© 2012 by Peter Kratz.  Jede Verwendung des Textes unterliegt dem Urheberrecht. Copyright für die Übersetzung des russischen Kronfeld-Textes ins Deutsche: © 2012 by Peter Kratz.       


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Vom Antisemitismus
zur Homophobie
Teil III


Über Geschichte und Aktualität Arthur Kronfelds,
des leitenden Arztes an Magnus Hirschfelds
"Institut für Sexualwissenschaft"
 
Teil III:
Kronfelds Schrift "Degenerierte an der Macht" von 1941

Im Rahmen des Magnus-Hirschfeld-Forschungsprojektes des BIFFF... veröffent- lichen wir hier erstmals eine gültige deutsche Übersetzung (© 2012 by Peter Kratz ) und kritische Kommentierung des homophoben, rassistischen Textes "Degenerierte an der Macht", den der vormalige engste Mitarbeiter von Magnus Hirschfeld am Berliner "Institut für Sexualwissenschaft", Arthur Kronfeld, 1941 in der Sowjetunion in russischer Sprache veröffentlichte. Der Bogen, den wir vom Antisemitismus des Jakob Friedrich Fries (des eigentlichen philosophischen Lehrers Kronfelds, neben dem Friesianer Leonard Nelson, von dem Kronfeld die antiaufklärerische, völkisch-mystische Revision Kantschen Denkens durch Fries lernte), den wir im ersten Teil unserer Studie behandelt haben, zur homophoben 'Erklärung' des Nationalsozialismus durch Kronfeld spannen wollen, findet hier den zweiten Bodenanker. In einem dritten Teil werden wir Kronfelds Zeit zwischen seinem Ausscheiden aus dem "Institut für Sexualwissenschaft" und seiner "zweiten" Emigration in die UdSSR behandeln; dabei werden überwiegend seine Hinwendung zur extrem homophoben "Individualpsychologie" des Psychoanalytikers Alfred Adler in der zweiten Hälfte der Zwanziger Jahre und seine antihumanen psychiatrischen Konzepte und Menschenexperimente in den Dreißiger Jahren im Vordergrund stehen.

Die nun hiermit vorliegende gültige, sowohl textkritisch als auch historisch- kritisch bearbeitete Übersetzung des Textes zeigt in krasser Weise, welches menschenverachtende Denken am "Institut für Sexualwissenschaft" entstand. Es ist das Gegenteil von emanzipativem Denken und steht der Inhumanität der nazistischen Ideologie nicht nach.

Peter Kratz:
Editorische Vorbemerkung
zu Arthur Kronfelds Schrift
"Degenerierte an der Macht"

Erstmals liegt hier eine gültige und kritisch bearbeitete Übersetzung desjenigen Textes von Arthur Kornfeld vor, der als einziger aus seinem umfangreichen Werk heute noch eine späte Aktualität gefunden hat. Er ist zugleich der letzte bekannte Text Kronfelds überhaupt. Er schließt den weiten Kreis von Kronfelds Arbeiten; mit ihm kehrt sein Autor konzeptionell an den Anfang seiner Tätigkeit in Magnus Hirschfelds Institut für Sexualwissenschaft zurück, als Kronfelds Texte mit Ausdrücken wie "minderwertig" und "abartig" übersät waren, die die Objekte dieser Texte charakterisieren sollten: Menschen mit normabweichen- den Verhaltensweisen oder normabweichenden biologischen Ausstattungen. Nunmehr wendet Kronfeld seine psychiatrischen Kategorien ins Politische.

Die vom BIFFF… e.V. hier erstmals in deutscher Sprache vorgelegte Schmähschrift "Degenerierte an der Macht" gegen die Führer Nazi-Deutsch- lands erschien erstmals im Oktober 1941 in einer Auflage von 100 000 Exemplaren in Moskau im Verlag der Zeitschrift "Der medizinische Arbeiter". Sie ist seit dem 01. Januar 2012 gemeinfrei, weil als Todesjahr Kronfelds das Jahr 1941 angenommen wird, auch wenn es hierfür bisher keine Beweise gibt. Bereits im Januar 1942 erschien eine zweite Auflage mit 50 000 Exemplaren in einem regionalen staatlichen Verlag, "Ogis Gospolitisdat", in Swerdlowsk am Ural. Die zweite Auflage war sowohl in Details als auch in ganzen Abschnitten gegenüber der Erstausgabe verändert worden; sie erhielt auch einen neuen Titel, "Die blutige Bande der Degenerierten (Hitler und Kompanie)", und eine nicht namentlich gekennzeichnete Vorbemerkung, die den Autor Kronfeld kurz vorstellte und die Broschüre als "für einen breiten Leserkreis geeignet" empfahl. Die Veränderungen am Text und der Wortlaut der Vorbemerkung nähren erneut Zweifel an der verbreiteten, aber bisher durch keine stich- haltigen Belege gestützten Behauptung, Kronfeld und seine Frau Lydia hätten sich am 16. Oktober 1941 in Moskau das Leben genommen.

Unsere intensive textkritische Bearbeitung der Originalausgabe von 1941 zeigt, daß es sich bei der Broschüre um eine Mitschrift von gesprochenem Text handelt. Die Falschschreibungen vieler deutscher und französischer Eigen- namen im russischen Original deuten darauf hin, daß Kronfeld den Text offenbar weder aufgeschrieben noch Korrektur gelesen hat; sie lassen sich aber sehr gut als die Niederschrift einer deutschen Dialektaussprache durch Personen erklären, denen die deutsche bzw. französische Schreibweise der Namen nicht geläufig war und die sich deshalb am Gehörten orientierten. Wenn bei "Strasser" oder "Streicher" aus "St-" am Namensanfang durchgehend ein "Scht-" im Russischen wird, obwohl die kyrillische Schrift das originale "St-" wiedergeben könnte, wenn z. B. aus dem Namen "Louis Ullstein" das kyrillisch geschriebene "Lui Ulschtein" wird, wenn weiterhin die verschiedenen Nasallaute französischer Namen in russischer Schreibweise durchgehend als immer gleicher "en"-Laut erscheinen, so ist der naheliegende Grund hierfür in Kronfelds Aussprache der Namen zu finden.

Von den zahlreichen möglichen Erklärungen dafür, warum Kronfeld - der sich jedenfalls auf Russisch sprechend ausreichend verständigen konnte, auch wenn er seine russischen psychiatrischen Artikel auf deutsch schrieb und übersetzen ließ - den Text gesprochen hat, ist wohl diese am sympathisch- sten: Wenn es denn wahr ist, daß Kronfeld nach dem Überfall Nazi-Deutsch- lands auf die Sowjetunion im sowjetischen Rundfunk Propaganda-Ansprachen gegen die Nazis gehalten hat, dann ist diese Broschüre aus den Mitschriften dieser Ansprachen zusammengestellt worden. Von solchen Ansprachen berichtete jedenfalls Kurt Hiller in seinen Alterserinnerungen ("Leben gegen die Zeit - Logos", Hamburg 1969): "Bis Anfang 1942 hörten wir in London gelegentlich seine Stimme als eines deutschsprachigen Propagandisten am sowjetischen Zentralrundfunk" (S. 114). Hillers Bücher sind allerdings als Quellenangaben unzuverlässig, da er sich immer wieder falsch erinnerte und Daten und Sachverhalte erfand und verfälschte, wie es ihm paßte. Zudem spricht die Aussage Hillers, der nicht russisch sprach, eher dafür, daß Kronfeld im Radio deutsch sprach. Das schließt freilich nicht aus, daß er zusätzlich auch auf russisch gesprochen hat bzw. daß seine Ansprachen in den Rundfunk- sendungen übersetzt wurden. Angeblich soll auch der Direktor des Instituts für Psychiatrie der Akademie der medizinischen Wissenschaften der UdSSR, A. Sneschnewskij, 1984 in einer Befragung durch den deutschen Psychiater Wolfgang Kretschmer - dem Sohn Ernst Kretschmers, auf dessen biologistisch- philosophisches System Kronfeld seit den frühen 20er Jahren seine Psychiatrie stützte - ausgesagt haben, Kronfeld sei während des Krieges mehrfach im Radio gegen Hitler aufgetreten; Kretschmers Aufzeichnung seiner Befragung Sneschnewskijs läßt sich heute nicht mehr überprüfen.

Für unsere Vermutung spricht auch, daß am Ende des "Hitler"-Kapitels einige Abschnitte in ihrer Theatralik und Allgemeinheit den Eindruck erwecken, als seien dies Schlußsätze, als habe die Broschüre mittendrin einen ersten Schluß; und tatsächlich gleicht das Ende des "Hitler"-Kapitels dem Ende der ganzen Broschüre. Es könnte also tatsächlich eine der Ansprachen gewesen sein, die Kronfeld mit diesen Schlußsätzen abrundete und die als erstes Kapitel in die Broschüre aufgenommen wurde.

Wir glauben, mit der Broschüre "Degenerierte an der Macht" Kronfelds Rundfunk-Ansprachen an die Sowjet-Bürger entdeckt zu haben, mit denen er zum Widerstand gegen Nazi-Deutschland aufrief und von denen man bisher glauben mußte, sie hätten sich jeweils versendet. Angesichts der zahllosen faktischen Fehler, die diese Ansprachen enthielten, ist nicht davon auszugehen, daß Kronfeld etwa zu einem deutschsprachigen Publikum gesprochen hat, dem in Kenntnis der tatsächlichen Geschehnisse diese Fehler sofort aufgefallen wären.

Überraschenderweise erschien im August 1993 in Moskau eine erneute Auflage der Schrift mit angeblich 60 000 Exemplaren, die bis auf wenige, aber wesentliche, auf den ersten Blick unsinnige und unverständliche Verän- derungen im Text mit der 1941er Auflage identisch ist. Der Herausgeber war eine "Unabhängige Psychiatrische Assoziation Rußlands", die angibt, in Moskau in einem "Russischen Forschungszentrum für Menschenrechte" zu residieren und von einem Arzt namens Jurij Sawenko als "Präsident" geführt wird. Der Grund für eine neue Herausgabe des Textes nach mehr als fünfzig Jahren konnte nicht geklärt werden, da die Herausgeber auf Anschreiben nicht reagierten. Allerdings gibt es - nicht nur aufgrund der Zusammenstellung der 1993er Broschüre, die auch Texte anderer Autoren enthält - die weitgehend gesicherte Vermutung, daß sich die Neuherausgabe gegen die damaligen Machthaber in Moskau richten sollte und die Leserinnen und Leser in den von Kronfeld als Alkoholiker, Drogensüchtige, Geldgierige und sexuell Abnorme beschriebenen "Degenerierten" aus der Führung der NSDAP die politische und familiäre Gruppe um Boris Jelzin wiedererkennen sollten. So könnte sich z. B. erklären, weshalb man 1993 in der Schilderung des Exils des drogensüchtigen Dicken (Hermann Göring) durch Kronfeld sein Exilland Schweden gegen die Schweiz austauschte: Hatte nicht die Jelzin-Familie ihr zwielichtig erworbenes Vermögen alsbald in die Schweiz gebracht? Sawenko setzte der Schrift folgende Bemerkung voran, die im wesentlichen die Legende nacherzählt, die seit den 80er Jahren von interessierter Seite über Kronfeld verbreitet wird, ergänzt um die aktuelle Indienstnahme am Ende:

"VORWORT
Arthur Kronfeld (1886-1941) ist einer der hervorragendsten Psychiater des 20. Jahrhunderts, der seinen Werdegang zusammen mit Karl Jaspers begann und mehrere Gebiete der Psychiatrie, von allgemeiner Psychopathologie und Schizophrenie bis zu Sexopathologie und Psychotherapie entwickelte. Gezwungen, das faschistische Deutschland zu verlassen, trug er wesentlich zur Entwicklung der sowjetischen Psychiatrie bei. Er förderte die schnelle Einführung der kurz davor entwickelten Insulinkoma-Therapie, die ein enormer Schritt in der Behandlung der akuten Psychosen darstellte.
Die aktuelle Arbeit ist den allgemein brennenden Streitfragen gewidmet. Hier mischt sich die Psychiatrie offen in die Politik, ohne medizinische Schweigepflicht im Bezug auf die Führer des Dritten Reiches zu bewahren, und der Begriff Degeneration wird in seiner alltäglichen herablassend-verachtenden Bedeutung benutzt. Gerade das zu bekämpfen ist eine der Aufgaben der Unabhängigen Psychiatrischen Assoziation. Jedoch, ob sich nicht alles radikal ändert, wenn es um die Leader des Staates geht? ("Leader" - Führer - als englisches Wort in kyrillischen Buchstaben geschrieben wie "Lider".) Und ob das Beispiel des faschistischen Deutschland nicht die Antwort auf diese Frage ist?
Moskau, August 1993. Ju. S. Sawenko"

Zu einer Aktualität ganz anderer Art kam die alte Broschüre Kronfelds jüngst durch den Bremer Historiker Lothar Machtan, der bereits im Jahre 2001 zum Gelächter der Fachöffentlichkeit eine umfangreiche Untersuchung zur Frage von Hitlers angeblicher Homosexualität veröffentlicht hatte und 2003 eine erweiterte Taschenbuchausgabe herausbrachte (Machtan, Lothar: Hitlers Geheimnis. Das Doppelleben eines Diktators, überarbeitete und ergänzte Ausgabe, Frankfurt am Main 2003). In der erweiterten Ausgabe führt er Kronfelds "Degenerierten"-Schrift in gänzlich unkritischer Weise als einen seiner ganz wenigen angeblich eindeutigen Belege für Hitlers Homosexualität an (S. 405 f). Darüber hinaus nutzt Machtan die Kronfeld-Broschüre - neben einem Artikel Kronfelds aus dem "Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen" von 1920 über angebliche "Nervöse Folgeerscheinungen der Homosexualität", also aus Kronfelds Zeit als Angestellter an Magnus Hirschfelds Institut für Sexualwis- senschaft, als "Rechte Hand" und wichtigster Mitarbeiter Hirschfelds - auch als Beleg für seine absurde Behauptung, die Juden seien am Antisemitismus der Nazis und letztlich am Komplex Auschwitz deshalb selbst Schuld, weil jüdische Ärzte das bis dahin verborgene Thema der Homosexualität ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt hätten und so den bis dahin sich unter dem Schutz der Anonymität vergnügenden schwulen Freundeskreis Hitlers zutiefst verunsichert und gegen die Juden allgemein als die sie gefährdende Gruppe aufgebracht hätten (S. 409-447). Um diesen Unsinn eines nur noch rechtsextrem einor- denbaren Geschichtsrevisionismus zu stützen, zitiert Machtan sogar auf deutsch einige Satzfetzen aus einer offensichtlich nicht gültigen Übersetzung der "Degenerierten"-Schrift und interpretiert sie sehr weitgehend in seinem Sinne.

Angesichts derart heterogener Versuche, Kronfelds Broschüre von 1941 heute für eigene Zwecke zu benutzen, war eine Übersetzung und kritische Befassung mit dem Text überfällig.

Arthur Kronfeld 1941 in Moskau (gelber Pfeil):


Die englischsprachige "Moscow News" brachte am 13. Oktober 1941 dieses Foto eines "Anti-Fascist Meeting Of Soviet Scientists in Moscow on Oct. 12", bei dem eine Erklärung "an die Wissenschaftler und Kopfarbeiter der ganzen Welt" unterzeichnet wurde mit der Aufforderung, "to rally their forces for the struggle against Hitlerism, the swarn enemy of all culture and science." Zwei Jahre vorher, beim Hitler-Stalin-Pakt, galt Hitler noch als der beste Verbündete Stalins.

Dass sich der auf dem Foto freundlich lächelnde Kronfeld (gelber BIFFF...-Pfeil) nur vier Tage später, am 16. Oktober, gemeinsam mit seiner Frau umgebracht haben soll, behauptete ausgerechnet der Stalinist Johannes R. Becher, Gründungsmitglied der KPD und 1932 KPD-Reichstagskandidat, später Stalin-Preisträger, Mitglied des Parteivorstands und des Zentralkomitees der SED und Kulturminister der DDR sowie Dichter der DDR-Nationalhymne, als er im Sommer 1945 aus dem Moskauer Exil nach Ost-Berlin zurückkam und gefragt wurde, welches Schicksal denn Kronfeld ereilt hätte. Wäre Kronfeld antisemitischen "Säuberungen" Stalins zum Opfer gefallen, die schon wenig später in der UdSSR einsetzten, hätte Becher dies wohl kaum in Ost-Berlin bekannt gemacht, zumal Becher selbst in den 30er und 40er Jahren in der UdSSR als Denunziant und Informant den stalinistischen Geheimdiensten zuarbeitete. Der politisch undurchsichtige und wankelmütige, auch psychisch labile Becher, der sich Mitte der 20er Jahre vorübergehend von der KPD ab- und der Religion zuwandte, war seit 1910 wegen zahlreicher Selbstmordversuche und wegen seiner Opiatabhängigkeit immer wieder Psychiatrie-Patient.
Das Selbstmord-Gerücht um Kronfeld, das Becher 1945/46 in die Welt setzte und das bisher nicht bestätigt ist, gilt bei den Hirschfeld- und Kronfeld-Apologeten weiterhin als wahr. Es wird heute vor allem von
Ingo-Wolf Kittel verbreitet, einem Psychiater und Hobby-Forscher, der eine "Philosophische Praxis" für Psychotherapie im weiten Feld esoterischer Meditation betreibt und auch schon auf neo-antisemitischen Webseiten publizierte. Kittel hat - warum auch immer - in den 80er Jahren mit kleinen Schriften Kronfeld aus der Vergessenheit geholt, aber Kronfelds Biographie, Pseudo-Wissenschaft und Politik in weiten Teilen verfälscht und geschönt dargestellt. Weder Kronfelds "Erkenntnistheorie" auf der Basis des völkischen Mystizismus des militanten Antisemiten und Philosophen Jacob Friedrich Fries noch Kronfelds Hinwendung zur homophoben "Individualpsychologie" Alfred Adlers und seine menschenverachtende psychiatrische Berufspraxis (hierzu demnächst mehr auf der BIFFF...-Webseite) wurden von Kittel aufgearbeitet; das alles kommt bei Kittel gar nicht vor.

Die im russischen Original der Broschüre falsch geschriebenen Eigennamen haben wir in der deutschen Übersetzung korrigiert, um das Lesen und Verstehen des Textes zu erleichtern. Wir haben die Unterschiede zwischen den drei Ausgaben von 1941, 1942 und 1993 jeweils in Klammern an ihrem Ort in den übersetzten deutschen Text eingearbeitet; die Abweichungen 1942 und 1993 von der Erstveröffentlichung 1941 erscheinen in kursiver Schrift.

In die deutsche Übersetzung haben wir durch Anmerkungen als Fußnoten unsere textkritische Bearbeitung von Kronfelds Originaltext eingearbeitet, der keine Anmerkungen enthielt. Unsere Anmerkungen beinhalten Hinweise auf die Falschschreibungen der Namen, vor allem jedoch auf die zahllosen inhaltlichen Fehler in Kronfelds Text, zu denen jeweils der tatsächliche historische Sach- verhalt dargestellt wird, soweit er heute rekonstruierbar ist. Da wir nicht jede Aussage Kronfelds überprüft haben, können weitere, von uns nicht angemerkte inhaltliche Fehler in Kronfelds Text enthalten sein.

Wir haben uns dafür entschieden, die Übersetzung möglichst nahe am Original zu belassen, weil über die Umstände, unter denen das Original entstand, nichts gesichert bekannt ist. Dadurch ist der deutsche Text weniger gefällig; die ordinäre Sprache, das Springen der Verben zwischen den Zeiten, die teilweise chaotische Argumentenfolge, die unfreiwillige Komik der Ausdrucks- weise, verunglückt erscheinende Metaphern usw. sind Eigenheiten des Originals.

Zum vollen Verständnis des Textes und des Nachwortes von Peter Kratz kommt man nur, wenn man unsere textkritischen Anmerkungen jeweils entsprechend mit liest.


Arthur Kronfeld:
Degenerierte an der Macht

Als gebürtiger Deutscher, Einwohner von Berlin und Professor der Berliner Universität(1) hatte ich die Möglichkeit, die Entwicklung des Hitlerfaschismus vor und nach seiner Machtübernahme zu beobachten.

Alles, was ich hier im folgenden über die führenden Männer des Faschismus erzählen werde, beruht entweder auf eigenen Beobachtungen oder auf den Schilderungen von Mitgliedern der faschistischen Partei, die teilweise eng mit Göring, Goebbels,(2) Ley(3) und Himmler(4) zusammenarbeiteten. Ich erhielt diese Schilderungen von den Patienten, die sich von mir behandeln ließen. Deswegen kann ich ihre Namen nicht aufdecken. Diese Patienten wußten, daß antifaschistische Ärzte sie nicht bespitzeln und verraten werden und hatten keine Angst, zu ihnen zu gehen.

Ich war bestrebt, die Information der Patienten durch möglichst unauffälliges Ausfragen bei den psychotherapeutischen Sitzungen zu ergänzen. Allmählich erhielt ich soviel interessante und wichtige Mitteilungen, daß es nicht richtig wäre, sie vor einer breiten Öffentlichkeit zu verheimlichen. Hier ist das, was mir authentisch bekannt ist.

Adolf Hitler

Im Mai 1932 konnte ich Hitler aus unmittelbarer Nähe beobachten. Als Psychiater wurde ich von einem Münchener Gericht für ein Gutachten während des Prozesses von Werner Abel eingeladen.(5)

Mir ist nicht bekannt, aus welchen Gründen sich Abel mit seinen Komplizen gestritten hatte. Auf jeden Fall veröffentlichte er 1930 in der Zeitschrift Weltbühne einen Artikel, der Hitler des Hochverrats beschuldigte.(6) Abel behauptete, daß er und Heines(7) als Hitlers Adjutanten anwesend waren, als ein Major der italienischen Armee, ein gewisser Migliorati, im Auftrag von Mussolini Hitler persönlich eine Summe von 10 Millionen Lire auszahlte. Abel nannte genau den Tag, die Stunde und das Hotelzimmer, wo das stattfand.(8)

Hitler leitete gegen Abel einen Prozeß wegen Verleumdung ein und wartete auf die Gerichtsverhandlung mit solcher Nervosität, daß er für alle Fälle einen Verteidiger für sich engagierte -- eine völlig ungewöhnliche Methode für ein unschuldiges „Opfer“.(9)

Drei Tage saß ich in einem kleinen Zeugenzimmer zusammen mit Hitler und seinen Komplizen, während sie auf eine Vernehmung warteten.(10)

Ich nutzte diese Zeit für eine sorgfältige Beobachtung des „Helden des Prozesses“.

Adolf Hitler -- ist mittelgroß. Die schmalen Schultern, das breite Becken, die dicken Beine und der schwere Gang unterstreichen seinen häßlichen Körperbau. Die niedrige Stirn, die kleinen trüben Augen, der kurze schwarzhaarige Schädel und das zu große Kinn sprechen für eine gewisse degenerative Primitivität. Er grimassiert unglaublich und ist ständig in einer eigenartigen nervösen Bewegung.

Trotz des Gesetzes, das die Unterrichtung der Zeugen über den Prozeßablauf ausschließt, kamen jedoch aus dem Gerichtssaal Boten und erzählten von den Aussagen Abels. Hitler war rasend vor Wut, brüllte wild, lief im Zimmer herum, kurz, er verhielt sich wie ein Mensch, der sich nicht beherrschen kann. Wenn er jedoch vor seinen Anhängern auftrat, nahm er die Haltung eines Herrschers an. Wie ein schlechter Schauspieler, der die Rolle des Imperators spielt, stolzierte er, ohne die Knie zu beugen, und dabei seinen rechten Arm anhebend (Neuauflage 1993: sein rechtes Bein anhebend). Sein Gesicht erfror in einer dümmlichen Miene, die wohl seine Größe ausdrücken sollte.

In solcher Narrenhaltung betrat Hitler den Gerichtssaal und stürzte sich sofort mit rasendem Gebrüll auf Abel. Doch dessen geballte Fäuste und die athletische Kraft des Gegners hielten den nicht sonderlich tapferen „Führer“(11) zurück. Offensichtlich entschied er, daß „Vorsicht zur Tapferkeit gehört“, und begann, alle möglichen Schimpfworte zu schreien, wobei Schaum aus seinem Mund heraustrat.(12) Das Gericht sah sich genötigt, den zukünftigen Reichskanzler(13) mit einer hohen Geldstrafe für sein unflätiges, randalierendes Verhalten zu belegen. Wahrscheinlich bezahlte er diese Strafe von den Millionen, die er von Major Migliorati bekommen hatte.(14)

Ebenfalls bemerkenswert war sein Verhalten bei der Vernehmung. Ausbrüche animalischer Wut und allgemeine Phrasen über seine rettende Mission waren die einzige Antwort auf die konkreten Fragen der Richter. Der Staatsanwalt bemühte sich sehr, einen Beschluß von dem Gutachter zu bekommen, daß Abel ein pathologischer Lügner, Phantast und unzurechnungsfähig ist. Dies würde Hitler ein guter Dienst sein. Wer wird den verrückten Beschuldigungen eines Seelenkranken glauben! Ich aber konnte dem zukünftigen „Führer“ diesen Dienst nicht erweisen und sagte, daß Abel, obwohl ein asozialer Typ, bei klarem Bewußtsein ist und seine Aussage zusammenhängend und mit voller Verantwortlichkeit gemacht hat.(15) Er wurde zu drei Jahren Gefängnisstrafe verurteilt. Jedoch kaum an der Macht, töteten die braunen Räuber ihn sofort, wie auch den Vorsitzenden und alle Mitglieder des Gerichts -- da sie unfreiwillige Zeugen des skandalösen Verhaltens von Hitler während des Prozesses waren.(16)

1934 befahl Hitler, Heines zu vernichten, den letzten Zeugen, einen seiner treuesten Anhänger und außerdem einer von denen, mit denen er ein Verhältnis hatte.(17)

Durch Blut, Kugeln, Galgen, Betrug und Demagogie verschaffte Hitler sich seinen Weg zur Macht. Sein vergänglicher und wackliger "Thron" ruht auf den Knochen seiner Feinde und der Freunde, die plötzlich unbequem geworden sind. Von allem, was mit Hitlers Namen verbunden ist, schlagen einem Todeskälte, Haß auf alles Lebende und Progressive sowie menschliche Tränen und Blut entgegen.

Hitlers Stammbaum ist durch amerikanische Psychiater genau bestimmt worden. Hitlers Vater, Alois Schicklgruber,(18) nannte sich im Alter von 40 Jahren Hitler und gab diesen Familiennamen an die Nachkommen weiter. In seiner Jugend war er ein unausgeglichener, asozialer Typ, später ein fauler Alkoholiker, der nie in seinem Leben gearbeitet hat. Um irgendwie durchzukommen, heiratete Alois Hitler im Städtchen Braunau eine wohlhabende Frau, die 14 Jahre älter war als er. Seine Frau war eine außereheliche Tochter eines gewissen Georg Hitler, Sohn eines Juden, der in einem Hotel in Bukarest Oberkellner war. Bis zu seinem Tode führte das Papachen das Leben eines Gewohnheitstrinkers und Stammgastes drittklassiger Bordelle.(19)

Nach dem Tod seiner Frau heiratete Alois ihr Dienstmädchen, Klara Pölzl,(20) von der 1889 der Sohn Adolf geboren wurde.

„Eingebildet, zänkisch, ungehorsam“ -- so wurde Adolf in der Lambacher Volksschule charakterisiert.(21)

Die Lehrer der Realschule in Linz ergänzten diese Einschätzung folgendermaßen: “...lernt unregelmäßig, versucht der Schule auszuweichen, wo es nur möglich ist; ist gleichgültig, geistig begrenzt, hat für das Lernen weder Lust noch Begabung“.

Im Ersten Weltkrieg diente Hitler in einem bayerischen Regiment, wo er ein Offiziersbursche sowie ein Bote des Hauptquartiers war.(22)

Es gibt Erzählungen über die legendäre Teilnahme Hitlers an den Kriegskämpfen. Dies sind jedoch reine Erfindungen. Es ist nachgewiesen, daß Hitler nach dem Durchbruch der Engländer bei Combrai am 8. August 1918 in panischer Angst die Flucht ergriff, als er zum ersten Mal zusammen mit dem Hauptquartier in eine gefährliche Lage geriet. In einem Lazarett meldete er sich als gasvergiftet. Seine Krankengeschichte jedoch bezeugt, daß die Ärzte keine Spuren der Gasvergiftung feststellen konnten. Es wurde statt dessen das Krankheitsbild eines ausgeprägten hysterischen Augenlidkrampfes und eine hysterische Blindheit festgestellt.(23) Das also kann tierische Angst um die eigene Haut mit einem Feigling machen.

Nach dem Krieg entstanden zahlreiche Legenden über die große Tapferkeit Hitlers an der Front, wo er nicht einmal war. Es wurde erzählt, daß er einmal fünf, einmal sieben Franzosen gefangen genommen habe. Später stellte sich heraus, daß „der Held“ hingegen 7 Engländer überwältigt hatte. Zu wenig? Er "fing" 15 Engländer!(24)

Es ist genau bekannt, daß all diese Legenden auf den persönlichen
Behauptungen Hitlers beruhen. Er verlieh sich auch selbst das Eiserne Kreuz
erster Klasse. Zumal es noch genug Eisen in Deutschland gab.(25) Verlogenheit und Verlangen nach Selbstlob sind -- charakteristische hysterische Eigenschaften des „Führers“. Im weiteren Verlauf jedoch entfalteten sie sich noch mehr und nahmen gigantische, widerwärtige Ausmaße an.

Nach der Demobilisierung in München stand Hitler erneut mit leeren Händen da und wurde professioneller Spion(26), Provokateur. In einer der zahlreichen kleinen Organisationen von damals, die von einem gewissen Drexler(27) gegründet und dann durch Hitler in eine Bande von bewaffneten Plünderern verwandelt wurde, entstand die spätere nationalsozialistische Partei, und es begann die politische Karriere eines ehemaligen Spitzels.

Im November 1923 entwickelte sich die erste theatralische Farce des neu erschienenen, wenig talentierten Regisseurs: der Putsch, an dessen Ende sich Hitler zum Regenten des Staates erklärte. Wie ein Besessener, voll ungezügelter Eitelkeit, schreckte er in seinem Machtstreben vor keinem Verbrechen zurück.

Sadistische Grausamkeit, Enthemmung selbst niedrigster Instinkte, Verachtung für alle Formen geistiger Kultur, grenzenlose Selbstvergötterung -- das sind die Eigenschaften des Gangsters und Menschenfressers, der jetzt Europa im Blut ertrinken läßt, dabei das schmerzensreiche deutsche Volk erniedrigend und quälend. Unwahrscheinliche persönliche Reizbarkeit, gepaart mit häufigem völligem Verlust der Selbstkontrolle, unstillbares Bedürfnis zu Töten, völlige Abwesenheit von Mitleid und eine Neigung zu Aberglauben und Mystik -- ist es nicht genug der Details, um die abscheuliche Gestalt des "Führers" Deutschlands zu charakterisieren?

Der Ursprung seines Charakters, seine Achse und Mitte bildet jedoch Hitlers unbegrenzte Selbstverliebtheit. Wenn er spricht, müssen alle schweigen. Es ist nicht möglich, den Strom seiner trüben Wortergüsse zu stoppen. Dabei vermischen sich das Private und das Geschäftliche in einer merkwürdigen Kombination. Der Emporkömmling, Angeber und Feigling kann und will keinem anderen zuhören.

Hitlers Buch „Mein Kampf“(28) wiederholt lediglich die Hauptideen des radikalen Flügels der österreichischen Christlich-Sozialen Partei von vor dem Krieg. Offensichtlich hörte sich der Autor die Redner dieser Partei an -- Schönerer, Lanz(29) und die anderen, und schaffte es nur, die Beschreibung seiner eigenen Person, seines „Kampfes“ hinzuzufügen.

In den Formulierungen des Buches, seinem Geist und Inhalt offenbart sich die niedrige geistige Ebene des Autors, nebst einer hochtrabenden Grobheit, die eben seinem Charakter entspricht. Allerdings ist „Mein Kampf“ schon längst umredigiert. Ich las jedoch die alte Ausgabe und war verblüfft über die ungebildete und grobe Verzerrung der deutschen Sprache.

Wie viele scharf ausgebildete psychopathische Persönlichkeiten ist Hitler unnormal in der geschlechtlichen Einstellung. Es kann als erwiesen gelten, daß ihm das Gefühl der Liebe zu einer Frau unzugänglich ist. In der Vergangenheit war er in geschlechtlichen Beziehungen mit Heines und Ernst. Die beiden wurden am 30. Juni 1934 auf Befehl des Reichskanzlers umgebracht.(30) Ich verfüge über die folgende Information über sein Intimleben:

Ende des Jahres 1932 erzählte mir ein in Berlin bekannter „Telepathie-Hypnotiseur“, Hanussen,(31) ein Anhänger Hitlers und dem faschistischen Oberhaupt der Berliner Polizei, Graf Helldorf,(32) nahestehend, daß ihm Ernst persönlich sehr ausführlich über seine homosexuelle Nähe zu Hitler berichtete. Hanussen wurde am 2. Februar 1933 getötet, entweder durch Ernst selbst oder durch seine braunen Komplizen, weil er zu viel wußte.(33) Über Ernst selbst ist bekannt, daß er noch 1923 als Hilfsputze („Boy“)(34) in einer Berliner Bar namens „Hollandais“(35) in der Bülowstraße arbeitete, die ein Treffpunkt für Homosexuelle war. Ebenfalls über Ernst wurde die homosexuelle Beziehung Hitlers mit Heines bekannt. Später wurden die homosexuellen Neigungen des Heines öffentlich durch Goebbels bestätigt. Er wollte damit offenbar dessen Ermordung 1934 rechtfertigen.

Bei Hitler treten bisweilen epileptische krampfhafte Anfälle auf.

Alle häßlichen Eigenschaften der Persönlichkeit Hitlers sind besonders gefährlich, weil seine perversen Wünsche ungehindert realisiert werden, nicht einmal von der geringsten moralischen Bremse aufgehalten. Es ist charakteristisch, daß der "Führer" in seiner grenzenlosen Selbstanbetung seine Mängel zu Prinzipien und Idealen erhebt. In seinem Buch preist er die Fähigkeit zu lügen als ein Merkmal des Menschen an, der über der Menge steht; er betrachtet auch Grausamkeit als wichtige Eigenschaft eines wahren Anführers usw.

Solch ein Mensch ist extrem gefährlich für die Gesellschaft. Und um so mehr, wenn er an der Macht ist und sich das Recht aneignet, „Millionen zu töten“, um seine verbrecherischen, volksfeindlichen Ziele zu verfolgen. So zieht der Psychopath Hitler ein Land nach dem anderen in den Abgrund des Krieges hinein, der Millionen unschuldiger Menschen das schrecklichste Elend und Leid bringt. In dem Orkan der verbrecherischen und blutigen Schlachten ist bereits die Elite des deutschen Volkes gefallen. Um wessen Willen sterben die Deutschen weit weg von ihrer Heimat? Weswegen fließt das Menschenblut in Strömen? Für wessen Glück werden Städte verbrannt und die größten Errungenschaften der Kultur, Kunst und Technik vernichtet?

Hitler versprach den Deutschen Wohlstand und Wohlbefinden. Er brachte aber Hunger, Elend und moralischen Niedergang. Die Tränen und Leiden der Menschen machen ihm nichts aus. Besessen vom Größenwahn, unfähig sich zu beherrschen, plant er neue unerhörte Greueltaten und vernichtet besinnungslos das Beste, was das menschliche Genie aller Völker der Welt geschaffen hat.

Das deutsche Volk kann nicht lange diese wilde Entfesselung der bösen Kräfte, wie den Obskurantismus, die Grausamkeit und den Sadismus dulden. Zusammen mit dem unvermeidlichen Zusammenbruch der abenteuerlichen Pläne der Bestie, des Psychopathen und hysterischen Emporkömmlings wird auch ein unvermeidliches Ende der Massengewalt kommen, einer Massengewalt, die durch die Höllenbrut, deren Name Adolf Hitler ist, zu einer Tugend proklamiert wurde. Dieser Tag wird zu einem hohen Fest für die ganze Menschheit wie auch für das vor Leid vergehende deutsche Volk werden.

Hermann Göring

Das erste, was auffällt beim Treffen mit Hermann Göring,(36) -- ist sein häßlicher, lächerlicher Körperbau. Diese kleinwüchsige Person -- wiegt nicht weniger als 150 Kilogramm. Bauch, Becken, Schenkel und teilweise sogar das Gesicht sind mit Fettschichten und -klumpen bedeckt. Solch ein Typ der Fettleibigkeit ist nicht nur durch Görings Mißbrauch von Alkohol und Morphium bedingt. Es ist die Folge einer angeborenen Drüsenstörung, die oft zu einer psychischen Minderwertigkeit führt. Viel Fett -- wenig Verstand, so lautet die Volksweisheit zurecht.

Göring wurde in die Familie eines angesehenen Beamten hinein geboren. In seiner Kindheit hatte er schlechte Noten in der Schule, war schwer erziehbar, faul und nachlässig. Die Eltern brachten ihn in einer Internatsschule für Kadetten unter, wo die Zöglinge mit militärischer Strenge behandelt wurden. Aber auch dort konnte er sich nur schwer unterordnen, und seine Begabungen für die Wissenschaften waren deutlich unter dem Durchschnittsniveau. Nur dank der Stellung des Vaters wurde er Offizier.(37)

Schon die erste Heldentat Görings auf dem Schlachtfeld ist charakteristisch für seine absurde Eitelkeit. Ungeachtet der realen Kräfteverhältnisse entschied sich der glorreiche Krieger, den Befehls-inhaber des Feindesabteils in Gefangenschaft zu nehmen. In den ersten Attacken wurde die ihm unterstehende Einheit völlig vernichtet. Nur Göring und zwei andere Personen überlebten. Der ungeschickte Kommandeur wurde Gegenstand des allgemeinen Gespötts. Er mußte sich für krank erklären und in ein Lazarett flüchten, um angeblichen Rheumatismus behandeln zu lassen.(38) Hier tat er sich mit dem verwundeten Flieger Loerzer(39) zusammen und kehrte nicht mehr zu seinem Regiment zurück. Er wurde statt dessen Flieger in einer Kampfstaffel der damals bekannten Gruppe Richthofens. Nach dem Tod des Befehlsinhabers sollte Reinhardt(40) neuer Kommandeur werden. Dem Range nach war Göring der nächste. Plötzlich starb Reinhardt unerwartet -- sein Flugzeug stürzte ab, da einige wichtige Teile seltsamerweise auseinander geschraubt worden waren. Göring „hatte Glück“.(41)

Als Kampfflieger wurde er eher gering geschätzt, betrieb er doch schon damals Alkohol- und Morphiummißbrauch. Seine Vorliebe für die Drogen erklärte er dadurch, daß er mehrmals verwundet war und seine Nerven dadurch ihre Stärke verloren hätten. Eine bewährte Handhabung unter Hitlers Komplizen. In der Tat wurde Göring gar nicht verwundet im Krieg.(42)

Überaus erpicht auf Dienstgrade, eiferte er unaufhaltsam den Orden und Auszeichnungen nach. Um jedoch einen Orden „Pour le Mérite“ („Für Verdienste“) zu bekommen, mußte man 20 gegnerische Flugzeuge abgeschossen haben. Was im Luftkampf unmöglich war, wurde leicht auf der Erde, bei einem Gläschen Schnaps, arrangiert. Nach einer Verabredung mit dem Flieger Erhard Milch,(43) dem heutigen faschistischen Feldmarschall der Luftwaffe, schrieb Göring die von ihm abgeschossenen Gegner sich selbst zu.(44) So erschien auf der feisten Brust des talentlosen Offiziers auch ohne Heldentaten sein erster Kriegsorden. Übrigens weiß Hitler solch „erschwindelte Heldentaten“ zu schätzen und erschwindelte sich selbst so manches Mal welche dazu.

Mit dem oben genannten Milch ist übrigens eine interessante Episode verbunden, die Görings Gestalt moralisch-ideologisch charakterisiert. Mit Milch, einem begabten Menschen, war er befreundet, und, an die Macht gelangt, entschied er, ihn zu seinem Helfer zu machen. Aber ach! Milch war nur zur Hälfte Arier. Sein Vater -- Apotheker in Wilhelmshaven(45) -- war ein Jude. Es fand sich jedoch eine einfache Lösung der unangenehmen Situation: die alte Mutter Milchs wurde gezwungen, einen offiziellen Schwur abzulegen, daß der eigentliche Vater ihres Sohnes nicht ihr gesetzlicher Ehemann, sondern ein Arier sei. Ein Trick, der seines Autors würdig ist! Er zeigt, wie wenig Göring die „Prinzipien“ schätzt, derenthalben er so viel menschliches Blut vergoß.(46)

Die Revolution entwertete auf einmal all das schöne Klimperzeug auf der Uniform des Offiziers. Ein wütender und entmutigter Göring begab sich nach Schweden in den Dienst von Baron Rosen als Flieger seines privaten Flugzeuges. Hier langweilte er sich wohl derart, daß er die an Epilepsie leidende Karin verführte, die Ehefrau eines gewissen Kantzow und eine Verwandte seines Arbeitgebers.(47) Doch die Heirat mit der Hoffnung auf ein beträchtliches Vermögen erwies sich leider als voreilig. Der durch fehlende Beschäftigung fett gewordene Pilot verkalkulierte sich mächtig!

Während des Putsches 1923 bekam er dann seine erste und einzige Wunde. Die Ehefrau holte den Putschisten zurück nach Schweden (Neuauflage 1993: zurück in die Schweiz). Hier erlitt er einen Nervenzusammenbruch. Von 1924 bis 1926 befand er sich in folgenden schwedi-schen psychiatrischen Anstalten: den Krankenhäusern von Aspudden und Katarina in Stockholm; zweimal in der Klinik L

ångbro und zuletzt in der Irrenanstalt Konradsberg. Ein akuter Erregungszustand verlangte nach sofortiger Isolation des psychisch Kranken. Die Diagnose des Krankenhauses in Långbro lautet: „Ausgesprochen gefährlicher asozialer Hysteriker“.(48)

Dem ärztlichen Gutachten nach wurde Göring als erziehungsunfähig für den Sohn aus erster Ehe erklärt.(49) Er bleibt ein Alkoholiker und Morphinist bis zum heutigen Tag. Das war wahrscheinlich auch der Grund für seine psychische Erkrankung.

1927 kehrte Göring nach Deutschland zurück und wurde der engste Komplize Hitlers. Nachdem er sich an die Macht gebracht hatte, wurde er bald berühmt durch seine wahrhaftig märchenhafte Habsucht. Privatpersonen, Industriekonzerne, Aktiengesellschaften, Stadtverwaltungen, Verlage sind diesem Gauner tributpflichtig: er nimmt Geld, Aktien, Kunstgegenstände, und in kurzer Zeit wird er zu einem der reichsten Menschen Deutschlands. Göring ist natürlich nicht der einzige, der, an der Macht angelangt, spekuliert und sich bereichert: Ribbentrop, Ley und viele andere stehen ihm da nicht nach. Jedoch tut es niemand so unverschämt wie Göring. In dieser Beziehung ist er ein unübertroffenes Vorbild für alle anderen Gangster.

Als 1933 ein verlogenes Gesetz herauskam, das da lautete, daß ein Minister nicht mehr als 1000 Mark pro Monat bekommen darf, bekleidete Göring gleichzeitig 8 Posten.(50) Und, dem entsprechend, erhielt er genau so viele Gehälter.

Nach dem Erlaß des sogenannten Gesetzes gegen die Juden 1935 schlug Göring vor, daß ein Juwelier namens Friedländer(51) ihm seine Schätze, die Millionen wert waren, übergab. Dafür bekam der Jude ein Visum nach Amerika und ... 1000 Dollar. Friedländer akzeptierte das „Geschäft“. Alle, die gegen die räuberischen Erpressungen des Ministers Widerstand leisteten, wurden zu Staatsfeinden erklärt.

Unter den führenden Gangstern des Faschismus wurde dieser Weg (1942: diese "Methode") sehr populär. Goebbels ahmte Göring sehr erfolgreich nach, als er den Bankier Jakob Goldschmidt zwang, ihm sein Vermögen und sein Schloß Schwanenwerder zu „überlassen“.(52)

Amann,(53) der ehemalige Feldwebel Hitlers, bekam auf diese Art und Weise das Vermögen der Gebrüder Ullstein, aber Ley und Himmler erwarben sein riesiges Vermögen (Neuauflage 1993: der Halbsatz mit Ley und Himmler fehlt),(54) jedoch gehört das Patent für solche Methoden des offenen und zügellosen Raubes Göring. Er -- ist sein Autor und Erfinder. Das ist vielleicht das Größte, was dem faulen und verfetteten Gehirn des braunen Ministers entsprang.

Die Habgier Görings vor allem für wertvolle Kunstwerke ist keineswegs ein Ausdruck seines Kunstbedürfnisses. Es ist lediglich eine Folge seiner primitiven Prunksucht. Man ist verblüfft über seine völlige Phantasielosigkeit. So ließ er für seine Ehefrau eine gläserne Badewanne errichten, schenkte ihr ein 5 Millionen Mark teures Diadem, um das er Friedländer beraubt hatte, und ließ in seinem Schloß eine elektrische Eisenbahn bauen.

Die unglaubliche Eitelkeit Görings ist geradezu lächerlich. Das betrifft auch sein Äußeres. In seinem Bestreben, sich mit allen möglichen Mitteln attraktiv zu machen, äußert sich besonders deutlich die Primitivität seiner Natur: ohne zu merken, wie lächerlich er wirkt, trägt er die groteskesten Uniformen, die er, wie ein Eingeborener, mit den seltsamsten Schmuckstücken, Streifen, Posamenten und mit von ihm selbst erfundenen Orden und Ansteckern schmückt. Damit nicht zufrieden, schminkt er sich noch obendrein wie eine waschechte Kokotte.

Seine hinterlistige Grausamkeit und Wildheit sind hinter einer Art zur Schau gestellter Gutmütigkeit und Ungezwungenheit verborgen. Sein Humor -- ist der eines Alkoholikers und Drogensüchtigen. Die ihm nahestehenden Menschen sagen, daß er ungeheuer viel trinkt und unglaublich gefräßig und unkultiviert ißt. Endloser Egoismus und grobe Grausamkeit -- sie bilden die unansehnliche Gestalt eines der engsten Komplizen des Anführers der braunen Räuberbande. Ein würdiger Gehilfe, ohne Frage!

Joseph Goebbels

Ein winziger Mensch von dunkler Gestalt. Äußerlich -- ein Affe, so viel grimassiert er und macht Faxen. Aber die „Anthropologen“ fanden die Lösung des Problems: „Doktor Goebbels gehört zu einem besonderen Zweig der arischen Rasse: germanisch, verengt, in der Folge eingedunkelt.“ Sein Name ist Joseph. Genannt wird er aber „Jupp“ -- Jupkin.(55)

Eine degenerative, verkrüppelte Körperanlage. Eine abscheuliche Mißgeburt, wie Hitler und Göring. Ein Männlein mit dünnen, krummen Beinen und großen häßlichen, erblich deformierten Füßen. Ähnliche Füße hat im übrigen auch seine Tochter. Folglich fällt auch das Papachen unter den ersten und zweiten Paragraphen des bekannten Gesetzes über die zwangsweise Sterilisation -- Unfruchtbarmachung der Minderwertigen!(56)

Der blaß-grünliche Körper ist mager, der Schädel deformiert und zu groß für den mickrigen Pygmäen. Die Ohren sind zu groß und stehen ab, das Kinn ist unterentwickelt. Der Mund ist zu breit, die Augen sind zu weit auseinander. Die Stirn flieht nach oben weg. „Jupp“ -- Jupkin will seine Minderwertigkeit um jeden Preis verbergen. Goebbels erklärt sich schlicht selbst zu einem Vertreter der noblen Rasse. Die unbefriedigte Wollust wird zu einem Kriterium staatlicher Weisheit im faschistischen Deutschland. Habgieriger Egoismus, kalter Haß gegen alles, was gesund und vollwertig ist.

Goebbels stammt aus einer kleinbürgerlicher Familie, die im Rheingebiet ansässig war. Schon als Kind träumte er vom Ruhm. Nach dem ersten imperialistischen Krieg verbreitete er, wie der allbekannte Tartarin aus Tarascon, überall Erzählungen darüber, wie er während der Okkupation des Rheingebiets einem belgischen Offizier die Peitsche entriß und ihn schlug.(57) dafür sei er angeblich in ein belgisches Gefängnis eingesperrt worden. Jedoch lachten alle höhnisch über den kraftlosen Zwerg, wie auch immer er lügen und prahlen mochte.

So fing er an, sich in der Kunst des Lügens zu perfektionieren, um es später darin zu einem unübertroffenen Meister zu bringen.

Goebbels studierte Literaturgeschichte an der Heidelberger Universität und wurde durch Prof. Gundolf examiniert.(58) Dieser zutiefst reaktionäre, jedoch hochgebildete Mensch lehnte Goebbels Verlangen nach einer Arbeit bei ihm ab. Goebbels rächte sich mit giftigem Judenhaß. Vergeblich suchte er eine Arbeit bei den bürgerlichen liberalen Zeitungen. Louis Ullstein(59) sagte mir einmal im Jahre 1932: “Es war unser schwerer Fehler, daß wir diesen kleinen Krüppel nicht eingestellt haben. Er wäre ein begabter Werbespezialist geworden“.

In den Nachkriegsjahren wurde Goebbels zunehmend ein deklassierter Vagabund.

Es wuchs in ihm ein wilder Haß gegen talentierte Schriftsteller, gegen die
kulturelle Atmosphäre der Weimarer Republik. Er verbrannte schließlich „alle Schiffe“ hinter sich und schloß sich im Jahre 1924 der Hitlerbande an.(60) Goebbels wußte nur allzu gut, welcher Zusammenrottung von Verbrechern, Banditen, Verzweifelten und Psychopathen er beitrat.

Goebbels begann mit der ideologischen Organisation dieses Abschaums der Gesellschaft. Hitler vertraute Goebbels die Volksbildung an. Seine Auswahl war nicht zufällig. Einmal sagte Goebbels öffentlich: „Wenn in meiner Gegenwart das Wort Intellekt fällt, möchte ich nach meiner Pistole greifen“. Später erklärte er seinen Gedanken: „Humanismus, Kultur, internationales Recht sind für uns nur leere Worte“. Die Lüge ist eine Waffe der Schwachen und Minderwertigen. Vater der Lüge -- diesen Teufelsnamen bekam Hitler zurecht. Goebbels -- ist ein würdiger Sohn dieser Lüge, ihr geliebter Erstling, ihr würdiges hinkendes Kind. Mit Hilfe seiner unverschämten Lügen gelang ihm schon viel, noch vor der Machtübernahme Hitlers.

1930 bekam er die Aufgabe, einen Helden der faschistischen Bewegung zu schaffen. Seine Auswahl fiel auf einen Zuhälter und deklassierten Studenten namens Wessel, der kurz davor von einem anderen Zuhälter in einem Streit über das Einkommen einer Prostituierten getötet worden war.(61) Der Justizprozeß war öffentlich: alle wußten, wie Wessel getötet wurde. Jedoch gerade das reizte Goebbels. Er verwandelte den Mörder in einen Kommunisten und den Getöte-ten -- in einen ideologischen Vorreiter der Nazis. In Wirklichkeit jedoch gehörten sowohl Wessel als auch sein Mörder Höhler(62) zur braunen Bande. Den Streit um das Einkommen einer Prostituierten verwandelte Goebbels in einen Weltanschauungsstreit.(63) Er zwang das germanische Volk, überall dem eigenen „Helden“ Denkmäler zu errichten, den besten Straßen und Plätzen den Namen dieses Zuhälters zu geben. Er machte das geistlose, zufällige Gedicht des „Helden“ ... zu einer nationalen deutschen Hymne. „Jupkin“ wußte gut, was tatsächlich mit Wessel geschah. Hier konnte er wahrscheinlich sein Talent als internationaler Abenteurer voll entfalten! Zumal sein Rachebedürfnis für seine „Minderwertigkeit“ ihn buchstäblich nicht in Ruhe läßt.

Die Geschichte der Psychiatrie kennt die Gräfin Brinvilliers und die Ehefrau eines deutschen Pastors, Gesche Gottfried,(64) die kaltblütig und experimentierend ihre Verwandten, Freunde und einfach zufällige Menschen vergiftete, um sich durch das Gefühl der heimlichen Macht und Überlegenheit, Ungezügeltheit und Verlogenheit zu berauschen. Genauso handelt auch Goebbels. Seine Lüge wird zunehmend tief und dümmlich. Sein eigenes Volk glaubte ihm zunehmend weniger genau deswegen, weil er Neid, Haß, Mord und Eitelkeit propagierte. Das deutsche Volk nimmt Goebbels schon seit langem nicht mehr ernst. Dieses Volk lacht für gewöhnlich bei seinem Gerede. Nicht selten ergriff Goebbels die Flucht vor einer Versammlung, um sich vom Spott zu retten. Die erste Flucht fand im Sommer 1935 auf der Versammlung der Stürmer im Berliner Bezirk Friedrichshain statt. Seit dieser Zeit versucht Goebbels vergebens, den Massen zu suggerieren, daß alle lügen, nur er selbst nicht.

Der Oberbetrüger des deutschen Faschismus ist nicht genug entwickelt für seine Ansprüche.

Nach der faschistischen Machtergreifung ließ Goebbels zwanzig Millionen Bücher verbrennen.(65) Er rächte sich bei den Lesern, die Heine lieber lasen als Goebbels. Dabei pflegte er zu sagen: „Das gedruckte Wort kotzt mich an. Es wird mir übel von einem gedruckten Wort“. Nichtsdestotrotz bemühte er sich um die Gesamtausgabe seiner Werke und zwang die Deutschlehrer, seine „geistigen Erzeugnisse“ anstatt des verbannten Goethe(66) obligatorisch zu unterrichten.

Das ständige Bedürfnis nach der Kompensation des eigenen Minderwertigkeitskomplexes spiegelte sich in der Anhäufung seiner sexuellen „Siege“ wieder. Goebbels heiratete die Ehefrau des Bankiers Quandt, der seinerzeit der faschistischen Partei beitrat, um seine Geschäfte besser in den Griff zu bekommen. Der häßliche „Jupkin“ nahm dabei einem Gefährten seine Ehefrau weg und heiratete sie.(67) Sie jedoch, ungeachtet von Luxus und Macht, die sie umgaben, verlangte bereits nach drei Jahren die Scheidung. Vier Rechtsanwälte riskierten es nicht, einen Prozeß gegen den allmächtigen Propagandaminister zu führen. Da wandte sich Frau Goebbels direkt an Hitler und wies auf eine Liste von 28 jungen Schauspielerinnen hin, die der „Leiter“ der deutschen Theater- und Kinokunst gezwungen hatte, seinen geschlechtlichen Wünschen Folge zu leisten. Der Machtmißbrauch der Mißgeburt, den Hitler zutiefst verachtete, ging eindeutig zu weit. Hitler bat Goebbels' Ehefrau, von einer Scheidung abzusehen mit Rücksicht auf einen damit verbundenen unerwünschten Skandal für die braune Führerschaft, und befahl Goebbels, sich einem sechsmonatigen Hausarrest zu unterziehen, während dem er sich nur um seine Familie zu kümmern hätte. Es begannen neue sexuelle Skandale „im eigenen Haus“ ... Hitler war daraufhin mit der Scheidung einverstanden.(68)

Nicht selten ist gerade bei häßlichen Menschen der Wunsch nach Geschlechtsverkehr besonders stark ausgeprägt. (1942 statt dessen: Mißgeburten haben oft ein erhöhtes Paarungsbedürfnis.) Goebbels gebrauchte alle Möglichkeiten, um gesunde junge Frauen zu erobern und zu unterwerfen (1942: gesunde fehlt). All dies jedoch hielt ihn nicht davon ab, gesunde Menschen einer unerlaubten geschlechtlichen Begierde zu beschuldigen. So schickte er auch eigenhändig einen älteren Berliner Rabbiner ins Konzentrationslager (1942: So hat er ... ins Konzentrationslager eingesperrt), weil ... er „in der Straßenbahn mit lüsternem Blick eine junge Blondine angeschaut hatte“.

Ähnlicher Sünden bezichtigt der Schwachsinnige auch Angehörige der katholischen Kirche -- Mönche und Nonnen, Lehrer, Vertreter der Intelligenz, indem er es genüßlich öffentlich verbreitet und unterschreibt (1942: Vertreter der Intelligenz fehlt).

Die Feigheit und das Verräterische an Goebbels sind überall innerhalb der faschistischen Partei und in ganz Deutschland bekannt (selbst wenn keine akute Gefahr besteht, geht er lieber schon mal in den Bunker!), dies alles ruft noch mehr Verachtung hervor als seine unterentwickelte physikalische Erscheinung. Doch je mehr man ihn haßt, um so heuchlerischer treibt Goebbels sein Spiel als gebildeter Richter.

Jede seiner Reden ist erfüllt von Speichelleckerei und Vergötterung seines „Führers“; das hindert ihn jedoch keineswegs daran, an all jenen Verschwörungen innerhalb der faschistischen Partei teilzunehmen, die gegen Hitler entstehen. Man sagte, daß Goebbels eine besonders „linke“ Position innerhalb der Partei einnimmt. Unsinn! Der Mann hat weder ein Programm noch ein Prinzip. Er hat bloß die Nase im Wind und ist abhängig von dem, was von „oben“ her weht. Genauso war er einst eng verbunden mit Stennes, Strasser, Röhm.(69) Im letzten Moment, als das Komplott zu platzen drohte, wurde es dem Lahmen zu brenzlig und er verriet sie alle!

Im Jahre 1934 zwang Hitler Goebbels, den er erneut im Kreise der Anhänger Röhms erwischt hatte, persönlich an dem Gemetzel teilzunehmen, das der „Führer“ gegen Röhm und seine engsten Vertrauten vorbereitet hatte. Goebbels zitterte vor Angst. Hitler zwang ihn, den Mord über das Radio bekannt zu geben und sich zu rechtfertigen.(70) Keiner der Zuhörer wird wohl jemals vergessen, wie Goebbels das Heldenlied über die Weisheit und den Sinn für Gerechtigkeit des „Führers“ anstimmte und all seine ehemaligen Freunde (insbesondere deren geschlechtliche „Abteilungen“ betreffend) mit Schmutz bewarf.

Die Toten konnten nicht mehr sprechen!..

Dieser Mensch, der alle Merkmale von Degeneriertheit trägt, schrie ständig ganz entsetzt, daß er einen Blick in den Abgrund der Abartigkeiten geworfen habe. Objektiv gesehen hatte er recht.

Für die Feigheit Goebbels' spricht auch sein Verhalten während des Pogroms gegen die Juden 1938. Er hatte es selbst geplant und vorbereitet, wahrscheinlich vor allem, um in den Augen Hitlers Himmler zu übertreffen. In technischer und taktischer Hinsicht war das „Programm“ mustergültig angelegt. Aber im letzten Moment siegte wieder die Angst. Plötzlich und unvermittelt verließ er Berlin für einen zweitägigen Urlaub. Als Goebbels nach dem Pogrom von der allgemeinen Empörung im deutschen Volk und im Rest der Welt erfuhr, gab er eine Pressekonferenz. Bleich und aufgeregt begann er seine Verteidigungsrede: „Ich bin nicht Schuld an diesem tragischen Zwischenfall. Ich war im Urlaub. Wer konnte schon diesen plötzlichen Ausbruch des Volkszorns voraussehen?“(71)

Goebbels bemüht sich immer, das Tier im Menschen zu entfesseln. Er gehört zweifelsohne zu den interessanten Typen für die Psychopathologen. Französische Kliniker beschrieben bereits im letzten Jahrhundert einige pathologische Typen, die sich im bekannten Sinne Goebbels annähern. So beschrieb beispielsweise Seriet(72) einige Arten der „Verstörtheit“ eitler und kalter Egoisten mit erhöhter Verletzbarkeit der Gefühle in Bezug auf die eigene Persönlichkeit.

Nichtsdestotrotz gibt es einen entscheidenden Unterschied zwischen Goebbels und den anderen Typen. Die französischen Wissenschaftler beschrieben die psychisch kranken Menschen; sie besaßen alle so etwas wie eine unerschütterliche Überzeugung, eine Weltanschauung, auch wenn diese mit pathologischem Inhalt erfüllt war. Ihre Wahnvorstellungen diktierten den Kranken ihr Verhalten, ihre Haßgefühle, ihre Streben nach Rache und Macht. Goebbels unterscheidet sich von ihnen, auch wenn er den gleichen Charakter aufweist. Bei ihm ist jedoch keinerlei Besessenheit erkennbar, er hat überhaupt keine Überzeugungen. Die Mißgeburt bleibt eine Mißgeburt.

Weitere Mitglieder der Bande

Im Gefolge der „drei Anführer“ -- gab es zwei Sorten von führenden Gruppen: die Praktiker und die Theoretiker. All diese sind jedoch keinesfalls vollwertige Persönlichkeiten: sei es in sozialer Hinsicht oder in psychopathischer. Ich hatte zwar selbst keine Möglichkeit, die Gangster aus dieser Gefolgschaft persönlich zu beobachten, mein gesammeltes Material über einen jeden von ihnen ist dadurch wenig belegt, aber dennoch gut begründet und ausreichend, um die Minderwertigkeit dieser Subjekte vorzustellen.

Rudolf Heß (1942: Name in Fettdruck) -- Stellvertreter des „Führers“. Ein junger Mann mit dunkler Haut, schwarzen krausen Haaren, dichten Augenbrauen und einem athletischen Körperbau. Keineswegs ein „nordischer“ Typ. Trotzdem verlieh ihm das Schicksal die Merkmale des Verfalls. Sein Kiefer wuchs weit nach vorne und formte dabei eine spitz zulaufende Kante -- genau wie bei einem Affen. Rudolf wurde in Alexandria geboren, als Sohn deutscher Eltern. Nach dem Abschluß der Grundschule, noch während des ersten imperialistischen Krieges, meldete er sich freiwillig zur Armee und wurde in Folge zweimal verwundet. Danach lebte er einige Zeit als Student in München und wurde ein Anhänger der Gesellschaft „Thule".(73) Ohne Abschluß ging er von der höheren Schule ab,(74) schloß sich schon früh Hitler an und nahm am Putschversuch 1923 in dritten Rollen teil. Später in Landsberg,(75) als er seine Strafe absitzen mußte, kam er Hitler auf geradezu rührende Weise näher: Der „Führer“ diktierte, und Heß tippte „Mein Kampf“ in die Schreibmaschine. Bis 1934 blieb Heß der persönliche Sekretär von Hitler. Auf die politische Bühne wurde er dabei eher zufällig gespült: der „Führer“ wollte nämlich Göring nicht allzu viel Macht alleine überlassen. So lächelte das Glück dem Sklaven Heß. Hitler wagte nicht, eine starke politische Persönlichkeit an jene Stelle zu setzen, denn er befürchtete Spaltungen innerhalb der Partei. Beobachter beschreiben den ungestümen und geradezu fanatischen Eifer, der Heß erfaßt, wenn er Hitler sieht oder in seiner Nähe über ihn gesprochen wird. Und so bekam er den Spitznamen „Fräulein Heß“.(76) Es bleibt ein Geheimnis: Befand sich Hitler in geschlechtlichen Beziehungen mit Heß, so wie es mit Heines und Ernst war, die dann beide ein schreckliches Schicksal erlitten. Der Reichskanzler „entledigte“ sich durch Erschießung dieser kompromittierenden „homosexuellen“ Verhältnisse und befahl Heß gleichzeitig, zu heiraten.

Bald schon wurde auf Befehl die Ehe des Scharlatans, Mystikers und Fanatikers geschlossen, mit einer alten Frau , die ein riesiges Vermögen besaß.(77)

(1942 hinzugefügt: Im Juli 1941 schickten die deutschen Faschisten Heß nach England, um die englischen Politiker zu überzeugen, sich im gemeinsamen Feldzug gegen die UdSSR der Mehrheit anzuschließen. Gleichzeitig erklärten Hitler und seine Gruppe Heß für verrückt.

Jedoch irrten sie sich heftig. Trotz der Bemühungen von Heß vereinigten sich Großbritannien und die USA nicht nur nicht mit Nazideutschland gegen die UdSSR, sondern sie fanden sich im Gegenteil vereint mit der UdSSR gegen Hitlerdeutschland wieder.)

Der vierzigjährige Heinrich(78) Himmler (1942: Name in Fettdruck) ist hingegen ein eher „schwieriger“ Typ. Sein Lebensweg besteht aus drei Phasen: eine kaum merkbare Entwicklung, eine Periode voll von geheimnisvoller Trägheit, gefolgt von der allgemein bekannten Zeit von jahrelangem bestialischem Sadismus. Auch er verließ die höhere Schule ohne Abschluß und verhielt sich passiv in Bezug auf seine Umgebung (1942 statt dessen: verhielt sich politisch passiv), bis er in der Kanzlei von Gregor Strasser landete. Über die gesamte Zeit dort, bis zum Tod von Gregor Strasser, wissen wir hinsichtlich der Entwicklung Himmlers sehr wenig. Jedenfalls sind keine eigenen oder gar geistig selbständigen Aktivitäten bekannt. Plötzlich beauftragte Hitler den Himmler mit der ersten „Missetat“ -- nämlich Strasser umzubringen. Warum nicht einem lieben Freund eine Freude machen! Der böse Akt war schnell ausgeführt, mit Methodik und großer Sachkenntnis, wie die Inspektion der aufgefundenen Leiche bezeugte. So begann der ruhmreiche Aufstieg.(79) Heinrich Himmler braucht dabei keine Philosophie. Es ist im Gegenteil seine praktische Neigung, der man voll und ganz vertrauen kann, vor allem im Umgang mit der Verwaltung -- der Geheimpolizei mit dem Namen „Gestapo“. Ihre Aufgabenfelder umfassen neben der Bespitzelung auch die Konzentrationslager, die Folterungen und Hinrichtungen.

Von jedem Mitglied (1942: Von jedem Anhänger) der faschistischen Partei, das einen höheren Rang einnimmt, hat er eine Akte mit belastendem Material angelegt. Im richtigen Moment herausgeholt, taugt es: Himmler geht äußerst methodisch und systematisch mit seinem sadistischen Programm vor -- er foltert „auf europäischem Niveau“. Der schwächliche Sadist mit der Brille (1942 hinzugefügt: Himmler) organisiert gemeinsam mit seinen Mitarbeitern Heydrich und Daluege(80) ein Konzept von Gewalt und Folter. Welch ein mutiger Höhenflug sadistischer Phantasie! Intrigant und Ehrgeizling. (1942 fehlen die letzten beiden Sätze.) Sein höchstes Ziel dabei -- vom Polizei- zum Kriegsminister „aufzusteigen“. Es bot sich die Gelegenheit, und die Hoffnung wurde gehegt. Jedoch setzte Hitler nach dem Ausscheiden von General Blomberg General Fritsch an seine Stelle. (1942 statt der letzten beiden Sätze: Das Ausscheiden von General Blomberg war eine Hoffnung. Jedoch zog Hitler den General Fritsch ihm vor.) In giftiger Bosheit öffneten sich alsbald die Seiten der gesammelten kompromittierenden Aufzeichnungen. Im Dossier fand sich die für das faschistische Umfeld lästige Beschuldigung der Homosexualität. Daneben gegangen! Fritsch wurde zwar Kriegsminister, aber nicht lange. Himmler konnte ihn schnell abservieren.(81)

Der Ritter von Messer und Dietrich -- ist ein umsorgender Gatte und Vater. In seinen freien Stunden kümmert er sich um die spezielle Anleitung zu längerfristiger Entwicklung der „edlen nordischen Rasse“. In seiner Zeitung „Das Schwarze Korps“ beschreibt er auf fast poetische Weise die Struktur des Stalles, in dem sich die zweibeinigen Säugetiere vermehren. Hunderttausend reinblütige deutsche Mädchen in Gruppen von Tausenden treffen sich regelmäßig im Wonnemonat Mai in ausgesuchten, feierlich hergerichteten Lagern. Jeden Abend werden dann ausgewählte Männer zu sexuellen Zwecken hinzu geholt: Jedes Mädchen muß sich einem ihr unbekannten Fremden hingeben. Dieser Vorgang in den Paarungslagern wiederholt sich so oft, bis alle Mädchen geschwängert sind. Jedes Jahr sollen auf diese Weise in einer derartigen Deckanstalt bis zu 100.000 reinrassige hochwertige Reichskinder gezeugt werden (1942: 100 Tausend; „reinrassige“ und „hochwertige“ in Anführungszeichen gesetzt).

Nein, dies ist nicht lediglich die Phantasie und der Wahn eines Schwachsinnigen. Es ist die Umsetzung eines viehischen Programms (1942: Plans) zur Vermehrung der Bevölkerung, der dem Gehirn eines zügellosen Verfechters der sogenannten „freien Liebe“ entspringt.(82)

Himmler ist befallen von einer Geisteskrankheit -- der Schizophrenie.(83) Infolgedessen tauchte bei ihm die stumpfe Grausamkeit auf, wie auch die Perversion und der Wahn. So ist er beispielsweise davon überzeugt, daß er, nur weil er den Vornamen Heinrich trägt, auf geradezu mystische Weise mit dem deutschen König Heinrich I. verbunden ist. Dieser starb vor ungefähr eintausend Jahren und wurde in Quedlinburg(84) begraben. Himmler pilgert einmal jährlich an sein Grab. Er bildet sich auch ein, die alten germanischen Runen lesen zu können und ihre geheimen Botschaften zu erkennen. Zudem heftet er sich Runen an die Uniform seiner schwarzen Henkersbande.

Robert Ley und Julius Streicher(85) (1942: Namen in Fettdruck) -- chronische Alkoholiker:

In all seinen Taten erlitt Ley ständig Bankrott. Seine enorme kriminelle Tätigkeit sowie seine Fähigkeit, demagogische Reden zu halten, brachten den „Führer“ dazu, seine Aufmerksamkeit auf den bis dahin unauffälligen deutschen Leutnant zu richten. Wenn dieser sich an die deutsche Arbeiterschaft wendet, mit seinen ungeordneten und armse-ligen Gedanken, die er selbst als „Programmreden“ bezeichnet, dann kann man in den Zuhörerreihen Sätze wie diesen hören: „Heute quatscht der wieder nur rum. Er ist wohl wieder mal gut besoffen.“ Ley -- ein grausamer und schießwütiger Herr. Er legt auch gerne mal selbst Hand an. Er war schließlich Feldwebel im ersten Weltkrieg und ist es auf immer geblieben. Auf seiner Verdienstliste finden sich vor allem -- eigenhändig ausgeführte Ermordungen. Wahrscheinlich hat ihm das den Rang eines Gauleiters(86) -- im Bereich des Rheinlands eingebracht, und die Stelle als Redakteur im „Westdeutschen Beobachter“.(87)

Die geistigen Eigenschaften von Streicher sind pathologisch. Das hängt mit seinem zügel-losen und widernatürlichen Geschlechtsleben zusammen. Selbst die Schüler, die er unterrich-tete, blieben nicht von seiner „Zärtlichkeit“ verschont.(88) Lange versteckte er sich in der psychiatrischen Klinik des Juden Würzburger. Seine Krankheitsgeschichte besagt folgendes: Der Psychopath mit den widernatürlichen geschlechtlichen Neigungen ist nicht verantwortlich für seine sexuellen Verbrechen.(89) Fast zeitgleich mit Hitler trat Streicher einer kleinen Gruppe der Waghalsigen bei -- dem Kern von „Alten Kämpfern“. So wurden die beiden „außergewöhnlichen alten Kämpfernaturen“ miteinander bekannt. Streicher wurde dann Hitlers Stellvertreter und der Anführer der Faschisten im nördlichen Bayern mit Sitz in Nürnberg. Es begannen hemmungslose Saufgelage mit Unzucht und anderen Ausschweifungen, währenddessen sich bereits Massen von politisch Inhaftierten in Gefängnissen und in Verbannung befanden.

Ley bereicherte sich ohne besondere Anstrengungen, indem er sich das Geld der Arbeitsfront und der Gewerkschaft aneignete. Streicher mußte hingegen schon ein bißchen was tun für sein Geld -- nämlich gleich zwei schmutzige Zeitungen herausbringen. Der Inhalt einer jeden Ausgabe: Antisemitismus, Pornographie sowie Aufrufe zum Raub.(90)

Die bestialischen Grausamkeiten der deutschen Armee auf dem besetzten Gebiet wurden neun Jahre lang ununterbrochen auf Befehl der Regierung über die Zeitung Streichers „Stürmer“(91) eingeimpft. Dies war in der Hauptsache das Blatt von Banditen und Triebtätern.

Seine zweite Zeitung nennt sich „Deutsche Heilkraft durch Blut und Boden“ (1942 als Titel der Zeitung: „In Blut und Boden -- liegt die Heilkraft des Deutschen“). Hier wurden die Meinungen zu Gesundheit und Krankheit geäußert. (1942 statt dieses Satzes: In dieser Zeitschrift wurden rassistische Ansichten zu Gesundheitsfragen propagiert.)(92) Streicher kämpft gegen die Medizin, weil „sie ein jüdisches Produkt ist“ (1942: nur „jüdisches Produkt“ in Anführungszeichen). Statt dessen schlägt er vor, es mit Mystik und Kurpfuscherei zu versuchen. (1942 statt dieses Satzes: Die Medizin muß ersetzt werden durch Mystik und Aberglaube.) Er protestiert auch gegen das Impfen, das nicht sein darf, weil es „das deutsche Blut durch fremdes Eiweiß vergiftet“!..

Es gibt nämlich charakteristische Unterschiede (1942 fehlt: charakteristische) in der Form bei „arischen“ und „nichtarischen“ roten Blutkörperchen -- schreibt er. Die Akkumulation negativer Stoffe im Organismus findet vorwiegend bei den ... Juden statt und ist eine biologische Basis ihres Geizes.

So sieht der „Reichshüter der Gesundheit und der rassischen Reinheit des deutschen Volkes“ aus. Julius Streicher -- der versoffene Sexualverbrecher, Ignorant und Händler
von jungen Frauen.

Niemals zuvor in der Geschichte gab es eine Regierung mit einer derart kriminellen Vergangenheit. Joachim von Ribbentrop(93) (1942: Name in Fettdruck) machte Millionen mit dem Schmuggel von Champagner. Er ist doch ein Diplomat. Er stammt aus einer bürgerlichen Familie, als Kind, hieß es, sei er ein Nichtsnutz gewesen (1942 fehlt der zweite Teil des Satzes).

Das Schicksal machte ihn zu einem Vertreter im Weinhandel. Joachim reiste durch Europa und verkaufte schlechten deutschen Sekt der Firma Henkell(94) -- und verdrängte damit den guten französischen Champagner vom Markt. Früher lobte er den nachgemachten französischen Champagner. Nun lobt er die „Friedfertigkeit und Humanität“ seiner Bande.

Das sind die Herrscher des faschistischen Deutschland. Verbrecher, Degenerierte, Mörder und braune Gangster. Die Bande um den tollkühnen Polizeiagenten Hitler nimmt nur diese Sorte Leute in ihren Schoß auf. Das Programm der Mörder und Plünderer, das zum Banner dieser „Bewegung“ wurde, zieht eben solche Naturen an wie ein Magnet.

Wie konnte dieses Pack überhaupt an die Macht kommen? Die große Arbeitslosigkeit und die enorme ökonomische Krise des besiegten Deutschland brachte die Massen zur Verzweiflung und machte sie zugänglich für die massivste Demagogie. 1932 verlor die Nazipartei ihre Bedeutung für die breiten Massen der deutschen Bevölkerung. (1942: Bei den Reichstagswahlen 1932 haben die Nazis die breite Basis in den Volksmassen verloren.) Die Zerschlagung der braunen Partei 1932 beunruhigte (1942: erregte) die Leiter (1942: die Eigentümer) der Schwerindustrie und der großen Banken.(95) Sie befürchteten, daß ihre Waffen noch vor Ihrem Einsatz im Kampf gegen die verhaßte Republik an Stärke verlieren. Andererseits war ihnen sehr daran gelegen, die Partei der Braunhemden fest in ihren Händen zu halten. Es könnte ja sein, daß es gelänge, sich beizeiten von ihnen zu befreien. (1942 statt dessen: Die braunen Gangster -- eine wunderbare Waffe im Kampf gegen die Republik, die den kapitalistischen Hyänen verhaßt war. Die „Herren“ beschlossen, daß sie sich zu jedem passenden Moment dieser Gangster entledigen konnten. Und der größte geierhafte kapitalistische Raub wurde ausgeführt von den ewigen Feinden der Menschheit, den degenerierten Kopfabschneidern Hitlers.) Dies war der Hintergedanke für die Union des reaktionären Anführers Hugenberg mit Hitler, die in Harzburg beschlossen wurde. (1942 statt dessen: So endete der letzte Gedanke des Zusammentreffens in Harzburg zwischen dem Vertreter der Unternehmer der deutschen Schwerindustrie, dem Reaktionär Hugenberg, und dem Führer der deutschen Gangster, dem Nazi Hitler.) Auf diese Weise wurde der Betrug vorbereitet, mit dessen Hilfe Papen den Präsidenten Hindenburg zwang, den Reichskanzler mit dem Auswurf der Menschheit (1942: mit dem Menschenfresser, dem Auswurf ...) namens Hitler zu ersetzen.

Aber die Geschichte läßt sich nicht betrügen. Sie spielen die Napoleone und plustern sich zu Cäsaren auf. (1942: Die Hitlerianer spielen Napoleon, imitieren Cäsaren.) Man wird sie vernichten wie tollwütige Hunde. (1942: Aber man wird ... ) Verfluchte Mißgeburten, auf Wellenkämme hochgespülter trüber Schaum, werden sie bald schon wieder hinabstürzen in den Abgrund der historischen Bedeutungslosigkeit. Lediglich die schmachvolle Erinnerung an ihr schakalhaftes, schmutziges Leben (1942: an das abscheuliche Leben der Menschenfresser), an die fürchterlichen Verbrechen gegen die Völker, die Verdammnis der gesamten kultivierten Menschheit -- das ist es, was den Nachkommen von der schwärzesten Seite der Geschichte erhalten bleibt, mit dem Namen -- Faschismus.

Die Wahrheit wird triumphieren!

 

Kritische Anmerkungen (von Peter Kratz):
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(1) Kronfeld war Privatdozent an der medizinischen Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin.
(2) Im russischen Original steht durchgehend "Gering" und "Gebbels".
(3) Robert Ley, Reichsorganisationsleiter der NSDAP und Führer der Deutschen Arbeitsfront DAF.
(4) Die im Russischen übliche Verwendung des kyrillischen "G" anstelle des lateinischen "H" bei ausländischen Eigennamen ("Gimmler", "Gitler" für Himmler, Hitler usw.) wurde hier bei allen Eigennamen nicht weiter angemerkt.
(5) Die Darstellung der Affäre Abel durch Kronfeld ist falsch. Der Prozeßgegen den Journalisten Werner Abel (1902-1935) wegen Meineids in zwei Fällen fand vom 7. bis zum 13. Juni 1932 vor dem Schwurgericht München statt, im gerade begonnenen Wahlkampf zur Reichstagswahl am 31. Juli 1932. A. war angeklagt: 1. in einem Ermittlungsverfahren im Januar 1930, das die unaufgeklärte Ermordung des Münchner USPD-Politikers Karl Gareis im Jahre 1921 zum Gegenstand hatte, als Zeuge unter Eid die Unwahrheit bezüglich des angeblichen Mörders von Gareis, eines gewissen Braun, ausgesagt zu haben; 2. in einem Gerichtsverfahren im Februar 1930 als Zeuge unter Eid die Unwahrheit über ein angebliches Zusammentreffen Hitlers im Jahre 1923 mit einem italienischen Hauptmann namens Giuseppe Migliorati, bei dem es um Finanzhilfe des faschistischen Italien für die NS-Bewegung gegangen sei, ausgesagt zu haben. Kronfeld sagte in diesem Meineidsprozeß gegen Abel als Zeuge zu einem psychiatrischen Gutachten aus, das er Jahre zuvor über Abel erstellt hatte.
(6) Im russischen Original steht "Weltbjune". Ein solcher Artikel existiert nicht. A. veröffentliche einzig am 8. Oktober 1929 in "Die Weltbühne" (Nr. 41, S. 543-547) einen Artikel über den Mord an Gareis.
Hintergrund: Die "Frankfurter Zeitung" hatte 1929 berichtet, A., der sich seiner früheren guten Verbindungen zu nationalistischen Kreisen rühmte, habe behauptet, der Gareis-Mörder habe ihm gegenüber die Tat gestanden. Aufgrund des FZ-Artikels kam es 1929 zu einem Ermittlungsverfahren gegen den vermeintlichen Mörder (Braun), in dem A. als Zeuge vernommen wurde, aber nur ungenaue Angaben machte, worauf hin das Verfahren eingestellt wurde. Die "Weltbühne" hatte bereits früher durch Artikel zur Aufklärung vertuschter Fememorde nationalistischer Freikorps in den Jahren 1919 bis 1923 beigetragen und A. nun zu einem Artikel eingeladen. Aufgrund von A.'s "Weltbühne"-Artikel wurde das Ermittlungsverfahren gegen Braun wieder eröffnet und A. am 28. Januar 1930 unter Eid als Zeuge von einem Ermittlungsrichter am Amtsgericht Berlin-Mitte vernommen. Diese Vernehmung, bei der sich A. nunmehr genauer einließ, nachdem ihm sein "Weltbühne"-Artikel vorgehalten worden war, führte zu dem ersten Anklagepunkt gegen A. in dem Meineids-Prozeß 1932.
(7) Edmund Heines (1897-1934), Leutnant a.D. des kaiserlichen Heeres, 1918/19 Freikorps-Kämpfer im "Freikorps Roßbach", 1920 Kapp-Putsch, 1921 NSDAP und SA, 1924 zu 14 Monaten Festungshaft wegen Teilnahme am Hitler-Putsch 1923 verurteilt, 1926 SA-Standartenführer in München, organisierte 1927 einen innerparteilichen Aufstand gegen Hitler, den er wegen dessen nunmehriger Legalitätspolitik einen "Waschlappen" nannte, 1927 Parteiausschluß, 1928 wegen Todschlags (Fememord 1920 in Pommern) zu 15 Jahren Zuchthaus, nach Aufheben des Urteils durch das Reichsgericht wegen eines Formfehlers 1929 zu 5 Jahren Zuchthaus verurteilt, 1929 Haftentlassung und Wiedereintritt in die NSDAP, SA-Karriere mit Hilfe Ernst Röhms, 1931 SA-Obergruppenführer in Schlesien und Stellvertreter von SA-Stabschef Röhm, 1933 Polizeipräsident von Breslau. 1934 gehörte Heines zu den ersten anläßlich des sog. "Röhm-Putsches" Ermordeten; er war wie Röhm als homosexuell bekannt. Vgl. Nagel, Irmela: Fememorde und Fememordprozesse in der Weimarer Republik, Köln 1991, S. 57f, S. 244-257, S. 273-278; Vollnhals, Clemens (Hrsg.): Hitler. Reden, Schriften, Anordnungen, Bd. I, München 1992, S. 79 Anm. 3; Snyder, Louis L.: Encyclopedia of the Third Reich, London 1976, p. 140-141; Stockhorst, Erich: 5000 Köpfe. Wer war was im 3. Reich, Kiel 1985 - im rechtsextremen Arndt-Verlag! -, S. 185.
(8) Im russ. Original steht "Miljorati". Kronfelds Darstellung ist falsch. A. hatte weder behauptet, bei einer Geldübergabe anwesend gewesen zu sein, noch hatte er eine Geldsumme oder Tag, Stunde und Hotelzimmer einer Geldübergabe genannt; er hatte auch weder behauptet, "Adjutant" Hitlers gewesen zu sein, noch hatte er den Namen Heines erwähnt.
Hintergrund: Ende der 20er Jahre gab es von rechtsextremer wie von sozialdemokratischer Seite Veröffentlichungen, daß Hitler bzw. die NS-Bewegung die Deutschen in Südtirol "an Italien verraten" hätten, in dem sie die italienische Herrschaft über Südtirol akzeptiert und im Gegenzug Geldunterstützung von Mussolini erhalten hätten. Gegen diese Behauptungen wehrte sich Hitler als Privatkläger in medienwirksamen Beleidigungsprozessen, so auch im Prozeß gegen den deutschnationalen Politiker Albrecht v. Graefe sowie mehrere SPD-Journalisten und SPD-Politiker - darunter der spätere (1948-1960) SPD-Oberbürgermeister von München Thomas Wimmer -, die dies behauptet hatten und deshalb erstinstanzlich im Mai 1929 wegen übler Nachrede zu Geldstrafen verurteilt worden waren, aber in Berufung gegangen waren. In der Berufungsverhandlung vor dem Landgericht München I - und nicht etwa in einem "Weltbühne"-Artikel - sagte Abel am 4. 2. 1930 als Zeuge der Verteidigung unter Eid aus: Im Herbst 1923 habe er (A.) als Vertreter eines rechtsextremen "Ostpreußischen Vaterländischen Kartells" in der Geschäftsstelle der NSDAP an einem Treffen zwischen Hitler, Migliorati, dem damaligen Kommandeur der SA Göring und dem Chef des Stabes im Oberkommando der SA Kapitänleutnant a.D. Alfred Hoffmann teilgenommen, bei dem Migliorati finanzielle Unterstützung angeboten habe, falls man im Gegenzug in der Südtirol-Frage die Politik Mussolinis unterstütze; Migliorati habe ihm (A.) wenig später ein schriftliches Protokoll dieser Unterredung übergeben mit der Bitte, es an seine angeblichen ostpreußischen Auftraggeber weiterzuleiten.
(9) Entgegen Kronfelds falscher Darstellung hatte Hitler in Wahrheit nicht etwa einen Verleumdungsprozeß gegen A. angestrengt, sondern wegen A.s eidlicher Zeugenaussage in dem 1930er Berufungsverfahren sogleich Strafanzeige wegen Meineids gegen A. erstattet (abgedruckt am 6., 7. und 8. 2. 1930 im "Völkischen Beobachter"), nachdem Hitler selbst in mehreren seiner Beleidigungsprozesse in eigener Sache unter Eid ausgesagt hatte, niemals Gelder für ein Südtirol-Wohlverhalten bekommen zu haben. Die Berufung der SPD-Politiker gegen die erstinstanzliche Verurteilung (mit v. Graefe hatte sich Hitler während des Berufungsverfahrens vergleichsweise geeinigt) wurde vom Gericht nach Hitlers Strafanzeige erst einmal ausgesetzt, um zuerst den Meineidsvorwurf gegen Abel als den Hauptentlastungszeugen der SPD-Politiker zu klären. Ein mit der NSDAP sympathisierender Staatsanwalt hatte aufgrund der Anzeige Hitlers Anklage gegen A. erhoben und einen Haftbefehl wegen Fluchtgefahr gegen A. erwirkt, dessen Vollziehung am 19. 2 1931 nach einer beträchtlichen Kautionszahlung A.s ausgesetzt wurde. Wie es zu der Anklage zum ersten Meineidsvorwurf (Gareis-Mord) in München kam, wurde von uns nicht weiter ermittelt. Beim zweiten Anklagepunkt ging es nun - kurz vor der Reichstagswahl und kurz nach der Reichspräsidentenwahl, bei der der Kandidat Hitler in der Stichwahl gegen Hindenburg 37 Prozent der Stimmen erhalten hatte - letztlich um die Frage, ob der weitgehend unbekannte Abel oder aber der prominente Hitler meineidig war. Das Presseecho war daher enorm, und das Gerichtsgebäude wurde innen und außen von Nazis belagert. Von Staatsanwalt und Verteidigern wurden insgesamt mehr als 30 Zeugen aufgeboten, von denen jedoch kein einziger den A. vom Meineidsvorwurf entlastete. Hitler war als Zeuge für die behauptete Zusammenkunft mit Migliorati geladen; er hatte sich bereits im Prozeß 1930, in dem er Kläger war, von seinem ständigen Rechtsanwalt Hans Frank (dem späteren, nur dem "Führer" persönlich verantwortlichen "Generalgouverneur für die besetzten polnischen Gebiete"; 1946 als Kriegsverbrecher in Nürnberg hingerichtet), einem seiner engsten Vertrauten, vertreten lassen; Frank beriet nun auch den Zeugen Hitler, nicht jedoch als "Verteidiger", sondern als Rechtsbeistand, und wurde schließlich selbst als Zeuge zur Frage der Auslandsfinanzierung der NSDAP vernommen.
(10) Kronfeld wurde in dem Prozeß am zweiten Verhandlungstag, Mittwoch 8. 6. 1932, als Zeuge zu seinem eigenen früheren psychiatrischen Gutachten über A. vernommen.
Hintergrund: Der Berliner A. war 1920 wegen Betrugs zu sechs Monaten Gefängnis, 1927 wegen Münzverbrechens zu sieben Monaten und 1930 wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe verurteilt worden; möglicherweise hatte er weitere Vorstrafen. Er galt als Zechpreller und Hochstapler, der sich immer wieder hoch verschuldete, ohne je bezahlen zu können, der immer wieder unter falschen, meist adeligen Namen auftrat, mit falschen Pässen reiste und auch falsche Heirats-versprechen abgegeben haben und in Rumänien unter falschem Namen eine Heirat eingegangen sein soll; er wurde von den zahlreichen Zeugen durchweg als psychischer Maniker beschrieben. Bei seinen Strafprozessen war immer wieder die Frage der Zurechnungsfähigkeit zu klären. Die früheren Strafurteile gegen A. wurden in dem Meineidsprozeß 1932 vom Gericht verlesen, auch die früheren psychiatrischen Gutachten verschiedener Gutachter, darunter das oder die Gutachten Kronfelds, der A. offenbar 1920 und 1927 psychiatrisch untersucht hatte, offenbar auf Betreiben von A.'s Mutter, die - ebenfalls am 8. 6. 1932 - aussagte, irgendwann Kronfeld aufgesucht und diesem gegenüber falsche Angaben über den schlechten psychischen Gesundheitszustand ihres Sohnes gemacht zu haben, um diesen vor einer Bestrafung zu beschützen. Offenbar erstellte Kronfeld 1932 nicht ein neues Gutachten, sondern bezog sich bei seiner Zeugenaussage auf seine frühere Untersuchung A.'s. Einziger vom Gericht bestellter Sachverständiger zur Frage der Schuldfähigkeit A.s (§ 51 StGB) war 1932 der Obermedizinalrat Dr. Vogler (Leiter der psychiatrischen Abteilung des Gefängnisses München-Stadelheim), der am sechsten und letzten Verhandlungstag, Montag 13. 6. 1932, zusammenfassend zu den verschiedenen früheren psychi-atrischen Begutachtungen A.s und zu seiner eigenen Beobachtung A.s während des Meineidsprozesses Stellung nahm; im Gegensatz zu Kronfeld saß Vogler nicht im Zeugenzimmer, sondern nahm beobachtend an der gesamten Verhandlung teil.
Ebenfalls am 8. 6. 1932 wurde der Zeuge Edmund Heines (vgl. Anm. 5) vernommen, der 1923 in einer "Kaserne" den A., der nicht hier her gehörte und eine ihm nicht zustehende Reichswehruniform getragen sowie angegeben haben soll, der "Erbprinz zu Ysenburg" zu sein, "festgenommen" hatte. Ebenfalls für den 8. 6. 1932 war Hitler als Zeuge geladen; er kam erst spät, am Nachmittag, zum Gerichtsgebäude und wurde vom Gericht sofort wieder als Zeuge entlassen, da er aus Zeitgründen nicht mehr vernommen werden konnte, und für Donnerstag, den 9. 6. 1932 erneut geladen. Hitler verließ nach seiner Entlassung sofort wieder das Gerichtsgebäude, so daß es eher unwahrscheinlich ist, daß Kronfeld ihm tatsächlich persönlich begegnete, und wenn doch, dann wohl nicht im Zeugenzimmer, und sicher nicht über einen längeren Zeitraum. Göring und Frank wurden erst am fünften Verhandlungstag, Samstag 11. Juni 1932, vernommen. Es ist nicht anzunehmen, daß Kronfeld überhaupt länger am Gericht verweilte, als es für seine eigene Zeugenvernehmung am 8. 6. 1932 nötig war; hierbei ist er aber dann wohl im Zeugenzimmer auf Heines getroffen.
(11) Im russischen Original steht durchgehend das deutsche Wort "Führer" in kyrillischen Buchstaben und in Anführungszeichen als "Fjurer".
(12) Diese Darstellung Kronfelds ist frei erfunden. Die "Frankfurter Zeitung" schrieb am 10. Juni 1932 (Erstes Morgenblatt, S. 3) über den dritten Verhandlungstag, Donnerstag 9. Juni, an dem Hitler vernommen worden war:
"Die Vernehmung Adolf Hitlers begann zunächst ganz ruhig." Er habe seine Italienpolitik breit dargelegt und erst auf Fragen der Verteidiger A.s hin "einen Wutanfall" bekommen, herumgeschrien und "jede Selbstbeherrschung und Würde" verloren, jedoch nur verbal.
(13) Im russischen Original steht durchgehend das deutsche Wort Reichskanzler in kyrillischen Buchstaben.
(14) Die angebliche Zahlung Miglioratis wurde nie bewiesen. Hitler wurde am 9. 6. 1932 als Zeuge unter Eid vernommen und bestritt, jemals mit Migliorati und/oder A. zusammengetroffen zu sein. Im Gegensatz zu Kronfelds falscher Darstellung wurde Hitler in Wahrheit nicht wegen der Schreierei bestraft, sondern erhielt eine Geldstrafe in Höhe von 800 Reichsmark wegen seiner Weigerung, weiterhin als Zeuge auszusagen, und ein Ordnungsgeld über 200 Reichsmark wegen ungebührlichen Verhaltens, als das sein Ausspruch "jüdischer Rechtsanwalt" gegenüber einem der beiden Verteidiger A.s vom Gericht gewertet wurde.
Hintergrund: Am Vortag hatte sich der Zeuge Heines anfänglich geweigert, auf die Fragen "eines jüdischen Rechtsanwaltes" zu antworten, dann aber der Strafandrohung durch das Gericht bei weiterer Zeugnisverweigerung nachgegeben und doch geantwortet. Die beiden Verteidiger A.s - der Berliner Rechtsanwalt und SPD-, dann USPD-, dann wieder SPD-Politiker Dr. Kurt Rosenfeld (nach Nazi-Kriterien ein Jude), der sich bereits in den 20er Jahren in der Aufklärung der Fememorde der Freikorps juristisch und politisch engagiert hatte, und der Münchner Anwalt Dr. Kurt Erhardt (nach Nazi-Kriterien kein Jude) - versuchten mit wenig Geschick, ohne irgend einen Beweis und zum Mißfallen des Gerichts, im Reichstagswahlkampf den Abel-Prozeß zu einem öffentlichen Tribunal über die angebliche Auslandsfinanzierung der NSDAP zu machen. Auf Erhardts Frage nach einer Finanzierung Hitlers durch französische und tschechische Rüstungs-industrielle schrie Hitler: "Ich lasse mich nicht so von jüdischen Rechtsanwälten inquirieren", verweigerte auch auf Nachfragen des Gerichts jede weitere Aussage und beteuerte, er wolle "lieber bestraft werden". Offenbar wollte er dem am Vortag nach Strafandrohungeingeknickten Heines den "Waschlappen" von 1927 (vgl. Anm. 5) medienwirksam zurückgeben. Nach dem unmittelbar ergangenen Strafbeschluß gegen Hitler, gegen den sein Rechtsbeistand Frank sofortige Beschwerde einlegte, beantwortete Hitler dann aber doch noch weitere Fragen. Hitlers Auftritt und Bestrafung zog ein breites Presseecho nach sich, was wohl kalkuliert war.
(15) Für das Urteil und die Zurechnung der Schuldfähigkeit (Ablehnung des § 51 StGB) durch das Gericht war nicht Kronfelds Aussage über seine Jahre zurück liegenden Untersuchungen A.s, sondern Voglers zusammenfassendes Gutachten über mehrere Untersuchungen A.s durch verschiedene Psychiater und Voglers eigene Beobachtung des A. ausschlaggebend. Es ist unwahrscheinlich, daß Kronfeld am Montag, dem 13. 6. 1932, an dem Vogler sein Gutachten abgab und dabei aus Kronfelds früherem Gutachten zitierte, überhaupt noch in München war, da er selbst ja bereits am Donnerstag,
den 8. Juni, über sein eigenes früheres Gutachten angesichts der entgegenstehenden Aussage der Mutter A.s hatte aussagen müssen.
Über die Aussage Kronfelds berichtete die "Frankfurter Zeitung" lediglich: "Frau Abel, die Mutter des Angeklagten, sucht ihrem Sohn nach Möglichkeit heraus zu helfen, indem sie aussagt, ein Gutachten des Universitätsprofessors Kronfeld (Berlin) beruhe teilweise auf falschen Angaben von ihr. Kronfeld bezeichnet als Zeuge diese Aussage der Mutter als sehr unwahrscheinlich. Abel sei ein krankhafter Phantast mit einer psychopathischen Konstitution, sei aber intelligent und energisch." (FZ 10. 6. 1932, Erstes Morgenblatt, S. 3.) Das "Berliner Tageblatt" erwähnte Kronfeld und seine Aussage überhaupt nicht.
Die NSDAP-Parteizeitung "Völkischer Beobachter" (VB) berichtete über Kronfelds Aussage vom 8. 6. 1932: "Dr. Arthur Kronfeld, Universitätsprofessor in Berlin, erhielt 1923 (sic!) den Auftrag, den Abel wegen einer Strafsache zu begutachten. 1927 habe er ihn wiedergesehen. Verschiedene Stellen des von ihm erstatteten Gutachtens werden dem Zeugen vorgehalten. Daß die Mutter falsche Angaben gemacht habe, um dem Sohne zu helfen, erscheint dem Zeugen sehr unwahrscheinlich. Er legt einen Brief Abels vor, in dem die aus dem Prozeß bekannten Aufschneidereien über seine Beziehungen zur bayrischen Regierung ... eine Rolle spielen. ... Staatsanwalt (offenbar an Kronfeld gerichtet, P.K.): 'Sie fassen Ihr Gutachten in das Urteil zusammen, daß sich bei Abel alle Erinnerungen verfälschen je nach dem Zweck, zu dem er sie gerade verwerten will!' Zeuge: 'Das ist heute noch meine Überzeugung. Er ist ein krankhafter Phantast.'" (VB 10. 6. 1932)
Über die gutachterliche Stellungnahme Voglers am letzten Verhandlungstag, Montag 13. 6. 1932, berichtete der "Völkische Beobachter": A. sei mehrfach auf seinen Geisteszustand hin untersucht worden, erstmalig 1920, als er als
"geistig belasteter, anormaler, degenerierter (!) Mensch" begutachtet worden sei; Kronfelds Name fällt nicht ausdrücklich im Zusammenhang mit diesem Zitat aus dem Gutachten von 1920, das offenbar Vogler hier auszugsweise vortrug. Sogleich zitiert der VB jedoch wörtlich aus Voglers gutachterlicher Stellungnahme: "Der Psychiater Dr. Kronfeld betrachtet ihn als psychopathische Persönlichkeit, deren freie Willensbestimmung für seine Handlungen ausgeschlossen sei. Später wurde dieses Urteil eingeschränkt und betont, daß von der Anwendung des § 51 nicht die Rede sein kann. Die klinische Beurteilung in allen diesen Gutachten stimmt im großen und ganzen vollkommen überein." (VB 15. 6. 1932)
Der Darstellung Kronfelds entgegen behauptet der schweizerische Psychiater Max Müller, bei dem Kronfeld 1935/36 als Exilant arbeitete und mit dem er persönlich befreundet war, in seinen Memoiren, Kronfeld habe ihm erzählt, von den Nazis deshalb so lange "begünstigt" worden zu sein, weil er in diesem Prozeß Hitler geholfen habe: "Den Ankläger (Abel, von Müller jedoch nicht namentlich genannt, P.K.) aber hatte Kronfeld noch während des ersten Weltkrieges als pseudologischen Hochstapler begutachtet. Nun mußte er wahrheitsgemäß vor Gericht die Meinung vertreten, dieser Mann sei in
jeder Beziehung unzuverlässig, was mit dazu beitrug, daß Hitler freigesprochen wurde. Daraufhin habe es in der Nazi-presse geheißen: 'Sogar der Jude Kronfeld!', und Hitler soll gesagt haben, er werde später eine schützende Hand über ihn halten." (Müller, Max: Erinnerungen. Gelebte Psychiatriegeschichte 1920-1960, Berlin 1982, S. 194.) Solche Äußerungen in der "Nazi-Presse" wurden von uns nicht gefunden; Müller war offenbar gänzlich desorientiert über den Prozeß.
Eine gänzlich andere Einschätzung Abels gibt der platonische Jugendfreund und langjährige Wegbegleiter Kronfelds, Kurt Hiller, in einem Aufsatz von 1946: "Mir scheint unerläßlich, ihm (A.) in Respekt einen wenn auch bescheidenen
Gedenkstein zu errichten". A. sei zwar als junger Mann rechtsextrem gewesen, aber "er lernte redlich um, wanderte ins Linkslager" und sei bei einer "Gruppe militanter Kriegsgegner, die ich seit ihrer Gründung, 1926, leitete", gelandet. Hiller "lernte ihn persönlich näher kennen" und glaubte ihm seine "präziseste(n) Enthüllungen über den Mord an Karl Gareis" und die Migliorati-Geschichte. Wie immer stellt Hiller sein eigenes Licht nicht unter den Scheffel: A.'s "Verteidiger in München, Rechtsanwalt Dr. Hirschberg" habe Hiller über den Meineidsprozeß informiert "und ich versuchte pflichtgemäß eine publizistische Aktion". Seinen Artikel über A. habe jedoch die "Weltbühne" nicht drucken wollen (obwohl Hiller hier ständiger Mitarbeiter war!), und auch das "Berliner Tageblatt" habe abgelehnt, weil es 1932 "viel zu gefährlich schien, Herrn Adolf Hitler des Meineids zu zeihen". Am Ende bezeichnet Hiller Hitler mit derselben Floskel, die auch Kronfeld am Ende seiner "Degenerierten"-Schrift verwandte: "jener Auswurf der Menschheit"; Hiller, der nicht russisch sprach, konnte 1946 in London Kronfelds Schrift keinesfalls kennen. Vgl. Hiller, Kurt: Werner Abel, in: ders.: Köpfe und Tröpfe. Profile aus einem Vierteljahrhundert, Hamburg 1950, S. 323-327. Der Münchner Rechtsanwalt Dr. Max Hirschberg war nicht A.'s Verteidiger im Meineidsprozeß 1932, wie Hiller fälschlich behauptet, sondern der Verteidiger von Thomas Wimmer in dem Beleidigungsprozeß des Klägers Hitler 1929/30 gegen v. Graefe, Wimmer u.a. (vgl. Anm. 6); Hirschberg hatte in der Berufungsverhandlung am 4. 3. 1930 einen Beweisantrag zu der Migliorati-Geschichte gestellt und A. als Zeugen der Verteidigung benannt, somit also die ganze Hitler-Abel-Affäre erst ins Rollen gebracht, vgl. Hartmann, Christian (Hrsg.): Hitler. Reden, Schriften, Anordnungen, Bd. II, Teil 3, München 1995, S. 75, Anm. 43.
(16) A. wurde in dem Meineidsprozeß wegen erwiesenen schuldhaften Meineids in zwei Fällen zu insgesamt drei Jahren Zuchthaus unter Anrechnung der viermonatigen Untersuchungshaft und zur Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte auf zehn Jahre verurteilt. Das Urteil wurde am Montag, den 13. 6. 1932 spät abends verkündet, nachdem bereits am Mittag auf Antrag des Staatsanwaltes der Haftbefehl gegen A. wegen Fluchtgefahr durch das Gericht wieder in Kraft gesetzt und A. sogleich im Gerichtssaal verhaftet worden war (Untersuchungshaft). Der Staatsanwalt hatte für jeden Meineidsfall jeweils vier Jahre Zuchthaus, zusammengezogen auf insgesamt fünf Jahre, beantragt. Nach Verbüßen der Haftstrafe wurde A. 1935 ins KZ Dachau verbracht und dort wenig später vom Wachpersonal ermordet.
Die Behauptung Kronfelds über das Schicksal des Gerichts ist frei erfunden. Der Vorsitzende des Schwurgerichts, Landgerichtsdirektor Otto Bertram, der die gesamte Verhandlung gegen A. leitete, wurde im November 1933 Oberlandesgerichtspräsident in Nürnberg und war als solcher - nunmehr 64 Jahre alt - in dem biographischen Lexikon "Degeners Wer ist's?", X. Ausgabe vom Oktober 1935, Berlin 1935, weiterhin namentlich verzeichnet.
Rekonstruktion des Abel-Prozesses durch uns nach: Lankheit, Klaus A. (Hrsg.): Hitler. Reden, Schriften, Anord-nungen, Bd. V, Teil 1, München 1996, S. 158-163; Hartmann, Christian (Hrsg.): Hitler. Reden, Schriften, Anordnungen, Bd. II, Teil 3, München 1995, S. 70-78; Frankfurter Zeitung, Abend- und Erste Morgenblätter sowie zweite Morgenblätter, Reichsausgabe, vom 8. 6. bis 16. 6. 1932; Berliner Tageblatt (Verlag Rudolf Mosse), Abend- und Morgenausgaben vom 7. 6. bis 14. 6. 1932; Völkischer Beobachter, Reichsausgabe, vom 9. 6. bis 15. 6. 1932.
Die Originalakte des Landgerichts München I zum Meineidsprozeß gegen Abel existiert nicht mehr.
(17) Es ist ein sexuelles Verhältnis gemeint, siehe weiter unten im Text.
(18) Im russischen Original steht "Schikelgruber".
(19) In Wahrheit bekam der unehelich geborene Alois Schicklgruber im Alter von fast vierzig Jahren 1877 den Namen "Hitler" durch die der ursprünglichen Geburtseintragung von 1837 im kirchlichen Standesbuch auf Wunsch seines Stiefonkels Johann Nepomuk Hiedler (bei J. C. Fest: Hüttler) vom Pfarrer nachträglich falsch hinzugefügte Eintragung, Alois sei der eheliche Sohn eines "Georg Hitler", obwohl Hiedler/Hüttler angab, Alois sei der Sohn seines als Johann Georg Hiedler eingetragenen verstorbenen Bruders, den die ledige Schicklgruber fünf Jahre nach Alois' Geburt geheiratet hatte; Alois wechselte also vom Namen seiner Mutter zum Namen seines angeblichen Vaters. Zwei in den 20er Jahren erzählten anti-Hitler-Legenden zufolge, die Kershaw berichtet, sollte Alois aus einer in Bukarest ansässigen jüdischen Familie namens Hitler stammen, bzw. Mutter Schicklgruber sollte im Wiener Haus des Barons Rothschild angestellt und dort schwanger geworden sein. (Nach 1945 wurde eine weitere Geschichte, die der Hitler-Rechtsanwalt Hans Frank nach eigenen Angaben im Auftrage Hitlers erforscht haben will, bekannt, nach der die Schicklgruber in Graz bei einem Juden namens Frankenberger als Köchin in häuslicher Stellung gewesen sei, als sie mit Alois schwanger wurde, und das Kind fälschlich dem Frankenberger bzw. seinem 19-jährigen Sohn untergeschoben habe, um Alimente zu kassieren.) Die Geschichtswissenschaft kolportiert diese Legenden zwar weiter, nimmt sie aber nicht ernst, da es dafür keine Belege gibt. Belegt ist einzig die geänderte Standesbuch-Eintragung für Alois Schicklgruber zu "Hitler". -- Im russ. Orig. steht als deutsches Fremdwort in kyrillischen Buchstaben: "Oberkelner". -- Alois Hitler arbeitete als angesehener Beamter als Zollamtsoberoffizial im österreichischen Finanzdienst. Vgl. Fest, Joachim C.: Hitler. Eine Biographie, Berlin 1973, S. 31-34. Kershaw, Ian: Hitler, Bd. 1, 1889-1936 Hubris, New York 1999, p. 4-9. Bullock, Alan: Hitler. A Study in Tyranny, London 1973, p. 23-25.
(20) Im russischen Original steht "Klare Pelz".
(21) Die Volksschulzeugnisse wiesen Hitler als guten Schüler aus, vgl. Fest, S. 37.
(22) Der Obergefreite Hitler war seit November 1914 als Meldegänger an der Front nahe Ypern in Flandern tätigt, wo er die Befehle vom Hauptquartier an die Front zu bringen hatte, eine gefährliche Tätigkeit, zu der immer zwei Soldaten eingesetzt wurden, damit die Befehle auch dann durchkamen, wenn einer im feindlichen Feuer fiel, vgl. Kershaw, p. 91.
(23) Die Darstellung Kronfelds ist falsch. Hitlers Regiment zog erst Mitte August 1918 nach Cambrai, um gegen die bereits begonnene britische Offensive zu helfen. Ende August wurde Hitler von dort nach Nürnberg auf einen Fortbildungslehrgang für Telefon-Kommunikation abkommandiert, an den er seinen zweiten regulären Fronturlaub anschloß. Ende September kehrte er zu seinem Regiment an die Front zurück und geriet sogleich in einen britischen Senfgas-Angriff nahe Ypern, bei dem er gasverletzt wurde, vgl. Kershaw, p. 96-97. Hitlers Krankenakte des Lazaretts Pasewalk (Pommern), in das er anschließend eingeliefert wurde, war bereits vor 1933 verschwunden; Hitlers noch vorhandene Militärpapiere verzeichnen jedoch, das er "gaskrank" gewesen sei (vgl. Fest, S. 113, S. 1055 Anm. 122). Es gehört zu den anti-Hitler-Legenden der frühen 30er Jahre, die vorübergehende Blindheit aufgrund des Giftgases als bloß "hysterisch" kleinzureden, vgl. Fest, S. 115; die vor 1933 verbreitete Agitation, den begeisterten Soldaten Hitler als feigen Drückeberger darzustellen, hält Kershaw (p. 91) nach seinen Recherchen aufgrund der reellen Gefahr für die Meldegänger für ungerecht; tatsächlich war Hitlers Regiment immer wieder in schwere Kämpfe verwickelt und erlitt hohe Verluste; einen für seine Kameraden tödlichen Granatenbeschuß überlebt er nur durch Zufall (p. 91-92).
(24) Es sollen doch fünfzehn Franzosen gewesen sein, und es soll dann sogar "in all school books" gestanden haben, daß Hitler hierfür das Eiserne Kreuz I. Klasse verliehen worden sei, so Kershaw, p. 96.
(25) Hitler erhielt im Dezember 1914 das Eiserne Kreuz II. Klasse, nachdem er gemeinsam mit einem Kameraden im feindlichen Feuer das Leben des Regimentskommandeurs gerettet hatte (vgl. Kershaw, p. 92), im Mai 1918 ein Regimentsdiplom wegen Tapferkeit vor dem Feind (vgl. Fest, S. 103) und Anfang August 1918 das Eiserne Kreuz I. Klasse, jedoch nicht für die fünfzehn gefangenen Franzosen, wie die Schulbücher angeblich behaupteten, sondern gemeinsam mit einem Kameraden für Tapferkeit beim Überbringen einer wichtigen Nachricht an die Front durch schweres feindliches Feuer nach einem Zusammenbruch der Telefonkommunikation, so Kershaw (p. 96) auf der Basis von "available evidence", darunter der Auszeichnungsvorschlag durch den stellvertretenden Regimentskommandeur.
(26) Nachdem Freikorps-Truppen vom 30. 4. bis 2. 5. 1919 die Münchner Räterepublik gewaltsam beendet hatten und nun im "weißen Terror" gegen die sozialistisch-anarchistischen Revolutionäre wüteten, denunzierte Hitler bei den
Freikorps-Mördern frühere Kameraden namentlich, von denen er wußte, daß sie die Räteregierung unterstützt hatten.
(27) Im russischen Original steht "Dreksler". Anton Drexler gründete 1919 in München die "Deutsche Arbeiterpartei" (DAP), eine Vorläuferorganisation der späteren NSDAP, deren erster Vorsitzender er dann ebenfalls war.
(28) Der Buchtitel "Mein Kampf" ist durchgehend in russischer Übersetzung geschrieben.
(29) Schönerer und Lanz hatten mit der Christlich-Sozialen Partei, die von dem antisemitischen und von Hitler bewunderten Wiener Bürgermeister Karl Lueger als Wahl- und Massenpartei geführt wurde, nicht direkt etwas zu tun.
Georg Ritter von Schönerer (im russ. Orig.: "Schenerer"), Gründer und Führer der elitären österreichischen Alldeutschen Bewegung, antisemitischer, deutsch-völkischer Verfechter großdeutscher Interessen unter Ausschluß der nicht-deutschen Völker Österreich-Ungarns.
Adolf Josef Lanz, als "Pater Georg" Zisterziensermönch, nach seinem Austritt aus dem Orden als "Jörg Lanz von Liebenfels" biologisch-rassistischer, ariosophischer (die "Arier" verherrlichender) Okkultist und Mystiker, Herausgeber der ariosophischen Zeitschrift "Ostara", die der junge Hitler las und bisweilen bei Lanz persönlich abholte.
(30) Karl Ernst (1904-1934), Hotelpage, Türsteher "in a café frequented by intellectuals" (Snyder, p. 86), 1923 NSDAP und SA, wie Heines von Röhm in der SA gefördert, 1931 SA-Führer in Berlin und Sonderbevollmächtigter der Obersten SA-Führung von Berlin und der Provinz Brandenburg, 1934 SA-Obergruppenführer der SA-Obergruppe 3 (Berlin-Brandenburg). Am Tag seiner Verhaftung in der Nähe von Bremen und Ermordung in Berlin durch SS-Leute anläßlich des sog. "Röhm-Putsches" wollte Ernst seine Hochzeitsreise per Schiff antreten; seine Frau und sein Chauffeur wurden bei einem Schußwechsel während der Festnahme verletzt. Vgl. Snyder, p. 86, Stockhorst, S. 125, Fest, S. 637.
Zu Heines vgl. Anm 5.
(31) Erik Jan Hanussen alias Hermann Steinschneider (1889-1933), jüdische Eltern, aufgewachsen in Wien, Hilfs-arbeiter beim Zirkus, jüdische Heirat und Scheidung in Wien, Trickkünstler, ab 1913 in Berlin, ab 1917 Varieté-Auftritte als "Hypnotisieur" und "Hellseher" namens Hanussen, in den 20er Jahren zum Millionär geworden mit Yacht und ausländischen Luxusautos, die er an Nazi-Größen im SA-Umfeld Graf von Helldorfs (vgl. Anm. 23) auslieh, zahlreiche Prozesse wegen Betrugs mit "Hellseherei", ab 1931 Herausgeber okkultistischer Zeitschriften, ab 1930 Freundschaften zu SA-Führern, dann selbst Mitglied von SA und NSDAP; trug SA-Uniform in seinem Büro und auf der Straße, persönl. Bekanntschaft mit Hitler, vgl. Kugel, Wilfried: Hanussen. Die wahre Geschichte des Hermann Steinschneider, Düsseldorf 1998.
Kronfeld, der selbst an Hypnose und Hellseherei glaubte, damit "therapeutisch" arbeitete, darüber publizierte und hierzu (unkritische) Experimente durchführte, hatte 1931 auch mit Hanussen experimentiert, dessen vermeintliche telepathische Fähigkeiten Kronfeld durch Manipulationen in dem Experiment zu "beweisen" versuchte, vgl. Kugel, S. 143-152.
(32) Wolf Heinrich Graf von Helldorf (1896-1944), wie Heines Freikorps- Kämpfer im "Freikorps Roßbach", 1920 Kapp-Putsch, 1926 NSDAP, 1931 SA-Obergruppenführer von Berlin und Brandenburg (Vorgänger und Vorgesetzter von Ernst), 1933 Polizeipräsident von Potsdam, 1935-1944 Polizeipräsident von Berlin, 1944 als Mitverschwörer des Putschversuchs gegen Hitler vom 20. Juli 1944 hingerichtet, vgl. Vollnhals, S. 43 Anm. 7 (hier fälschlich "Helldorff").
Hanussen war seit ca. 1930 mit Graf von Helldorf befreundet.
(33) Hanussen wurde am 25. März 1933 von drei ihm bekannten SA-Führern erschossen, nachdem er am Abend zuvor auf Befehl von Karl Ernst festgenommen worden war; die Leiche wurde erst am 7. April 1933 in der Nähe von Baruth (Brandenburg) gefunden, vgl. Kugel, S. 245-254. Als mögliche Gründe des Mordes nennt Kugel sowohl Korruptions- und Finanzaffären sowie Spielschulden der Berlin-Brandenburgischen SA-Führer und Röhms, die sich von Hanussen Geld geliehen hätten, sowie die angebliche "Vorhersage" des Reichstagsbrandes vom 27. 2. 1933 durch Hanussen, der nach verschiedenen Aussagen, darunter der des früheren Reichstagspräsidenten und ersten Alterspräsidenten des Deutschen Bundestages, Paul Löbe (SPD), von dem Plan zur Brandstiftung durch die Nazis gewußt haben soll, sowie allgemein, daß Hanussen zahlreiche Insider-Informationen aus der NSDAP gehabt und hierüber schriftliche Unterlagen besessen hätte, die bei seiner Festnahme durch die SA-Leute beschlagnahmt worden seien.
1936 erschien anonym in der Schweiz (Zürich) das Buch "Ich kann nicht schweigen" von Walter Korodi, der berichtet, 1934 im Rahmen der Aktionen gegen den sog. "Röhm-Putsch" verhaftet worden zu sein und in einer Gefängniszelle gemeinsam mit einem ebenfalls kurzzeitig inhaftierten Mörder Hanussens gesessen zu haben, der über den Mord und über Ernsts Auftrag hierzu erzählt habe, vgl. Kugel, S. 262.
(34) Statt "Hilfsputze" steht im russischen Original wörtlich "jüngster Dielenbohnerer" und statt des im Deutschen häufigen Begriffs "Boy" für männliche ungelernte Dienstleistungsbeschäftigte (z. B. Liftboy usw.) das russische Wort für "kleiner Junge", das auch abschätzig für "Diener" gebraucht wird; wir haben "Boy" eingesetzt, weil die Wortfolge des russ. Originals - "jüngster Dielenbohnerer ('kleiner Junge')" - darauf hindeutet, daß Kronfeld tatsächlich "Boy" gesagt hat.
(35) Der Name "Hollandais" ist als einziges Wort des gesamten russischen Originals in allen drei Ausgaben der "Degenerierten"-Schrift in lateinischen Buchstaben geschrieben, obwohl im russischen Original neben allen anderen
Eigennamen z. B. auch die originalen deutschen Wörter "Führer" oder "Reichskanzler" (für Hitler) in kyrillischen Buchstaben geschrieben werden. Ein Grund für die lateinische Schreibweise ist nicht ersichtlich.
(36) Im russischen Original steht "German Gering".
Daß Kronfeld beim Abel-Prozeß tatsächlich mit G. zusammengetroffen ist, ist eher unwahrscheinlich, da Kronfeld am zweiten Verhandlungstag, G. aber erst am fünften Verhandlungstag als Zeuge aussagte, vgl. Anm. 8.
(37) G., Sohn eines früheren Kolonialbeamten und Diplomaten, besuchte ab 1905 ein Internat in Ansbach, ab 1908 eine Kadettenanstalt (Militärschule) in Karlsruhe und ab 1910 die Hauptkadettenanstalt Groß-Lichterfelde bei Berlin, wo er 1911 das Fähnrichexamen mit der Gesamtnote "vorzüglich" ablegte, wozu ihm der Kaiser persönlich gratulierte. 1913 Abi-tur und Offiziersexamen, 1914 Leutnant d. Infanterie. Vgl. Maser, Werner: Hermann Göring. Hitlers janusköpfiger Paladin, Berlin 2000, S. 18f, S. 20. Nach Wunderlich kam er 1903 ins Ansbacher Internat, 1905 in die Kadettenanstalt Karlsruhe, vgl. Wunderlich, Dieter: Göring und Goebbels. Eine Doppelbiografie, Regensburg 2002, S. 12f; nach Martens 1905 in die Kadettenanstalt Karlsruhe und von 1909 bis 1912 in die Hauptkadettenanstalt Berlin-Licherfelde, vgl. Martens, Stefan: Hermann Göring. "Erster Paladin des Führers" und "Zweiter Mann im Reich", Diss. Uni Münster, Paderborn 1985, S. 15.
(38) G. erhielt nach einigen kleinen Erfolgen gegen die Franzosen im Elsaß in den ersten Augusttagen 1914 als erster Offizier sogleich das Eiserne Kreuz II. Klasse; ins Lazarett kam er erst Ende September 1914, vgl. Maser, S. 22f. Später wurde er aufgrund seiner Erfolge als Kampfflieger hoch dekoriert und zum Oberleutnant befördert, vgl. Maser, S. 28.
(39) Im russischen Original steht "Lärzer". Gemeint ist der Infanterie-Leutnant Bruno Loerzer, der wie G. von der Fliegerei begeistert war und mit dem G. von diesem gemeinsamen Lazarettaufenthalt an bis zu seinem Ende eng befreundet war. Mit Loerzer war G. in der Luftaufklärung vor Verdun tätig, wo auch Kronfeld im Feldeinsatz war; es ist naheliegend anzunehmen, daß die beiden waghalsigen Luftaufklärer, denen nunmehr auch das Eiserne Kreuz I. Klasse verliehen wurde, das auch Kronfeld trug, den Bodensoldaten mindestens nach Namen und Taten bekannt waren.
(40) Im russischen Original steht "Reingart"; gemeint ist Wilhelm Reinhardt. Im russ. Original steht "Richtchofen".
(41) Nach dem Absturz des Geschwaderkommandeurs Manfred Freiherr von Richthofen im April 1918 wurde Reinhardt Richthofens Nachfolger als Kommandeur und stürzte zwei Monate später tödlich mit einer Testmaschine ab, deren Tragflächen bei einem Flugmanöver abbrachen. Daraufhin wurde der bereits hoch dekorierte G. Reinhardts Nachfolger, und das Geschwader wurde nach dem legendären ersten Kommandeur Richthofen benannt, vgl. Wunderlich, S. 18f.
(42) G. wurde 1916 bei einer Notladung, nachdem britische Jagdflieger seine Maschine im Kampf beschädigt hatten, am Bein und an der Hüfte verletzt, vgl. Wunderlich, S. 16. Beim Hitler-Putsch 1923 in München, an dem G. teilnahm, wurde er bei einer Schießerei mit der bayrischen Polizei schwer am Unterleib verletzt; die Verletzung wurde infolge seiner Angst vor Verhaftung und seiner Flucht ins Ausland zuerst nur unzureichend behandelt, weshalb G. wegen fortdauernder Schmerzen morphinhaltige Medikamente einnahm, von denen er dann angeblich zeitweise abhängig wurde, vgl. Maser, S. 63. Daß G. bereits im Ersten Weltkrieg unter Morphiumeinfluß Kampfeinsätze geflogen habe, wurde im Braunbuch über Reichstagsbrand und Hitlerterror, das der Kreis um Willi Münzenberg 1933 in Paris im Auftrag der KPD-Führung zur Agitation gegen G.s Vorwurf, die Kommunisten hätten den Brand gelegt, erstellte, offenbar fälschlich aus propagandistischen Gründen behauptet (S. 127, zit. n. Reprint Berlin 1980); in den zitierten G.-Biographien findet sich dies nicht.
(43) Im russischen Original steht "Ärchart Milch".
(44) Das ist frei erfunden. G. lernte erst 1927 den damaligen Direktor der Deutschen Lufthansa und späteren Manager der deutschen Luftwaffen- Aufrüstung und Generalfeldmarschall Erhard Milch (1892-1972) kennen, als G. in Geldnot Loerzer um Hilfe bat, der in die Geldaristokratie eingeheiratet hatte; der stellte ihm Milch vor, und Milch förderte in Begeisterung für die Richthofen-Flieger nun G., vgl. Wunderlich, S. 55. Nach den unveröffentlichten "Erinnerungen" Milchs, aus denen Martens zitiert, will Milch erst 1928 Kontakt zu G. aufgenommen haben, vgl. Martens, S. 260 Anm. 52.
Den höchsten preußischen Kriegsorden "Pour le Mérite" (im russischen Original stehen die französischen Worte in kyrillischen Buchstaben: "pur le merit") bekam G. von Wilhelm II. persönlich 1918 kurz vor seiner Ernennung zum Richthofen-Geschwaderkommandeur um den Hals gehängt, als er 18 bzw. 20 "Luftsiege" (Abschüsse) errungen hatte, vgl. Wunderlich, S. 18; Maser, S. 28.
Der deutsche jüdische Emigrant Kurt Singer, der bis 1940 in Schweden als Journalist arbeitete, zitiert in seiner Göring-Biographie von 1939, mit der er vor "Deutschlands gefährlichstem Mann" warnen wollte, in englischer Übersetzung angebliche Äußerungen Otto Strassers (vgl. Anm. 69) ihm gegenüber zu der "Pour le Mérite"-Verleihung an G.
Danach will Strasser von dem "Pour le Mérite"-Träger Ernst Udet gehört haben, daß G. die übliche Regel, der gesamten Schwadron diejenigen Abschüsse kollektiv zuzurechnen, für die sich im Luftkampf kein bestimmter Pilot als Schütze hatte ausmachen lassen, abgeändert habe und diese Abschüsse sich selbst als dem Kommandanten der Schwadron persönlich zugerechnet habe und so auf die hohe Anzahl von Abschüssen gekommen sei; durch diesen "trick" habe G. den Orden bekommen, vgl. Singer, Kurt: Göring. Germany's most dangerous man, London 1939, p. 44-45. "These methods", so Singer zweifelnd und bestätigend zugleich, "whatever the truth, were in conformity with Captain Göring's ambitiousness and pushful ways", p. 45.
Die Verleihung des preußischen Tapferkeitsordens "Pour le Mérite", für den es seit seiner Stiftung durch König Friedrich II. keine Statuten gab, war an keinerlei bestimmte Voraussetzungen gebunden, auch nicht an zwanzig Abschüsse o.ä., sondern unterlag dem Gutdünken des preußischen Königs, der Kaiser Wilhelm II. ja ebenfalls war, vgl. Möller-Witten, Hanns: Historisches und Unbekanntes über den Orden Pour le Mérite, in: Zschrft. f. Heereskunde, 1965,
S. 62-68, S. 89-96 (S. 63).
Wilhelm II verlieh den Orden 704 mal, davon 687 im Ersten Weltkrieg und hier überproportional 132 mal an Flieger.
(45) Im russischen Original steht "Wilgelmsgafen".
(46) G. wuchs als Kind auf der Burg Veldenstein bei Nürnberg auf, die seinem Patenonkel, einem jüdischen, geadelten, deutschnationalen, ursprünglich österreichischen Arzt namens Dr. Hermann Ritter von Epenstein gehörte und dessen Gut sich G. nach dessen Tod aneignete. Nach seiner Verwundung beim Hitler-Putsch 1923 rettete die jüdische Familie Bernheimer-Ballin, die eine Notversorgung der Verletzung organisierte, G. das Leben, vgl. Maser, S. 13ff, S. 62f. Aus der Affäre um Milchs Abstammung wurde der angebliche Ausspruch G.s bekannt: "Wer Jude ist, bestimme ich!" Ab 1938 war G. mit der Entrechtung und Enteignung der jüdischen Deutschen "beauftragt" und betrieb ab 1939 deren massenhafte Vertreibung, vgl. Wunderlich, S. 167; Martens, S. 157, S. 160f. Milch wurde wegen des Einsatzes von Zwangsarbeitern 1947 als Kriegsverbrecher zu lebenslanger Haft verurteilt und 1954 nach Begnadigung entlassen, vgl. Snyder, p. 229-230.
(47) Im russischen Original steht "Kanzow"; gemeint ist Nils Gustav Freiherr von Kantzow.
G. arbeitete 1920 als Pilot für eine Luftpost-Linie in Schweden, als ihn Eric Graf von Rosen in Stockholm bat, ihn zu seinem Schloß ins Inland zu fliegen, weil er den Zug verpaßt hatte; wegen Schneetreibens mußte G. einige Tage auf dem Schloß bleiben, wobei er dann seine spätere erste Ehefrau, Karin von Kantzow, geborene von Fock, Schwester der Ehefrau von Graf von Rosen, kennenlernte, vgl. Maser, S. 43; Wunderlich, S. 26ff, S. 30f. Rosen war nicht G.s Arbeitgeber.
Mit Karin ging G. dann nach Bayern zurück, wo er im Herbst 1922 Hitler kennenlernte, der dem berühmten und hoch dekorierten Weltkriegsoffizier sogleich die Führung der SA anvertraute.
(48) Im russischen Original steht "Aspuden" und "Langbro". In Wahrheit floh G. nach dem Hitler-Putsch sogleich nach Österreich in eine Klinik zur Behandlung seiner Schußverletzung, dann - nach seiner Ausweisung aufgrund politischer Aktivitäten für die SA von Insbruck aus, vgl. Martens, S. 17; Maser, S. 67 - 1924 weiter nach Italien, wo er vergeblich versuchte, Kontakte zwischen dem in Deutschland nun illegalen Hitler-Kreis, den er in Rom "vertrat", und den siegreichen Faschisten Mussolinis zu knüpfen, und erst im Mai 1925 - nach der Ausweisung aus Italien, vgl. Martens, S. 17; Maser, S. 67 - wieder nach Schweden. In ein privates Pflegeheim oder Sanatorium in Aspudden, einem Vorort Stockholms auf dem Festland im Südwesten der Stadt, ging er am 6. 8. 1925 freiwillig zur Behandlung seiner Drogenabhängigkeit, von wo er am 1. 9. 1925 nach dem Versuch, sich gewaltsam Morphium aus dem Medizinschrank des Heims zu nehmen, in einer Zwangsjacke von der Polizei ins Katarina- Krankenhaus in der Stadtmitte gebracht wurde, vgl. Maser, S. 71, von wo aus er am 2. 9. 1925 in die psychiatrische Klinik Langbro sieben Kilometer südlich von Stockholm gebracht wurde, vgl. Maser, S. 71f. (Maser schreibt durchgehend falsch "Aspuddens" und "Längbro".) In Långbro wurde er noch zweimal, im Mai 1926 und im September 1927, behandelt, vgl. Maser, S. 72. Zu den Orten Aspudden und Långbro vgl. zahlreiche historische Darstellungen im Internet sowie Svensk Uppslagsbok Bd. 2, kol. 588, Malmö 1961 (Aspudden); Nationalencyklopedin Bd. 12, s. 537, Höganäs 1993 (Langbro).
Das angebliche Zitat aus der Diagnose, das Kronfeld anführt, findet sich so nicht in den zit. Biographien; diagnostiziert wurde eine "Vergiftungspsychose" aufgrund von "Abusus von Morphium und Eukodal", vgl. Maser, S. 71. Die angebliche Krankenakte, über die vor allem links orientierte Presseorgane nach G.s Karrieresprung in den 30er Jahren berichtet hatten und aus der Maser zitiert, enthielt neben detaillierten Verhaltensbeschreibungen zusammenfassende Bewertungen wie: "übertreibt Entziehungserscheinungen; neigt zur Hysterie, ist egozentrisch, übertriebenes Selbstbewußtsein; haßt Juden, hat sein Leben dem Kampf gegen die Juden gewidmet, war Hitlers rechte Hand", vgl. Maser, S. 72f; Maser berichtet ohne Zitat: "im vertraulichen Krankenbericht von Längbro (sic!)" sei G. "attestiert worden", "einen schwachen Charakter zu haben, brutal, bösartig und hysterisch, in eigenen Familienangelegenheiten jedoch sentimental zu sein", Maser, S. 73. Allerdings hat Maser die angebliche Quelle nicht selbst gesehen, sondern zitiert sie lediglich aus dem 1984 erschienenen Buch des schwedischen Autors Björn Fontander (Göring och Sverige, Stockholm 1984), das wir nicht eingesehen haben.
Vgl. zu G.s Drogenerkrankung a. Wunderlich, S. 39ff, S. 49f.
Von einem Aufenthalt G.s in einer "Irrenanstalt Konradsberg" (gemeint ist wohl das damalige psychiatrische Krankenhaus Konradsberg im Ralambshov, einer Parkanlage auf der Stockholmer Stadtinsel Kungsholmen im Nordwesten der Innenstadt, vgl. Svensk Uppslagsbok Bd. 2, kol. 470, Malmö 1963) wird in den zit. Biographien von Maser und Wunderlich nichts erwähnt. Jedoch heißt es im Braunbuch, G. sei "im Jahre 1925 in der Anstalt Langbro (sic!) interniert" worden, "weil ihn ein Arzt für geistesgestört erklärt hatte. Er wurde später im Hospital Konradsberg bei Stockholm untergebracht, aber er mußte infolge seines Verhaltens nach Langbro zurücktransportiert und dort unter Verschluß gehalten werden", S. 127.
Den Aufenthalt in Aspudden und im Katarina-Krankenhaus erwähnt das Braunbuch nicht.
Frischauer, der behauptet, 1933 in Stockholm G.s Krankenakte nicht mehr habe finden können, weil G. als Preußischer Ministerpräsident sogleich Geheimagenten nach Schweden gesandt habe, um der Akte habhaft zu werden, erwähnt "Konradsberg", bezieht sich aber dabei auf das Braunbuch als einzige Quelle, vgl. Frischauer, Willi: The Rise and Fall of Hermann Goering, London 1960, p. 51 (erste Auflage 1950).
Im Gegensatz zum Braunbuch erwähnt Singer auch "Aspudden", vgl. p. 99, p. 101-102, sowie ebenfalls "Konradsberg", vgl. p. 101-102, und gibt eine zeitliche Reihenfolge der Aufenthalte: Pflegeheim in Aspudden, Katarina-Krankenhaus, Langbro-Klinik, Konradsberg-Krankenhaus und wieder die Långbro-Klinik. Dabei bezieht er sich auf nicht näher genannte "Swedish newspapers" sowie die Zeitung "Social-Demokraten" vom März 1933, aus denen er zitiert, vgl. p. 101-103, auf eine Krankenschwester G.s (offenbar aus Aspudden), die er interviewt haben will, vgl. p. 103, sowie für "the Konradsberg asylum" auf nicht näher spezifizierte angebliche "police records of Stockholm" bzw. "police entries", die er eingesehen haben will, p. 101. Die Begriffe gehen allerdings bei ihm durcheinander: mal heißt es "Aspudden nursing-home", mal "Aspudden asylum", mal "Aspudden hospital"; mal "Konradsberg asylum", mal "Konradsberg hospital", was für Singer keinen Unterschied macht. Nur beim "Långbro mental hospital" bleibt er einheitlich.
Offenbar ist der tatsächliche Sachverhalt von G.s angeblicher Drogenerkrankung und Entzugsbehandlung in Schweden in den 20er Jahren niemals gründlich und mit eindeutigem Ergebnis anhand von Quellen statt von pro- und antifaschistischen Propagandaschriften erforscht worden. Martens bezweifelt aufgrund der Angaben der Nürnberger Gefängnisärzte, die sich mit Göring beschäftigten, eine tiefgreifende, lang andauernde Drogensucht G.s., vgl. Martens, S. 259 Anm. 36.
(49) In Wahrheit ging es nicht etwa um G.s Sohn. Die Ehe mit Karin, geborene von Fock, geschiedene von Kantzow, war G.s erste Ehe und blieb kinderlos; nicht ihm wurde - etwa aufgrund der Drogenerkrankung - das Sorgerecht für Karins Sohn Thomas aus Karins ersten Ehe mit Nils Gustav Freiherr von Kantzow verwehrt, sondern der Mutter Karin, die es vor einem Stockholmer Gericht beantragt hatte, im gerichtlichen Sorgerechtsprozeß jedoch unterlag. Das Sorgerecht blieb daher auch weiterhin beim Vater des Kindes, Nils Gustav Freiherr von Kantzow, dem es nach der Scheidung der Eltern bereits zugesprochen worden war. Um eine Vormundschaft G.s für das Kind ging es in dem Prozeß nicht. Vgl. Maser, S. 74.
Das Braunbuch über Reichstagsbrand und Hitlerterror druckt dem entgegen einen angeblichen, mitten im Satz beginnenden Auszug aus einem handschriftlichen "Gutachten des Stockholmer Gerichtsarztes:" (Bildüberschrift) namens Karl A.R. Lundberg vom 16. April 1926 im Faksimile und die deutsche Übersetzung: "dass Kapitän Göring an Morphiumsucht und seine Frau Karin Göring geborene Freifrau Fock an Epilepsie leidet und dass deshalb deren Heim als ungeeignet für ihren Sohn Thomas Kantzow angesehen werden muß", vgl. Dokumentenseite vor S. 57; die deutsche Übersetzung des angeblichen Lundberg-Gutachtens im Braunbuch entspricht jedoch nicht wörtlich dem darunter abgedruckten schwedischen Faksimile, in dem es heißt: "daß Kapitän Göring an Morphinismus leidet und seine Frau ... an Epilepsie leidet ..."; zudem wurden Satzzeichen aus dem Faksimile in der deutschen Übersetzung weggelassen; außerdem enthält das Faksimile der angeblichen Handschrift Lundbergs einen Rechtschreibfehler: die Präposition "av" (= an) aus der Redewendung "lida av en sjukdom" (= an einer Krankheit leiden) ist zweimal als "af" geschrieben. Andernorts behauptet das Braunbuch: "Das Gericht hat beschlossen, dass Göring nicht zum Vormund des Knaben Thomas bestellt werden kann. ... ein notorischer Morphinist, dem ein schwedisches Gericht die Fähigkeit zur Vormundschaft abgesprochen hat", S. 128. Die Echtheit des Faksimiles steht angesichts der zahlreichen Fälschungen, die der Münzenberg-Kreis im antifaschistischen Kampf gegen die Nazi-Führer fabrizierte, in Frage; dem wurde hier nicht weiter nachgegangen; aus dem Faksimile läßt sich auch nicht entnehmen, daß sich das Gericht überhaupt mit dem Gesundheitszustand des von der Sorgerechtsfrage gar nicht betroffenen G. beschäftigt hätte. Die Angaben des Braunbuchs, das in zahlreiche Sprachen übersetzt wurde und 1933/34 eine Hauptwaffe weltweiter antifaschistischer Agitation war, gelten heute allgemein nicht als verläßlich.
Singer zitiert dieselbe angebliche Expertise Lundbergs in englischer Übersetzung, vgl. p. 96, wobei er den Eindruck eines vollständigen Zitates dieses Kurzgutachtens erweckt, indem er den vom Braunbuch nicht in die deutsche Übersetzung des Lundberg-Zitats aufgenommenen, sondern das Zitat im Braunbuch ankündigenden Satz "Es wird hiermit bezeugt:" in die Anführungszeichen mit hinein nimmt, so daß es bei Singer so erscheint, als gehörte er zum Lundberg-Zitat; das schwedische angebliche Faksimile von Lundbergs Handschrift im Braunbuch enthält diesen ankündigenden Satz überhaupt nicht. Im Faksimile der Lundberg-Handschrift im Braunbuch steht zudem "Thomas Kantzow" (bzw. vielleicht "Thomas von Kantzow", was nicht zu entscheiden ist, weil das Faksimile schräg abgeschnitten gedruckt wurde), während Singer in seiner englischen Übersetzung den im Faksimile deutlich sichtbaren Namen "Kantzow" nach "Thomas" wegläßt, vgl. p. 96. Singer präsentiert Lundberg hier auch nicht als Gerichtsarzt, wie das Braunbuch, sondern als "the doctor of the Fock and Göring families", wobei dann allerdings fraglich wird, wer Lundberg gestattet hätte, gegen seine angebliche Patientin Karin Göring-von Fock in ihrem Prozeß um ihr Kind gegen ihren Willen auszusagen; dagegen wäre die "Gerichtsarzt"-Behauptung des Braunbuchs geradezu intelligent gefälscht, denn ein Gerichtsarzt darf / soll ja vor Gericht sprechen.
Ferner behauptet Singer, Zeugenaussagen und schriftliche ärztliche Kurzexpertisen über G.s Morphiumsucht, die der Kindsvater in den Sorgerechtsprozeß habe einbringen lassen, aus den Gerichtsakten zu zitieren, vgl. p. 95-98, die er nach 1935 eingesehen haben will. Singer führt auch ein angebliches Zitat des Gerichtsvorsitzenden an, mit dem er 1937 über den Fall gesprochen haben will und der sich dabei angeblich noch an jede Einzelheit erinnert habe; in dem Zitat bestätigt der Gerichtsvorsitzende, daß Singer Einblick in die Prozeßakten hatte, vgl. p.100. Im Zusammenhang mit diesem Prozeß kommt Singer auf G.s Drogenerkrankung zu sprechen und behauptet, für die Gerichtsentscheidung gegen Karin Göring sei letztendlich eine Kurzexpertise des G. behandelnden Psychiaters der Langbro-Klinik, Prof. Olof Kinberg, ausschlaggebend gewesen, die Singer sodann angeblich vollständig in englischer Übersetzung zitiert, vgl. p. 97-98. Allerdings enthält diese Kurzexpertise nur die Aussage, G. werde behandelt "to overcome the use of eudokal" (ein morphinhaltiges Schmerzmedikament) und "should be fully recovered in from 6 to 8 weeks", p. 98, was nun wahrlich nicht für eine besondere Schwere der Krankheit spricht. Sodann behauptet Singer, Kinberg habe wegen der ärztlichen Schweigepflicht vor Gericht nicht näher auf G.s Erkrankung eingehen dürfen, vgl. p. 98, p. 104.
Singer behauptet nicht direkt, daß G. der Vormund von Thomas von Kantzow hätten werden sollen / wollen; er stellt lediglich die widerstreitenden Sorgerechtsansprüche der Eltern des Kindes bzw. des als Vormund angeblich bereits ausgewählten Bruders des Kindsvaters dar, der selbst, so Singer, ebenfalls wegen Krankheit an der Erziehung seines Sohnes gehindert gewesen sei, vgl. p. 95-96. Den Prozeß nennt er zurecht "the Göring case", da die Mutter, die ihn angestrengt hatte, ja nun diesen Namen trug, vgl. p. 95. Allerdings ist seine Darstellung ungenau und widersprüchlich, wenn er erst schreibt: "Carin now hoped the court would appoint her his guardian", aber dann drei Sätze weiter schreibt, der Onkel des Kindes "protested against the Göring family being given the right of educating Thomas von Kantzow (as well as the educational funds). He put before the court proofs of Göring's mental and general unfitness for this task", vgl. p. 96, obwohl es gar nicht um eine Aufgabe G.s, sondern der Mutter ging, was er eine Seite weiter wiederum bestätigt, wo er schreibt, der Rechtsanwalt der Mutter "demanded Thomas for Carin Göring", vgl. p. 97.
Hintergrund: Singers Angaben sind insgesamt wenig glaubhaft. Der Emigrant Singer war Mitbegründer des internationalen Carl-von-Ossietzky-Komitees zur Rettung des Friedensnobelpreisträgers aus der KZ-Haft; er war als antifaschistischer Journalist in Schweden bekannt. Seine G.-Biographie wurde auf Druck des Deutschen Reiches im Januar 1940 kurz nach ihrem Erscheinen von der schwedischen Regierung für Schweden verboten; daraufhin und aufgrund eines deutschen Verlangens an Schweden, ihn nach Deutschland auszuliefern, emigrierte er weiter in die USA, vgl. seine autobiographischen Angaben unter www.fredsakademiet.dk/library/carl/kurt.htm. Der Prozeß um das Sorgerecht für Thomas von Kantzow fand im Frühjahr 1926 in Stockholm statt; zu diesem Zeitpunkt war G. in Schweden eine für die Öffentlichkeit unbekannte und uninteressante Person, die sich wohl kaum einem Richter während dessen routinemäßigen Tagesgeschäften eingeprägt hätte. Es ist auch höchst unwahrscheinlich, daß Singer tatsächlich Einblick in die Prozeßakten hat nehmen können, da es sich um eine zivilrechtliche, also "private", Rechtsstreitigkeit handelte, deren Akten Dritten üblicherweise nicht ohne Zustimmung beider streitender Parteien zugänglich sind; daß die Parteien der Akteneinsicht zugunsten eines G. denunzierenden Buchprojektes des bereits von Nazi-Deutschland wegen seiner bisherigen antifaschistischen Arbeit gesuchten Emigranten Singer zugestimmt hätten, ist nicht anzunehmen. Ebensowenig ist es wahrscheinlich, daß der Anwalt des Kindsvaters, für den Singer einen Personennamen angibt, diesem Einsicht in seine Handakte gewährt hätte, nachdem sich die Familie von Kantzow mit G. nach dessen Karrieresprung 1933 ausgesöhnt hatte und ein gutes Verhältnis zu G. pflegte; Thomas von Kantzow selbst verbrachte sowohl vor als auch nach dem Tod seiner Mutter 1931 immer wieder lange Aufenthalte in Deutschland bei dem Ehepaar Karin und Hermann Göring bzw. dem Witwer und dann dem in zweiter Ehe wieder verheirateten G. Unwahrscheinlich ist auch, daß der ausländische Emigranten-Journalist Singer nach 1935, als er nach eigenen Angaben die Arbeit an seiner G.-Biographie begann, vgl. p. 9, die Erlaubnis zur Einsichtnahme in die internen Polizeiprotokolle aus 1925 bis 1927 über ganz bestimmte, mehr als zehn Jahre zurückliegende, für die Arbeit der Stockholmer Polizei jedoch alltägliche Polizeieinsätze gegen Randalierer bekommen und die Einsätze gegen G. herausgefiltert hatte. Die Darstellung Singers (und auch des Braunbuchs) erscheint auch schon deshalb als wenig glaubhaft, weil eine derart weitgehende Gerichtsentscheidung wie die über das Sorgerecht der Mutter für ihr Kind wohl kaum aufgrund einer derart positiven psychiatrischen Heilungsprognose für den neuen Ehemann der Mutter durch den ihn behandelnden Arzt negativ ausfallen würde, wenn als einziger alternativer Vormund sogar nur der Onkel des Kindes und nicht der Vater in Frage kommt; auch wäre wohl ein Gerichtsgutachter zur Gesundheitssituation der Mutter und des (sorgerechtslosen) "Stiefvaters" bestellt worden, der gegenüber dem Gericht eben gerade nicht an Schweigepflichten gebunden gewesen wäre, sondern zu möglichen Einschränkungen des Kindswohls in der neuen Familie hätte aussagen müssen.
Der Prozeß von Karin G. um das Sorgerecht für ihren Sohn Thomas, der tatsächlich stattgefunden hat - vgl. die Biographie über Karin Göring, geschrieben von ihrer Schwester, einer Nationalsozialistin: Wilamowitz-Möllendorf, Fanny Gräfin von: Carin Göring, Berlin 1933 - und aus dem sich zahlreiche publizierte Angaben über G.s angebliche Suchtkrankheit speisen, ist offenbar ebenfalls niemals gründlich erforscht worden. Wie bei den Darstellungen zu G.s Drogenerkrankung beziehen sich die Nachkriegsautoren immer wieder gegenseitig auf einander statt auf unbezweifelbare Quellen.
(50) Die Zählung Kronfelds ist unklar. G. hatte 1933 die staatlichen Posten Mitglied des Reichstags (seit 1928), Präsident des Reichstags (seit 1932), seit dem 30. 1. 33 Reichsminister ohne Geschäftsbereich, Reichskommissar für die Luftfahrt und kommissarischer Innenminister von Preußen, im Laufe des Jahres 1933 Reichsluftfahrtminister, Reichskommissar für Preußen, Preußischer Ministerpräsident, Oberpräsident der Rheinprovinz, Chef der preußischen Polizei, Chef der Gestapo inne und war zum General der Infanterie befördert worden (die Luftwaffe war noch Teil des Heeres). Im Laufe der staatlichen Umstrukturierung und Zentralisation des Deutschen Reiches durch die Nazis 1933/34 wurden diese Posten z.T. aufgelöst bzw. hatten nur noch nominelle Bedeutung. Zur Kompensation seines Machtverlustes wurde G. 1934 als "Reichsforst- und Reichsjägermeister" Leiter dieser neu geschaffenen obersten Reichsbehörde, 1935 nach der Selbstent-tarnung ihres illegalen Aufbaus offiziell Oberbefehlshaber der Luftwaffe, 1936 Beauftragter für den Vierjahresplan (und damit für das Management der gesamten Wiederaufrüstung zuständig), 1938 Generalfeldmarschall, 1939 der von Hitler öffentlich zu Hitlers Nachfolger Bestimmte, 1940 Reichsmarschall des Großdeutschen Reiches (ein Phantasietitel ohne Befugnisse, aber mit einem zusätzlichen Salär von monatlich 20 000 Mark), vgl. Maser, S. 193-200, S. 338; Wunderlich,
S. 114, S. 148; Müller, Helmut: Schlaglicher der deutschen Geschichte, Mannheim 1990, S. 268; Martens, S. 21-34.
(51) Im russischen Original steht "Fridljander". Um wen es sich handelt, konnte nicht festgestellt werden.
(52) Goebbels kaufte 1936 mit Hilfe Amanns (vgl. Anm. 39) und mit 350 000 Mark des Eher-Verlages, die er offiziell als Vorauszahlung auf den Verkauf seiner vollständigen Tagebücher erhielt (die jedoch erst zwanzig Jahre nach seinem Tod veröffentlicht werden sollten; ein geringer Teil über die Zeit der "Machtübernahme" war in den 30er Jahren unter dem Titel "Vom Kaiserhof zur Reichskanzlei" erschienen), ein Backsteinhaus auf der Havel-Insel Schwanenwerder, das dem Bankdirektor Oskar Schlitter gehörte. Ein angrenzendes baumbestandenes Grundstück des jüdischen Bankiers Samuel Goldschmidt kaufte er 1938 weit unter Preis hinzu, vgl. Reuth, Ralf Georg: Goebbels, München 1990, S. 340f, S. 385f.
(53) Im russischen Original steht "Aman". Reichsleiter Max Amann, vorgesetzter Feldwebel des Gefreiten Hitler im Ersten Weltkrieg, 1923 Hitler-Putsch, Verleger von "Mein Kampf", Leiter des Hauptverwaltungsamtes der NSDAP für die Presse, Direktor des Zentralverlags der NSDAP Franz Eher Nachf. München, Verlagsdirektor des "Völkischen Beobachters", Präsident der Reichspressekammer und Vorsitzender des Vereins Deutscher Zeitungsverleger.
(54) Im russ. Orig. steht "Ulschtein". Die Ullstein AG, der größte und wichtigste Zeitungs-, Zeitschriften- und Buchverlag Deutschlands, war bereits 1933, als die Gebrüder Ullstein den Verlag noch wirtschaftlich beherrschten, durch die politische "Gleichschaltung" der Redaktionen und die Entlassung von über 70 Redakteuren auf die Linie der von Hitler geführten Reichsregierung eingeschwenkt. Die Übernahme der Aktiengesellschaft durch den NSDAP-eigenen Eher-Verlag bis 1934 geschah nur indirekt, gemanaget von Max Winkler, der unter den Reichskanzlern der Weimarer Republik bereits der finanzielle Treuhänder und Verbindungsmann der Reichsregierungen "für diskrete Presseaufgaben" (Kempner) gewesen war. Für ein Industrie- und Handelskonsortium unter Führung der Deutschen Bank erwarb Winkler persönlich als Treuhänder in enger Abstimmung mit Goebbels und mit Geld des Eher-Verlages die Geschäftsanteile der Gebrüder Ullstein, nachdem diese im Wert künstlich herunter gerechnet worden waren. Amann überließ die Transaktion und die Treuhänderschaft in den ersten Jahren vollständig Winkler. Erst nach Umwandlung der Aktiengesellschaft in eine Kommanditgesellschaft unter dem neuen Namen "Deutscher Verlag" 1938 beteiligte sich der Eher-Verlag direkt und offen als Miteigentümer mit einer kleineren Summe am Geschäftsvermögen. Amann war nicht der persönliche Privatbesitzer des Ullstein-Verlages, wie es nach Kronfelds Formulierung erscheint, und Ley und Himmler hatten nichts damit zu tun.
Vgl. Kempner, Robert M.W.: Hitler und die Zerstörung des Hauses Ullstein. Dokumente und Vernehmungen, in: Hundert Jahre Ullstein, Band III, Frankfurt a.M. 1977, S. 267-292. (Kempner, der 1946 US-Ankläger bei den Kriegsverbrecherprozessen in Nürnberg war, arbeitete bis Mitte 1933 als juristischer Berater im Ullstein-Verlag.)
(55) Im russ. Original steht durchgehend "Jup". Die Bedeutung des Wortes "Jupkin" konnte nicht geklärt werden.
(56) Goeb. soll als Kind an einer infektiösen Knochenmarkentzündung bzw. an Poliomyelitis (Kinderlähmung) erkrankt gewesen sein, was zu der Verkrüppelung seines rechten Fußes und Beines geführt haben soll, vgl. Reuth, S. 15, S. 619 Anm. 14, der aus dem sowjetischen Obduktionsbericht vom 9. 5. 1945 zitiert; Reimann, Viktor: Dr. Josef Goebbels, Wien 1971, S. 20. Goeb. hatte fünf Töchter und einen Sohn; von keinem der Kinder, die in den 30er Jahren als Medienstars für das NS-Regime fungierten (vgl. Reuth, S. 341f), wird in den Goebbels-Biographien über eine körperliche Abnormalität berichtet.
(57) Nach der Kapitulation des Deutschen Reiches am Ende des Ersten Weltkriegs waren alliierte Besatzungstruppen bis an den Rhein vorgerückt; Goebbels stammte aus dem linksrheinischen Rheydt (heute Stadtteil von Mönchengladbach).
Im russischen Original steht "Tartaren". tartarin, französisch = Maulheld, Prahlhans. Tartarin de Tarascon ist der Titelheld einer humoristischen Romantrilogie des französischen Schriftstellers des 19. Jahrhunderts Alphonse Daudet; Tartarin hatte fälschlich behauptet, zahlreiche Löwen erlegt zu haben.
(58) Goeb. studierte 1917 an der Universität Bonn Germanistik und Altphilologie, 1918 weiter in Freiburg, 1918/19 in Würzburg, dann wieder in Freiburg. Im Herbst 1919 zog er trotz Zuzugsverbot des Stadtrates für nichtbayrische Studenten nach München, ohne hier zu studieren. 1920 nahm er in Heidelberg sein Studium wieder auf. Er wurde zum Seminar des jüdischen Literaturhistorikers Friedrich Gundolf, einem "Meisterschüler" Stefan Georges (Reuth), zugelassen, der dann jedoch von der Prüfungspflicht befreit war, und promovierte 1921 bei dem ebenfalls jüdischen Germanisten Max Freiherr von Waldberg, zu dem Gundolf ihn geschickt hatte, vgl. Wunderlich, S. 18f, S. 22f., S. 29, S. 31; Reuth, S. 29 -55.
(59) Im russischen Original steht "Lui Ulschtein".
(60) Goeb. arbeitete 1922 als freier Mitarbeiter, dann kurzzeitig angestellt als Volontär bei der "Westdeutschen Landeszeitung", 1923 neun Monate bei einer Dresdner Bank-Filianle in Köln, die ihm kündigte, und war dann arbeitslos, bis er Ende 1924 bei einer kleinen nationalsozialistischen Wochenzeitung den (zunächst unbezahlten) Posten des einzigen Redakteurs übernahm und 1925 bezahler Geschäftsführer des Gaues Rheinland-Nord der NSDAP, die der vorzeitig aus der Festungshaft entlassene Hitler nach dem Verbot von 1923 soeben wieder gegründet hatte, und 1926 Gauleiter von Berlin-Brandenburg wurde, vgl. Wunderlich, S. 36f, S. 48, S. 52f; Reuth, S. 58, S. 60, S. 68, S. 82, S. 87, S. 104ff.
(61) SA-Sturmführer Horst-Ludwig Wessel, Jurastudent, Taxifahrer, Hilfsarbeiter beim U-Bahn-Bau und NSDAP-Agitationsredner, seit 1926 NSDAP- und SA-Mitglied; er wurde 1930 von dem Tischler, stellvertretenden Bereitschafts-führer und Unterkassierer des zu dieser Zeit verbotenen, der KPD nahestehenden Rotfront-Kämpferbundes Albrecht "Ali" Höhler angeschossen und starb wenig später, nachdem W. bzw. seine Nazi-Freunde die Erste-Hilfe-Behandlung durch einen jüdischen Arzt verweigert hatten.
(62) Im russischen Original steht "Geller"; gemeint ist Albrecht Höhler.
(63) Die These vom Zuhälterstreit wurde eine Zeitlang von der KPD vertreten, nachdem die Partei zuerst nach der Tat die Flucht Höhlers mit einem falschen Paß ins Ausland organisiert und finanziert, ihn nach dessen unplanmäßiger Rückkehr jedoch öffentlich als den "Mörder des nationalsozialistischen Zuhälters Wessel" und als Polizeispitzel präsentiert hatte. Die These wurde dann wieder fallengelassen, während die NSDAP die These vom kommunistischen Auftragsmord vertrat und W. zum Nationalhelden machte. Hintergrund: Der Überfall auf W. in seiner Wohnung durch eine KPD-nahe Gruppe war von W's Vermieterin angestiftet worden, die sich wegen der von W. verweigerten zusätzlichen Mietzahlungen für seine neue Mitbewohnerin und Verlobte, eine frühere Prostituierte, in einem KPD-Versammlungslokal an eine dort gerade tagende Gruppe von Rotfront-Kämpfern gewandt und ihren Mieter als den von der KPD gesuchten Nazi-Agitator denunziert hatte. W. und Höhler lebten im Berliner Armenviertel hinter dem Alexanderplatz, einer Hochburg der KPD. Hier konnten viele nur mit Kleinkriminalität und Gelegenheitsprostitution überleben. W., Sohn des prominenten nationalistischen Pfarrers der Nikolaikirche und dem NSDAP-Gauleiter von Berlin, Goebbels, bereits vor dem Überfall als erfolgreicher Parteiagitator bekannt (und den Kommunisten, die mit einem Steckbrief-Flugblatt nach W. suchten, verhaßt), war jedoch nicht als Zuhälter tätig, sondern wollte seine Verlobte aus dem Milieu erretten. Der Überfall ging von dem Versammlungslokal der Kommunisten aus, von dem aus die Gruppe bis zu W.s Wohnung zog. Die KPD übernahm dann auch die Anwaltskosten für die zahlreichen Angeklagten im Totschlagsprozeß Ende 1930. Zu den Verteidigern gehörten der damals bekannte parteilose linke Star-Anwalt Alfred Apfel (für Höhler) und die Strafverteidiger Fritz Löwenthal (KPD-Reichstagsabgeordneter) und Hilde Benjamin (spätere Vizevorsitzende des Obersten Gerichts der DDR). Höhler, der u.a. wegen Zuhälterei vorbestraft und mit W.s Verlobter, die ihn bei dem Überfall erkannt hatte, flüchtig bekannt war, stellte die Tat vor Gericht als "proletarische Abreibung" (Prügelei) für den Nazi-Agitator dar, bei der sich unglücklich der Schuß gelöst habe. Höhler erhielt eine Strafe von sechs Jahren Zuchthaus wegen Totschlags; das Gericht bescheinigte ihm im Urteil, "aus politischer Überzeugung gehandelt (zu) haben". Er wurde Ende 1933 während eines Gefangenentransports von SA-Leuten unter Führung von Berlins SA-Chef Karl Ernst auf Befehl des SA-Stabschefs Ernst Röhm ermordet; dieselbe Gruppe soll auch Hanussen ermordet haben. Vgl. zu Wessel: Oertel, Thomas: Horst Wessel. Untersuchung einer Legende, Köln 1988; Knobloch, Heinz: Der arme Epstein. Wie der Tod zu Horst Wessel kam, Berlin 1993.
(64) Im russ. Orig. steht "Brenwelje" und "Gotfrid". Marie Madeleine d'Aubray Marquise (Markgräfin) de Brinvilliers ermordete gemeinsam mit ihrem Geliebten, der ihr von ihrem freizügigen Ehemann zugeführt worden war, ihren Vater und ihre Brüder mit Gift, nachdem ihr tugendhafter Vater, ein hoher Pariser Justizbeamter, ihren Geliebten zwecks Beendigung der Liebschaft kurzerhand für ein Jahr in die Bastille hatte einsperren lassen, wo dieser jedoch von einem Mitgefangenen das Giftmischen erlernte. Die Brinvilliers wurde 1676 wegen der Morde hingerichtet, vgl. Scholz, Ludwig: Die Gesche Gottfried. Eine kriminalpsychologische Studie, Berlin 1913, S. 3f.
Die Giftmörderin Gesche (Gesine) Margarethe Gottfried aus Bremen, Tochter des Schneiders Timm, war keine Pastorenfrau, sondern in erster Ehe verheiratet mit dem Sattlermeister Johann Miltenberg (ihr erstes Mordopfer 1813), dann in zweiter Ehe mit einem Freund Miltenbergs, dem Weinhändler Michael Gottfried (achtes Mordopfer).
Nach 15 Morden und mindestens 15 (nachgewiesenen) Mordversuchen mit dem Rattengift Arsenik, die sie an ihren Ehemännern und Verlobten, Eltern, Kindern und im Bekanntenkreis verübte, wurde sie 1831 hingerichtet. Es wurden etliche (psychiatrische) Erklärungsversuche der Taten und Motive und der Persönlichkeit der Gottfried unternommen; am bekanntesten war zu Kronfelds Zeiten wohl die des Nervenarztes und Direktors a.D. einer preußischen "Provinzial-Irrenanstalt" Ludwig Scholz, der 1913 Gesche Gottfrieds Leben ausführlich darstellte und als Gründe für die unterschiedlich motivierten Taten "sexuelle Eitelkeit", "Geldverlegenheit" und "Gier nach Spannung" (S. 115, S. 133) annahm.
(65) Die Bücherverbrennungen von 1933 wurden nicht von Goeb.s "Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda", sondern offenbar im Alleingang durch die Deutsche Studentenschaft organisiert, ohne Lenkung durch übergeordnete NS-Hierarchien, vgl. Treß, Werner: "Wider den undeutschen Geist!" Bücherverbrennung 1933, Berlin 2003, S. 57. Goeb. hielt seine Rede bei der Bücherverbrennung auf dem Berliner Opernplatz erst auf Bitten der Deutschen Studentenschaft, vgl. Treß, S. 58f. Die Anzahl der auf den Scheiterhaufen im ganzen Deutschen Reich verbrannten Bücher wurde nicht erfaßt; in Berlin sollen es über 20 000 gewesen sein.
(66) In Wahrheit nutzten die Nazis die Weimarer Klassik für ihre Zwecke; Goethe wurde zu keinem Zeitpunkt von den Nazis aus dem Schulunterricht "verbannt".
(67) Im russischen Original steht "Kwant". Magda Quandt, die spätere Magda Goebbels, wurde 1929 wegen einer anderweitigen Liebesaffäre von ihrem Ehemann Günther Quandt, dem Vorsitzenden des Wintershall-Konzerns
(Kali-Bergwerke), geschieden, engagierte sich ab 1930 in der NSDAP und lernte hier erst im November 1930 Goeb. kennen; die Hochzeit war im Dezember 1931, vgl. Wunderlich, S. 68-71, S. 76; der Wintershall-Konzern unterstützte ab 1931 Hitler und finanzierte 1931 die illegale geheime Bewaffnung der SA mit, vgl. Opitz, Reinhard: Faschismus und Neofaschismus, Köln 1988, Bd. 1, S. 286; Czichon, Eberhard: Wer verhalf Hitler zur Macht?, Köln 1967/1989, S. 19; Turner, Henry Ashby jr.: Die Großunternehmer und der Aufstieg Hitlers, Berlin 1985, S. 182.
(68) Der Vorfall hat sich im August 1938 zugetragen, die Liste soll 36 Frauen umfaßt und Magda soll ebenfalls während ihrer Ehe mit Goeb. andere Männer geliebt haben; Hitler stimmte einer Scheidung nicht zu, sondern verlangte erfolgreich, das Ehepaar Goebbels müsse aus politischer Rücksicht zusammen bleiben, vgl. Wunderlich, S. 154ff, S. 160f.
Das sechste Kind der Eheleute Goeb. wurde 1940 geboren.
(69) Im russischen Original steht "Schtenes, Schtrasser, Rem" und weiter durchgehend "Rem". Der frühere Freikorpskämpfer Otto Strasser trennte sich mit einer Gruppe von Kritikern des Liberalkapitalismus 1930 von der NSDAP, emigrierte und gründete 1956 die rechtsextreme Splitterpartei "Deutsch-Soziale Union". Sein Bruder Gregor Strasser hatte sich als Reichsorganisationsleiter durch organisatorische Parteireformen zum zweitmächtigsten Mann der NSDAP gemacht und hatte Ende 1932 versucht, durch seinen Rücktritt von allen Ämtern gegen Hitler zu putschen, was mißlang; er wurde wie Röhm anläßlich des sog. "Röhm-Putsches" 1934 von SS-Leuten ermordet. 1930 revoltierte der mit Otto Strasser sympathisierende Polizeihauptmann a.D. Walter Stennes, ein ehemaliger Freikorpsführer, dem die gesamte SA östlich der Elbe unterstand und der als "Oberster SA-Führer Stellvertreter Ost" in Berlin residierte, gegen Hitler und die Münchner Parteizentrale, konnte sich jedoch nicht durchsetzen; daraufhin übernahm Hitler selbst die SA-Führung und rief Ernst Röhm aus Bolivien zurück, dem er die faktische Leitung der SA übertrug; Stennes versuchte im Frühjahr 1931 ein weiteres Mal, diesmal in der falschen Hoffnung auf Unterstützung durch den schwankenden Goeb., eine Revolte gegen Röhms SA-Führung und gegen Hitler, der ihn daraufhin als SA-Führer von Berlin absetzte und aus der Partei ausschloß; nach KZ-Haft emigrierte Stennes und wurde Kommandeur der persönlichen Leibwache Tschiang Kai-scheks. Vgl. Stöss, Richard: Parteien-Handbuch, Opladen 1986, Bd. 2, S. 1251; Fest, S. 204, S. 395f, S. 416; Pätzold, Kurt und Manfred Weißbecke: Geschichte der NSDAP 1920-1945, Köln 1981, S. 123; Maser, S. 117; Reimann, S. 144ff; Snyder, p. 333.
(70) Goeb. rechtfertigte in der Rundfunkansprache vom 1. Juli 1934 nicht "sich", sondern die noch andauernden Morde von SS, Polizei und Reichswehr an insgesamt ca. 200 Personen - davon ca. 50 höhere SA-Führer - anläßlich des sog. "Röhm-Putsches", der als Enthauptungsschlag gegen die Kritiker des Liberalkapitalismus in der NSDAP und gegen mit dem neuen Regime grundsätzlich sympathisierende "Konservative Revolutionäre" schon seit Anfang 1934 geplant worden war, als die Arbeitslosenzahlen wieder drastisch angestiegen waren, die SA mit mehr als drei Millionen überwiegend arbeitslosen Mitgliedern sich teilweise gesellschaftspolitisch radikalisiert hatte, eine "Zweite Revolution" forderte und im großen Stil versuchte, sich zu bewaffnen. Goeb. erhob in der Rundfunkrede den Vorwurf der "ekelerregenden sexuellen Abnormität" gegen Röhm und andere nur unter anderen Vorwürfen, z.B. dem des Hochverrats. Er wurde auch nicht gezwungen, gemeinsam mit Hitler an der Verhaftung Röhms am Morgen des 30. Juni 1934 teilzunehmen, sondern stand schon längst in jedem Falle auf der Seite Hitlers. Vgl. Petter, Wolfgang: SA und SS als Instrumente nationalsozialistischer Herrschaft, in: Bracher, Karl Dietrich, Manfred Funke und Hans-Adolf Jacobsen (Hrsg.): Deutschland 1933-1945. Neue Studien zur nationalsozialistischen Herrschaft, Bonn 1993, S. 79-83; Pätzold/Weißbecker, S. 238-247; Fest, S.622, S. 633f.
Goeb. war wegen Röhms Homosexualität insgeheim schon früh dessen scharfer Gegner, wie er in seinen Tagebüchern vermerkte, vgl. Fröhlich, Elke (Hrsg.): Die Tagebücher von Josef Goebbels. Sämtliche Fragmente, Teil I, Bd. 2 (1931-1936), München 1987, S. 7, S. 27, S. 65, S. 83, S. 98, S. 253. Abweichend von Fröhlich bringt Reuth in seiner Ausgabe der Goeb.- Tagebücher einen angeblichen Eintrag (seine Quelle ist der Rechtsextreme David Irving ! ), in dem Goeb. explizit einen blutigen Schlag "gegen Röhm und seine Rebellen" vorab billigte, vgl. Reuth, Ralph Georg: Josef Goebbels Tagebücher 1924-1945, Bd. 2, München 1992, S. 843.
(71) Das Zitat ist offenbar frei erfunden. Goeb. war nicht im Urlaub, sondern am Abend des 9. November 1938 mit der Parteispitze im Alten Münchner Rathaus bei den Gedenkfeiern zum Hitler-Putsch, als ein Bote Hitler die Nachricht vom Tode des deutschen Diplomaten Ernst vom Rath überbrachte, der am 7. November bei einem Attentat von dem polnischen Juden Herszel Grynszpan, dessen Familie aus dem Deutschen Reich ausgewiesen worden war, angeschossen worden war. Nachdem Hitler Goeb. informiert und instruiert und die Versammlung ohne Rede verlassen hatte, hielt Goeb. die Gedenkrede zum Putsch 1923, in der er auf vom Raths Tod einging und mitteilte, der "Volkszorn" habe sich bereits gegen die Juden im Reich Bahn gebrochen, vgl. Reuth, S. 394ff.
(72) "Seriet" als Übersetzungsvorschlag der Übersetzerin. Im russischen Original steht in allen drei Auflagen "Serje". Der Name konnte nicht aufgeklärt werden; weder in den älteren oder jüngeren französischen Larousse- Enzyklopädien noch im "Französischen Biographischen Index" (2. kumulierte und erweiterte Ausgabe, München 1998, bearbeitet von Tommaso Nappo), der das umfangreiche "Französische Biographische Archiv" für mehrere Jahrhunderte erschließt, findet sich ein französischer Psychiater mit einem Namen, der in etwa dieser russischen Schreibweise entspräche.
(73) Im russischen Original steht "Tule". Die völkisch-okkultistische "Thule-Gesellschaft" war eine Quellorganisation der NSDAP.
(74) Nach Privatunterricht in Alexandria und dem Besuch eines Internats ab 1908 in Bad Godesberg wechselte Heß mit dem Zeugnis der "Mittleren Reife" zur École Supérieure de Commerce in Neufchâtel, begann dann in Hamburg eine kaufmännische Lehre, meldete sich ohne Abschluß 1914 als Kriegsfreiwilliger, erhielt das Eiserne Kreuz II Klasse, wurde Leutnant, machte nach mehreren erfolglosen Bewerbungen 1918 eine Ausbildung zum Kampfflieger und studierte ab Februar 1919 in München bei Karl Haushofer Volkswirtschaft (aufgrund einer Ausnahmeregelung der bayrischen
Regierung, nach der Kriegsteilnehmer mit "Mittlerer Reife" in Bayern auch ohne Abitur studieren durften), betätigte sich jedoch zunächst vor allem als Waffenbeschaffer und Rekruteur für die Freikorps, die z.T. von der "Thule- Gesellschaft" gegen die Münchner Räterepublik aufgestellt wurden, und kämpfte 1920 im Freikorps Epp, dem auch Röhm entstammte, gegen die Arbeiteraufstände im Ruhrgebiet, vgl. Schwarzwäller, Wulf: Rudolf Hess, Wien 1974.
(75) Im russischen Original steht "Lansberg"; Hitler, Heß u.a. saßen wegen des Putschversuchs von 1923 in der Festung Landsberg in Haft.
(76) Im russischen Original steht in kyrillischen Buchstaben "'Freilen Gess'".
(77) Der 26-jährige Heß lernte 1920 die 19-jährige Arzttochter Ilse Pröhl kennen; sie heirateten 1927; es war Heß' einzige Ehe, vgl. Schwarzwäller, S. 71; Zentner, Christian und Friedemann Bedürftig: Das große Lexikon des Dritten Reiches, München 1985, S. 250f.
(78) Im russischen Original steht durchgehend "Genrich". Himmler wurde am 7. 10. 1900 geboren, war bei Druck-legung der ersten Auflage von Kronfelds "Degenerierten"-Schrift am 1. 10. 1941 (vgl. Seite 16) also gerade noch vierzig Jahre alt; in die zweite Auflage vom Januar 1942 wurde diese Stelle unverändert übernommen.
(79) Kronfelds Darstellung zu Himmlers "Lebensweg" und "Aufstieg" ist falsch. Himmler beendete 1919 das Gymnasium in einer schulverkürzenden "Sonderklasse" für Weltkriegsveteranen mit dem Abitur (vgl. Smith, Bradley F.: Heinrich Himmler: A Nazi in the Making, 1900-1926, Stanford Calif. 1971, p. 66-67, p. 187 n 12) und begann im selben Jahr an der Technischen Hochschule und an der Universität München das Studium der Agrarwissenschaften, das er 1922 mit dem TH-Diplom abschloß (p. 77-78, p. 127). Er hatte sich noch als Schüler 1919 dem Freikorps Landshut und der Reserve des "Freikorps Oberland" (militärischer Arm der Thule-Gesellschaft) angeschlossen (Smith, p. 66; Opitz, S. 55ff) und engagierte sich während der Studienzeit sowohl in einer Schützenbrigade der Reichswehr als Wochenend-Soldat und in der Veteranenorganisation "Reichskriegsteilnehmerverband" (Smith, p. 78) als auch im Allgemeinen Studentenausschuß sowie vor allem in der schlagenden Verbindung (Burschenschaft) "Bund Apollo" (p. 78, p. 83, p. 111). 1921 trat er einer paramilitärischen "Einwohnerwehr" bei (p. 105), 1922 der paramiliärischen "Schützengemeinschaft Freiweg", einer Tarnorganisa-tion für die verbotenen Freikorps (p. 125), 1922 auch der von Ernst Röhm geleiteten paramilitärischen Organisation "Reichsflagge" (p. 131) und folgte 1923 Röhm in dessen Abspaltung "Reichskriegsflagge" sowie in die NSDAP (p. 134), nachdem er bereits kurz vor dem Diplom-Abschluß an einer Demonstration gegen die Beschuldigung Deutschlands als Verursacher des Ersten Weltkriegs teilgenommen hatte (p. 126). 1923 Teilnahme am Hitler-Putsch beim Versuch der "Rechskriegsflagge", das bayrische Kriegsministerium zu stürmen; ab 1924 Sekretär Gregor Strassers; 1925 SS-Chef und stellvertretender Gauleiter im Gau Niederbayern; 1926 zusätzlich stellvertretender Gauleiter in Oberbayern; 1925-1930 Propagandaleiter der NSDAP; 1929 SS-Führer (300 Mitglieder, Himmler baute die SS als Teil der SA bis 1933 auf 50 000 Mitglieder aus); 1933 Polizeipräsident von München; 1934 Chef der Gestapo; 1936 Titel "Reichsführer-SS"; 1944 oberster Führer des "Volkssturms" (vgl. Snyder, p. 146-147). Himmler war also in der rechtsextremen Szene Münchens zumindest seit 1920 fest verankert.
(80) Im russischen Original steht "Daljuge"; gemeint ist der Oberste Chef der vordergründig unpolitischen "Ordnungspolizei" in Preußen und im Reich, der als SS-General in der Hierarchie direkt nach Himmler rangierende Kurt Daluege. Heydrich führte den anderen, unmittelbar politisch ausgerichteten Teil der Polizei, die "Sicherheitspolizei".
Daluege war maßgeblich an der Vertuschung des Hanussen-Mordes beteiligt, vgl. Kugel, S. 254.
(81) Die Darstellung Kronfelds ist falsch. Der ab ca. 1930 der NSDAP nahestehende, antisemitische Reichswehrgeneral Werner von Blomberg (ab 1936 Generalfeldmarschall) war vom ersten Kabinett Hitler an (30. 1. 1933) Reichswehrminister, dann Kriegsminister und Oberbefehlshaber der Wehrmacht. Generaloberst Werner Freiherr von Frisch war ab 1934 Chef der Heeresleitung. Im Februar 1938 unterwarf Hitler anläßlich der von Göring eingefädelten "Blomberg-Fritsch-Affäre" die gesamte Wehrmacht seinem eigenen persönlichen Kommando: Blomberg wurde entlassen, nachdem eine Polizeiakte über das Prostituierten-Vorleben seiner gerade erst geehelichten Frau bekannt geworden war, und Hitler übernahm Blombergs Funktionen selbst mit. Fritsch, der Blombergs Nachfolger hätte werden können, wurde ebenfalls entlassen, nachdem Göring und Himmler gegen ihn mit einer gefälschten Polizeiakte aufgrund einer Namensgleichheit den Vorwurf der Homosexualität und Erpreßbarkeit erhoben hatten; er wurde niemals Kriegsminister, bekam jedoch auch nach seiner Rehabilitierung, die das Ergebnis einer kriegsgerichtlichen Untersuchung der Homosexualitätsvorwürfe war, den alten Posten nicht mehr zurück. Statt dessen strukturierte Hitler die Wehrmacht unter seiner Führung um und richtete ein Oberkommando der Wehrmacht unter Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel ein. Vgl. die Beiträge zu den Personen in Ueberschär, Gerd R. (Hrsg.): Hitlers militärische Elite, Darmstadt 1998. Der ehrgeizige Göring, der unter den alten Verhältnissen anstelle des desavouierten Fritsch der Nachfolger Blombergs als Kriegsminister hätte werden müssen, wurde dies jedoch ebenfalls nicht, sondern blieb Luftwaffenchef und wurde zum Trost zum Feldmarschall befördert. Himmlers "SS-Verfügungstruppe" wurde von Hitler 1938 als selbständige dritte bewaffnete Kraft neben Wehrmacht und Polizei
bestimmt, quasi als Privatmiliz, und wurde ab 1940 allgemein Waffen-SS genannt; sie kämpfte nach Kriegsbeginn innerhalb der Aufgaben des Heeres unabhängig von der Wehrmacht. (Nach dem Offiziers-Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1944 mußte die Wehrmacht zahlreiche Befugnisse an Waffen-SS und SS abgeben und Himmler wurde "Oberbefehlshaber des Ersatzheeres" mit der Aufgabe, die Verschwörer im Offizierskorps der Wehrmacht zu verfolgen; das freilich konnte Kronfeld 1941 nicht wissen.)
(82) Kronfelds Darstellung der 1935 zum Zwecke züchterischer Rassenpolitik gegründeten SS-Organisation "Lebensborn e.V." ist weit übertrieben, die Zahlen sind frei erfunden. "Lebensborn" diente der finanziellen Unterstützung "rassisch und erbbiologisch wertvolle(r), kinderreiche(r) Familien" (Satzungszweck) - relativ geringe Zahlungen wurden ab 1937 gewährt - (vgl. Lilienthal, Georg: Der "Lebensborn e.V." Ein Instrument nationalsozialistischer Rassenpolitik, Stuttgart 1985, S. 38f), dann auch der Versorgung als "rassisch wertvoll" eingestufter lediger Schwangerer, für die ab 1936 bis 1944 innerhalb der Grenzen des "Großdeutschen Reiches" (inklusive Annexionsgebiete) zwölf Entbindungsheime - auch mit der Möglichkeit der anonymen Entbindung - geschaffen wurden (S. 45, S. 256f), sowie der Vermittlung von Pflege- und Adoptivkindern in mustergültige Nazi-Familien (S. 39). Nach der Besetzung Norwegens betreute sie in den neun dortigen Entbindungs- und Kinderheimen auch die von Wehrmachtssoldaten geschwängerten Norwegerinnen und deren Kinder, im wesentlichen erst ab 1942 (S. 177f). Die Organisation war ein Fehlschlag, die Zahlen waren insgesamt gering: 1600 finanziell unterstützte kinderreiche SS-Familien, weniger als 8000 Geburten in den Heimen während der neun Jahre der Existenz des "Lebensborn" (S. 242ff).
Durch die Nazi-Propaganda zur rassereinen Geburtensteigerung, ab Kriegsbeginn auch durch die Propaganda für außereheliche Zeugung und Nebenehe der Soldaten, die jedoch weder der Lebenspraxis in der Bevölkerung noch im "Lebensborn" entsprach, durch Himmlers Propagandareden und -aufsätze, nach denen "Lebensborn" jährlich 100 000 Abtreibungen verhindern sollte (Lilienthal S. 43), und durch die Geheimnistuerei infolge der Möglichkeit für ledige Schwangere, Schwangerschaft und Geburt vor der Familie zu verheimlichen und das Kind gegebenenfalls der SS überlassen zu können, kam es in der Bevölkerung zur Gerüchtebildung über die Organisation, jedoch vor allem erst im Verlauf der 40er Jahre und nach Kriegsende. Künstliche Befruchtungen mit Fremdsperma innerhalb einer unfruchtbaren Ehe im Rahmen der staatlich geförderten Sterilitätsbehandlung zur Erhöhung der kriegsbedingt gesunkenen Geburten-zahlen oder gar die Vermittlung und Bereitstellung von SS-Männern zur Begattung williger lediger Frauen in den "Lebensborn"-Heimen, wie sie in der Phantasie der Legendenbildner - und offenbar auch Kronfelds - spuk(t)en, kamen - wenn überhaupt - nur im Einzelfall und gegen den erklärten Willen der "Lebensborn"-Führung vor (Lilienthal, S. 147-165, S. 163). Lilienthal schreibt: "Himmler und die Lebensborn-Führung hüteten sich, mit der Zeugung eines Kindes unmittelbar in Verbindung gebracht zu werden" (S. 150). "Paarungsfeiern" im Mai oder ähnliches, wie von Kronfeld dargestellt, hat es nicht gegeben.
(83) Es handelt sich offenbar um eine "Ferndiagnose" Kronfelds. Nirgends sonst wird von einer Schizophrenie-Erkrankung Himmlers berichtet.
(84) Im russischen Original steht "Kwetlinburg".
(85) Im russischen Original steht durchgehend: "Jurij Schtreicher". Julius Streicher, Leutnant a.D., Eisernes Kreuz I. Klasse und weitere Kriegsauszeichnungen, Volksschullehrer, 1922 NSDAP, Herausgeber der von ihm 1923 gegründeten, dann meist verbreiteten und aggressivsten deutschen antisemitischen Zeitschrift "Der Stürmer", Mitorganisation des Hitler-Putsches 1923, ein Monat Festungshaft in Landsberg, ab 1924 Mitglied des Bayrischen Landtags, 1925 Gauleiter des NSDAP-Gaues Franken (Titel "Frankenführer"), 1926 drei Monate Haft wegen fortdauernder Beleidigungsdelikte gegen den Nürnberger Oberbürgermeister, 1934 SS-Gruppenführer, 1939/40 wegen persönlicher Bereicherung bei "Arisierungen" und nach parteiinternen Denunziationen mit Hilfe verdeckt gemachter sexueller Fotos von Streicher und einer Prostituierten durch Hitler auf Druck Görings in der Partei faktisch entmachtet, jedoch weiterhin "Stürmer"-Herausgeber, 1946 in Nürnberg als Kriegsverbrecher hingerichtet, vgl. Anm. 88.
(86) Im russischen Original steht in kyrillischen Buchstaben "Gaulaiter".
(87) Im russischen Original steht in kyrillischen Buchstaben: "Westdeittscher Beobachter". Der promovierte Lebensmittelchemiker Ley, der bei seinen DAF-Propagandareden vor den Betriebsversammlungen von Großkonzernen oftmals unvermittelt emotionale Ausbrüche, Stottern und Stammeln zeigte, hatte im Volk den Spitznamen "Reichstrunkenbold". Smelser führt in der einzigen bisher vorliegenden Ley-Biographie diese unkontrollierten Ausbrüche jedoch primär auf Leys schwere Gehirnverletzung bei seinem Absturz als Kampfflieger im Ersten Weltkrieg 1917 und auf eine weitere Kopfverletzung bei einem Autounfall 1930 zurück, deren Auswirkungen durch Leys extremen Alkoholkonsum verschlimmert worden seien, vgl. Smelser, Ronald: Robert Ley. Hitler's Labor Front Leader, Oxford 1988, p. 16-17, p. 30-31, p. 309. Ley war 1925-1931 Gauleiter des NSDAP-Gaus Rheinland (Köln-Aachen, Koblenz-Trier) und wiederbelebte die Zeitung "Westdeutscher Beobachter" als wichtiges Parteiorgan, dessen Verleger er persönlich ab 1928 war. 1931 Reichsorganisations-Inspekteur für West- und Süddeutschland und Österreich; zahlreiche Korruptions- und Finanzaffären mit NSDAP-Geldern schon vor 1933; beinahe-Bankrott seines Zeitungsverlages 1931; drei Monate Haft wegen tätlichen Angriffs auf den SPD-Vorsitzenden Otto Wels und den Kölner Polizeipräsidenten 1931 (Smelser, p. 86, p. 93); 1932 Reichsorganisationsleiter der NSDAP, ab 1933 Leiter der Deutschen Arbeitsfront (DAF), der den Alltag der NS-loyalen Massen am meisten umfassenden NS-Organisation; wiederholt Korruptionsaffären mit DAF-Geldern, vgl. Smelser, p. 108 e.s., p. 166-167)."Schießwütigkeit" und "eigenhändig ausgeführte Ermordungen" sind offenbar von Kronfeld frei erfunden; Smelser erwähnt derartiges in seiner sehr detaillierten Biographie nicht, wohl aber wiederholte Pöbeleien und Schlägereien, wenn Ley vor 1933 mit SA-Trupps als Wirtshausagitator in Köln unterwegs war.
(88) In den Biographien Streichers wird sein "sexual appetite" (Snyder) und seine "sexual rhetoric that would become his trademark" sowie "continual sexual affairs" (Bytwerk, p. 13, p. 34, p. 41) bzw. werden seine "sexuellen Ausschweifungen" (Zentner/Bedürftig) ebenso hervorgehoben wie seine Brutalität und sein Sadismus, der ihn nach 1933 persönlich Gefangene mißhandeln ließ. Er soll während seiner Lehrertätigkeit in Reitstiefeln und mit Reitpeitsche unterrichtet, wütend geschrien und getobt und Schülerinnen an den Haaren gezogen haben. Andererseits waren seine fachlichen Beurteilungen als Lehrer durch die Schulbehörde gut; seine Schulakte enthält keine Hinweise auf damals außergewöhnliche tätliche oder gar sexuelle Übergriffe auf seine Schüler. Kleinbürgerliches Privatleben, verheiratet, zwei Söhne. 1923 wegen Teilnahme am Hitler-Putsch vorläufig vom Dienst suspendiert, 1928 bei Wahrung seiner Pensionsansprüche politisch motiviert vorzeitig endgültig entlassen. Vgl. Snyder, p. 336-337; Zentner/Bedürftig, S. 266; Bytwerk, Randall L.: Julius Streicher, New York 1983; Froschauer, Hermann und Renate Geyer: Quellen des Hasses - Aus dem Archiv des "Stürmer" 1933-1945, Nürnberg 1988; Pöggeler, Franz: Der Lehrer Julius Streicher. Zur Personalgeschichte des Nationalsozialismus, Frankfurt a.M. 1991.
(89) Das ist offenbar frei erfunden. Keine der Streicher-Biographien erwähnt eine psychiatrische Behandlung oder Unterbringung oder eine Alkoholerkrankung Streichers. Auch "sexuelle Verbrechen" oder sexuelle Neigungen, die zu Kronfelds Zeiten als "widernatürlich" angesehen worden wären, werden nirgends erwähnt.
Im russischen Original steht "Wjurzbuger" (1941) bzw. "Wjurzburger" (1942). Um wen es sich handeln soll, konnte nicht geklärt werden.
(90) Aufgrund des biologischen Rassismus kreiste Streichers antisemitische Hetze besonders um die Themen rassenreine Fortpflanzung und Verführung "arischer" Mädchen durch die angeblich sexuell überaktiven männlichen Juden ("Rassenschande"). "Der Stürmer" verbreitete die Warnungen vor den angeblich immerzu und mit jeder List nach deutschen Jungmädeln gierenden Juden (und Afrikanern) sowohl in ausführlichen Berichten über angebliche skandalöse Vorgänge oder gar Vergewaltigungen (z.B. in den Praxen jüdischer Ärzte) als auch in scheinbar humoristischen oder auch vermeintlich kindgerechten Geschichten, in Witz-Zeichnungen und Comics, die sich der drastischen Darstellungen und der zotigen Sprache bedienten, die Streicher auch auf Massenversammlungen in seinen Hetzreden gegen die Juden benutzte. Einerseits brachte ihm dies im Volk den Spitznamen "Reichspornograph" ein, andererseits war "Der Stürmer" gerade deshalb so populär (Bytwerk, p. 49). Fest charakterisiert Streicher als "Wortführer eines pornographischen Lumpenantisemitismus", der "besessen schien von wüsten Phantasien über Ritualmorde, Judenbrunst, Weltverschwörung, Blutschande und jener allesbeherrschenden Zwangsvorstellung von schwarzbehaarten geilen Teufeln, keuchend über unschuldigem, arischem Frauenfleisch" (S. 200). Auf ähnlichem Niveau war auch Leys "Westdeutscher Beobachter", vgl. Smelser, p. 56-63.
(91) Im russischen Original steht "Schtjurmer".
(92) Eine solche medizinische Zeitschrift Streichers wird in keiner Streicher-Biographie erwähnt. Auch die von Kronfeld angegebenen Namen dieser Zeitschrift wurden nicht gefunden.
(93) Joachim von Ribbentrop, seit 1920 mit Anneliese Henkell, der Tochter des Sektfabrikanten, verheiratet, 1932 NSDAP, 1933 "Dienststelle Ribbentrop" beim Reichskanzler Hitler als Konkurrenz zum Auswärtigen Amt, 1936 Botschafter in Großbritannien, im Rahmen der "Blomberg-Fritsch-Krise" 1938 zum Reichsaußenminister berufen, 1946 in Nürnberg als Kriegsverbrecher hingerichtet. Vgl. Wunderlich, S. 148; Snyder, p. 295-296.
(94) Im russischen Original steht "Genkel".
(95) Bei den Reichstagswahlen am 31. Juli 1932 wurde die NSDAP mit 230 Abgeordneten größte Reichstagsfraktion - ein Erdrutschsieg -, bei den Reichstagswahlen am 6. November 1932 errang sie nur noch 196 Abgeordnete, blieb aber größte Fraktion. Von einer drohenden "Zerschlagung" der Partei konnte keine Rede sein.


Peter Kratz:
Eine historisch-kritische Einordnung des Kronfeld-Textes "Degenerierte an der Macht"

Von den mehr als 260 gedruckten Publikationen Kronfelds lassen sich die rein politischen Texte an einer Hand abzählen; der "Degenerierten"-Text ist seine einzige auf russisch erschienene politische Schrift. Sie kam in einer durchaus üblichen Auflagenhöhe heraus, als deutsche Luftwaffenflieger Hunderte Millionen von Propagandaflugblättern, die 'Befreiung vom russischen Joch' versprachen, über den Kampflinien der Roten Armee abwarfen, als Teile der vor 1939 polnischen, litauischen, lettischen und estnischen Bevölkerung der Sowjetunion sowie die noch existierenden antisozialistischen Kräfte tatsächlich glaubten, die sie zu versklaven beabsichtigende deutsche Wehrmacht als Befreier begrüßen zu können, und als es galt, angesichts der mittlerweile vor Moskau stehenden Deutschen, die durch ihre siegreichen Blitzkriege und die nunmehr fast vollendete Beherrschung ganz Europas ihre Überlegenheit als Führer der Welt in technischer und geistig-moralischer Hinsicht zu beweisen schienen, die Bevölkerung des russischen Kernlandes mit allen Mitteln zu jeder Verteidigungsanstrengung zu motivieren.

Offensichtlich spielt der Text auf der Klaviatur der Volksseele, mobilisiert Vorurteile und ungebildete Stumpfheit, die zu überwinden der Sozialismus sich als kulturpolitisches Ziel der Gesellschaftsentwicklung doch gerade auf die Fahnen geschrieben hatte. Was Kronfeld betrifft, erstaunt dies nicht generell, vielleicht jedoch im Detail. Der antiaufklärerischen, an Jacob Friedrich Fries ausgerichteten und von seinem Wiederentdecker Leonard Nelson - dem ideologischen Lehrer, ja Guru Kronfelds - geführten kleinsten neukantianischen Richtung fühlte sich Kronfeld zeitlebens zugehörig, auch wenn er den Antistalinisten Nelson in seiner Moskauer Zeit nicht mehr zitieren konnte. Diese sich als objektive Philosophie und Wissenschaftstheorie ausgebende Weltanschauung einer Quasi-Sekte propagierte die Idee Fries', nach der sowohl die wissenschaftlichen als auch die ethischen Wahrheiten in der Volksseele zu suchen und zu finden seien. Und so argumentiert der Autor der "Degenerierten"-Schrift hier konsequenterweise gar nicht erst, er entlarvt nicht die Nazi-Propaganda als hohl und die Nazi-Ideologie als menschenverachtend, ihre Praxis notwendigerweise als - 1941 bereits empirisch erwiesen, wenn auch noch nicht in vollem Ausmaß - verbrecherisch, sondern er dreht sie lediglich um, wendet die Nazi-Argumente, die er gar nicht in Frage stellt, gegen die Nazi-Führer. Schon Anfang der 30er Jahre hatten die Nelson-Anhänger in ihrer Agitation gegen die Nazis darauf bestanden, daß die NSDAP die falschen Führer habe, sie selbst aber, die durch die Denk- und Verhaltens-Schule ihres autoritären Gurus Nelson gegangen waren, die richtigen Führer der Deutschen seien; allerdings hatte sich Kronfeld damals mit konkreten Äußerungen durchaus zurückgehalten, für sich die Aura des unabhängigen Wissenschaftlers gewählt und nach außen hin weitgehend erfolgreich gepflegt, wohl auch im Bewußtsein, daß die obersten 'Halbgötter in Weiß' ohnehin die Psychiater seien.

Als Nazi-Deutschland die Sowjetunion nach einem in Heimtücke abgeschlossenen Nichtangriffsvertrag überfiel und militärisch überrollte, gab Kronfeld diese Zurückhaltung auf. Hatten die Presseorgane der UdSSR in den fast zwei Jahren des Nichtangriffsvertrages zwischen Deutschland und der UdSSR vom August 1939 und des deutsch-sowjetischen Grenz- und Freundschaftsvertrages vom September 1939 Nazi-Deutschland auffällig geschont, so konnte jetzt vom Leder gezogen werden - und es gab jeden Grund dazu. In Moskau wußte man im Sommer und Frühherbst 1941 sehr wohl, was hinter den deutschen Linien stattfand: Die als Juden identifizierten Menschen wurden sogleich in Ghettos zusammengetrieben, was im deutsch besetzten Teil Polens bereits fast zwei Jahre vorher stattgefunden hatte; Massaker an der sowjetischen Bevölkerung fanden sogleich in einem erheblichen Umfang statt, sowohl an jüdischen Zivilisten - im 'befreiten' Litauen und Lettland und der 'befreiten' Nordukraine ebenso wie in den weißrussischen und südukrainischen Siedlungsschwerpunkten jüdischer Sowjetbürger - als auch an gefangen genommenen Rotarmisten, die zum Teil sofort ermordet wurden, zum größeren Teil in Lagern der deutschen Wehrmacht verhungerten, erfroren oder an Seuchen starben (von den bis zum Spätherbst 1941 ca. drei Millionen kriegsgefangenen sowjetischen Soldaten waren schon vor dem Frühjahr 1942 etwa zwei Millionen tot); selbst der Großteil derjenigen Sowjetbürger, die die Deutschen anfänglich begrüßt hatten, waren nach den ersten Wochen der Ausplünderung und Brandschatzung ihrer Dörfer durch die Wehrmacht und der kaltblütigen Ermordung derer, die sich den Deutschen, Verständnis erbittend, entgegenstellten, belehrt; und es gab vor allem die Berichte der Massenmedien über die Zerstörungen durch die Kampfhandlungen aus der Luft und am Boden. Die sehr gut organisierten kommunistischen Kader, die sich von der Wehrmacht hatten überrollen lassen und bald schon mit Partisanenaktionen begannen, hielten den Informationsfluß durch die Frontlinien immer aufrecht. Mit Sicherheit ist anzunehmen, daß Kronfeld, obwohl er schon Jahre vorher die deutsche Staatsbürgerschaft zugunsten der sowjetischen aufgegeben hatte, sich über alles, was die Deutschen betraf, informierte, so gut er es nur irgendwie vermochte.

Wie anders hätte er angesichts der Berichte vom beginnenden Massenmord die Täter bezeichnen sollen denn als Bestien und "Menschenfresser"? Wen überhaupt könnte man "Menschenfresser" nennen, wenn nicht diese Nazi-Bestien? Und doch zeigt die Metapher eher Kronfelds Unverständnis und Hilflosigkeit angesichts der Berichte über die Taten der Deutschen, denn sie kann nicht annähernd die Totalität und Organisiertheit des deutschen Terrors beschreiben. Und ebenfalls zeigt diese Bezeichnung die politischen und ethischen Probleme auf, die Kronfelds Schmähungen bereiten: die beabsichtigte Assoziation stellt sich nur ein, wenn man die Erzählungen der Kolonialisten von den Kannibalen akzeptiert, die erfunden wurden, um den Gebildeten in Mitteleuropa die imperialistische Eroberung ferner Länder als angebliche kulturelle Wohltat für die unterworfenen 'Wilden' akzeptabel zu machen. Die Rassisten hatten die Menschen der Kolonien, die sich gegen die Kolonialisten wehrten, den daheim gebliebenen Eroberern, die sich als Herren der Welt fühlten, zuerst als "Menschenfresser" präsentiert, und nun präsentierte Kronfeld den in der Gefahr der Versklavung stehenden Menschen Osteuropas die selbst ernannten Herrenmenschen metaphorisch als "Menschenfresser". Er bediente sich der Abwertung der 'Eingeborenen' zu seinem Zweck der Abwertung der Nazi-Führer.

Kronfelds wissenschaftliche Arbeiten basieren überwiegend auf dem Ressentiment gegen Menschen, deren körperliche Ausstattung, psychisches Erleben und Verhalten normabweichend sind. Zeitlebens gab es für ihn "minderwertige" und "höherwertige" Menschen, wobei das Referenzkriterium für den 'Wert' - wertvoll für was und für wen? - immer im Dunkeln blieb. Den Vorwurf der "Degeneration" und der "Minderwertigkeit" - als scheinbar wissenschaftlich objektive Diagnose, als empirische Tatsache verpackt - schleuderte er in seinen Publikationen aus der ersten Hälfte der Zwanziger Jahre, als er an Magnus Hirschfelds Berliner Institut für Sexualwissenschaft arbeitete, inflationär gegen die, die er für psychiatrische Fälle hielt, und das waren insbesondere sexuell normabweichend sich verhaltende Menschen. Auch hier folgte er keinem objektivierbaren Kriterium, allenfalls leitete ihn ein Alltagsverständnis vom Menschen, 'der gesunde Menschenverstand' oder - mit Fries, Nelson und der gesamten deutschen Rechten des frühen 20. Jahrhunderts - 'das gesunde Volksempfinden'. Dieses vor dem Hintergrund der jeweiligen Gesellschaftszustände kritisch zu hinterfragen, kam ihm nie in den Sinn, für ihn war das Alltagsverständnis eine Konstante, eine überdauernde Wahrheit im Sinne von Fries und Nelson. So galt ihm zum Beispiel der erfolgreiche homosexuelle Künstler als "wertvoll", als geglückter Fall gesellschaftlicher Integration abweichender sexueller Orientierung, die vergeistigt worden sei, der weniger erfolgreiche dagegen als Opfer seiner "minderwertigen" körperlichen Ausstattung, die ursächlich für die Homosexualität sei (z.B. in seinem Buch "Sexualpsychopathologie", S. 56; S. 66). Die diagnostischen Zuordnungen scheinen eher seiner jeweiligen Sympathie gefolgt zu sein, und so wundert es nicht, daß er 1941 den einen Morphinisten (Göring) als degeneriert abwertete, den anderen Morphinisten (Heinrich Heine, dessen Drogenabhängigkeit aufgrund seiner Syphiliserkrankung Kronfeld geflissentlich verschwieg, obwohl ansonsten die Syphiliskranken doch zu den Hauptfeinden der Rassenhygieniker an Hirschfelds Institut für Sexualwissenschaft gehörten - aber dann hätte Heine ja nicht als Goebbels' Widerpart dienen können!) auf den Gipfel der Kulturentwicklung stellte.

Kronfeld angeblich im Moskauer Exil


(Das Bild entnahmen wir der Broschüre der Bibliothek der Universität Konstanz,
"Arthur Kronfeld 1886 - 1941. Ein Pionier der Psychologie, Sexualwissenschaft und Psychotherapie" von 1988,
die wohl auf Material Ingo-Wolf Kittels beruht.)

Die beim naiven Lesen zuerst und am meisten verstörende Methode Kronfelds, das Handeln des Politikers von seiner körperlichen Erscheinung her zu erklären, war von Anfang an sein psychiatrischer Ansatz, nach dem er alle Menschen beurteilte. Den eher philosophisch als materiell-empirisch gefüllten Begriff der "Konstitution", der gesamten, vor allem genetisch bestimmten körperlichen Ausstattung des Individuums, die sein gesamtes Erleben und Verhalten, seine Lebensmöglichkeiten und gesellschaftlichen Chancen grundlegend bestimmen soll, übernahm er von Ernst Kretschmer, dessen Ideen er sehr erfolgreich im Institut für Sexualwissenschaft plazierte und propagierte. Die Diagnosepraxis war meist - nicht nur bei Kronfeld - den prinzipiell unerfüllbaren Intentionen Kretschmers entgegengesetzt, denn meist stand das psychiatrische Urteil bereits fest, als begonnen wurde, zu seiner Absicherung gegenüber der wissenschaftlichen Gemeinschaft (und den zahlenden Krankenkassen) nach den passenden körperlichen Konstitutionsmerkmalen zu suchen.

In der "Degenerierten"-Schrift ging Kronfeld noch einen Schritt weiter: Hier kommt nicht mehr Kretschmers Sophisterei sondern nur noch das plumpe Alltagsverständnis zur Anwendung, das sich schon im verbreiteten Gerede vom 'typischen Verbrechergesicht' findet. Wer so aussieht, muß ein schlechter Mensch sein! Kronfeld scheint es gar nicht mehr für nötig befunden zu haben, argumentativ einen rationalen Zusammenhang zwischen "krummen Beinen" oder "fliehender Stirn" der Nazi-Führer und den Nazi-Verbrechen herstellen zu müssen, also zwischen körperlicher Ausstattung und Handeln des Individuums, wie es jedenfalls die Kretschmersche Lehre und die extrem homophone Adlersche Psychoanalyse, der sich Kronfeld in der zweiten Hälfte der Zwanziger Jahre zugesellte und mit der er Kretschmers "Konstitutions"-Begriff zu verbinden trachtete, theoretisch verlangen. (Diese Verbindung tatsächlich herzustellen, vermochten Kretschmer oder Adler selbstverständlich nicht, erst recht nicht auf dem Niveau eines Naturgesetzes, das der Wissenschaftler Kronfeld immer hinter den Bedingungen einer Erkrankung suchte: Krankheit als Gesetz, als kausaler Zusammenhang empirisch gegebener Sachverhalte, wie er es in seiner Habilitationsschrift "Die Psychologie in der Psychiatrie" 1927 darlegte.)

Kronfeld hat immer mit dem Begriff der "Degeneration" hantiert, den er - Schüler Ernst Haeckels, der er war - rein biologisch verstand. In seiner Habilitationsschrift schaffte er es, den Begriff auf einer einzigen Seite gleichzeitig grundsätzlich zu kritisieren und ebenso grundsätzlich zu verteidigen, eine von ihm immer wieder in seinen wissenschaftlichen Publikationen geübte Praxis, bei strittigen Fragen auf jeden Fall eine klare Festlegung zu vermeiden. Der Degenerationsbegriff verliere in der Psychiatrie "die deskriptive Schärfe", monierte er hier, er drücke nur noch eine "begrifflich unklare Beziehung zur Erblichkeit und zu anthropologischen Kriterien" aus und sei nur noch eine "recht willkürliche pseudobiologische Wertbezeichnung". Kronfeld wollte jedoch keineswegs so verstanden werden, daß damit der Degenerationsbegriff "in seiner ungeheuren heuristischen Bedeutung für die psychiatrische Konstitutionsbiologie etwa abgetan" sei (S. 19), denn für ihn war die Konstitutionsbiologie "der empirische Unterbau der charakterologischen Psychologie"; hier läge "die nächste Zukunft der klinisch-psychiatrischen Forschung" (S. 89).

Unter "heuristisch" verstand er wohl 1941 immer noch die oben beschriebene verkehrt herum betriebene Diagnosepraxis, die er nun gegen die Nazi-Größen anwandte: Das Werturteil über die Person, das aus ihrem verabscheuungs- würdigen Verhalten herrührt, wird nicht mit einer dem gesellschaftlichen Diskurs unterliegenden Ethik begründet, sondern soll mit Betrachtungen über die biologische Ausstattung der Person aus der Diskussion genommen werden und als Naturgesetz erscheinen. Diese plumpe Methode, die zum Kern des Sozialdarwinismus gehört, hatten die Neufriesianer um Nelson lediglich mit Fries' Volksseelen-Mystik ummantelt; Kronfeld entkleidete sie hier bis auf ihr Gerüst: das Ressentiment als Wissenschaftsstrategie.

In der Tradition der Rassenhygienik / Eugenik
des "Instituts für Sexualwissenschaft"

Seine zentralen Bezugspunkte in der "Degenerierten"-Schrift waren auch Hauptpunkte der Rassenhygiene / Eugenik der ersten beiden Jahrzehnte des Zwanzigsten Jahrhunderts und selbstverständlich auch der Rassenhygieniker / Eugeniker am Institut für Sexualwissenschaft, einschließlich Magnus Hirschfeld selbst: normabweichendes Sexualverhalten (vor allem Homosexualität, wenigstens aber effeminiertes Verhalten, wenn, wie im Falle Goebbels', nichts Homosexuelles anzudichten war, oder Verwicklung ins Prostituiertenmilieu wie bei Blomberg und Streicher) und Alkoholismus / Drogensucht (wenigstens aber Dealertätigkeit, wie beim "Sekthändler" Ribbentrop). Homosexualität und Alkoholismus galten als herausragende Kennzeichen der "Degeneration" innerhalb der nicht hospitalisierten, also sich frei und unkontrolliert vermehrenden Population und gewannen daher die besondere Aufmerksamkeit der selbsternannten Volksgesundheits-Schützer: der vermeintlichen Degenerationsgefahren begegneten sie mit Plänen für Fortpflanzungs-Ge- und -Verbote, die in der Sexual- und Eheberatung am Hirschfeld-Institut bereits angewandt wurden. Für die meisten am Institut für Sexualwissenschaft Tätigen gingen die Lebensmilieus der Homosexuellen, Prostituierten und Alkohol- bzw. Drogenbenutzer weitgehend in eins, wie in ihren 'kulturwissenschaftlichen' Betrachtungen über ihre Klienten immer wieder deutlich wird. Dem einzigen der von Kronfeld aufgeführten Nazi-Größen, dessen brutale Verbrechen mit einem spießbürgerlichen, für Kronfeld "normalen" privaten Lebenswandel einher gingen (Himmler), mußte er mangels dieses Milieus zur Verhaltenserklärung eine Schizophrenieerkrankung andichten.

Kronfelds Buch "Sexualpsychopathologie" von 1923, in dem er seine bis dahin vierjährige Arbeit als angestellter Nervenarzt am Institut für Sexualwissenschaft theoretisch zu bewältigen versuchte, zeigt Wege zum Verständnis der 1941er "Degenerierten"-Schrift auf. Für ihn fallen psychische Erkrankung und abweichende Sexualität grundsätzlich zusammen, treten angeblich empirisch auch meist zusammen auf. Er geht von einem "typisch gesunden Sexualleben" (S. 3) aus, bei dem es als "jeweilige Seite der Geschlechtlichkeit" nur die "Richtung des Männlichen oder Weiblichen" gebe (S. 6). Die sexuellen und die soziologischen Rollen von Mann und Frau fallen für ihn in eins und seine Vorstellung davon ist reaktionär: "Im Vordergrund des Trieblebens" stehe "beim Weibe eine allgemeine, nicht konkret und nicht immer genital symbolisierte Tendenz zur Hingabe, zum Hingenommenwerden, zum Aufblicken"; "beim Manne sind es aktive, fordernde, nehmende, unterwerfende, hinabblickende Triebtendenzen, welche die Bedürfnisse genitaler Entspannung unmittelbar überlagern" (S. 13).

Nicht der Fortpflanzung in der bürgerlichen Ehe dienende und sich nicht in der 'Missionarsstellung' vollziehende sexuelle Handlungen bzw. Wunschvor- stellungen, die von "Sexualität im gewöhnlichen Sinne" und vom "normalen Geschlechtsakt" (S. 27) abweichen oder sich gar auf "inadäquate Sexualziele" (S. 36) richten, sind für ihn generell pathologisch. (Selbst "Onanie" gilt ihm als "Grenzfall der Perversion" (S. 37) und werde "zur echten Perversität", wenn sie "insbesondere nach dem 25. Jahre" vollzogen werde, S. 37f.) Es habe sich angeblich "gezeigt, daß die konstitutionellen Dispositionen zu abartiger Psychosexualität und zu allgemeineren psychopathischen Reaktionsweisen vielfach außerordentlich eng verwandte sind, ja teilweise zusammenfallen" (S. 18; vgl. a. S. 64), und angeblich "ergaben sich nahe erbbiologische Beziehungen zwischen homosexuellen Manifestationen und schizophrenen Charakteren und Psychosen" (S. 26; vgl. a. S. 62f). "Wir setzen konstitutionelle Momente dem endogenen Faktor gleich, und stellen uns ihr Auftreten erbbiologisch bedingt vor" (S. 17).

Sodann stimmt er Hirschfeld darin zu, daß der "Begriff der Sexualkonstitution systematisch zur Erklärung von Anomalien nicht nur im körperlichen Habitus, sondern auch im psychischen Verhalten der Sexualität herangezogen" werden müsse (ebd.). Insbesondere in den seiner reaktionären Geschlechterrollen- Verteilung scheinbar entgegenstehenden Verhaltensweisen sieht er Erbschäden wirken: "Durch irgend eine Unstimmigkeit der Erbvalenzen väterlicher- und mütterlicherseits kann eine Umkehrung in der Aktivität sexueller und erotischer Einstellungen fundiert werden, die sich als viriler Einschlag im Triebleben der Frau, als femininer im Leben des Mannes abdrücken, ohne doch zur Homosexu- alität zu führen" (S. 53), wobei letztere für ihn generell eine "abartige gegenständliche Bindung des sexuellen Trieblebens, die Triebfixierung an inadäquate Sexualziele" wäre.

Ist diese Ausprägung (noch) nicht erreicht, so sieht er die "Umkehrung" durch die elterliche "Unstimmigkeit der Erbvalenzen" wie folgt: "Beim Manne würde sie sich auf ein Fehlen der eigentlichen sexuellen Aggressionstendenzen beschränken, auf die Lust daran, im Liebesverkehr gleichsam die weibliche Rolle zu spielen, genommen zu werden, hingegeben und unterworfen zu sein. Konkret äußert sie sich nach Hirschfeld in der Vorliebe derartiger Männer für körperlich überlegene oder ältere kraftvolle Frauen" (ebd.).

Kronfeld blickt vor allem auf den sozialen Aspekt, von dem aus er dann auf die erbbiologische Degeneration oder ihren Beginn schließt. Bei seinem Hauptthema Homosexualität innerhalb der "Perversiones in objecto" (so die wichtigtuerische Kapitelüberschrift) ist die Effeminiertheit des Verhaltens das ausschlaggebende Moment; in ihr sieht er eine klar psychopathische (Selbst-) Entwertung des Mannes, die eben biologisch degenerative Ursachen habe. Sie äußere sich zum Beispiel in der Berufswahl: "Gewiß werden einzelne Berufe von Homosexuellen bevorzugt; es sind dies bezeichnenderweise bei Männern gerade Berufe mit einem femininen Einschlag" (S. 55); diese Berufswahl sei "die Folge seiner (des männlichen Homosexuellen, P.K.) seelisch-sexuellen und allgemein-psychischen Eigenart" (S. 56). Das will Kronfeld "an dem Sprechstundenmaterial homo- sexueller Patienten und Patientinnen" des Instituts für Sexualwissenschaft "in 80 Prozent" der Fälle festgestellt haben, wobei er "bei Männern die femininen Züge allgemein seelischer Art zu den psychopathischen gerechnet" habe (ebd.). Im Körperbau männlicher Homosexueller (Proportionen, Behaarung, Fettver- teilung, Muskulatur) will er "relativ häufig ... feminine Stigmen" gefunden haben (S. 57), und auch die Länge der Extremitäten weiche von der "gesunder Menschen" deutlich ab (ebd.; vgl. a. S. 63). "Noch häufiger äußern sich die femininen Einschläge in Gestik und Mimik, bewußten und unbewußten Aus- druckstendenzen und -strebungen, Spiel, Kleidung, Gebaren, Interessenkreis, Stimme und Sprechweise" (ebd.), wobei er offenbar selbst die Wahl der Kleidung als von der "erbbiologischen Degeneration" und einem biologischen "Unter- wertigsein" (S. 63) vorbestimmt erachtet.

Anwendung der Pseudo-Erkenntnisse aus dem
"Institut für Sexualwissenschaft" auf die Nazi-Führer

Fast zwanzig Jahre später wendet Kronfeld in dem "Degenerierten"-Text diese angeblichen wissenschaftlichen Erkenntnisse aus seiner Tätigkeit an Hirschfelds Institut für Sexualwissenschaft auf die Nazi-Führer an. Es fällt auf, daß er ihnen, um sie abzuwerten, vermeintlich feminine Züge in Körperbau und Verhalten andichtet oder auch ihre vermeintliche, latente oder tatsächlich bekannte Homosexualität als angeblicher Ausdruck ihrer Verweiblichung in den Mittelpunkt der Betrachtung stellt. Für Kronfeld scheint klar zu sein, daß die Nazi-Führer keine richtigen Männer sind, sondern aufgrund der angeblich weiblichen Einschläge ihres Verhaltens - er bezieht sich fast ausschließlich auf ihr privates Verhalten - biologisch degeneriert sein müssen; nunmehr sucht er nach körperlichen Zeichen der Degeneration, die seine Argumentation für die nicht psychiatrisch geschulten Leserinnen und Leser plausibel erscheinen lassen soll. Zentral für seine Argumentation ist dabei das implizite Wertegefälle, das er zwischen den gesellschaftlichen Stellungen von Mann und Frau sieht. Er kritisiert dieses Wertegefälle, das zumindest in den frühen Jahren von Kronfelds wissenschaftlicher Betätigung tatsächlich in der deutschen wie in der russischen Gesellschaft unkritisch akzeptiert war, nicht etwa, obwohl es in der UdSSR nunmehr offiziell kritisiert wird, sondern akzeptiert es weiterhin, wie schon in dem 1923er Text über das vermeintliche Aufschauen der nicht pathologischen, von Kronfeld für normal gehaltenen Frau zum Manne und das Herabblicken auf sie bei den nicht pathologischen Männern, und macht es sich zum Zwecke der Abwertung der Nazi-Führer zunutze.

Im Falle von Heß reicht ihm der (falsche) Hinweis darauf, daß Heß eine viel ältere reiche (also gesellschaftlich 'stärkere') Frau geheiratet habe. Im Falle von Goebbels, dem er keine homosexuellen Neigungen und auch keine Verweib- lichung durch eine angebliche Drüsenerkrankung (wie bei Göring) anzudichten vermag, verankert er die Abwertung als effeminierter Mann über die Gift- mörderinnen-Geschichte. Auch bei Himmler konstatiert er "giftige Bosheit". Ohne direkten Bezug bringt er Goebbels in Verbindung zur Gräfin Brinvilliers und der Gesche Gottfried, den zu Mythen gewordenen berühmtesten Giftmörderinnen des Siebzehnten und Neunzehnten Jahrhunderts, und spielt hierbei mit der Assoziation der Effeminiertheit Goebbels'. Denn er kann damit rechnen, daß sein sowjetisches Publikum die Anspielung sofort versteht.

Inge Weiler analysierte in ihrem Buch "Giftmordwissen und Giftmörderinnen" (Tübingen 1998), in dem sie Kronfeld mit einem Text über Sexualpsycho- pathologie aus Gustav Aschaffenburgs "Handbuch der Psychiatrie" von 1923 zum Verständnis der Geschlechterrollen in der Psychiatrie zitiert (Weiler, S. 52; den "Degenerierten"-Text kennt sie nicht), das sogenannte Volkswissen über den Giftmord, seine Motive, Ausführungen und weiteren kriminologischen Aspekte als ein frauenfeindliches Stereotyp, das zwar empirisch falsch sei, sich jedoch aufgrund des fortwirkenden gesellschaftlichen Wertegefälles zwischen den Geschlechtern entgegen den Tatsachen seit den Zeiten der Brinvilliers bis heute halten könne. Weiler weist darauf hin (S. 363, Fn 39), daß 1934 mit der üblichen Pressebegleitung der sich als Kulturnation darstellenden stalinistischen UdSSR in Leningrad die Oper "Die Lady Macbeth von Mzensk" von Dimitri Schostakowitsch uraufgeführt worden war, die in den Jahren nach 1930 auf der Grundlage der 1865 erschienenen gleichnamigen Novelle des russischen Schriftstellers Nikolai Lesskow entstanden war, der in dieser Novelle die frauenfeindlichen Stereotype über den Giftmord als typisch weibliches Verbrechen transportierte. Kronfeld konnte also für seine beabsichtigte Assoziation auf das Verständnis des sowjetischen Publikums zählen. Weiler führt aus der frühen Kriminalliteratur als kolportierte typische Charaktereigenschaften der Giftmörderin an: "'Kunst der Heuchelei' und Verstellung" und "wollüstiger Kitzel" bei der Brinvilliers, Eitelkeit und Wollüstigkeit bei der Zwanziger (eine weitere historisch bekannte Giftmörderin), Lug und Trug sowie Tücke bei der Gottfried (S. 22 ff). Diese seien in die kriminologische psychiatrische Literatur eingegangen und hier zumindest tendenziell auch für den normalen weiblichen Geschlechtscharakter, der durch "körperliche und seelische Schwäche" und die "Nähe der Frau zur Geschlechtlichkeit" gekennzeichnet angesehen worden sei (S. 25), als typisch betrachtet worden, weshalb dann im Rückschluß der Giftmord als typisch weibliches Verbrechen galt und gilt (S. 25-30). Hierfür bringt sie in dem Buch zahlreiche Beispiele, auch von Magnus Hirschfeld (der 1922 in einem Gerichtsgutachten ein Lesbenpaar, das seine Ehemänner vergiftet hatte, zu "kranken Verbrecherinnen" mit erblicher Belastung erklärt hatte, S. 188-193) und von Psychiatern, mit denen Kronfeld zusammenarbei- tete. Als in deren Schriften "omnipräsente" typisch weibliche Eigenschaften führt sie an (S. 87): Affektlabilität, Lügenhaftigkeit, Grausamkeit, Vergnügungs- sucht und Eitelkeit, Geltungsbedürnis, Rachsucht, geringe Intelligenz, Unfähig- keit zur Logik, geringe moralische Sensibilität.

Genau diese Stereotype - jedenfalls inhaltlich - will Kronfeld in dem "Degenerierten"-Text nun als Persönlichkeitseigenschaften bei den Nazi-Führern festgestellt haben, auch über Goebbels hinaus, wie der Text zeigt. Die Abwertung der Frau und der weiblichen Psyche, die Weiler als die Grundlage des populären "Giftmordwissens" ausmacht, ist auch die Grundlage von Kronfelds Betrachtungen der Persönlichkeiten der Nazi-Führer. Interessanterweise - darauf geht Weiler mit keinem Wort ein, offenbar hat sie dies völlig übersehen - entsprechen die Charakterisierungen der typischen Giftmörderin genau den Stereotypen, die in der antisemitischen Ideologie von je her auch gegen 'die Juden' eingesetzt werden; in der traditionell antisemitischen russischen Kultur wirkte Kronfelds Argumentation also zusätzlich auch hierüber.

Erschienen die Konzepte der Degeneration, der Anomalie, des Erbschadens usw. in der kriminologischen Literatur, zu der Kronfeld in den Zwanziger Jahren wesentlich beigetragen hat, vordergründig noch als fachwissenschaftlicher Diskurs, für dessen abwertende Konsequenzen in der täglichen gesellschaft- lichen Wirklichkeit die Psychiatrie keine direkte Verantwortung tragen wollte, so setzt Kronfeld sie in dem "Degenerierten"-Text klar mit dem Ziel einer ethischen und auf die Person statt auf ihre Taten bezogenen Abwertung der Nazi-Führer ein. Die Verbrechen der von ihm betrachtete Personen werden kaum genannt; Görings große Verbrechen in seiner Zeit als Preußischer Innenminister und Ministerpräsident, darunter die von ihm zu verantwortenden und gedeckten zahlreichen Morde an politischen Gegnern in der ersten Zeit nach der Macht- übertragung an die Nazis, und die von ihm organisierte verschärfte Judenver- folgung ab 1938 erwähnt Kronfeld gar nicht. Sicher ist ihm dies 1941 bekannt, bis zu seiner Emigration 1935 hat er diese Verbrechen täglich in Berlin selbst miterlebt. John Heartfields Collagen zu Göring haben viel eindrucksvoller den blutigen Schlächter charakterisiert, als es Kronfelds "Menschenfresser"- Metapher vermag, die er erst nach dem Überfall auf die Sowjetunion erfindet. Lieber geißelt Kronfeld die hedonistischen Tendenzen in den Persönlichkeiten einzelner Nazi-Führer und ihre vermeintliche Effeminiertheit. Wo Kronfeld die Verbrechen überhaupt andeutungsweise nennt, dienen sie ihm offenbar nur zur Erläuterung der praktischen Folgen der Degeneration. Im Vordergrund steht dagegen sein Bemühen, die Nazi-Führer den sowjetischen Leserinnen und Lesern gegenüber als weibische Männer und deshalb kranke Männer darzu- stellen.

Dazu dienen auch seine Versuche, ihnen allesamt Feigheit nachzusagen und ihnen sogar ihre Orden aus dem Ersten Weltkrieg abzusprechen; diese Orden hätten die Effeminierten nur durch Heimtücke erlangt. Kronfeld selbst war Träger eines Eisernen Kreuzes aus dem Ersten Weltkrieg. Auch kann er es nicht gelten lassen, daß Hitler und er selbst dieselbe Tapferkeitsauszeichnung erhielten. Der unausgesprochene Gegensatz, vor dessen Hintergrund diese historisch-inhaltlich meist falschen Attacken Kronfelds auf die Nazi-Führer erst ihre Wirkung entfalten, ist der tapfere, heldische Mann, der an vorderster Front für sein Volk das eigene Leben einsetzt und offenbar Kronfelds Mannesideal ist. Kronfelds Argumentation funktioniert nur aus diesem Gegensatz heraus.

Offenbar ist es jedoch 1941 nicht opportun, in dem Text direkt auf die eigenen Orden hinzuweisen, die Kronfeld im dem Weltkrieg verliehen bekommen hatte, den er in dem Text den imperialistischen Krieg nennt. Es fällt jedoch auf, daß Kronfeld weder die deutschen Soldaten noch die Generäle der Wehrmacht, die bei Drucklegung auf Moskau marschieren, für das Blutvergießen verantwortlich macht, das sie anrichten, ja, nicht einmal die Namen der Anführer der drei deut- schen Heeresgruppen, die den Überfall auf die Sowjetunion praktisch ausführen, nennt: die Generalfeldmarschälle v. Leeb (Heeresgruppe Nord), v. Bock (Mitte, auf Moskau marschierend) und v. Rundstedt (Süd). Auch die Generäle des Frankreich-Feldzuges, die öffentlich gefeiert worden waren und deshalb ja weltweit bekannt sind, nennt er nicht; allerdings lag deren 'Ruhm' ja in der Zeit des Hitler-Stalin-Paktes, als in der sowjetischen Presse nichts Negatives über Deutschland erschien und deshalb vielleicht auch keine Generalsnamen genannt worden waren.

Und ob er sich an Hans Frank nicht mehr namentlich erinnert, den Rechtsanwalt Hitlers im Abel-Prozeß, der seit dem 26. 10. 1939 in Polen als nur Hitler verantwortlicher Generalgouverneur wütet? Kronfeld hatte Frank als Gerichts- gutachter in dem Prozess persönlich kennengelernt (vgl. Anm. 5 ff). Doch jetzt schont er auffällig das deutsche Volk, das doch die Nazis gewählt hatte und begeistert die bis 1941 eingetretenen Blitzkriege feierte. Insgesamt betrachtet ist dieser Aspekt des Textes heute, sehr aktuell: das deutsche Volk kann als Opfervolk durchgehen, Verantwortung für die von Kronfeld doch sehr beein- druckt angesprochenen Bluttaten über ganz Europa sieht er nur bei den wenigen Nazi-Führern, der "blutigen Bande". Außer Heines und Ernst wird von denen, die er nennt, jedoch wohl kaum einer auch nur eine einzige Bluttat persönlich begangen haben. Die naheliegende Frage, weshalb das deutsche Volk den angeblich Degenerierten, denen man ihre körperliche Minderwertigkeit nach seinen Beschreibungen ja bereits in jeder Kinowochenschau ansah, gewählt haben, ihnen gefolgt sind, die Verbrechen im Inland geduldet haben und nun den mörderischen Krieg (mit-) machen, stellt sich Kronfeld nicht.

Befremdlich und inhaltlich mißglückt ist der Vergleich, den Kronfeld zwischen Goebbels und Tartarin anstellt. In seiner Geschichte vom "Tartarin von Tarascon", die auf Verlangen der Leser zwei Fortsetzungen erhielt, stellte Alphonse Daudet (1840 - 1897) einen lustigen und listigen Schwindler dar, einen Taugenichts und Aufschneider, der seine Nachbarn mit erfundenen Geschichten über von ihm erlegte Löwen unterhält, aber ansonsten sein faules und bequemes Leben meistert, als eine Art französischen Münchhausen, jedenfalls nicht als Menschenfresser und Bestie mit Doktortitel. Die Verwendung dieses in jeder Hinsicht schiefen, ja unpassenden Vergleichs erklärt sich vielleicht parallel zur Nennung des Namens der Gräfin Brinvilliers daraus, daß die Geschichte und sein Autor Daudet in Moskau bekannt gewesen sein mögen, und zwar aus politischen Gründen, und Kronfeld assoziativ an diese Bekanntheit anknüpfen will. Daudets Sohn Léon, der sich in der antisemitischen Dreyfus-Affäre gegen Alfred Dreyfus engagierte, war ein prominenter Mitbegründer und Führer der faschistischen Action francaise, und Alphonse Daudet stand völlig unter dem Einfluß seines Sohnes. Alphonse Daudet war einer der prominentesten Autoren des leichteren Genres in der Belle Époque; Émile Zola hatte an seinem Grab gesprochen, obwohl er sich massiv für Dreyfus engagiert hatte. Doch nach seinem Tod setzte die politische Ablehnung und die tiefgreifende negative literarische Kritik seines Werkes ein, als Reaktion auf die faschistische Politik seines Sohnes Léon (vgl. Roche, p. 141). In den Zwanziger und Dreißiger Jahren des Zwanzigsten Jahrhunderts erschienen vernichtende literaturkritische und literaturgeschichtliche Studien zu Daudet, und die Debatte um die Action francaise und die Volksfront-Politik der Dreißiger Jahre, die die Grenzen Frankreichs weit überstieg, war in der Sowjetunion selbstverständlich bekannt. Wenn Kronfeld die Texte über Radio Moskau gesprochen hat, das ja in ganz Europa zu empfangen war, dann wollte er vielleicht mit dem Namen Tartarin Assoziationen an die Entwicklung des Faschismus aus 'gutbürgerlichen' Kreisen erwecken. Allerdings ist dies eine sehr weitgehende Spekulation.

Rasse als pseudo-wissenschaftliches Kriterium

Weiter fällt auf, daß Kronfeld mit keinem Wort darauf eingeht, weshalb er selbst 1935 Deutschland verlassen mußte: weil er aus rassischen Gründen verfolgt wurde, da seine Eltern Juden waren und die Nazis ihn deshalb ebenfalls zu einem Juden erklärten, obwohl er selbst als Anhänger Ernst Haeckels und Jacob Friedrich Fries' sowie als biologistisch und rassenhygienisch / eugenisch ausgerichteter Mediziner mit der jüdischen Religion (und Lebenskultur) nichts (mehr) zu tun hatte noch zu tun haben wollte. Wo er auf die Judenverfolgung zu sprechen kommt, erweckt er den Eindruck, als sei sie lediglich der persönlichen Rachsucht oder Habgier einzelner Nazi-Führer entsprungen. Ein Verständnis Kronfelds für die Rolle des Antisemitismus in Deutschland, sowohl in intellektuellen Diskursen (sein Idol Fries war ein Mitbegründer des deutschen Vernichtungs-Antisemitismus, Haeckel ein ideologischer Förderer des Rassismus) als auch in der breiten Bevölkerung, und für seine Funktion sowohl in der Nazi-Ideologie wie in der praktischen Herrschaftsausübung der Nazi-Diktatur lassen die Textstellen über Willkürmaßnahmen gegen einzelne Juden nicht erkennen.

So bleibt es für die Leser im Dunkeln, weshalb Kronfeld emigrieren mußte und weshalb er die Nazis so sehr haßte, wie es der Text zum Ausdruckt bringt. Auch die ergänzte kurze Vorstellung Kronfelds in der Vorbemerkung der Neuauflage 1942 sagt hierzu nichts aus. Inhaltlich werden die Leser über die Motivation der Judenverfolgung in die Irre geführt, ja, Kronfeld scheint nicht einmal davor zurückzuschrecken, Hitlers angebliche jüdische Teilabstammung, also fehlende 'Rassenreinheit', neben dem angeblichen Alkoholismus des Vaters als Ursache für die vermeintliche Degeneriertheit anzuführen, die der Sowjetbevölkerung nun offenbar als Ursache und Erklärung für den Bruch der Nichtangriffs- und Freundschaftsverträge und den mörderischen Terror angeboten werden soll.

Kronfelds Vorgehen erstaunt weniger, wenn man weiß, daß er schon in Publikationen aus den frühen Zwanziger Jahren eugenische / rassenhygienische Positionen zur Genese psychischer Krankheiten vertritt, in denen 'Reinrassigkeit' und 'Rassenmischung' eine (allerdings nicht ausschließlich negative, sondern von Fall zu Fall verschieden bewertete) Rolle spielen, bis hin zu der Behauptung in seiner Schrift "Über Gleichgeschlechtlichkeit" (Stuttgart 1922), "dass unter den Homoeroten ein relativ weitaus höherer Prozentsatz dem rassereinen Germanentum angehört" (S. 41), die er in seinem Buch "Sexualpsycho- pathologie" variiert: seine "Sprechstundenerfahrungen an nunmehr über 600 Fällen" von Hilfesuchenden in Hirschfelds Institut für Sexualwissenschaft bestätigten, daß es bei Homosexuellen "ein Vorwiegen der ariogermanischen Rasse, dagegen größere Seltenheit bei Semiten" gebe (S. 55); die "Rasse- disposition" als eine Bedingung der "Gestaltung der psychischen Geschlecht- lichkeit" hebt er gleich zu Beginn hervor (S. 6). Auch in seiner Habilitations- schrift von 1927 bekennt er sich zur Rassenbiologie beim Menschen und führt "Rasse" als eine "nicht psychische Determinante" des seelisch Abnormen an (S. 103). Nun also fallen Hitler und wohl auch Goebbels unter diese Kronfeldsche "Determinante", mit der er ihr Verhalten so erklärt, wie diese vorher seins.

Kronfeld hatte offenbar keine eigenen Verbindungen zum organisierten Judentum. Sein Umgang mit dem Nazi-Antisemitismus paßt zur ambivalenten Haltung der Sowjetführer in den 30er und 40er Jahren, die von Zweckmäßigkeitsüberlegungen und Willkür ebenso bestimmt war wie Kronfelds psychiatrische Theorien: Nachdem Stalin zu Beginn der 30er Jahre den Antisemitismus zur bürgerlichen Ideologie erklärt hatte, die zu bekämpfen sei, wurden im stalinistischen Terror zahlreiche prominente sowjetische Juden unter den absurdesten Verschwörungsvorwürfen verfolgt und ermordet, wobei ihre Mitgliedschaft in jüdischen sozialistischen Organisationen zu den hauptsächlichen Verdächtigungs- und Verfolgungsgründen zählte. Nach dem Novemberpogrom 1938 in Deutschland gab es jedoch in Moskau eine große antifaschistische Kundgebung der sowjetischen Intelligenz, die zur Solidarität mit den deutschen Juden und zum Kampf gegen Nazismus und Antisemitismus aufrief. Doch Exponenten jüdischer Organisationen, die aufgrund des Antisemitismus gegen Nazi-Deutschland agitierten, wurden im Frühjahr 1939 unter dem Vorwurf, einen Krieg provozieren zu wollen, in der UdSSR verfolgt.

Zum Abschluß des deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrages am 23. August 1939 wehten in Moskau die Hakenkreuzfahnen von den Fahnenmasten und Stalin gab Ribbentrop persönlich die Hand; am 22. September 1939 nahmen deutsche und sowjetische Generäle in Brest-Litowsk eine gemeinsame Parade von deutschen und sowjetischen Truppen nach dem Sieg über Polen ab; der sowjetische Außenminister Molotow verhandelte am 12. November 1940 persönlich mit Hitler in Berlin über einen Beitritt der UdSSR zum 'Dreimächtepakt' (Deutschland, Italien, Japan) und ein Foto der beiden erschien in der 'Prawda' - als einziges dort je gedrucktes Hitler-Bild. Der Hitler-Stalin-Pakt von 1939 war seit Februar 1940 um einen Wirtschaftsvertrag ergänzt worden und sicherte Deutschland, das durch den Krieg im Westen wirtschaftlich isoliert war, nun die Lieferung kriegswichtiger Rohstoffe aus der UdSSR. Kritik am Pakt, die Exponenten jüdischer Organisationen wegen des deutschen Antisemitismus dennoch übten, wurde massiv unterdrückt.

In der Zeit des Paktes von 1939 bis 1941 gab es in den sowjetischen Medien überhaupt keine Kritik an Deutschland oder am Antisemitismus mehr, auch öffentliche Berichte über die Judenverfolgungen im deutsch besetzten Teil Polens gab es in dieser Zeit nicht. Gleichzeitig stieg durch Flucht und Annexion (Baltikum, Ostpolen) die Zahl der Juden unter sowjetischer Herrschaft schlagartig von drei auf fünf Millionen Menschen an, und insbesondere vormals ostpolnische Juden, die über ihre Kontakte von den Verfolgungs- und Mord-Aktionen der Deutschen im deutsch besetzten Teil Polens wußten, darüber berichteten und nun in der Sowjetunion entgegen der offiziellen Pakt-"Freundschaft" verstärkt gegen Deutschland zu agitieren versuchten, wurden Opfer der stalinistischen Verfolgung. Eine neue Welle der Unterdrückung brachte die Aufdeckung der angeblichen jüdischen 'Künstlerverschwörung' 1939/40. Noch im Juli 1941 wurden einige Führer polnischer jüdischer Organisationen, die in die UdSSR geflohen waren, wegen ihrer Kritik am Pakt zum Tode verurteilt.

Schlagartig änderte sich die Atmosphäre nach dem deutschen Überfall am 22. Juli 1941. Die in der UdSSR inhaftierten, meist sozialdemokratischen, aber auch bürgerlichen polnischen Politiker wurden freigelassen, die gerade erst ausgesprochenen Todesurteile wurden annulliert und die bisher vom stalinistischen Terror verfolgten sozialdemokratischen polnischen Juden von der Sowjetführung ermuntert, antinazistische Kundgebungen und Bündnisse zu organisieren und die internationalen Verbindungen der jüdischen Organisationen zur weltweiten propagandistischen und praktischen Unterstützung (Waffen- lieferungen aus den USA) gegen den deutschen Angriff zu nutzen. Der Sommer 1941 war wohl die Zeit der größten politischen Freiheiten für organisierte Juden unter dem Stalinismus. Im August 1941 gab es in Moskau eine Großkundgebung sowjetischer Juden gegen die Deutschen, und die dort gehaltenen Reden wurden in mehreren Sprachen über Radio Moskau verbreitet. Mehrere russische Broschüren über die mörderische Judenverfolgung durch die Deutschen in Polen und über die sogleich begonnenen Massaker deutscher Einsatzgruppen in den überrollten sowjetischen Gebieten erschienen seit August 1941 in der Sowjetunion.

Rassistische Flugblätter in Millionenauflage, mit denen die Deutschen die russische Bevölkerung der besetzten Gebiete sogleich gegen den 'jüdischen Bolschewismus' aufzuhetzen versuchten, machten den Kampf gegen den Antisemitismus zu einem zentralen ideologischen Thema der Verteidigung der Sowjetherrschaft. Ab 1942 jedoch erstarkte der traditionelle russische Antisemitismus mit den Appellen zur Verteidigung der russischen Heimat und der Mobilisierung des russischen Nationalismus als Kriegsmotivation wieder vehement. Die Juden mit den internationalen Verbindungen wurden nach dem Kriegseintritt der USA im Dezember 1941 nicht mehr gebraucht, die im Sommer 1941 Freigelassenen wieder inhaftiert und zum Teil später doch noch exekutiert. Wieder traf es vor allem diejenigen, die - zum Teil noch vor der Oktober- Revolution und im unter russisch-zaristischer Herrschaft stehenden Polen und Litauen - den sozialdemokratischen, menschewistischen jüdischen Organisa- tionen angehört hatten und sich in den 20er Jahren antistalinistisch geäußert hatten; aber, wie immer im stalinistischen Terror, konnte es auch diesmal wieder unberechenbar und willkürlich jeden treffen. Massive Attacken gegen jüdische Künstler und Wissenschaftler in der UdSSR wurden 1942/43 gestartet und Pläne zur Entlassung zahlreicher jüdischer Wissenschaftler, vor allem der jüdischen Mediziner, von den sowjetischen Universitäten gefaßt.

Arno Lustiger hat in seinem "Rotbuch Stalin und die Juden", in dem Kronfeld nicht erwähnt wird, dieses Hin und Her der sowjetischen Haltung zum Antisemitismus und die wiederholten Wechsel zwischen Verfolgung und Indienstnahme polnischer und sowjetischer jüdischer Politiker, Wissenschaftler und jüdischer Organisationen erstmals ausführlich beschrieben. Kronfelds Text entstand in den wenigen Monaten des Sommers 1941, als in der UdSSR die Verfolgung der Juden durch die Deutschen nach dem Schweigen der Pakt-Zeit wieder offen angesprochen werden durfte und die Kritik daran als Waffe gegen die Aggressoren nützlich war.

In diesem Sommer und Herbst 1941 ist auch Kronfeld als rassisch Verfolgter und als Zeitzeuge des Aufstiegs der nazistischen 'Bestien' zur Macht nützlich. Er, der sich seit seinem Eintreffen in Moskau 1936 nur wissenschaftlich zu psychiatrischen Themen geäußert hat, wird nun wieder politisch, seine Radioansprachen werden sogar gedruckt. Ribbentrop, dem Stalin die Hand gab, ist nun nur noch ein Schmuggler gepanschten Weines; Hitler, dessen Bild mit Molotow die 'Prawda' brachte, nur noch ein degenerierter Schwuler. Doch der Text zeigt, daß Kronfeld diesem Sommer nicht traut und sich nicht einmal verbal allzu sehr für verfolgte Juden, die er zu seiner Berliner Zeit persönlich gekannt haben mag, und gegen den Antisemitismus engagiert. Dennoch werden die von ihm hier als Einzelfälle geschilderten Verfolgungen vielleicht zu viel, als 1942 Verfolgungen gerade von jüdischen Akademikern in der UdSSR wieder einsetzen; wir wissen es nicht. Aber diese Frage muß gestellt werden: Wie fanden es Stalin und Molotow bzw. ihre Geheimdienstler und Zensoren, daß Kronfeld die Nazi-Größen besser zu kennen behauptet als diese Pakt-Politiker, nur weil er 1932 beim Abel-Prozeß mit Hitler und Göring in einem Zeugenzimmer gesessen haben will, obwohl er sogar den Monat der Gerichtsverhandlung verwechselt?

"Anekdotische" Methode Hirschfelds auch bei Kronfeld: Quellenkritik

Kronfelds Schriften sind allgemein von einer extremen Eitelkeit gekennzeichnet. Immer wieder seit seinen frühen Anfängen ist zu erkennen, daß er als Psychiater sich tatsächlich als Halbgott in weiß betrachtet, als jemand, der sich als befähigt und berechtigt sieht, die Persönlichkeiten seiner Mitmenschen zu durchschauen, zu bewerten und ihnen den Platz in der Gesellschaft zuzuweisen. Seine Eitelkeit bringt ihn 1941 dazu, trotz der Gefahr, die dies doch im stalinistischen Moskau bedeuten muß, mit seinen angeblichen Nazi-Bekannt- schaften zu kokettieren, sich selbst als einen Insider der Nazi-Szene in Berlin zu präsentieren. Es ist zwar kaum glaubhaft, daß seine Eingangsbemerkungen zutreffen, ranghohe Nazis hätten sich in seiner psychiatrischen Sprechstunde ausgeweint. Tatsächlich muß man sich die Psycho-Szene im Berlin der frühen Dreißiger Jahre tendenziell so ähnlich vorstellen, wie sie Woody Allen für das New York der Siebziger Jahre so treffend dargestellt hat. Doch wenn der kleine Stadtteil-Agitator Horst Wessel 1930 gestorben war, weil sich ein Nazi auch in Lebensgefahr nicht von einem jüdischen Arzt behandeln ließ, so ist kaum anzunehmen, daß Nazis zu einem in Berlin prominenten jüdischen Psychiater gingen, der im Sommer 1932 sogar einen Prominenten-Aufruf gegen die NSDAP unterzeichnet hatte.

Historisch als wahr erwiesen ist, daß Kronfeld sich recht gut mit dem "Hellseher" Hanussen verstand; möglicherweise hat er über ihn tatsächlich interne Informationen und auch Klatsch aus dem Privatleben von Nazi-Größen erfahren, mit denen wiederum Hanussen verkehrte. Allerdings berichtet Kronfeld schon den Zeitpunkt des Mordes an Hanussen falsch, obwohl er zu dieser Zeit noch in Berlin war, keineswegs an Emigration dachte, da er sich ja durch seine Teilnahme am Ersten Weltkrieg und seine Frontauszeichnungen bestens geschützt wähnte, wie viele andere konservative deutsche Juden auch, und die Presseberichte über Hanussens Verschwinden und die Entdeckung seiner Leiche sicher verfolgt hat. Nach 1945 wurde mehrfach von verschiedenen Bekannten Kronfelds berichtet, daß er 1935 mit seiner gesamten Bibliothek in die Schweiz und 1936 mit seiner Habe (bis auf einige antike Möbel, die der wohl gut verdienende Prominenten-Psychiater noch in Berlin angeschafft hatte und nun in der Schweiz an Freunde und Helfer wohl verschenkte) nach Moskau zog. Sicher mag er 1941 einiges aus dem Gedächtnis (falsch) erzählen, doch ist anzunehmen, daß er auch politische Literatur mit nach Moskau genommen hat - schließlich war er ja auf immer eingeladen! - und sicher wohl auch private Aufzeichnungen. Ob all dies noch existiert bzw. wo es nach seinem Verschwinden oder Tod abblieb, ist bis heute unbekannt.

Auffällig an dem "Degenerierten"-Text ist, daß viele Fakten, die Kronfeld über die Nazi-Führer berichtet, falsch sind. Sowjetische Geheimdienste hatten sicher treffendere Informationen. Kronfeld war in Moskau bekannt: Am 12. Oktober 1941 sprach er auf einem großen antifaschistischen Propaganda-Kongreß sowjetischer Wissenschaftler und erhielt die Ehre, zu den ersten Unterzeichnern eines Aufrufs der Wissenschaftler zur Verteidigung der Sowjetunion zu gehören; ein Foto der Unterzeichnungszeremonie, das Kronfeld zeigt, druckte einen Tag später die "Moscow News", die englischsprachige international verbreitete Propagandazeitschrift der UdSSR. Wenn unsere These, daß der "Degenerierten"- Text aus Kronfelds Rundfunk-Ansprachen in Radio Moskau besteht, zutrifft, dann war der Unsinn, den er in dem Text über die Nazi-Führer verbreitet, bereits vor dem Wissenschaftler-Kongreß über den Äther gegangen. Obwohl Kronfeld über die Nazi-Größen eigentlich gar nichts wußte, wie der Text zeigt, schwadronierte er dennoch lustig drauf los und berief sich auf seine Stellung als Berliner Prominenter. Nun wird man Kronfeld nicht vorwerfen können, daß er die Biographien von Hitler, Göring, Himmler usw. nicht genau kannte, vor allem, wenn man bedenkt, daß selbst heute, wo die meisten Archive ausgewertet sind, die Historiker und Biographen immer noch über Lebensdetails der Spitzen der NSDAP streiten, die Kronfeld unmöglich bereits richtig wissen und einschätzen konnte. Interessant sind jedoch die Fragen, was er eigentlich tatsächlich an Neuem, an angeblichem Insider-Wissen berichtete und woher er seine Informationen haben konnte.

Bemerkenswert ist, daß Kronfeld den Abel-Prozeß, an dem er selbst am Rande teilnahm, in fast allen Details falsch darstellt; offenbar dient der Prozeß ihm als Stilmittel zur Behauptung seiner vermeintlichen Kompetenz als Zeitzeuge, als unmittelbarer Beobachter Hitlers und Görings, der er sehr wahrscheinlich jedoch gar nicht war. Kronfeld stellt es so dar, als sei seine Aussage in dem Prozeß entscheidend für die Verurteilung Abels gewesen, was sie wahrscheinlich nicht war. Kronfeld sagte als Gerichtsgutachter in diesem Prozess allerdings tatsächlich nichts aus, was einer Verurteilung im Wege gestanden hätte und wandte sich offenbar sogar gegen die Aussage von Abels Mutter, Kronfeld habe ihren Sohn früher einmal für geisteskrank erklärt, die sie machte, um Abel vor der Rache der Nazis zu retten. Es wäre für Kronfeld ein Leichtes gewesen, die Mutter zu unterstützen, auch wenn es angesichts der damals schon rechtsaußen stehenden bayrischen Justiz am Ende wohl kaum zur Anwendung des Unzurechnungsfähigkeits-Paragraphen und damit zu Abels Freispruch gekommen wäre. Immerhin hätte Kronfeld politisch saubere Hände behalten in einem Prozeß, der unter den Drohungen des selbst im Gerichtsgebäudes aufmarschierten Nazi-Mobs stattfand. Dazu war er jedoch - wie immer in seinem Leben - zu opportunistisch.

1941 nun muß er Abel - im Gegensatz zu der Darstellung, die Kurt Hiller Jahrzehnte später gibt! - zu einem Komplizen Hitlers machen und die rechtsaußen stehenden Richter, die nach 1933 weiter Karriere machten, fälschlich zu später verfolgten Antifaschisten, die sich einfach - wie er selbst - nicht gegen die negativen Tatsachen über Abel hätten sperren können. Kronfeld kapitulierte ethisch und politisch blamabel vor dem Druck der Nazis und trug daher letztlich sogar sein Quentchen Mitverantwortung an der Ermordung Abels im KZ: denn hätte Abel nicht im Gefängnis gesessen, hätte er 1933 noch vor den Nazis fliehen können. Es wirkt wie eine Rechtfertigung, die Kronfeld nun in Moskau für dieses Quentchen vorlegt, wenn er den Sachverhalt um die Zurechnungsfähigkeit oder Unzurechnungsfähigkeit Abels so hindreht, als sei es seine Heldentat gegen Hitler gewesen, das psychiatrische Gutachterurteil der Unzurechnungsfähigkeit (zu dem er in Wahrheit gar nicht gebeten war) zu verweigern und damit die Beschuldigungen Abels gegen Hitler aufzuwerten. Tatsächlich jedoch konnte Hitler im Wahlkampf nur wünschen, daß Abel verurteilt würde; und schon wenige Monate später waren die Gefängnisse in der Hand der selbst kriminellen Nazi-Schergen, was man schon im Sommer 1932 als reelle Gefahr erkennen konnte und auch erkannte. Nicht von ungefähr war es das Bestreben der Linken, noch möglichst viele aus ihren Reihen frei zu bekommen. Kronfeld aber war seine Psychiater-Ehre wichtiger.

Der Abel-Prozeß spielte nur in den Wochen, in denen er stattfand, wegen des beginnenden Reichstagswahlkampfs und dem großen Erfolg Hitlers bei der gerade vergangenen Reichspräsidentenwahl eine Rolle in den Medien, eine bescheidene Rolle im Vergleich zur Notverordnungspolitik der Reichsregierung. Gleich nach dem Urteil, gegen das es nach den bayrischen Gesetzen keine Berufung gab, wollte ohnehin niemand der Sozialdemokraten, die vorher auf Abels Aussage gesetzt und ihn aus den USA nach Deutschland zur Aussage geholt hatten, mehr etwas mit dem Meineidigen zu tun haben; der "Preußenschlag" des Reichskanzlers Franz v. Papen vom 20. Juli 1932 fegte dann andere Themen durch die Gazetten, denn die Gefahr der rechtsextremen Diktatur hatte sich damit realisiert. Heinrich Hannover und Elisabeth Hannover- Drück erwähnen in ihrem Grundlagenbuch über die "Politische Justiz 1918-1933" den Abel-Prozeß nicht einmal, obwohl sie sehr ausführlich z. B. auf den Fememord-Prozeß gegen Heines (S. 154 ff) und auch auf den Prozeß zum "Kurfürstendamm-Pogrom" 1931 eingehen, in dem die Taten von Ernst und Graf Helldorf ungesühnt blieben (S. 283-291). Interessant ist, daß Kronfeld das Schicksal Abels nach dem Januar 1933 weiter verfolgt hat und nun von seiner Ermordung im KZ weiß. Wieso? Und woher weiß er von dessen Tod, den die Nazis sicher nicht in die Zeitung gesetzt hatten? Kurt Hiller behauptet, im Prager Exil von Abels Mutter darüber unterrichtet worden zu sein.

Daß Hitler als Kind und Jugendlicher ein Lausbub, ja "Flegel" war und gegen alle Autoritäten opponierte, daß er auf der Realschule nur die Fächer lernte, die ihm Spaß machten, und seine spätere Schullaufbahn ansonsten nur von "ersichtliche(m) Mißerfolg" geprägt war, hatte er selbst im ersten Kapitel von "Mein Kampf" kokett beschrieben. Daß Göring zeitweise erhebliche gesundheitliche Probleme hatte und daß Karin Göring aus gesundheitlichen Gründen ihren eigenen Sohn nicht zu erziehen in der Lage war, konnte man in der offiziellen Biographie über Karin Göring, geschrieben von ihrer Schwester Fanny von Wilanowitz-Moellendorff, nachlesen. Daß Goebbels einen 'Klumpfuß' hatte, wie man im Volk sagte, war in jeder Wochenschau zu sehen. Über das Aussehen der Nazi-Führer war niemand im Unklaren, und auch über die Anwendbarkeit der Eugenik-Gesetze gegen ihn wurde im Volk gewitzelt. Die Spitznamen, die das Volk seinen Tyrannen gab ('Reichstrunkenbold' für Ley, 'Reichspornograph' für Streicher), wurden überall kichernd getuschelt. (Übrigens hatten auch die Nazis den Vorwurf der Pornographie gegen Hirschfeld erhoben; man gab es sich vice versa.)

Den psychologisch interessanten Kern von Streichers Agitation, die Verbindung von Antisemitismus und abendländischer Angst vor freizügiger Sexualität, erkennt Kronfeld gar nicht, wiederholt nur Volkes Witzchen. Die Homosexualität einiger SA-Führer gab Goebbels - soweit sie nicht ohnehin aus der deutschen sozialdemokratischen Presse der frühen Dreißiger Jahre bereits bekannt war - nach deren Ermordung 1934 im Rundfunk bekannt. Welches Insider-Wissen gab Kronfeld 1941 vor zu haben, das nicht bereits breit bekannt war? Sicher wußte der durchschnittliche Sowjetmensch von all dem nicht sehr viel, wenn überhaupt etwas, aber Stalins Zensoren wußten wohl, daß Kronfeld kaum mehr wußte als der durchschnittliche Deutsche und sicher sehr viel weniger als die Emigranten der KPD im "Hotel Lux".

Selbst über Hitlers eigene Nähe zur Homosexualität hatte insbesondere der lebenslange Rechtsextremist Otto Strasser nach seiner Trennung von der NSDAP 1930 zahlreiche Gerüchte verbreitet, die von den Strasser-nahen SA-Nazis, die den Morden des Juni und Juli 1934 durch Flucht ins Ausland entgangen waren, weiter verbreitet wurden. Von Strasser stammt angeblich auch der Spottname "Fräulein Heß" für Hitlers Sekretär Rudolf Heß, den Kronfeld in einem kyrillisch verballhornten deutschen Zitat verwendet. Als angefüllt mit Anspielungen auf Hitlers eigene Homosexualität versteht Machtan das Buch "Ich kann nicht schweigen" von Walter Korodi (bei Machtan: Walther Korrodi), der in Berlin die "Nationale Abwehrstelle gegen kommunistische Umtriebe" leitete, im Rahmen der Röhm-Affäre festgenommen, dann aber wieder freigelassen wurde und 1935 aus Angst vor weiterer eigener Verfolgung in die Schweiz floh, wo er im Mai 1936 in Zürich sein Buch herausbrachte. Kronfeld kann es noch gekannt haben, da er aus Genf kommend am 15. Juni 1936 in Moskau ankam; er hat es vielleicht als Zuglektüre mitgenommen. In anderer Hinsicht ist Korodis Buch als Vorbild für Kronfelds Text jedoch interessanter (s.u.).

Im Vergleich zu den Gerüchten, die Mitte der Dreißiger Jahre in den linken und in den Hitler-oppositionellen Nazi-Zirkeln des Exils über Hitlers angebliche eigene Homosexualität kursierten, sind Kronfelds Andeutungen geradezu vorsichtig und implizieren keineswegs - auch nicht vom Verständnis der von ihm verwendeten russischen Originalwörter her - gelebte körperliche Sexualbeziehungen Hitlers zu anderen Männern. Im Gegenteil, Kronfelds generelles Mißverständnis der männlichen Homosexualität und seine offenkundige Unkenntnis der Wirklichkeit des Lebens Schwuler, das er in seinem Buch "Sexualpsychopathologie" schon 1923 breit zur Schau gestellt hat, läßt eher vermuten, daß er die in dem "Degenerierten"-Text angesprochenen "homosexuellen Beziehungen" Hitlers zu Heines oder Ernst eher als geistige Beziehungen ansah, wie sie angeblich so viele, von denen Kronfeld glaubte, sie hätten ihre Homosexualität vergeistigt, lebten. Diese Interpretation drängt sich auch deshalb auf, weil sie die von Kronfeld angestrebte Stellung als psychiatrischer Durchblicker, als Halbgott in weiß, der unklare Hintergründe zu analysieren vermag, fördern würde: daß einer Freundschaft eine vergeistigte oder sublimierte Homosexualität zugrunde liegt, muß der Psychiater erst einmal diagnostizieren.

Vorher schon waren die im Pariser Exil sitzenden Autoren des 1933 erschienenen, sogleich in zahlreiche Sprachen übersetzten und weltweit verbreiteten "Braunbuch über Reichstagsbrand und Hitlerterror" um Willi Münzenberg darauf herumgeritten, daß der Brandstifter Marinus van der Lubbe angeblich über das Berliner Homosexuellenmilieu auf die SA-Führer gestoßen sei, die ihn zur Brandstiftung anstifteten. Das wurde im "Braunbuch II. Dimitroff contra Goering. Enthüllungen über die wahren Brandstifter" 1934 noch einmal verschärft, wobei sogar ein angebliches Ferngutachten Magnus Hirschfelds (hier falsch geschrieben: "Hirschfeldt") zu van der Lubbe zitiert wurde (Braunbuch II, S. 136 ff; S. 149 f). Die denunziatorische Nutzung der angeblichen oder tatsächlichen Homosexualität von Nazi-Größen hatte unter den linken Exilanten zu heftigen Auseinandersetzungen geführt, wurde dann kaum noch offen verwendet und war nach der Röhm-Affäre 1934 ohnehin weitgehend obsolet. In dem vom Münzenberg-Kreis 1934 nach der Liquidierung der SA-Führer nachgeschobenen "Weißbuch über die Erschießungen des 30. Juni" hieß es sogar, die Homosexualitäts-Vorwürfe gegen Röhm usw. seien erfunden: "Wir stellen fest: Die amtliche Erklärung Hitlers, wie die übrigen amtlichen Meldungen über die 'Verschwörung' der Röhm-Heines-Ernst und der anderen waren reine Zweckberichte. Lüge, nichts als Lüge!" (Weißbuch, S. 33).

Auch der Versuch des vormaligen Freikorpskämpfers, Mitbegründers der SA und Teilnehmers am Hitler-Putsch 1923, Helmuth Klotz, der sich angeblich der Sozialdemokratie zugewendet und bereits in den Wahlkämpfen 1932 durch eine von ihm herausgegebene, in hoher Auflage gedruckte Broschüre geholfen hatte, die Homosexualität Röhms breit bekannt zu machen, um damit der NSDAP zu schaden, 1934 vom Pariser Exil aus in einer dort von ihm herausgegebenen Zeitschrift Hitler selbst in den gerade angeblich erst von Hitler trockengelegten schwulen Sumpf um Röhm hineinzuziehen, scheiterte im Gegensatz zu 1932. Die von Klotz, der auch mit Otto Strasser kooperierte, 1932 losgetretene Kampagne um die Homosexualität der SA-Führer - vor allem auch von Heines, der als homosexuell bekannt war und der Klotz nach Beginn der Kampagne 1932 im Reichstag zusammengeschlagen hatte, was zu einem spektakulären Strafprozeß führte, weil Heines NSDAP-Reichstagsabgeordneter war - hatte ein breites Echo. Die von Kronfelds Jugendfreund Kurt Hiller herausgegebenen "Mitteilungen des Wissenschaftlich-Humanitären Komitees", einem Sprachrohr der Hirschfeldianer, in dem auch Kronfeld gelegentlich publizierte, hatten 1932 breit über die Klotz-Kampagne, die Presseberichte, die folgenden Gerichtsprozesse und aus den Gerichtsakten berichtet, allerdings Klotz-kritisch, weil die sexuelle Orientierung Privatsache sei und nichts mit dem politischen Kampf gegen die Nazis zu tun habe, eine Meinung, die Hiller zeitlebens vertrat (vgl. die drei letzten Nummern 32-34 in dem von Walter v. Murat herausgegebenen Faksimile-Nachdruck, Hamburg 1985).

Klotz hatte auch 1932 in einer sozialdemokratischen Tageszeitung Goebbels "in geschlechtlicher Hinsicht als 'Mampe halb und halb'" bezeichnet (vgl. Machtan 2003, der sich breit auf Klotz stützt; zit. hier S. 381. Die Bezeichnung "Mampe halb und halb", eigentlich der Name eines berühmten Berliner süß-bitteren Orangenlikörs, wurde ebenso für bisexuelle wie für von den Nazis als "Halbjuden" bezeichnete Menschen verwendet.) Man kann durchaus vermuten, daß Kronfeld Informationen von Klotz hatte und diese 1941 benutzt. Einzelne Formulierungen Kronfelds am Anfang des "Degenerierten"-Textes gleichen fast wörtlich solchen, die Machtan aus Artikeln von Klotz aus den Jahren 1933 und 1934 zitiert (z. B. Machtan 2003, S. 377 f). Andererseits hatte die Klotz-Kampagne 1932 derart weite Kreise gezogen, daß Kronfeld seine Informationen auch sehr einfach aus der Presse haben konnte, die über die Kampagne berichtet hatte, und sich nun 1941 aus Zeitungsausschnitten, Notizen oder der eigenen Erinnerung bedient. Das Schicksal von Klotz, der 1940 in Paris in die Fänge der Gestapo geriet und Anfang 1943 wegen Hochverrats hingerichtet wurde, kann denjenigen ein Argument liefern, die an den Selbstmord Kronfelds am 17. Oktober 1941 aus Angst vor den kurz vor Moskau stehenden Deutschen glauben.

Kronfeld kann Informationen über Göring, Heines, Ernst, Graf Helldorf und den Hanussen-Mord gut aus dem "Braunbuch" bezogen haben, das all diese als verantwortliche Planer und Drahtzieher des Reichstagsbrandes mit dem angeblich homosexuellen Brandstifter van der Lubbe zusammenbrachte und auch die Behauptungen über Görings Drogenbehandlung in Konradsberg und das vermeintliche Verwehren seiner Vormundschaft über Thomas von Kantzow durch ein Stockholmer Gericht aufstellte. Überschneidungen in den Falschdarstel- lungen bei Kronfeld und dem "Braunbuch" sind auffällig. Doch gegen diese Quelle spricht Kronfelds Falschdarstellung des Hanussen-Mordes "am 2. Februar 1933", denn das "Braunbuch" geht ausführlich auf Hanussens Rolle beim Reichstagsbrand am 27. Februar ein, als er noch lebte.

Kronfeld gibt sich als sehr guter Bekannter Hanussens zu erkennen, der von diesem sogar interne Informationen über das Geschlechtsleben Hitlers erfahren haben will, und im "Braunbuch" heißt es: "Hanussens bester Freund, der Führer der Berliner SA, Graf Helldorf, ist einer der Brandstifter des Reichstags gewesen" (S. 114); welchen Vorteil verspricht sich Kronfeld 1941 in Moskau davon, damit anzugeben, Bekannte in diesen Kreisen gehabt zu haben? Im "Braunbuch" heißt es auch: "degenerierte und pervertierte Aristokraten vom Schlage des Grafen Helldorf" (S. 122f); und: "Görings 'Biographen' erzählen gern von seinen Heldentaten als Jagdflieger im Kriege. Sie vergessen hinzuzufügen, dass Göring seine Jagdflüge im Morphiumrausch ausgeführt hat. Die Morphiumspritze war sein ständiger Begleiter und ist es bis heute geblieben" (S. 127); und über den Sorgerechtsprozeß zu Thomas von Kantzow: "Das Gericht hat beschlossen, dass Göring nicht zum Vormund des Knaben Thomas bestellt werden kann" (S. 128); und ein Zitat eines Nazi zur Bücherverbrennung "'Wir sind nicht und wollen nicht sein das Land Goethes:'" (S. 155) Und dies alles könnte wörtlich auch bei Kronfeld so stehen bzw. steht dort genauso falsch wie im "Braunbuch". Zu Streicher schrieb das "Braunbuch": "'Der Stürmer' war immer ein Gossenerzeugnis. Er behandelte die 'Judenfrage' pornographisch" (S. 245) und brachte entsprechende Zitate.

Freilich war der Held der Braun- und Weißbücher, der kommunistische Verleger der Weimarer Republik Willi Münzenberg, mit dem auch Mitglieder des "Wissenschaftlich-Humanitären Komitees" zusammengearbeitet hatten, der zeitweise in Hirschfelds Institutsgebäude wohnte und der 1932 eine große Kampagne gegen Hanussen und dessen faschistisch-okkultistischen Umtriebe geführt hatte, 1940 nach Meinung vieler von Häschern Stalins in Frankreich ermordet worden. Schon 1937 hatte Münzenberg mit den Kommunisten gebrochen und sich geweigert, nach Moskau zu reisen, weil er befürchtete, das Schicksal Karl Radeks zu erleiden; 1939 war er aus der KPD ausgeschlossen worden. Ob Kronfeld das 1941 wußte? Ob die "Braunbücher" 1941 in Moskau noch in den Bibliotheken standen? Es ist wohl anzunehmen, daß sich Kronfeld spätestens in der Schweiz mit der Nazi-kritischen Exilliteratur versorgt hatte, wenn er nicht schon vorher getarnte Ausgaben, die in Deutschland illegal verbreitet wurden, bekommen hatte. In die Schweiz und später nach Moskau konnte er nach publizierten Zeitzeugenaussagen mit seiner kompletten Privatbibliothek ausreisen. Daß er diese in Frankreich und der Schweiz 1933 bis 1936 erschienenen Bücher kannte, ist sehr wahrscheinlich, weil er ja sogar 1941 noch dieselben Inhalte für wichtig hält.

Ähnlichkeiten zu Kronfeld Text sind auch in Korodis Buch, das 1936 in Zürich erschien, zu sehen. Ausführlich stellt er Ernsts Karriere dar, der der "Lieblings-SA-Führer eines Adolf Hitler" gewesen sei (Korodi, S. 111) und unterstellt ein "Geheimnis", das Hitler bewogen habe, den Fememörder Ernst zu befördern (S. 110). Allerdings spricht Korodi dieses Geheimnis nicht - wie Machtan leichtfertig unterstellt (Machtan 2003, S. 239f), obwohl Korodi in seinen Andeutungen keineswegs eindeutig ist - offen als eine homosexuellen Beziehung zwischen Ernst und Hitler an, oder, wie Kronfeld behauptet, als "homosexuelle Nähe", aus der Machtan in falscher Übersetzung des russischen Wortes sogleich eine "Beziehung" macht, sondern darin, daß Ernst, Heines - den Hitler 1928/29 als "schwule Sau" bezeichnet und eine Akte über ihn angelegt habe (Korodi S. 112) - und Graf Helldorf den Reichstag angezündet hätten (S. 114, 149). Korodi spielt jedoch auch mit Hinweisen auf die enge und alte Beziehung zwischen Hitler und Röhm und Hitlers "so merkwürdige 'Treue'" zu Röhm (S. 113) und behauptet, an Hitler gerichtet: "Daß Sie außer der 'Treue' noch etwas anderes hinderte, Röhm fallen zu lassen, wußten ja nur wenige Eingeweihte" (S. 115). Doch immer läuft es auf den Reichstagsbrand als das "Geheimnis" hinaus. Korodi läßt sich auch zu Hanussen aus: "ein zu gefährlicher Mitwisser auch anderer geheimster Vorgänge hinter den Kulissen des Dritten Reiches" (S. 153), lamentiert über "furchtbarste Skandale im Bereich des Herrn Ley" (S. 154), bringt etwas zu Blomberg (S. 183) und zu Streicher (S. 200 ff).

Allzu viele Emigranten mit Insider-Wissen über die Nazi-Führung und die SA-Größen aus der Röhm-Umgebung, aus der Berliner Schwulenszene und aus der Gruppe der als Reichstagsbrandstifter von der KPD Beschuldigten (alle Gruppen mit den identischen Personen!) gab es wohl 1935/36 nicht in der Schweiz. Ob Kronfeld und Korodi, die beide 1935 in die Schweiz flohen, sich dort trafen? 1941 jedenfalls, als Kronfeld dies alles wieder aufgriff, waren diese Themen, um die sich 1933/34 tatsächlich ein Teil der Agitation der Exilanten drehte, absolut der Schnee von gestern. Schon Korodis Buch war nur noch ein müdes Nachkarten im Jahr der großen internationalen Anerkennung Nazi-Deutschlands (Olympiade!), das keine Wirkung mehr entfalten konnte. Korodis Schlußkapitel "Was soll werden?" mit nationalem Pathos über die "Enttäuschten und Betrogenen" (S. 206), die nun zusammengehen müßten gegen die kleine Clique der Nazi-Führung, weist in der Argumentationsfolge ebenfalls Parallelen zu Kronfelds Schlußabsätzen auf.

Auch in Singers Göring-Biographie von 1939/40 könnte Kronfeld sich bedient haben, wenn er sie in Moskau bekommen konnte. Singer stützt sich immer wieder auf Äußerungen Otto Strassers, der nach seiner Trennung von der NSDAP emsig bemüht war, die Nazi-Größen negativ darzustellen. Singer zitiert Strasser mit der seltsamen Floskel über Napoleon, die auch Kronfeld am Ende verwendet: "'Who in Germany or Europe really knows that Göring's deepest and most far-fetched fanatical ambition aims at bringing the revolution to its full end as the 'German Napoleon' ... '" (p. 238f). Dem schließt sich Singer später an: "He dreams of victories, of Great Germany, of the new Napoleon for whom there is no Waterloo" (p. 281) und verweist auf der letzten Seite seines Buches noch einmal auf Waterloo, wo die letzte Station sei. Sowohl Hitlers Nähe zu Homosexuellen (p. 111) als auch die Stockholmer Morphium- und Sorgerechts- Geschichte bringt Singer, der auch das "Braunbuch" anführt (p. 191), sehr ausführlich, wie bereits von uns oben in den Anmerkungen im übersetzten Kronfeld-Text dargestellt. Zu dieser Zeit gab es kaum kritische biographische Literatur über (oder besser: gegen) die Nazi-Führer, während diese selbst Biographen bezahlten, die den Buchmarkt mit Legenden überschwemmten. Die Exilanten aus allen politischen Richtungen hatten wahrlich andere Probleme, nur einige wenige versuchten, gegen diese Legenden anzuschreiben. Singers Schicksal und das Schicksal seines Buches im neutralen Schweden - es wurde sofort verboten und blieb bis in die Siebziger Jahre verboten - zeigt zudem, daß außerhalb der Sowjetunion derartige Literatur als Provokation Nazi-Deutsch- lands unerwünscht war, und auch innerhalb der UdSSR zumindest in der Zeit des Hitler-Stalin-Paktes. Woher hätte Kronfeld seine Informationen nehmen können, wenn nicht aus den ganz wenigen, auf biographische Ereignisse der Nazi-Führer eingehenden Veröffentlichungen der ersten Exiljahre, auf Singer (zu Göring) oder auf sein eigenes Gedächtnis zu seinen Berliner Erlebnissen bis zum Frühjahr 1935, als er in die Schweiz emigrierte?

Fast nichts an Kronfelds "Degenerierten"-Text, das einer Überprüfung standhält, ist tatsächlich als Insider-Wissen zu werten. Es war alles bereits vor 1941 publiziert, und die einzige neue Stelle, Hanussens Information über Ernst, Heines und Hitler, kann Kronfeld, dessen Kontakte zu Hanussen bekannt waren und vor 1933 in der Berliner Presse gestanden hatten, angesichts der vorherigen Publikationen über den Reichstagsbrand und die angebliche schwule Brandstifter-Clique gefahrlos erfunden haben. Er hat den Anspruch, die Führer Deutschlands als Psychiater zu beurteilen und ihre Politik vor diesem Hintergrund bloßzustellen, doch der Kern seiner Psychiatrie, auf die gesellschaftliche Wirklichkeit angewandt, erschöpft sich in Klatsch aus vergangenen Zeiten.

Psychiatrisierung der verbrecherischen deutschen Politik

Doch die Hauptkritik an Kronfelds Text muß auf seine Psychiatrisierung der Nazi-Politik abzielen. Die terroristische Ausschaltung der Gegner des Kapitalismus und der ‚jüdischen‘ Konkurrenz, die Eroberung der Reichtümer anderer Völker und die Versklavung ihrer Arbeitskraft, die Ermordung der Unproduktiven als 'unnütze Esser', der Aufbau eines gigantischen militärisch-industriellen Komplexes, dessen Produkte zum Zwecke der Kapitalverwertung kriegerisch vernichtet werden mussten - das alles folgte anderen Motiven als den in den Persönlichkeiten einiger Nazi-Führer zu diagnostizierenden psychischen Abweichungen von einer angeblichen Norm, auch wenn zur praktischen Durchsetzung von Zielen immer handelnde Persönlichkeiten gebraucht werden. Und wäre ein nicht drogenkranker Göring in der Erreichung dieser Ziele nicht noch effektiver gewesen, deshalb ein viel größerer Bösewicht als ein kranker? Die Liquidierung der Röhm-Leute und die spätere Entmachtung Blombergs, Fritschs, Streichers fanden ja gerade deshalb statt, um einen soliden Staat aufzubauen und abzusichern, einen Staat, der in der Lage war, diesen Krieg zu führen.

Kronfeld zeigt überhaupt kein Verständnis von gesellschaftlicher Entwicklung, von gesellschaftlich bedingten Interessen und der auf ihr und ihnen fußenden ethisch-moralischen 'Degeneration', die bereits in der die Natur vergöttlichenden Ideologie eines Haeckel angelegt war, als dessen - nicht: Schüler - Apologet sich Kronfeld verstand. Einen unreflektierten Begriff der Natürlichkeit des Menschen hob er zur Normalität empor, Normalität zum ‚Gesetz‘ nach Fries/Nelson. Wo es keine politisch-ökonomischen Interessen gibt, auch keine moralisch entfesselten Interessen, da muß das unverstandene Verbrechen als Krankheit erscheinen, als Anomalie im Sinne der biologistischen Psychiatrie, der sich Kronfeld zugehörig fühlte. Das, was Hanna Arendt an Adolf Eichmann feststellte, überstieg Kronfelds Vorstellungsvermögen: "schrecklich und erschreckend normal". Wer das unverstanden als unnormal Definierte ausrotten will - das wollten, vielleicht bis auf den irren "Aristoi" Kurt Hiller, alle am Institut für Sexualwissenschaft -, kann die Banalität des Bösen nicht erkennen. Um so verständlicher, daß Kronfeld kein Verständnis hatte für die Verbrechen der Psychiatrie, die sein Förderer und Habilitations-Betreuer Karl Bonhoeffer als Euthanasie-Gutachter in Berlin beging - das "Braunbuch II" erwähnte ihn sogar (falsch geschrieben: "Bonnhöfer"), als Gutachter zu van der Lubbe! (S. 221 f) - und die Kronfeld als Insulin-Koma-Therapeut gegen angeblich schizophrene Opfer des stalinistischen Terrors in Moskau beging.

Es spielt keine Rolle für die Kritik, daß die schlimmsten Verbrechen, die noch in Jahrhunderten mit den Deutschen assoziiert werden, noch nicht vollendet waren, als Kronfeld seine Radio-Reden hielt. Daß die Nazi-Führer erschreckend normal waren, daß sie gerade deshalb von ihrem Volk gewählt worden waren, konnte er genauso wissen, wie man wußte, daß die Giftmörderin Gesche Gottfried erschreckend normal gewesen war und gerade deshalb ihre Verbrechen so lange unentdeckt begehen konnte. Kronfeld aber wollte gerade das Gegenteil zeigen: Monster. Doch Himmler, der angeblich Unnormale, hatte 1922 in sein Tagebuch geschrieben: "Die reine physische Homosexualität ist ein Irrtum des degenerierten Individualismus, der im Gegensatz zur Natur steht" (Smith, p. 115). "Ganz normale Männer" waren die Mitglieder des Hamburger Reserve-Polizeibataillons 101, die mit Gewehren, Auge in Auge Zehntausende Juden erschossen, und mit den Leichen posierten sie zum Foto ihrer "schönen Zeiten" für den Feldpostbrief nach Hause. Ein liebender und sorgender Familienvater war der Kommandant von Auschwitz, geradezu ein Modell deutscher Normalität. Einen repräsentativen Querschnitt durch die deutsche Gesellschaft bildeten die Angeklagten im Auschwitz-Prozeß 1963: Exportkauf- mann, Hauptkassierer, Zahnarzt, Assessor der Landwirtschaft, Diplom- Ingenieur, Hausmeister, Heizer, Krankenpfleger, Tischler, Gynäkologe, Apotheker. Es scheint so, als wäre es geradezu Kronfelds Absicht gewesen, von denen abzulenken, die im Weihnachtsurlaub schnell einen Sohn zeugten und zu Neujahr schon das nächste Massaker an Partisanen kommandierten - von seinen Nachbarn aus Berlin-Charlottenburg, die wie er Nietzsche, Heidegger, Jaspers verehrten. Die Fries-Nelsonsche 'Volksseele' kann nicht böse sein, denn sie birgt das ‚Gesetz‚. Böse waren nur Hitler und seine Bande. Darum ist Kronfelds "Degenerierten"-Text heute so aktuell. Er beinhaltet das, was heute im Feuilleton der FAZ steht.

Sowjetische Schriftsteller wurden damals wegen weniger Blödsinn nach Sibirien verschleppt.

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** (anonym; es ist Korodi, Walter): Ich kann nicht schweigen, Zürich 1936.
Braunbuch über Reichstagsbrand und Hitlerterror, Paris 1933 (Nachdruck Berlin 1980)
Braunbuch II. Dimitroff contra Goering.
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Die Weltbühne
Frankfurter Zeitung
Völkischer Beobachter
Larousse Enzyklopädien

(Januar 2012)

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