© 2006 by Peter Kratz  für diese Internet-Veröffentlichung. Jede Verwendung der Texte und der Abbildungen unterliegt dem Urheberrecht.

Neue Herausforderungen
Themen des BIFFF...
Bücher und Broschüren
English Texts
E-Mail an BIFFF...


    

  

Stadtbüchereien als Hort
faschistischer Ideologie?
 
Ein Beispiel für Recherche und Aktion in der antifaschistischen Kommunalpolitik
 
Von Peter Kratz

Es gehört zu den Grundvoraussetzungen antifaschistischer Politik, sich in wissenschaftlichen Bibliotheken mit faschistischer befassen zu können, insbesondere mit Quellen, aus denen man die Übereinstimmungen mit den Ideen der heutigen "Neuen Rechten" ersehen kann. Damit das auch so bleibt, muß man gar nicht die Freiheit des Wortes bemühen: wir AntifaschistInnen haben selbst ein Interesse an dieser Situation, denn ohne Arbeitsmöglichkeiten in öffentlich zugänglichen Bibliotheken säßen wir manches Mal auf dem Trockenen. 

Aber sollen faschistische Propaganda-Bücher aus Verlagen, die sogar die Innenminister als rechtsextremistisch einstufen, in Publikumsbüchereien auf Vorrat gehalten und an alle, auch an Jugendliche, unbeschränkt ausgegeben werden? Sollen sie in den frei zugänglichen Regalen der nach dem Supermarkt-Prinzip organisierten Stadtbüchereien (Körbchen nehmen, durch die Gänge streifen und aus den Regalen nehmen, was gefällt) sogar angeboten, zu ihrer Ausleihe durch die Aufmachung, die die Verlage ihren Machwerken verpaßt haben, sogar animiert werden, in öffentlicher Verantwortung der Büchereien? 

Ohne Zweifel heikle Fragen, die scharf nach "Zensur" riechen. Andererseits: Stadtbüchereien haben nicht die Funktion wissenschaftlicher Bibliotheken; hier wollen die BenutzerInnen nicht wissenschaftlich arbeiten sondern breit staatsbürgerlich und kulturell informiert oder leselustvoll erfreut werden. Der Bestand solcher Büchereien wird aus öffentlichen Mitteln finanziert. Es ist nicht einsehbar, daß mit den Steuern der BürgerInnen faschistische Verlage finanziert, antidemokratische Politik ermöglicht und propagiert wird. Wenn wir uns gegen die Wahlzulassung, gegen die Fernseh-Propaganda-Spots und die anschließende staatliche Parteienfinanzierung der Neofaschisten wenden, dann können wir die Verbreitung ihrer Politik über staatliche Publikumsbüchereien nicht tolerieren. Das Grundrecht der Informationsfreiheit erscheint hier nur allzu oft als billiges Deckmäntelchen: Nazi-Literatur hat einen Informationswert allenfalls für kritische Demokraten. Faschistische Lügen verdienen es nicht, von Staats wegen verbreitet zu werden. 

Jugendliche mögen aus verständlichem Oppositionsgeist einmal eine Phase der Lust auf Provokation und des Interesses an literarischen Originalen des Faschismus- und Kriegsverherrlichung haben. Das ist bedauerlich. Das Interesse schwindet mit der Lust, so ist der Regelfall (bisher). Nur bei wenigen, die in faschistischen Zusammenhängen leben oder in sie hineinkommen, verfestigt sich das Interesse zu einer Weltanschauung der Ungleichheit der Menschen. Es ist nicht Aufgabe von Stadtbüchereien, durch animierende Präsentation NS- und kriegsverherrlichender Literatur im sogenannten Freihandbereich der Bücherei den Wenigen diesen Schritt zu erleichtern bzw. ihn potentiell zu einem Schritt für viele zu machen. 

Beispiel Stadtbücherei Bonn 

Die Bonner Initiative Gemeinsam gegen Neofaschismus ist seit Jahren dieser Meinung und hat seit 1988 regelmäßig zum 8. Mai (Jahrestag des Sieges über den Faschismus) und zum 1. September (Antikriegstag, Jahrestag des Beginns des Zweiten Weltkriegs) die Stadtbücherei der Bundeshauptstadt nach NS- und kriegsverherrlichenden, alt- und neofaschistischen Büchern durchsucht. Es war leicht, hier fündig zu werden. Bonn ist seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs konservativ regiert; die Bonner CDU gilt als eine der rechtesten Großstadt-Organisationen der Union in der Bundesrepublik. Entsprechend ist die Politik der Verwaltungsbeamten. Wunschlisten für Neuanschaffungen der Stadtbücherei, jahrzehntelang aufgestellt z.B. auch von Offizieren der faschistischen deutschen Wehrmacht oder der Waffen-SS, die inzwischen im Verteidigungsministerium arbeiteten und in Bonn lebten, taten sicherlich ein übriges. Die Herren Helden, die auf Hitler vereidigt waren und im Dienste des deutschen Kapitals im Westen, Norden, Osten und Süden metzelten, wollten schließlich ihre Taten vor Narvik oder in Nordafrika, über Guernica oder in den russischen Weiten noch mal am abendlichen Kaminfeuer nachlesen, gegenüber Frau und Kindern mit dem eigenen Abenteurertum angeben - als Büro-Offizier der Hardthöhe war man in der Wirklichkeit ja nur Sandkasten-Stratege. Spitzenfunktionäre von Vertriebenenverbänden, Lobbyisten von in der Bundeshauptstadt ansässigen rechten und rechtsextremen Vereinen und Verbänden konnten auf die Anschaffungspolitik der Bücherei durch Wunschlisten und gezielte Ausleihe Einfluß nehmen: dieser "Bedarf" an neofaschistischer und kriegsverherrlichender Literatur war die willkommene Rechtfertigung für eine Anschaffungswut, die die Bücherei vor allem in den 70er Jahren, bei der ersten großen "Hitler-Welle", zu zahllosen Buch-Bestellungen bei bekannten rechtsextremen Verlagen trieb. 

Die Bonner Initiative präsentierte diese Bücher ab 1988 regelmäßig der Öffentlichkeit und verlangte die Errichtung einer "Ausleihschwelle", damit zumindest Jugendliche nicht ständig animiert würden. Die Bücher sollten aus den Regalen des "Supermarkt"-Freihandbereichs ins Zentralmagazin verbannt werden. Von dort wären sie über den Katalog der Bücherei weiterhin jederzeit gezielt ausleihbar, wenn jemand z.B. mit dieser Literatur kritisch arbeiten wolle. Keine Zensur also, sondern das schwächste Mittel zum Schutz der Demokratie, schwächer noch als die Vorschrift der Alliierten, Nazi-Propagandafilme nur mit erläuterndem Vortrag öffentlich aufführen zu dürfen. (Auch diese antifaschistische Maßnahme wird demnächst der vollen Souveränität Deutschlands zum Opfer fallen.) 

NS-Propaganda für Jugendliche 

Wie nötig diese Forderung war und ist, zeigt die Wirklichkeit der angebotenen Literatur in Bonn. Ein junger Mensch konnte im Jahre 1989 in der Bonner Stadtbücherei aus Jux oder zur Provokation zum Beispiel das Buch "Er war mein Chef" ins Bücherausleih-Körbchen legen und dann im Geschichtskurs Sekundarstufe II oder besser noch: in der Pause kurz vorher, wenn der linke Geschichtslehrer gerade reinkommt, daraus vorlesen: wie Hitlers Sekretärin Christa Schröder - immer noch hörig und ergeben - z.B. von der Großherzigkeit des Menschen A.H. schwärmt, der seine mit Sahne-Hakenkreuzen verzierten Geburtstagstorten noch prompt am 20. April den Kinderheimen und Krankenhäusern spendete (S. 92f). Und Tischmanieren hatte der Mann, da könnte sich manch 68er WG-Geschädigter ein Beispiel nehmen! "Großen Wert legte Hitler auf schöne Tisch- und Blumendekorationen" (S. 179). Zwischen Fotos von Kinder- und Hunde-streichelnder SS lernt der heutige junge Mensch hier die NS-Wahrheit über Hitlers Toleranz kennen: "Hitlers Lieblingsgerichte anfangs der 30er Jahre waren weiße Bohnen, Erbsen und Linsen, Gemüse und Salatplatten...Fleisch war nach seiner Überzeugung ein toter, verwester Stoff. Außerdem mißbilligte er die grausame Art, die zum Töten der Tiere in den Schlachthöfen angewendet wurde...Zum Schluß erklärte er dann immer, daß er keineswegs die Absicht habe, jemanden zu zwingen, nach seiner Art zu essen" (S. 180f). 

Ist der 68er-Geschichtslehrer der 89er-SchülerInnen durch die Konfrontation mit der Menschlichkeit auf dem Obersalzberg erst einmal so richtig schön provoziert worden, daß man sich auf die Schenkel klatschen konnte, dann macht der nächste Griff ins Stadtbücherei-Regal um so mehr Spaß. Nach ein bis zwei Jahren Supermarkt-Verhalten in der Bonner Stadtbücherei - heut nehm ich das, morgen probier ich dies - hatte man ein komplettes faschistisches Weltbild zusammen. Denn hier war in den allgemein zugänglichen Regalen alles vorrätig, was einen zum Neonazi ausbildet, und manches einschlägige Buch gleich mehrfach, wegen der großen Nachfrage. 

Schließlich kam der junge Mensch bei seinem Gang durch die Regale von der Hakenkreuz-Geburtstags-Buttercreme (Gibt es überhaupt etwas, das mehr friedliche Saturiertheit ausstrahlt als eine Buttercreme-Torte!? Wie hätte je von diesem Obersalzberg Krieg, Mord, Tod ausgehen können?) zum "Komitee zur Vorbereitung der Feierlichkeiten zum 100. Geburtstag Adolf Hitlers" (KAH) und seinem Förderer Leon Degrelle. Das Buch "Die verlorene Legion" des ehemaligen wallonischen Faschistenführers und SS-Truppenkommandanten Degrelle beschreibt die Verbrechen der Waffen-SS gegen die sowjetische Bevölkerung als abenteuertümliche Heldentaten körperlich und ideologisch starker Männer im Kampf gegen den aggressiven bolschewistischen "Untermenschen". Degrelle, den Hitler als eine Art Adoptivsohn liebte, war von Belgien nach 1945 wegen seiner Verbrechen zum Tode verurteilt worden und unterstützte 1989 aus seinem spanischen Exil heraus das 1984 in seinem Beisein in Madrid gegründete KAH Michael Kühnens. Die Existenz von Todes- und "Vernichtungs"-Lagern leugnet er, der Völkermord an den europäischen Juden ist seiner Meinung nach nichts als eine anti-deutsche Erfindung - ein Toast auf den "Führer" zum Hundertsten! 

Alles das hätten die Lektoren der Stadtbücherei im Verfassungsschutzbericht des Bundesinnenministers lesen und sich bei der Buchanschaffung entsprechend verhalten können. Statt dessen stellten sie das Degrelle-Buch offen für alle ins Ausleihregal, wo es die Bonner Initiative Gemeinsam gegen Neofaschismus am 8. Mai 1989 entlieh und schnurstracks dem Jugendamt der Stadt Bonn zwecks Indizierungsantrag übergab. Aufgrund des öffentlichen Drucks, den der Skandal um diese Bücher alljährlich in der Bonner Lokalpresse verursachte, stellte das Jugendamt endlich im Sommer 1990 tatsächlich einen solchen Antrag bei der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften - eine peinliche Niederlage des Kulturamtes der Stadt Bonn gegen das Jugendamt der Stadt Bonn. Im Indizierungsgutachten heißt es: "Hiermit stellen wir den Antrag auf Indizierung des Buches 'Die verlorene Legion' nach § 1 GjS. Nach dem GjS sind Schriften zu indizieren, wenn sie den Krieg verherrlichen, Gewalt verherrlichen oder verharmlosen oder zum Rassenhaß aufstacheln im Sinne des § 131 StGB. In diesem Buch wird auch gegen den § 86 StGB verstoßen". Bis zum 8. Mai 1989 konnten alle Jugendlichen das Buch frei ausleihen. 

Degrelle schreibt hier zum Überfall des nazistischen Deutschland auf die Sowjetunion reißerisch: 

"Zweiundzwanzigster Juni 1941. Drei Uhr zwölf Minuten morgens. Deutsche Offiziere starren gebannt auf die Leuchtzifferblätter ihrer Uhren. Endlos lang dehnen sich die Sekunden, die Nerven sind zum Zerreißen gespannt. Drei Uhr dreizehn. Der anbrechende Morgen ist kühl und diesig, es fröstelt. Drei Uhr vierzehn. Noch eine Minute. Das Herz schlägt schneller. Noch zehn Sekunden, noch fünf Sekunden, vier, drei, zwei: Feuer! Von Finnland bis zum Schwarzen Meer brüllt die Front auf, der Feldzug im Osten hat begonnen...Das Dritte Reich rief zum Kreuzzug gegen den Bolschewismus. Von Oslo bis Sevilla, von Antwerpen bis Budapest wurden zahllose junge Menschen aufgerüttelt. Es lockte das Abenteuer und die unendliche Weite, aber es lockte auch der in ehrlicher Bereitschaft aufgenommene Ruf zur Verteidigung des Abendlandes" (S. 7). 

Das ist die Darstellung des Krieges als Orgasmus, von Finnland bis zum Schwarzen Meer ergießt es sich erlösend in die Weite der russischen Steppe. Was kann schöner sein für einen Offizier der Waffen-SS !? Aber in Wahrheit ist es die faschistische Bestie, die hier zu ihrem Höhepunkt kommt. "Über Schlachtfelder vorwärts fuhren wir auf den Straßen des Sieges gen Osten" (S. 8). "Hunderte von Läusen fraßen uns an. Während der ganzen Offensive vom Donez hatten wir die Wäsche nicht wechseln können. In allen erbärmlichen Strohhütten hatten vor uns Mongolen, Tataren und Sibirier voller Ungeziefer gehaust" (S. 53). "Der Kampf in Rußland war der Kampf des wenig Anspruchsvollen gegen den zivilisierten Menschen. Der russische Soldat zeltete überall und aß alles" (S. 85). Hier die Sahnetorten der SS auf dem blumengeschmückten Geburtstagstisch Hitlers, dort der bolschewistische Allesfresser voller Ungeziefer. Auch ein Weltbild für die BewohnerInnen der Bundeshauptstadt, staatlich gefördert! 

Endlose Reihe NS- und kriegsverherrlichender Literatur 

Tatsächlich standen in den Regalen meterweise solcher Bücher, mal drastischer, mal vorsichtiger. Aufgrund der antifaschistischen Protestaktionen wurden die Regale inzwischen weitgehend leergeräumt und diese Literatur magaziniert. Heute klaffen große Löcher im Bestand, die Freiflächen wollen mit antifaschistischer Literatur gefüllt werden, aber angeblich fehlt das Geld dazu. Die Verantwortlichen hatten es ja bereits anderweitig ausgegeben. 

Es können hier nicht alle Bücher besprochen werden, die die Stadt Bonn ihren Bücherei-BenutzerInnen andiente. Einige Beispiele kritisierter Schriften, die sich sicher auch in anderen Stadtbüchereien finden lassen, sollen aber das Problem verdeutlichen und AntifaschistInnen dazu bewegen, in ihren Städten einmal mit offen Augen die Bücherei zu besuchen. 

Otto Kumm: "Vorwärts Prinz Eugen!" Geschichte der 7. SS-Freiwilligen-Division (1978). Der Autor war selbst hochrangiger SS-Führer und Mitbegründer der die SS-Tradition fortsetzenden "Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der Angehörigen der ehemaligen Waffen-SS" (HIAG). Das Buch erschien im Munin-Verlag, der auch die HIAG-Zeitschrift "Der Freiwillige" herausbringt. Die Division "Prinz Eugen" war an Kriegsverbrechen in Jugoslawien beteiligt. 

Gernot Mörig: Deutschlands junge Zukunft (1981). Mörig, ein langjähriger "Bundesführer" des "Bund Heimattreuer Jugend" (BHJ), wird mit seinem BHJ vom Verfassungsschutzbericht als rechtsextremistisch einstuft. Der BHJ ist die zweitgrößte neofaschistische Jugendorganisation, die nicht direkt an eine Partei gebunden ist. 

Peter Dehoust: Die Niederwerfung des Reiches (1984). Dehoust gehört als Herausgeber der Zeitschrift "Nation Europa", in deren Verlag auch dieses Buch erschien, zu den bekanntesten neofaschistischen Publizisten. Das Buch dokumentiert einen Kongreß der neofaschistischen "Gesellschaft für freie Publizistik" (GfP) und ist, wie die Schriften aus dem HIAG-Umfeld, normalerweise nur über gezielte Buchbestellung eines Insiders überhaupt zu bekommen. Dehoust, "Nation Europa" und die GfP werden seit Jahren kontinuierlich in den Verfassungsschutzberichten als rechtsextremistisch eingestuft. 

Siegfried Boström: Balten sind wir gewesen (1983). Das revanchistische Buch erschien im Türmer-Verlag, der von Herbert Böhme (Deutsches Kulturwerk europäischen Geistes, DKEG) gegründet worden war. Auch dieser Verlag ist im Verfassungsschutzbericht erwähnt. 

Rolf Kosiek: Deutsches Land in fremder Hand. Tausend Jahre Grenzschicksal (1983). Kosiek gehört zu den bekanntesten bundesdeutschen Neofaschisten, ebenfalls aktenkundig beim Verfassungsschutz. 

Richard W. Eichler: Könner - Künstler - Scharlantane (1960) sowie vom selben Autor: Künstler und Werke (1962). Eichler, ein Anhänger des Nazi-Bildhauers Arno Breker, ist Gründungsmitglied und Generalsekretär der "Sudetendeutschen Akademie der Wissenschaften und der Künste", "Schiller-Preisträger" des DKEG; er tritt als Referent über Kunstfragen bei der Sekte "Deutsche Unitarier Religionsgemeinschaft e.V." auf, in der sich nach 1945 hohe Nazi-Funktionäre, enge Mitarbeiter Alfred Rosenbergs und Aktivisten des Nazi-Kirchenkampfes zusammenfanden. Die Sekte hatte in den 60er und 70er Jahren in Bonn einen Schwerpunkt. Ihre bis Ende 1988 amtierende Ehrenpräsidentin und Chefideologin Sigrid Hunke lebt fast 80-jährig in Bonn, ihre Bücher stehen ebenfalls zahlreich in den Stadtbücherei-Regalen; auch Hunke ist "Schiller-Preisträgerin". Im Stile der Nazi-Kunstpolitik greift Eichler die Moderne als entartet an. Insbesondere auf Picasso und Kandinsky hat er sich eingeschossen. Eine Bonner Alternativzeitung zitierte im Mai 1988 aus dem erstgenannten Buch, aus dem Jugendliche in der Bonner Stadtbücherei lernten, moderne Kunst einzuschätzen: "Es kommt einem Versuch der seelischen Verseuchung gleich, Menschen überreden zu wollen, sich in die bildgewordenen Seelenkrankheiten zu vertiefen und in psychopathologischen Schutthaufen zu stöbern...Die meisten Pioniere der abstrakten Kunst sind slawischer Herkunft gewesen...Dem Osten paßte diese Kunstform so lange ins Konzept, als sie seinen Zersetzungsplänen diente". Man hätte ebenso gut gleich den Katalog der Nazi-Ausstellung "Entartete Kunst" ausleihen können! Das zweitgenannte Buch Eichlers steht heute immer noch im Regal des Freihandbereichs. 

Adolf von Thadden: Guernica - Ein Bomben-Schwindel. Von Thadden war Bundesvorsitzender der NPD. 

Wilfred von Oven: Hitler und der spanische Bürgerkrieg. Mission und Schicksal der Legion Condor (1978). Von Oven war Adjutant des Nazi-Propagandaministers Josef Goebbels. Er ist in der Stadtbücherei auch mit einer Goebbels-Biographie vertreten. Sein Buch über den Spanischen Bürgerkrieg erschien im einschlägig bekannten Grabert-Verlag kurz nach Francos Tod und der Hinwendung Spaniens zur EG- und NATO-Demokratie. "In wahrheitsgetreuem Licht" weiß von Oven über die Massenmörder von Guernica zu erzählen: "Sie kämpften als deutsche Soldaten. Sie machten ihrem Lande Ehre". Die Bonner Stadtbücherei ließ mit Hilfe von Ovens gegenüber ihren BenutzerInnen "Hitlers politische Weitsicht" rühmen, "der roten Gefahr in einem verwirrten Spanien entgegenzutreten", und sogar - zwei Jahre nach Francos Tod im Bett - "ein zweites Guernica" heraufbeschwören, denn "Spanien steht heute dort, wo es vor vierzig Jahren stand. Damals lautete Francos Befehl: Befreit Guernica von den Roten!". 

Ein November-Prophet über den Nationalsozialismus 

Es fanden sich ein Buch Oswald Mosleys, des britischen Faschistenführers; eine Biographie aus der rassistischen Sekten-Ecke "Ludendorff wie er wirklich war"; Rechtfertigungsbücher wie "Die Nürnberger Geschichtsentstellung" (über die angeblich unbeachtet gebliebenen "Beweise" für Hitlers Friedenswillen und den Ostfeldzug als reinen Verteidigungs- und Präventivkrieg), Luise Jodls Persil-Buch über den in Nürnberg hingerichteten Kriegsverbrecher Generaloberst Jodl, ein gleiches über Jodls Hitler-treuen Schicksalsgenossen Generalfeldmarschall Keitel, Tenor beide Male: Verbrechen nein, die Herren hätten sich eben nur mal geirrt. Jodls Witwe: "Bleibt die Frage, ob die Pflichterfüllung, die diese befolgt haben, überhaupt mit dem Maßstab eines irdischen Gerichtes zu messen war oder ob sie nicht unter den unerforschlichen Spruch des höchsten Richters im Himmel über menschliches Irren fiel" (S. 438) - ein General ist eben nicht belangbar. 

Helmut Stellrecht: Adolf Hitler - Heil und Unheil. Die verlorene Revolution (1974 bei Grabert erschienen). Stellrecht hatte schon 1923 Kontakte zur NSDAP, war 1931 hauptamtlicher Funktionär in der Reichsleitung der NSDAP, 1933 bis 1939 Obergebietsführer der Reichsjugendführung als Leiter des Amtes Wehrerziehung. Ab 1941 war er Stabsleiter des NSDAP-Amtes Rosenberg und damit der zweite Mann hinter dem Nazi-Chefideologen. Aus seiner verfassungsfeindlichen Hitler-Biographie in der Stadtbücherei Bonn konnten die Bonner Jugendlichen Lernen: "Von der Politik Adolf Hitlers kann man mit einiger Sicherheit sagen, daß das Ziel nicht falsch war, daß er sich aber in der Wahl der Mittel vergriffen hat" (S. 19, Hvh. P.K.). Es sei die "geschichtliche Sendung" der Deutschen, Europa nach ihren Vorstellungen neu zu ordnen. "Dabei ist zu sagen, daß die der geschichtlichen Entwicklung entgegenstehenden Kräfte (also die Anti-Hitler-Koalition des Zweiten Weltkrieges, P.K.) die eigentlich 'verbrecherischen' sind und nicht die, die zu einem geschichtlichen Vollzug ansetzen" (S. 19). Der Nationalsozialismus sei "die große Erneuerung" Deutschlands gewesen, die an der "Welthetze" und der "um Roosevelt stehenden Anticlique" (S. 314) gescheitert sei. "Einmaliges wurde vertan. Denn Adolf Hitler war ein Mann von so ungewöhnlichen Fähigkeiten, daß er hätte seinen großen Dienst an der Geschichte in Europa tun können. Er war auch dazu bestimmt, ihn zu tun. Es hat kein Staatsoberhaupt gegeben, das über ein solches Wissen verfügte, über eine solche Kraft, Menschen zu bewegen und anzusetzen, und zwar die Reichen wie die Armen" (S. 315). "Ich glaube aber, daß die große Neuschöpfung trotz der Fehler, Versager und Verderber gelungen wäre, wenn nicht dieser Weltkampf gegen uns entfesselt worden wäre...Es war der Sinn der europäischen Geschichte, daß Deutschland als die europäische Mitte so stark wurde, daß man sich um diese Mitte einigen konnte, um gegen den übermächtigen Osten zu stehen und um dessen Völker in einem anlaufenden Prozeß in eine europäische Neuordnung einzubringen. Das war Deutschlands Beruf. Um ihn zu erfüllen, konnte man eine Diktatur in Kauf nehmen. Denn Diktaturen können eine geschichtliche Funktion zur Mobilisierung aller Kräfte haben. Mit Adolf Hitler hatte Deutschland diesen Beruf ergriffen" (S. 316). "Was konnte man also gegen das neue Deutschland Wesentliches sagen? Dort war die unblutigste und am wenigsten zerstörende europäische Revolution geschehen, neben der die englische, die französische und die russische Revolution geradezu von Blut triefften, von dem amerikanischen Sezessionskrieg und seinen Scheußlichkeiten gar nicht zu reden. Es war die disziplinierteste und konservativste Revolution" (S. 319). Man muß es deutlich sagen: Stellrecht spricht hier von dem Deutschland des Januars 1933, nicht vom November 1989. Das prophetische Buch wurde bereits ein paar Monate vor der "friedlichen deutschen Revolution", die demnach ja nur die zweite solche gewesen sein kann, im Mai 1989 nämlich, aufgrund antifaschistischer Proteste aus den Leihregalen entfernt. Denn der Nazi-Funktionär, der mit seiner Wortwahl so peinlich die bundesdeutsche Journaille des Jahres 1990 bloßstellt, predigt den Faschismus als die einzig den Deutschen passende Staatsform: "Es gibt keine von der Geschichte unabhängige, absolut gültige politische Form, sondern die politische Form resultiert aus der Geschichte und aus dem geschichtlich bedingten Zustand der menschlichen Gesellschaft. Jede staatliche Form hat ihre Vernunft in ihrer Zeit und verliert sie, wenn das Maß überschritten oder unterschritten wird" (S. 319) - und die Zeit-vernünftige sei 1933 und erst recht zur Zeit der Neuordnung 1939 der Nationalsozialismus gewesen. 

Man fragt sich, ob die Stadtbücherei Bonn mit solcher Literatur tatsächlich ihrem Bildungs- und Aufklärungs-Auftrag gerecht zu werden glaubte: "Zweck der Stadtbücherei ist die Förderung der schulischen, der berufsbezogenen und der freien Bildung, der Information und der Freizeitgestaltung. Sie steht jedermann zur Verfügung", heißt es in Paragraph 1 der Satzung der Stadtbücherei Bonn vom 6.10.1978 - gemeint ist aber auch jedefrau. 

Hans-Ulrich Rudel - Vorbild der Jugend? 

Man mag sich darüber streiten, ob und wo kriegsverherrlichende Literatur ihren Platz in Publikumsbüchereien haben soll. Als in den 70er Jahren Verlage, die nun wirklich nicht mehr als militärhistorisch ausgewiesen bezeichnet werden können, wie etwa der "Motorbuch-Verlag", mit solcher Literatur das Dicke Geld machten, kauften auch die Verantwortlichen in Bonn groß ein. 

"Stuka-Oberst Hans-Ulrich Rudel - einziger Träger der höchsten Tapferkeitsauszeichnung" (1975) heißt ein großformatiger Bildband über die Symbol- und Integrationsfigur des bundesdeutschen Neofaschismus. Der Sturmkampf-Flieger der Ostfront wird als "Beispiel für die Jugend, nicht nur die Jugend Deutschlands, sondern Europas" (S. 6) vorgestellt. Schon vom Buchdeckel lächelt der Nazi mit seinen Orden. Die Bonner Initiative Gemeinsam gegen Neofaschismus fragte im Mai 1989 hierzu: "Was denkt und tut eigentlich das Ausleih-Personal der Stadtbücherei, wenn Jugendliche mit solchen Büchern ankommen und das Personal sie ständig in den Leihcomputer eingeben muß?". 

"Der Kampf um Kreta" heißt ein Landser-Buch, das gleich im Vorwort vom "heldenhaften Kampf deutscher Fallschirmjäger und Gebirgsjäger auf Kreta gegen einen zahlenmäßig überlegenen Gegner" schwärmt. Das Buch setze "allen namenlosen Fallschirmjägern und ihren Mitkämpfern, die Leben und Gesundheit für Heimat und Vaterland geopfert haben, ein bleibendes Denkmal". Heimat? Auf Kreta? 

Das Buch "Die Männer von Narvik" preist "die soldatische, ja auch sportliche Eignung des Einzelkämpfers. Dies und die ritterliche Kampfesweise waren auf beiden Seiten eindeutig gewährleistet". Wie heißt doch der bekannte Spruch: Mord ist Sport, oder so ähnlich. 

In dem Fotoband "Deutsche Pioniere 1939 - 1945", wieder aus dem "Motorbuch-Verlag" (1976), diesmal in Kooperation mit dem bekannten rechtsextremen Vowinckel-Verlag, wird dem jungen Wehrpflichtigen, der sich das Buch ausleiht, der verbrecherische Ostfeldzug der faschistischen Wehrmacht als Vorbild präsentiert: "Dieses Buch ist eine Dokumentation über das Pionierwesen der deutschen Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg. Mit dem Ausblick auf die Bundeswehr schlägt es die Brücke zum Heute", so heißt es im Klappentext des Schutzumschlages, den fleißige Hände der Stadtbücherei sorgfältig ausschnitten und in das Buch eingeklebten. "Eisenbahnpioniere auf allen Kriegsschauplätzen Europas im Einsatz: ...in Norwegen, ...in Rußland, ...und in der Bundeswehr", heißt es zu den Heldenfotos wegweisend (S. 402ff). 

Ribbentrops Propagandachef agitiert die BonnerInnen 

Die Kriegsbücher des Autors Paul Carell, der über fast alle Fronten Heldenepen schrieb, wurden von der Bonner Stadtbücherei meist gleich mehrfach angeschafft, damit immer ein Exemplar vorrätig ist. Carell heißt in Wirklichkeit Paul Karl Schmidt, war SS-Untersturmbannführer und Propagandachef des Nazi-Reichsaußenministers Ribbentrop. In seinem Buch "Unternehmen Barbarossa im Bild" sieht man auch wieder Leon Degrelle im Bild, auf den Schmidt/Carell ausdrücklich mit Namensnennung hinweist - die Todesstrafe des belgischen Gerichtes gegen den SS-Verbrecher Degrelle wird nicht erwähnt; wohl aber schreibt Schmidt/Carell zu den passenden Fotos scheinheilig über die Verbrecherorganisation der Waffen-SS: "Die Freiwilligen. In allen Ländern Europas wurde eine Freiwilligenbewegung mobilisiert zum Kampf gegen die Rote Armee". Ein anderes Bild kommentiert er: "Der Mut des Mannes. Ein Bunker und eine Panzerkuppel werden geknackt"; "verwegene Stoßtrupps sichern die Brückenstellen der Flüsse gegen Partisanen und Kommandotruppen der Roten Armee", schreibt er zu einem weiteren. Die Stadtbücherei-BenutzerInnen können sich von dem ehemaligen SS-Mann agitieren und fanatisieren lassen: "Kradschützen vor. Die Husaren der motorisierten Divisionen fanden am Südflügel ideales Kampfgelände. Am Beiwagen das springende Pferd, Divisionszeichen der 24. Panzerdivision, jagt das Bataillon in die Steppe. Stößt auf den Feind. Absitzen! Angriff mit MG und blanker Waffe" - so ereifert sich Schmidt/Carell in "Unternehmen Barbarossa im Bild", Jahrzehnte nach Kriegsende, mitten im Frieden. Die brutale Hinrichtung von Partisanen durch die deutsche Wehrmacht - ganze zwei Bilder in einen 500-Seiten-Fotobuch zeigen dies, ansonsten sieht man kaum einen von den 60 Millionen Toten des Zweiten Weltkriegs - bringt Schmidt/Carell erst, nachdem die LeserInnen durch das Bild eines von der Roten Armee zerstörten deutschen Lazaretts mit toten deutschen Soldaten entsprechend eingestimmt sind. 

CDU Bonn und Stadtverwaltung blocken ab 

Die Bonner Initiative Gemeinsam gegen Neofaschismus hatte, wie es sich brav gehört, ihren Protest maßvoll begonnen. In einem Gespräch mit Bonns Oberbürgermeister und CDU-Bundestagsabgeordneten Dr. Hans Daniels, den die AntifaschistInnen im Frühjahr 1988 in seiner Bürgersprechstunde aufsuchten, hatte dieser erklärt, das Büchereisortiment sei ausgewogen, man biete ja schließlich auch Marx und Engels zur Ausleihe an; er werde jedenfalls nicht aktiv werden. Später wurde Daniels dann sehr aktiv, als er es kategorisch ablehnte, in Bonn ein Denkmal für den unbekannten Deserteur aufstellen zu lassen, da dies diejenigen verhöhne, die für Volk und Vaterland diese merkwürdige Pflicht getan hatten. 

Die AntifaschistInnen hatten sodann im Februar und April 1988 verschiedene Bücherlisten mit neofaschistischer Literatur aus den Regalen der Zentralbücherei dem Kulturamt, dem zuständigen Lektor und dem Leiter der Stadtbücherei, Heinrich Obberg, übergeben. Nachdem sich ein Lektor zugänglich für die Antifa-Vorschläge gezeigt und ein Gespräch zugesagt hatte, zog Obberg die Angelegenheit sofort als Chefsache an sich; das Gespräch wurde wieder abgesagt. Im April 1988 berichtete die Lokalpresse auch erstmals über die Aktion, die Stadtratsfraktion der Grünen brachte eine Anfrage im Rat der Stadt Bonn ein. Die Antwort der Stadtverwaltung auf die Aktivitäten war immer gleich: Eine angeblich Prüfung der Buchbestände habe ergeben, "das sich darunter keine 'neofaschistische', 'neonazistische' Literatur befindet", so Obberg im August 1989 an die Bonner Initiative. Die Anregung, eine gemeinsame Diskussion über das Problem zu führen und die MitarbeiterInnen der Stadtbücherei in Sachen Antifaschismus fortzubilden, wurde abgelehnt. Obberg: "Da die Stadtbücherei nicht über Literatur der von Ihnen bezeichneten Art verfügt, halte ich es für wenig sinnvoll, darüber eine öffentliche Diskussion mit ihr durchzuführen". 

Gleichzeitig leerten sich die einschlägigen Regale des Freihandbereichs der Stadtbücherei durch die internen Bemühungen des linksliberalen Kulturdezernenten J. von Uslar-Gleichen, den sich die Stadt Bonn aus Berlin importiert hatte. Von Uslar las etliche der kritisierten Bücher selbst und veranlaßte unter Mißfallen der CDU-Stadtratsmehrheit ihre Magazinierung. Als Begründung wurde nach außen hin angegeben, die Bücher würden ja ohnehin nicht gelesen. Die Bonner Initiative hatte allerdings anhand der Leihfrist-Stempel in den Büchern das Gegenteil aufgezeigt. Insbesondere im Sachgebiet Zweiter Weltkrieg der Bücherei begann sich im Sommer 1989 eine große Leere breitzumachen. Nachdem dennoch immer weiter und immer mehr solche Bücher gefunden wurden, stellten die Grünen im Sommer 1990 noch einmal eine von der Bonner Initiative erarbeitete Große Anfrage zu diesem Thema im Kulturausschuß des Stadtrates und beantragten - wiederum sehr moderat, um mögliche Mehrheiten nicht zu gefährden - eine von den AntifaschistInnen formulierte Entschließung: 

"1. Der Kulturausschuß begrüßt die Bemühungen der Stadtbücherei Bonn, NS- und kriegsverherrlichende Literatur aus den auch Jugendlichen allgemein zugänglichen Regalen der Stadtbücherei zu entfernen und zu magazinieren. Er erwartet, daß auch bei der in den Regalen bisher noch verbliebenen Literatur dieser Art bald nach dem bisherigen guten Beispiel verfahren wird. 

2. Der Kulturausschuß würde es begrüßen, wenn die Stadtbücherei im Sondersammelgebiet 'Deutsche Geschichte' aufgrund der politischen Entwicklung der 80er Jahre und entsprechend dem großen Angebot wissenschaftlicher faschismuskritischer Veröffentlichungen der letzten Jahre vermehrt solche Bücher anschaffte und in geeigneter Form zur Ausleihe anböte, die kritisch über die antidemokratischen Ziele und Hintergründe des Neofaschismus und Rechtsextremismus aufklären. 

3. Der Kulturausschuß regt an, das die Stadtbücherei in Zusammenarbeit mit antifaschistischen Organisationen und Initiativen öffentliche Informationsveranstaltungen über die Gefährdung des demokratischen Bewußtseins durch NS- und kriegsverherrlichende und neofaschistische Literatur durchführt mit dem Ziel, im Sinne des Grundgesetzes gegen das Wiedererstarken des Faschismus und Rechtsextremismus auf deutschem Boden zu wirken." 

In einer einstündigen, hitzig geführten Debatte, in der der Leiter der Stadtbücherei und die Sprecher von CDU- und FDP-Fraktion teilweise unter der Gürtellinie und mit Verbalinjurien die Bonner Initiative Gemeinsam gegen Neofaschismus angriffen, wurden die AntifaschistInnen der Wichtigtuerei, der Sensationsmache und Publicity-Sucht bezichtigt. Besonders die Stadtverordneten Weber (FDP) und Brüse (CDU) taten sich hier hervor. Die Frage, weshalb derartige Bücher überhaupt erst angeschafft wurden, die doch so peinlich seien, daß sie jetzt insgeheim doch magaziniert würden, und wer die Verantwortung für die massenhafte Anschaffung in den 70er Jahren trüge, blieb allerdings unbeantwortet. Die SPD, die jahrelang aus Furcht vor dem Zensurvorwurf zu diesem Problem geschwiegen hatte, setzte sich nun vehement für den Antrag der Grünen und für das Anliegen der AntifaschistInnen ein. Das während der Sitzung zwischen Zuschauern und Stadtverordneten kursierende, von AntifaschistInnen passend frisch ausgeliehene rassistische Buch "Grundzüge der Vererbungslehre, Rassenhygiene und Bevölkerungspolitik" von Hermann Werner Siemens heizte die Stimmung zusätzlich an. Zitat aus diesem Buch: "Die erste Bedingung der Erhaltung unseres Volkes sowie der weißen Rasse überhaupt ist deshalb die tatkräftige Verbreitung solider rassenhygienischer Kenntnisse" (S. 188). Vergebliche Müh': Am 12.6.1990 wurde der moderate Antrag mit der Mehrheit von CDU und FDP abgelehnt - Bonn ist keine Stadt des Antifaschismus. 

Antifa-Literatur fehlt in den Buchbeständen 

Die Stadtbücherei Bonn hatte sich immer hinter dem Argument zu verstecken versucht, sie führe für die Stadtbüchereien Nordrhein-Westfalens das "Sondersammelgebiet Deutsche Geschichte", eine aus dem Landesetat zu zwei Dritteln finanziell bezuschußte Bücherei-Abteilung, die ganz Nordrhein-Westfalen zur Fernleihe zu Verfügung steht. Hier müsse eben breit eingekauft werden, auch die kritisierte Literatur. Das Gegenargument, die Bücher z.B. Richard W. Eichlers stünden aber in der Abteilung Kunst, das Rassehygiene-Buch entstamme der Abteilung Biologie, ließen die Verantwortlichen unbeachtet. Als Vertreter der Bonner Initiative Gemeinsam gegen Neofaschismus dann im Frühjahr 1990 darangingen, den Kartei-Katalog der Stadtbücherei, also den Gesamtbestand, nach einschlägiger antifaschistischer Literatur stichprobenartig zu untersuchen, kam die Stadtverwaltung in arge Schwierigkeiten. Denn es ließ sich ein eklatantes Mißverhältnis zwischen der Masse an faschistischer und dem Manko an antifaschistischer Literatur feststellen. Das meiste der gängigen antifaschistischen Literatur stand nicht nur nicht in den Regalen des Freihandbereichs, diese Bücher waren überhaupt nicht angeschafft worden. Dies ist ein eklatanter Verstoß gegen die Verpflichtung der Bonner Stadtbücherei, im Bereich "Deutsche Geschichte" - so das Kulturamt 1990 in seiner entschuldigenden Antwort auf die Anfrage der Grünen - "möglichst alle zum Sammelgebiet gehörende Literatur zu erwerben und für die Benutzung am Ort und für die Fernleihe mit anderen Bibliotheken zur Verfügung zu stellen". Das Mißverhältnis zwischen faschistischer und antifaschistischer Literatur deutet nicht nur auf eine rechtslastig einseitige Anschaffungspraxis der Bonner Stadtbücherei hin, sondern hat durch die Fernleihverpflichtung Auswirkungen auf ganz Nordrhein-Westfalen: Antifaschistische Spezialliteratur, die in Bonn nicht angeschafft wurde, wird auch anderswo nicht zu finden sein. 

Besonders krasse Beispiele dieses Mißverhältnisses waren: 

Die Kriegsbücher des Nazi-Propagandisten Schmidt/Carell waren pro Exemplar oft mehrfach vorhanden. Von dem 6-bändigen Grundlagenwerk eines DDR-Historikerkollektivs "Deutschland im Zweiten Weltkrieg" waren dagegen überhaupt nur zwei Bände angeschafft worden, die die Zeit von November 1942 bis Ende 1943 behandeln. Zwar hatte die Stadtbücherei die Ergüsse des Franz Schönhuber gekauft (und inzwischen magaziniert); die Antifa-Literatur aus den 80er Jahren, die sich kritisch mit der Schönhuber-Partei "Die Republikaner" befaßte, fehlte jedoch fast gänzlich. Zwar steht das Rechtfertigungsbuch des ehemaligen Marinerichters der Nazi-Wehrmacht Hans Filbinger im Regal; das Buch "Der Geist steht rechts" von Claus Leggewie, das sich auch kritisch mit Filbingers "Studienzentrum Weickersheim" und seinen Verbindungen nach rechts außen befaßt, wurde jedoch nicht angeschafft. Bei einer Stichprobe von 99 antifaschistischen Buchtiteln aus dem Libri-Schlagwortkatalog, der zu diesem Thema über 250 lieferbare Bücher verzeichnet, ergab die im Frühjahr 1990 durchgeführte Prüfung am Katalog der Bonner Stadtbücherei, daß - Sondersammelgebiet, Landeszuschüsse und Anschaffungsverpflichtung hin oder her - mehr als die Hälfte, 55 Titel, gar nicht angeschafft worden waren. Darunter für Antifaschisten so grundlegende Titel wie die Bücher des Parteienforschers Richard Stöss (Vom Nationalismus zum Umweltschutz, 1980; Die extreme Rechte in der Bundesrepublik, 1989; Die Republikaner, 1989), Arno Klönne: Zurück zur Nation? (1984), Kurt Petzold und Manfred Weißbecker: Geschichte der NSDAP 1920-1945 (1981), Martina Koelschtzky: Die Stimme ihrer Herren. Die Ideologie der Neuen Rechten (1986), Uwe-Karsten Ketelsen: Völkisch-nationale und nationalsozialistische Literatur in Deutschland 1890-1942 (1976), Matthias von Hellfeld und Arno Klönne: Die betrogene Generation. Jugend in Deutschland unter dem Faschismus (1985), Wolfgang Schneider: Faschismus als soziale Bewegung (1983), Willi Dickhut: Proletarischer Widerstand gegen Faschismus und Krieg (1987), Gisela Bock: Zwangssterilisation im Nationalsozialismus (1986), um nur ein paar wenige Beispiele zu nennen. Dagegen hatte die Stadtbücherei aber ein erst 1989 erschienenes Buch zur Geschichte Italiens (!) angeschafft, daß die Nazi-These vom "Rassenchaos" und der biologische Vermischung der römischen Aristokratie "mit Sklavenblut" als Grund für den Untergang der Antike angab. 

Das Kulturamt der Stadt Bonn versuchte schließlich im Juni 1990, sich mit dem Argument "Wir haben das Buch ja gerade im Buchhandel bestellt" über die Peinlichkeit hinwegzuretten, die die Fehl-Liste der Bonner Initiative Gemeinsam gegen Neofaschismus hervorgerufen hatte. 

Zu einer umstrittenen Aktion riefen dann im September 1990 die Bonner Grünen und die Bonner Initiative auf: Buchspenden für die Stadtbücherei. Eine Prozession von AntifaschistInnen zog in einem Handkarren etliche linke und antifaschistische Literatur durch die Bonner Fußgängerzone in Richtung Zentralbibliothek. "Mit Bauchschmerzen", wie die Beteiligten fanden: eigentlich sei es die Aufgabe der Bücherei, diese Literatur anzuschaffen, statt das Geld für Nazischund hinauszuwerfen, der dann im Magazin verschwinde. 

"Zensur!", "Zensur!" - für Linke immer 

Insbesondere die CDU und die FDP, aber auch die Stadtverwaltung haben in Bonn mit dem Zensur-Vorwurf, den sie in der Öffentlichkeit gegen die AntifaschistInnen erhoben, das Verlangen nach Errichtung einer Ausleihschwelle abzuwehren versucht. Was diese Parteien sich davon versprechen, wenn offen NS- und kriegsverherrlichende oder auch zur Diktatur aufrufende Literatur, wie sie hier in Beispielen dargestellt wurde, wahllos an Jugendliche ausgeliehen wird, ist nicht erfindlich. 

Gar nicht zimperlich waren die Konservativen dagegen Anfang der 80er Jahre im Landkreis Hannover, als sie eben diese Zensur am Rande der Legalität und des Datenschutzes ausübten - allerdings gegen die Linke gerichtet. 

Fast vergessen ist das bundesweit große Aufsehen um den Bestand an erotischen Büchern in der Stadtbücherei Burgdorf im Landkreis Hannover, dem Wohnsitz des früheren Ministerpräsidenten Ernst Albrecht. Im Frühjahr 1984 hatte Stadtdirektor Horst Bindseil allein aufgrund ihrer Titel zahlreiche Bücher als "pornografisch" aus der Stadtbücherei entfernen lassen - darunter auch das Buch "Bikini", das über die us-amerikanischen Atombombenversuche auf dem Bikini-Atoll und deren Folgen informierte, oder das feministische Buch "Die Scham ist vorbei" aus dem Verlag Frauenoffensive - und er hatte sich die Namen der BüchereibenutzerInnen geben lassen (!), die solche Bücher ausgeliehen hatten. Bereits Mitte der 70er Jahre war aus der CDU Burgdorfs heraus kritisiert worden, der Büchereileiter habe angeblich "zuviel marxistische Literatur" angeschafft. Bindseil hatte den Skandal 1984 durch die fristlose Entlassung des Büchereileiters noch verschärft, es kam im März 1984 zu einer Solidaritätswelle mit dem Entlassenen, an der sich auch der PEN-Club, DGB, IG Druck und Papier, SPD, Die Grünen und Büchereileiter anderer Städte beteiligten. Unter dem in altdeutscher Schrift gesetzten Plakat-Text "Büchereien sind eine gefährliche Brutstätte des Geistes" wurde damals bei einer aufsehen erregenden Solidaritätsveranstaltung mit den Professoren Jürgen Seifert (Soziologe) und Helmut Kentler (Sexualwissenschaftler) dem (abwesenden) Burgdorfer Stadtdirektor ein lesender Gartenzwerg verliehen. Er hatte die vermeintlich pornographischen Bücher gänzlich aus dem Bestand seiner Bücherei entfernen wollen, und mit den Büchern auch gleich den linken Büchereidirektor. 

Zensur oder Pressefreiheit für die Feinde der Freiheit? 

Bertold Brecht, einer, der ohne Pressefreiheit nicht leben konnte und verboten und verbrannt wurde, hatte 1947 in seinem prophetischen Gedicht "Der Anachronistische Zug oder: Freiheit und Democracy" über den Wiedereinzug Alter Nazis in ihre alten Ämter und Würden sarkastisch geschrieben: 

"Einem impotenten Hahne 
Gleichend, stolz ein Pangermane 
Pochend auf das f r e i e Wort 
Es heißt Mord. 

Folgend, denn es braucht der Staat sie 
Alle die entnazten Nazi 
Die als Filzlaus in den Ritzen 
Aller hohen Ämter sitzen. 

Dort die Stürmerredakteure 
Sind besorgt, daß man sie höre 
Und nicht etwa jetzt vergesse 
Auf die F r e i h e i t unsrer Presse." 

Auch ein Beitrag zur Verbotsdiskussion. 

...Inhalt "In bester Gesellschaft" 

...Eingangsseite