermehrung endlich ein Ziel zu setzen." Das neue Mittel hatte Fraenkel bereits erfunden und wollte es hier verkaufen: "Unbeeinflußbare Schwerverbrecher", "verbrecherische Geisteskranke", aber auch zu teure Infektionspatienten wie z. B. Tuberkulosekranke, denen der kalte, feuchte, schlecht belüftete und sonnenarme Berliner Mietskasernen-Dschungel bei ärmlicher Ernährung das Immunsystem geschwächt hatte, überhaupt alle schon aufgezählten "Unterwertigen" müßten durch gesetzliche Zwangssterilisierung an der Ausbreitung ihrer vermeintlichen Erbanlagen gehindert werden. Die von ihm entwickelte Röntgenbestrahlung der Gonaden sei die einfache, billige und "unblutige" Methode der Wahl zur massenhaften Sterilisierung. Zudem setze sie den Sexualtrieb herab, wie Fraenkel vielfach bei der Behandlung von "sexuellen Lastern" wie z. B. "täglicher onanistischer Ausschweifungen" seiner Patienten praktisch bewiesen haben wollte. "Von Mannstollheit verzehrte Weiber" seien ebenso zu behandeln wie die "unterwertigen" Homosexuellen, die unbedingt gehindert werden müßten, zur Tarnung zu heiraten, Kinder zu zeugen und das Erbgut des Volkes über Generationen hinweg zu schädigen (was ja auch Hirschfeld glaubte und verhindern wollte). Wie die übrigen Anwesenden, so glaubte auch Fraenkel an den bevorstehenden Untergang des Abendlandes, wenn nicht endlich eingeschritten werde: "Letzten Endes lehrt die Statistik, daß sich die geistig und körperlich Minderwertigen in weitaus stärkerem Maße fortpflanzen als die Normalen" und die "tief innerliche Sehnsucht nach Rassenverbesserung und Veredelung als Ausdruck höchstpotenzierter Vaterlandsliebe" gebiete das Einschreiten mit Hilfe seiner Apparate "gegen die Überhandnahme der Verbrecher- und Degeneriertenkaste". "Es dürfte aus demselben Hinblick auf die Rassenveredelung wohl dem Staat an solchen Kindern, deren Erzeuger Verbrecher, Psychopathen usw. sind, nicht viel gelegen sein", schloß er seinen Vortrag. Widerspruch der versammelten Hirschfeldianer ist nicht überliefert.

Mit Hirschfeld für Schröder!

Und heute? Das Ziel der Annexion osteuropäischer Vasallenstaaten, wie sie v. Ehrenfels forderte, hat sich nach der Nato- und EU-Osterweiterung erledigt. Nachdem die Nazi-Verbrechen, die augenscheinlich auch schon auf Hirschfelds Sexualreform-Kongreß geistig mit vorbereitet worden waren, nun stattgefunden haben, wird manches vorsichtiger formuliert und statt der radioaktiven Verstrahlung zum Einsparen von Therapiekosten z. B. das "Wegschließen, und zwar für immer!" gefordert - es ist eben relativ, was wann billiger oder teurer ist, der "für immer!" Weggeschlossene jedenfalls pflanzt sich eh nicht mehr fort. Auch hinter dem aktuellen Schlagwort der Familienförderung verbirgt sich noch allerlei Altbekanntes, auch wenn "Rassereinheit" heute als nachteilig für eine fortwährend innovationsbedürftige globalisierte Ökonomie erkannt ist und abgelehnt wird. Das Sexualverhalten in Richtung Nachwuchsproduktion lenkend, reformiert die Schröder-Regierung z. B. die Eigenheimzulage so, daß ein Ehepaar mindestens drei Kinder braucht, um auf dieselbe staatliche Förderung seines Häuschens zu kommen wie bisher mit nur einem Kind. Goldstein hätte es gefreut. Der Ausbau der öffentlichen (Klein-) Kindererziehung, der früher einmal zur Bildungsförderung der Arbeiterkinder gefordert wurde (allerdings nicht von denen, die die Arbeitermütter zwangssterilisieren wollten), dient heute faktisch der Totalmobilisierung gut und speziell ausgebildeter einheimischer Arbeitskräfte (vornehmlich der gleichberechigten weiblichen), um nicht so viele selbstbewußte, risikofreudige, unangepaßte (und selbst oft kinderlose) Menschen aus "fremden" Kulturkreisen ins Land holen zu müssen, für die Globalisierung gleichbedeutend mit Entkolonialisierung ist und die am Ende mehr fordern könnten als nur Polizeischutz vor den deutschen Nachbarn. Stoecker hätte dieser "Gleichberechtigungs"-Maßnahme sicher zugestimmt. Vier Mitglieder oder Ansprechpartner der rechten Sekten, denen Saaler die tiefe seelische Verankerung einer eugenischen Ethik zutraute, gehörten schon dem ersten Kabinett Schröder an (die Minister Funke - der bei Ludendorffern predigt - und Eichel, die Staatssekretäre Andres und Pick) ; in der SPD-Bundestagsfraktion sitzen weitere, auch in führenden Parlamentsfunktionen, mit Vertretern dieser Sekten trifft sich auch Bundestagspräsident Thierse zum Plausch. Soziale Selektion auf "natürlichem" Wege ist ein tragendes Prinzip der heutigen rot-grünen Politik. Die neue Bundesfamilienministerin Renate Schmidt hatte schon 2001 als stellvertretende SPD-Chefin das Parteikonzept "Familienpolitik für das 21. Jahrhundert" vorgelegt, in dem die CDU/CSU-Idee eines monatlichen Familiengeldes von 1200 Mark abgelehnt wurde mit dem Argument, für die "mittleren und höheren Einkommen" sei dies kein Grund, "weitere Kinder zu bekommen".

Willige Vollstreckerin Renate Schmidt

In der SPD-Mitgliederzeitung "Vorwärts" wurde sie im Juni 2001 noch deutlicher: "Zur Zeit bekommen gerade die Paare wenig oder keine Kinder, die traditionell Wert auf Bildung legen. Wen wundert es deshalb, wenn die Zahl der Studierenden immer weiter zurückgeht". Sozialdarwinistisch kritisierte sie, das Unions-Konzept sei "bestenfalls ein Anreiz für diejenigen, die keine Ausbildung haben und ein Einkommen von 1200 Mark nicht selbst erwirtschaften können". In ihrem Jahrhundert-Konzept schrieb sie: "Kinderreichtum bei den Benachteiligten, Kinderarmut bei der restlichen Bevölkerung hat gravierende Auswirkungen auf die Zusammensetzung der Bevölkerung" und sei deshalb "kritisch" zu beurteilen. Goldstein, Dührssen, Rohleder und Fraenkel dachten genau so. (7)

Das heutige politische Potential der Hirschfeldschen "Sexualreform", die mehr als eine utilitaristische Fortpflanzungsethik zum Ziel hatte, geht darüber weit hinaus; ihre bevölkerungspolitische Ausrichtung war schon damals auch mit einer Aufweichung des Tötungsverbots verbunden und zielte ab auf eine utilitaristische Ethik für den Umgang mit menschlichem Leben allgemein, das den Standards der Waren produzierenden, Kapital verwertenden Gesellschaft angepaßt werden soll. Das ist ein umfassend aktuelles Themenfeld. Finanziell begründete Krankenhausschließungen, wie sie sich z. B. aus Fraenkels Tiraden als Forderung ergeben, sind bei der heutigen Krise des Gesundheitssystems bereits an der Tagesordnung. Hunderttausende Kinder von sozial benachteiligten Eltern in Deutschland leiden heute an Armutskrankheiten, gleichzeitig werden der schulärztliche Dienst zusammengestrichen und Reihenuntersuchungen in Kindertagesstätten, z. B. in Berlin, ganz abgeschafft, berichtete die Gewerkschaftszeitung "ver.di Publik" im November 2002. Doch die schwulen und lesbischen "ver.di"-Aktivisten und -innen freuen sich über ihren Sitz im Kuratorium der Magnus-Hirschfeld-Stiftung, statt zu problematisieren, wie die Hirschfeldianer gesellschaftliche Mißstände als schicksalhafte Naturereignisse biologisierten, und so die historische Kontinuität des rot lackierten Sozialabbaus aufzuzeigen. In der Bioethik-Debatte der letzten Jahre fordern Max-Planck-Gesellschaft und Deutsche Forschungsgemeinschaft, bei denen die Vorstandsvorsitzenden der Forschung finanzierenden Großkonzerne tonangebend sind, weitgehende "Liberalisierungen" der bisherigen Verbote der Tötung unerwünschter Menschen (wobei sie sich demagogisch der emanzipatorischen Parole "Mein Bauch gehört mir!" bedienen) und des Experimentierens mit menschlichen Embryonen zur Herstellung profitträchtiger Produkte (z. B. menschliches Gewebe zur Verträglichkeits-Testung chemischer Produkte und Produktionsabläufe), die man z. T. aus dem Embryonen-'Abfall' als wertvollem Rohstoff gewinnt. Unzumutbar und unverantwortlich sei heutzutage die Geburt Behinderter (die dann auch keine Snowboards oder Motorräder konsumieren können), meinte Max-Planck-Gesellschaftspräsident Hubert Markl 2001, die aktive Sterbehilfe, deren Legalisierung Markl ebenfalls forderte, soll den querschnittsgelähmten Motorsportverunfallten dann weiteres Leiden ersparen; vor der vollständigen Ausbildung des Immunsystems Jahre nach der Geburt sei der Mensch ohnehin noch kein fertiger Mensch, meinte Detlev Ganten, Chef der Hermann-Helmholtz-Gemeinschaft deutscher Forschungszentren und des im Humangenomprojekt tätigen Max-Delbrück-Zentrums in Berlin-Buch, im Juli 2001 im Fernsehsender Phoenix ("Kinder nach Maß?") --- wer weiß, wie es dann in Zukunft erwachsenen Immungeschwächten ergehen wird! (8)

Hirschfelds Gentech-Potential

Auch Kanzler Schröder und seine Forschungsministerin Edelgard Bulmahn wollen die Präimplantationsdiagnostik legalisieren, so daß die im Reagenzglas künstlich erzeugten Embryonen je nach Qualität angenommen oder verworfen werden können - unter dem Etikett der Eindämmung von "Erbkrankheiten" wäre dies ein möglicher Einstieg in die planmäßige Menschenproduktion und -verwertung. Rohleder hätte zugestimmt. Die schärfste Kritikerin dieser Selektion, Hertha Däubler-Gmelin, braucht Schröder in seiner zweiten Amtszeit nicht mehr zu fürchten. Das Kalkül, soweit es jetzt bereits zu erkennen ist, ist simpel: Die Einsparungen bei den Schwachen und Kranken kommen als Forschungssubventionen der Entwicklung neuer Biotech-Produkte zu gute. Welcher Mensch warum und wovon "abweichend" ist und deshalb nicht leben darf, wird nach volkswirtschaftlichen Kriterien entschieden: Wer arbeitet und bringt also Profit, wer kostet und ist nur sich selbst nützlich, wessen Gene können noch anderweitig in der Warenproduktion verwertet werden?

Eugenik, mit neuen Worten, sanfteren Argumenten, aber ähnlichen volkswirtschaftlichen Zielen wie zu Hirschfelds Zeiten, und wie damals im Gewand vermeintlicher sexueller Emanzipation daher kommend, aber nunmehr mit bio-medizintechnischen Methoden, die tatsächlich funktionieren könnten: das ist ein Hintergrund der aktuellen Hirschfeld-Hausse. Es interessieren sich wohl deshalb gerade jetzt so viele für diese Traditionspflege, weil sich die Assoziation mit den Verbrechen der deutschen Geschichte zu verbieten scheint, wenn man ein Opfer dieser Verbrechen als Protagonisten vorzeigen kann. Vieles wird dann trotzdem anders laufen als "damals" und manches Identische anders begründet werden, entscheidend ist jedoch die Tradition der Denkstrukturen: es wird eine biologische Lösung für sozial bedingte Konflikte vorgegaukelt und die nötige soziale Veränderung wieder einmal verhindert. Gerade weil diese Politik nicht (Damen und Herren Verschwörungstheoretiker!) ein zweites Mal als Verbrechen organisiert werden soll (noch kann, auch weil die Erwirtschaftung der Profite des medizinisch-industiellen Komplexes öffentlicher Kontrolle von Gewerkschaften, Neue-Mitte-Aktionären, die Konkurrenz regelnden EU-Behörden usw. unterliegen), weil Kanzler Schröder ganz offen z. B. die legale Möglichkeit der Aussonderung unbrauchbarer Embryonen fordert, weil man eine unangreifbare gesellschaftliche Mehrheit für die Politik der Selektion organisieren will (und nach der ideologischen Wende des "säkularisierten, modernen Bürgertums", über die der SPD-Vordenker Franz Walter kürzlich in der "taz" schrieb (9), dafür nun offenbar eine Chance sieht), baut man das "Nazi-Opfer Hirschfeld" als gesellschaftlichen Bezugspunkt auf. So werden Taten nunmehr freiheitlich-demokratisch-rechtsstaatlich geordnet getan werden können, für die die Vorgänger noch eine Diktatur errichten mußten. In den liberalen Niederlanden wurde vorgemacht, wie man heute Mehrheiten für genuin rechte Politik organisiert.

(2003)

Anmerkungen:
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(1) Ebenfalls vorhanden z. B. in der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen.
(2) Polygynie = "Vielweiberei".
(3) Siehe z. B.: Erich Ludendorff (Hrsg.): Mathilde Ludendorff, ihr Werk und Wirken, Pähl 1960 (1937); Titelgeschichte "Der Spiegel" Nr. 8/1960, 17. 2. 1960: "Antisemitin Mathilde Ludendorff"; Jens Mecklenburg (Hrsg.): Handbuch deutscher Rechtsextremismus, Berlin 1996. Kurz nach der "Spiegel"-Geschichte wurde die Ludendorffer-Sekte von den Innenministern des Bundes und der Länder als verfassungsfeindlich verboten; 1977 hob ein bayrisches Verwaltungsgericht das Verbot wegen Verfahrensfehlern wieder auf. In der Zwischenzeit hatten Ludendorffer in anderen rechtsextremen Sekten, die an den selbstgöttlichen "Arier" glauben und sich ebenfalls u. a. auf den Sozialdarwinismus Ernst Haeckels stützten, Asyl bekommen.
(4) Die bekannte Forderung nach Straffreiheit homosexueller Handlungen von Männern waren Hirschfelds und Hillers Anliegen und wurde in der Resolution berücksichtigt, die Straffreiheit des "Lustmordes", die Hiller in seinem Vortrag erwog, und der Euthanasie, die er vehement forderte, jedoch nicht.
(5) Vgl. z.B. mein Buch: Peter Kratz, Die Götter des New Age. Im Schnittpunkt von "Neuem Denken", Faschismus und Romantik Berlin 1994; Aktuelle und ältere Texte zu den rechten Sekten und ihrem heutigen Einfluß. Aktivistin einer solchen rechten Sekte aus der Tradition der alten Eugenik und neuen Euthanasie, ja sogar der Hitler-Vergöttlicher, ist auch Kirstin Fussan vom LSVD und den "Schwusos" der SPD, deren Foto von der "Verpartnerung" mit der "Queer"-Redakteurin Sabine Röhrbein die Zeitschrift "Queer" im November 2002 abdruckte.
(6) Der von Andreas Seeck in den "Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft" (Nr. 26/27, 1998, S. 10) behauptete Gegensatz zwischen Hirschfelds "positiver" Eugenik, bei der festgestellt wurde, wer sich nicht fortpflanzen durfte, und Rohleders "negativer" Eugenik, bei der die "Vererbung der Minderwertigen zu verringern" versucht wurde, um "unsere Irrenhäuser, Gefängnisse, Zuchthäuser, Besserungs- und Erziehungsanstalten" allmählich zu entleeren, existierte in Wahrheit nicht, da beide beides vertraten. Auch die Behauptung, Hirschfeld selbst habe sich "aber" nur für "freiwillige" Sterilisierungen der Unerwünschten ausgesprochen, hat die Hirschfeld-Gesellschaft frei erfunden.
(7) Und Sabine Röhrbein bejubelte die neue Familienministerin Renate Schmidt in "Queer" vom November 2002 als nunmehr "für die Homo-Politik" zuständig.
(8) Vgl. meine "Konkret"-Artikel zum "Biosozialismus" aus 2001 und 2002, anzuklicken in der Übersicht "Biopolitik".
(9) Walter, Franz: Sinnfrei und matt, in taz 13. 11. 02: "Der säkulare politische Einstellungswechsel in den akademischen Eliten, jener zeitgeistprägenden Klasse kultureller Deuter und Meinungsmultiplikatoren also, gehört zu den einschneidensten Zäsuren in der Bürgertums-, Gesellschafts- und Politikgeschichte Deutschlands."
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