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Isherwood, gelesen


"Good-bye to Berlin" lässt antisemitische und behindertenfeindliche Stereotype  in der Schwulenszene überleben.

Wäre nicht Liza Minnelli, bevor sie dem Alkohol verfiel, eine so gute Sängerin gewesen in der Musical-Verfilmung "Cabaret", das einen Teil des Tagesbuches von Christopher Isherwood (der eigentlich Christopher William Bradshaw-Isherwood hieß) szenisch darstellte, wohl kaum jemand würde noch über "Good-bye to Berlin" und seine deutsche Übersetzung "Leb wohl, Berlin" sprechen. Außer vielleicht Julius H. Schoeps. Das Buch ist inhaltlich flach, einfältig, eine Zumutung, und die Übersetzung von Susanne Rademacher in der heute weit verbreiteten Ullstein-Ausgabe ist geradezu eine Vergewaltigung der deutschen Sprache.

Als unglücklicher schwuler Sohn aus einer englischen Großgrundbesitzer- und Offiziersfamilie brachte Isherwood 1929, als er nach Berlin kam und ein Bohème-Leben als Privatlehrer für Englisch in "gehobenen Häusern" begann, alles mit, was er an Arroganz und Elitismus brauchte, um sich in den völkisch-rassistischen Zirkeln eines Teils der Berliner Schwulenszene zurecht zu finden, die dann 1933, als Isherwood Berlin wieder verließ, mit fliegenden Reithosen zu den Nazis liefen, wenn sie nicht schon vorher dort waren. Das war Isherwoods Welt. Sie hatte nichts zu tun mit Liberalität und Moderne (oder gar mit linkem sozialistischem Bewußtsein), kein Dada, Brecht, nichts Subversiv-Anarchisches, nicht mal Thomas Mann, war vielmehr fest verankert in den kulturell erstarrten Traditionen des nachwirkenden Kaiserreiches, auch bezogen auf die Rotlicht-Halbwelt, die unter Wilhelminismus und Viktorianismus ja gerade, reflexartig, blühte.

Isherwood brachte dies mit, und was er in Berlin sah, oder sehen wollte, bestätigte ihn in all seinen Vorurteilen, die er aus dem englischen Offizierschors kannte. Mit den frechen, wenngleich gender-theoretisch zweifelhaften Inhalten des Musicals "Cabaret" hat es nichts zu tun.

Isherwoods Buch "Good-bye to Berlin" erschien erstmals 1937 (nach anderen Quellen 1939), 1951 gab es eine Bühnen-Adaptation unter dem Titel "I Am the Camera", die 1955 verfilmt wurde. 1966 hatte das Musical "Cabaret" Premiere am Broadway, 1972 kam der inhaltlich veränderte und musikalisch erweiterte Musikfilm "Cabaret" heraus und erhielt acht Oscars, ein Pfund, mit dem die heutigen Isherwood-Fans - völlig unverdient - nun wuchern. Eine deutsche Übersetzung "Leb wohl Berlin" erschien erstmals 1949 im Rowohlt Verlag. Weil Film und Musical international so berühmt wurden, wurde "Goodbye to Berlin?" 1997 zum Obertitel der Ausstellung "100 Jahre Schwulenbewegung", mit der das Schwule Museum Berlin in Zusammenarbeit mit der Akademie der Künste Berlin an die Gründung des "Wissenschaftlich-humanitären Komitees" (WhK) erinnerte, das Magnus Hirschfeld 1897 in Berlin gegründet hatte. Isherwood hatte kurzzeitig in Hirschfelds "Institut für Sexualwissenschaft" gewohnt, als er nach Berlin kam. Die revisionistische Ausstellung klitterte die schwule Geschichte Berlins und Hirschfelds zu vermeintlich internationaler Bedeutung, die der Isherwood-Titel noch unterstreichen sollte, und ließ die Vorbereitung der eugenischen und rassistischen Nazi-Verbrechen durch Hirschfeld und einen Teil seiner Instituts-Mitarbeiter - wie üblich in Berlin - außen vor. Die "Jungle World" kritisierte damals die Ausstellung heftig, unter anderem, weil sie Gender-Stereotype verfestige. Das war wohl ein Erbe aus "Goodbye to Berlin", aber Isherwood gelesen hatte auch der "Jungle World"-Kritiker nicht, sah nicht den Zusammenhang.

Erstausgaben:



Die kalifornische Huntington Library veranstaltete 2004 mit dem Nachlass, den sie von Isherwoods Lebensgefährten erhielt, eine große Ausstellung zur hundertsten Wiederkehr des Geburtstages des Schriftstellers.
(Screenshot von der Internetseite der Huntington Library, 2008.)

Isherwood brachte sein Berliner Tagebuch als gesäuberten autobiographischen Roman heraus, auf Englisch selbstverständlich. Obwohl er offen schwul lebte und die Akzeptanz seiner sexuellen Orientierung im Freundes- und Bekanntenkreis einforderte, wird Sexualität in dem Buch nur schwach angesprochen, in Andeutungen selbst dann nur wenn es eindeutig um Berliner Prostituierte geht. Homosexualität, auch seine eigene, kommt so gut wie gar nicht vor; in einigen Szenen kann man jomosexuelle Beziehungen erahnen, wenn man Isherwoods persönlichen Hintergrund kennt. Die Film- und Musical-Fans wären enttäuscht, läsen sie hernach das ganz und gar verklemmte Buch.

Die uralte deutsche Übersetzung "Leb wohl, Berlin" von Susanne Rademacher verkauft der Springer-eigene Ullstein-Verlag, der kräftig am "Cabaret"-Rummel mitverdient, bis heute in immer neuen Editionen. Allerdings liest sich die gestelzte Sprache streckenweise wie aus dem Übersetzungscomputer: englische Sprache Wort für Wort ins Deutsche übersetzt, aber nicht zu deutscher Literatur geworden. Peinlich ist, dass ausgerechnet der früher einmal jüdische und dann "arisierte" Ullstein-Verlag, den Axel Springer weiland aus der Nazi-Konkursmasse kaufte, ein Buch vermarktet, das unkritisch antisemitische Stereotype und eugenische Propaganda weiter und weiter kolportiert; in jedem schwulen Buchladen und den meisten schwulen Sexshops kann man es heute kaufen.

Hässliche Ostjüdin, geile Judensau, jüdische Händler und Wucherer

Das Buch ist das Gegenteil von dem, was der Klappentext verspricht: "Scharfsichtig, bissig und wunderbar wahrheitsgetreu zeichnet Isherwoods Episodenroman ein trotz allem liebenswürdiges Bild der Stadt, die niemanden loslässt, der je dort gelebt hat." -- "Liebenswürdig", wenn man nicht gerade "Ostjüdin" oder "Neger" ist oder aus der Arbeiterschaft kommt. Isherwood macht sich die rassistischen Todesurteile der Nazi-Ideologie zu eigen, beschreibt seine Charaktere in den Kategorien der heraufziehenden Vernichtung, affirmativ, keineswegs kritisch. Die Begriffe des Nationalsozialismus sollen die Opfer des Nationalsozialismus beschreiben, und man merkt in jeder Zeile, dass Isherwood die rassistische Abscheu der Nazis teilt.

"Frau Glanterneck, eine Ostjüdin, ... behauptete, vielleicht weil sie nichtarisch ist, Katzenmusik wäre ihr lieber" als die "Jodelei" einer anderen Nachbarin Isherwoods
(Seite 20, Ullstein Taschenbuchausgabe, Berlin 2004). Arier, merke auf: Klezmer ist Katzenmusik! Die "Ostjüdin" ist "hässlich wie eine Hexe", und "das schrille Gekeife der Jüdin" jellte durchs Haus, in dem Isherwood leben musste. Selbstverständlich erlaubt er sich mit der  "hässlichen", "ostjüdischen", "schrillen" "Hexe" seine Scherze. Auch die andere Jüdin, Seite 24, wird  so charakterisiert, dass jeder SS-Mann seinen  Isherwood versteht: "Fräulein Hippi Bernstein" kommt aus einer "reichen Berliner Familie", deren Haus, das Privatlehrer Isherwood zum Englischunterricht der Hippi betreten muss, weil er ja Geld braucht, und das hat eben im Berlin der Jahre 1929 bis 1933 der Jude, von "kostspieliger Hässlichkeit" ist. Merke: Juden haben Geld, aber keinen Geschmack.

Wenn's sexuell wird, sieht's ganz schlecht aus für "die Juden". Seite 45: "Und dann habe ich da einen scheußlichen alten Juden, der mich manchmal ausführt", lässt Isherwood eine Halbseidene sagen, die gerne zum Film möchte. "Er verspricht immer, mir einen Vertrag zu verschaffen, aber er will bloß mit mir schlafen, das alte Schwein. Ich finde die Männer hierzulande abscheulich. Keiner hat Geld, und sie erwarten, dass  man sich von ihnen für eine Schachtel Pralinen verführen lässt." Merke: Juden sind übersexualisiert, hässlich und geizig. Offenbar hatte Isherwood seine Anregungen aus dem "Stürmer", dem antisemitischen Hetz- und Karrikaturblatt der Nazis. Merke zweitens: Frauen haben nur Sex, wenn Männer sie dazu verführen, und sie haben keinen Spaß daran, sondern wollen nur das Geld.

"'Der Arzt ist doch hoffentlich kein Jude?', fragte Fräulein Mayr mich streng. 'Lassen Sie sich nicht von einem dreckigen Juden anfassen. Die legen es immer darauf an, dieses Gesindel!'" (Seite 70). Isherwood macht keine Anstalten, sich als Autor zu distanzieren von seinen angeblich letztlich doch liebenswürdigen Charakteren. Wie auch, es ist ja sein Leben, es sind ja seine Bezugspersonen in seinen Berliner Jahren, mit denen er vertrauensvoll und eng zusammen lebte. Aber was hieran Portrait sein soll, wird ebenfalls nicht deutlich. Es ist nur Kolportage des deutschen Antisemitismus, den man auch schon kannte, bevor man das Werk Isherwoods gelesen hat. Perpetuierung statt Erkenntnisgewinn.

Seite 144 f., "der jüdische Schneider": Isherwood stellt ihn als üblen Schacherer dar, und die Schlussfolgerung der Frau Nowak, Hitler würde denen hoffentlich bald ein Ende bereiten, ist für Isherwood und seine Leser geradezu zwingend. "Den ganzen Tag ging er durch die Wohnungen des Viertels, kassierte hier fünfzig Pfennig, dort eine Mark, und scharrte so, wie ein Huhn auf anscheindend magerem Boden, seinen unsicheren Lebensunterhalt zusammen. Er drang nie auf Bezahlung; viel lieber nötigte er seine Schuldner, ihm noch mehr Ware abzunehmen und sich so auf eine neue Reihe von Zahlungen einzulassen. ... Die ganze Nachbarschaft schuldete ihm Geld. Dabei war er nicht unbeliebt. Er war eine allseits bekannte Persönlichkeit, wie man sie ohne wirkliche Bosheit zum Teufel wünscht. 'Vielleicht hat Lothar recht', sagte Frau Nowak manchmal. 'Wenn der Hitler kommt, wird er's diesen Juden schon zeigen. Dann werden sie nicht mehr so frech sein.'" Rausschmeißen wollte Frau Nowak den Schneider dann aber doch nicht, weil er so gut arbeitete; aber weder diese Romanfigur noch Isherwood in der Wirklichkeit haben etwa gegen die mörderischen Folgen des Ressentiments gekämpft.

"Einer der Boxer ist Neger", schreibt Isherwood frank und frei auf Seite 231, doch "der andere, ein großer, gutgebauter junger Mann - etwa zwanzig Jahre jünger und offenbar viel stärker als der Neger - ist verdächtig schnell 'knocked out'." Dann aber wendet sich das Blatt: "Der Ansager setzt einen Preis von fünf Mark aus, und diesmal ist der Neger 'knocked out'." Kein Sportler, kein Individuum, kein Name, nur Rasse.

Auf derselben und der folgenden Seite gibt es in der Kleiststraße "eine kleine Menschenansammlung um einen Privatwagen. Im Wagen saßen zwei kleine Mädchen, auf dem Gehsteig standen zwei junge Juden, die mit einem großen, blonden, offensichtlich betrunkenen Mann einen heftigen Streit bekommen hatten. Die Juden waren anscheinend langsam die Straße entlanggefahren, um jemand aufzulesen, und hatten diese Mädchen zu einer Fahrt eingeladen." Die Mädchen nutzten dann aber noch gerade rechtzeitig den Streit und "den Auflauf, um aus dem Wagen hinauszuschlüpfen und davonzulaufen". Isherwood lässt kein Klischee aus, distanziert sich aber auch von keinem Klischee, weder platt entrüstet noch gar literarisch, denn dazu fehlt ihm die literarische Qualität.

Dann schließen sich Klischees über "Reklame-Lesbierinnen" und einen schwulen "Jüngling" an, der "in einer Krinoline aus Flitterstoff und schmuckbesetztem Büstenhalter mühsam, aber erfolgreich drei Spagats vorgeführt hatte." Auf seinen Streifzügen geht Isherwood nun in eine "kommunistische Spelunke", wo "die meisten ihre politische Radikalität durch schlampige Kleidung bekundeten", "ausgebeulte verfleckte Hosen" und "schlechtsitzende Jumper", "unordentlich gebundene, bunte Halstücher. Die Inhaberin rauchte eine Zigarre". Lesbisch und kommunistisch und Krinoline, das reicht aber jetzt - noch nicht, denn jetzt kommt "Martin", der "saß schweigend da - düster und hager, mit vorstehenden Backenknochen und mit dem höhnisch-überlegenen Lächeln des bewußten Verschwörers", Hirschfelds Eugenik-Polizei, hilf!

Schlimmer noch: "ein kleiner Junge hatte ererbte Syphilis - er schielte fürchterlich; ein anderes Kind, dessen Eltern Säufer waren, lachte unausgesetzt. Sie kletterten wie Affen an den Zaunpfählen herum, lachten und schnatterten und schienen durchaus glücklich zu sein", obwohl es sich hier um eine "Fürsorgeanstalt" handelte, die Isherwood aufsuchen musste, weil ein dortiger Lehrer sein Englisch-Schüler war. Die Insassen der Fürsorgeanstalten wollte Hirschfeld bekanntlich durch Fortpflanzungsverbote, insbesondere für Geschlechtskranke und Alkoholiker, im Interesse der Volksgesundheit dezimieren.

Ein Konservativer Revolutionär

Bisweilen lässt Isherwood die Katze aus dem Sack. Dann wird ansatzweise verständlich, warum ein Julius Schoeps ins Spiel kommt. Über das Begräbnis des vormaligen Reichskanzlers Hermann Müller, SPD, einen großen Traueraufzug, schreibt er, Seite 65 f.: "Blasse unentwegte Büroangestellte in Reih' und Glied, Regierungsbeamte, Gewerkschaftssekretäre - der ganze müde Mummenschanz der preußischen Sozialdemokratie - zogen da mit ihren Bannern durch die scharf gezeichneten Bogen des Brandenburger Tores. ... Wir hatten nichts mit den marschierenden Deutschen da unten gemein, nichts mit dem toten Mann im Sarg und mit den Losungen auf den Bannern." Und mit der Weimarer Demokratie. "In ein paar Tagen, dachte ich, werden wir mit neunundneuzig Prozent aller Menschen nichts mehr zu tun haben, mit jenen Männern und Frauen, die ihren Unterhalt verdienen, ihr Leben versichern und ängstlich um die Zukunft ihrer Kinder besorgt sind. Vielleicht hatten die Leute im Mittelalter ähnlich empfunden, wenn sie ihre Seelen dem Teufel verkauft zu haben glaubten. Es war ein merkwürdiges erheiterndes, gar nicht unangenehmes Gefühl; aber gleichzeitig fürchtete ich mich ein bisschen. Ja, gestand ich mir, nun ist es einmal geschehen. Ich bin verloren." Tragik.
Der Totenkopf der SS ist das letzte Zeichen dieser Verachtung des Gewöhnlichen. Das ist Konservative Revolution pur, Isherwood lebt in Stahlgewittern -- nur im Traum; so einer ist feige zugleich, bleibt Poet statt Kämpfer; er flieht nach Hollywood, und das Zurschaustellen seiner Homosexualität befreit ihn von der Pflicht, in Europa mit der Waffe gegen die Nazis zu kämpfen. Er möchte sich erheben, aber zum Aristokraten reicht's dann doch nicht in der Wirklichkeit.

Seite 73: "'Selbst du, Christopher, wenn du jetzt auf die Straße rausgingest und von einem Taxi überfahren würdest. Es würde mir natürlich irgendwie leid tun, im Grunde aber würde ich mich den Teufel drum scheren.' 'Vielen Dank, Sally.' Wir lachten." Im Grunde scherte sich Isherwood zeitlebens einen Teufel um die toten Juden, irgendwie leid haben sie ihm getan, erst hässlich wie sie waren, und dann noch ermordet! Aber so lange er Snob sein konnte, konnte er lachen.

Die heute verbreitete deutschsprachige Ullstein-Ausgabe:



Mit Liza Minnelli auf dem Titel Kasse machen. Allerdings war sie noch gar nicht geboren, als Isherwood das Buch schrieb.

Im Kapitel IV, "Die Nowaks", das "1931/32" spielt, kann Isherwood seinen Ekel vor dem einfachen Volk nicht mehr verbergen, das alles "mit Hammer und Sichel beschmiert", "den schäbigen alten, schwarzen Mantel" auch in der Wirtschaftskrise weiter trägt, statt in Pelzen zu schwelgen, "kleinbürgerliches Misstrauen auf ihrem Gesicht" hat gegenüber dem englischen Offizierssohn; in seinen Wohnungen herrscht "ein atembeklemmender Geruch von Kartoffeln, die in billiger Margarine gebraten waren". "Eine der lebhaftesten und widerwärtigsten Erinnerungen aus meiner Schulzeit ist der Geruch ganz gewöhnlichen Weißbrots" (Seite 238).

Lauter miese Typen sind die Berliner jetzt. "Ihr Gesicht schien nur noch aus Nase zu bestehen, war hager, bitter und gereizt. ... Sie hatte ihren Hut abgelegt und nahm aus einem Netz schmierige Pakete heraus." "Unaufhörlich packte sie mir aus einem großen Topf den Teller voll, bis ich zu ersticken meinte." Wir meinen dagegen, dass es sich nicht nur um rechte und überhebliche, sondern auch um grottenschlechte Literatur handelt, bei der einfach die Handlung nicht stimmt, bei der man schon vor dem Essen erstickt, nur, weil der Teller voll ist, nicht der Hals.

Am Ende des Buches distanziert sich Isherwood angeekelt von den Stiefel-Nazis der SA, wie viele andere Konservative Revolutionäre auch, die zuerst die Weimarer Republik kaputt schrieben, denen dann aber die Straßen-Nazis und Schlägertrupps der Jahre 1933/34 zu "proletarisch" waren. Doch zu wirklichem Mitleid mit den Opfern des Terrors waren sie und Isherwood nicht fähig, und so schreibt er zum Schluss, schicksalsergeben und der Tragik, dem Lieblingskonzept der Konserativen Revolution, Tribut zollend: "Die Sonne scheint, und Hitler ist Herr dieser Stadt. Die Sonne scheint, und Dutzende meiner Freunde .... sind im Gefängnis, sind möglicherweise tot. ... Vielleicht wird Rudi gerade in diesem Augenblick zu Tode gequält. Ich betrachtete mein Gesicht in der Spiegelscheibe eines Ladens und bin entsetzt, mich lächeln zu sehen. Man kann nicht anders -  man muss lächeln, wenn das Wetter so schön ist. Die Straßenbahnen fahren die Kleiststraße hinauf und hinunter wie sonst."

Equal goes it loose

"Ich begann Tee einzuschenken" schreibt er (beziehungsweise die Übersetzerin Susanne Rademacher), Seite 47, und sechs Zeilen weiter, ohne auf die begonnene Handlung weiter einzugehen: "Ich reichte ihr das Teeglas". War es denn bereits gänzlich eingeschänkt?, möchte man im Stile des Buches fragen, aber dieser Schriftsteller, der gerade eine Handlung begonnen hatte, hat sie bereits nach sechs Zeilen vergessen und braucht sie nicht zu beenden. Das ist eben keine Literatur, sondern bestenfalls ein Skizzenbuch für einen Film. "Aber sei mir bitte nicht böse. Ich meinte bloß, wenn du so redest, ist es in Wirklichkeit nur Nervosität." Wer hat diese Sprache erfunden? Worauf bezieht sich "es"? "Ich weiß das, weil ich selbst es manchmal versuche." Wer hat's erfunden? Der Übersetzungscomputer, der "I myself" wortwörtlich überträgt. "Und dann hatten sie mundgeschlecht", soll der Übersetzungscomputer geschrieben haben, der über Bill Clintons und seiner Praktikantin Oralverkehr berichtete, "oral sex".

Seite 49: "Wir fingen beide an zu lachen". Auch diese Handlung wird nicht mehr beendet, sondern vom Autor vergessen. Der Brieföffner wird hier zum "Papierdolch". Kann Frau Rademacher überhaupt Englisch? Sätze wie: "Sie brach in ihr leicht kreischendes Lachen aus und wiegte sich auf ihren kurzen Beinen", legen nahe, dass sie auch kein Deutsch kann.

Zurück zum Inhalt: Die kreischende Kurzbeinige wäre doch glatt ein Fall für Hirschfelds Eugenik. Auf Seite 85 ist ein "Kurt" "tierisch klein" und Isherwood hasst sich, weil er doch glatt versucht hatte, "mit ihrem tierisch kleinen Kurt auf seinem Gebiet zu wetteifern", statt auf ihn hinab zu blicken. "Das passte nach einem Glas Burgunder und einer Flasche sehr teuren Kognaks so genau zu meiner Stimmung, dass ich ein paar Tränen vergoss." Wer schreibt so einen Mist? Ein hochnäsiger elitärer Snob -- Isherwood. "Später gingen Fritz und ich alleine fort. Fritz schien ziemlich deprimiert - er wollte nicht sagen, warum. Hinter einem Gazeschleier stellten ein paar Mädchen lebende Bilder nach klassischen Gemälden. Und dann waren wir in einem großen Tanzlokal mit Tischtelefonen." What a breakthrough! Und was für eine Erzähle. "Dann ging ich, glaube ich, alleine weg und irrte stundenlang durch einen Dschungel von Papierschlangen. Als ich am anderen Morgen erwachte, war das Bett voll davon." Man mag nicht weiter lesen durch diesen Dschungel von Anglizismen auf Deutsch, "am anderen Morgen", "voll davon". "Ich bin geradezu am Verhungern."

"Mittlerweile wurden Klaus und ich ein wenig befangen voreinander. Wenn wir uns zufällig auf der Treppe trafen, verbeugten wir uns kühl wie Feinde." Hä? Ach so, das ist englische Offiziersehre, nicht Kommissarbefehl. "Was würde aus uns werden? Wären wir erst einmal abgereist, dann würden wir niemals zurückkehren." Ei der Daus, Konsalik!

"Vogelrufe werden plötzlich mit heftigem Ungestüm laut, wie abschnurrende Wecker" (Seite 98). Man kann nicht das ganze Buch abschreiben, um aufzuzeigen, wie schlecht diese Schreibe ist: "Herr Nowak ließ mehrere brennende Streichhölzer zu Boden fallen, bis er die Kerze entzündete. Hätte ich sie nicht ausgetreten, würde das Tischtuch leicht Feuer gefangen haben" (Seite 161). Nein, er hat nicht die Kerze ausgetreten. "Sie sah um Jahre jünger aus. Ihr derbes, ovales unschuldiges Gesicht wirkte mit den kleinen Bauernaugen munter und ein wenig verschmitzt, wie das Gesicht eines jungen Mädchens. Ihre Wangen waren lebhaft gerötet. Sie lächelte unausgesetzt." Und wie sah sie ohne die Augen aus?

Eine wahrhafte Mischpoke

Julius H. Schoeps hat sich 2003 über Isherwoods Berlin-Geschichtchen verbreitet. Er ist nicht nur Direktor des Moses-Mendelssohn-Zentrums für deutsch-europäische Geschichte der Universität Potsdam, sondern auch der Sohn von Hans-Joachim Schoeps, einem der wenigen jüdischen Anhänger Hitlers und des Nationalsozialismus, aber auch der Nationalrevolutionäre Ernst Niekisch und Otto Strasser (vgl. hierzu den Eintrag zu Hans-Joachim Schoeps in dem nicht immer zuverlässigen Internet-Lexikon Wikipedia, der Zitate von Schoeps über dessen NS-Orientierung bringt). Julius Schoeps gibt am Moses-Mendelssohn-Zentrum die gesammelten Schriften seines Vaters heraus, und bisweilen schien es so, als wäre dies die Hauptaufgabe des Zentrums, das einen ähnlichen Weg in die "Neue Rechte" genommen hat wie das Dresdner Hanna-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung unter dem ebenfalls weit rechts stehenden und mit etlichen Vertretern der "Neuen Rechten" kooperierenden dortigen Direktors Uwe Backes aus der Jesse-Backes-Zitelmann-Riege.

Hans-Joachim Schoeps war trotz seiner Heirat und Kinder ein bekennender Homosexueller und der zeitweilige Geliebte des antisemitischen Hetzers Hans Blüher, mit dem seinerseits wiederum Magnus Hirschfeld zusammenarbeitete. H.-J. Schoeps Eltern wurden in den KZ Theresienstadt und Auschwitz ermordet. Von Armin Mohler wird H.-J. Schoeps in dem Buch "Die Konservative Revolution in Deutschland 1918 - 1932" als "Stiefbruder" der ganzen braunen und schwarzen Intellektuellen-Bande bezeichnet, die Mohler nach dem Ende des Nationalsozialismus wieder sammeln und zu neuer Stärke gegen die Demokratie und die Werte der Aufklärung und der bürgerlichen Revolutionen zusammenführen wollte. H.-J. Schoeps schulte nach dem Krieg unter anderen die späteren Ideologen der "Neuen Rechten" Helmut Diwald, Robert Hepp, Sven-Thomas Frank, Hans-Dietrich Sander, wie Wikipedia erzählt, und verhalf dem SS-Mann Hans Schneider/Schwerte zu einer Nachkriegskarriere als Germanist, die diesen unter dem falschen Namen Schwerte und unter Verschweigen seiner SS-Tätigkeit in der unmittelbaren Nähe zum "Reichsführer SS" Heinrich Himmler schließlich bis zum Rektor der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen brachte, was Wikipedia verschweigt.

Als in den 90er Jahren die Täuschung Schneiders/Schwertes mit großem Skandal aufflog, stellte sich im Berliner "Tagesspiegel" die Schneider/Schwerte- und H.-J. Schoeps-Schülerin und Julius Schoeps-Bekannte (oder sind sie Freunde?) Marita Keilson-Lauritz vor Schneider/Schwerte und verteidigte ihn und seine Tätigkeit für die SS. Auch ihr Mann, der damals schon greise jüdische Schriftsteller und Psychiater Hans Keilson, der nun seinerseits im Beirat des Moses-Mendelssohn- Zentrums sitzt, verteidigte Schneider/Schwerte. Die weit rechts stehende Keilson-Lauritz arbeitet bisweilen über Hirschfeld und hält sich für eine Kennerin des elitären, konservativ-revolutionären und schwulen Kreises um den rechtsextremen Dichter Stefan George, den die Nazis umschwänzelten, dem diese jedoch zu "proletarisch" waren. Keilson-Lauritz arbeitet mit der weit rechts stehenden geschichtsrevisionistischen Berliner "Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft" zusammen und trat ebenso wie Julius Schoeps 2003 bei der Magnus-Hirschfeld-Tagung in Potsdam auf, gegen die das BIFFF... öffentlich protestierte, weil wieder einmal Hirschfelds Verbindungen zu Nazis, zu rechtsextremen Konservativen Revolutionären und seine ideologische Vorbereitung des eugenischen Rassismus verschwiegen wurden. Auf dieser Tagung hielt Julius Schoeps einen Vortrag über Isherwood und seine Berlin-Bücher, den man auch im Internet nachlesen kann.

Hier kann man nun tatsächlich wohl einmal an den jiddischen Ausdruck "Mischpoke" erinnern, der im Jiddischen eine Familienbande bezeichnet und den die Nazi-Deutschen gerne, den jüdischen Anklang noch verstärkend mit benutzend, besonders abwertend einsetzen. Denn dieses Sammelur aus Nazis, Konservativen Revolutionären der Vor- und Nach-Nazi-Zeit und deutschen Juden, die trotz ihrer Nähe zum antidemokratischen und dann verbrecherischen Deutschtum nicht das Glück hatten, Hermann Göring zu kennen (der deklamierte: "Wer Jude ist, bestimme ich!", und seinen alten Kameraden, den prominenten, nach Nazi-Kriterien jedoch "halbjüdischen" Wehrmachtsflieger und im Nürnberger "Milch-Prozess" als Kriegsverbrecher verurteilten "Generalfeldmarschall" Erhard Milch zum "Arier" erklärte, weil er seine fliegerischen und organisatorischen Fähigkeiten brauchte), trifft wohl das, was die Nazi-Deutschen gerne mit dem Ausdruck bezeichnen möchten. Und es hat wohl auch alles etwas Psychopathisches.

Julius H. Schoeps macht sich wichtig

Wir wissen nicht, ob der Historiker Julius H. Schoeps, der 2006 aus der Berliner Jüdischen Gemeinde austrat, nachdem er als ihr Vorsitzender nach wenigen Monaten gescheitert war, deshalb scheiterte, weil die Berliner Gemeinde so sehr von Isherwoods "hässlichen Ostjuden" durchsetzt ist; viele jüdische Mitbürger/innen kamen jedenfalls in den Jahren seit der deutschen Wiedervereinigung nach Berlin, und der "cultural clash" zwischen ihnen und den wenigen verbliebenen oder zurückgekehrten deutschen Juden macht der gemeinde schwer zu schaffen. Sie wird heute tatsächlich von Menschen dominiert, die aus Russland zuwanderten und zuwandern, doch innerreligiöse Streitereien welcher Sekte auch immer sind nun wirklich nicht unser Thema. Bleiben wir bei den Schoeps-Interpretationen des Isherwood-Textes, die er in dem Artikel "'Where love is mostly hugger mugger' Christopher Isherwood, Magnus Hirschfeld und das Berlin am Vorabend der Katastrophe" bringt; der Artikel entspricht weitgehend seinem Vortrag bei der Potsdamer Magnus-Hirschfeld-Konferenz, die die "Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft" 2003 gemeinsam mit dem Moses-Mendelssohn-Zentrum veranstaltete.

Historiker Schoeps fängt schon gleich mit einem Fehler an, der Isherwoods Berlin-Aufenthalt vorzeitig "1928" beginnen lässt. Und Deutsch kann er auch nicht, wenn er schreibt, die von Isherwood sexuell bevorzugten Jungen seien "zwischen (!) siebzehn oder (!) achtzehn Jahre alt" gewesen. Wie kann man "zwischen siebzehn Jahre" alt sein, oder "zwischen achtzehn Jahre"? Schoeps bedient sich an Isherwoods Schriften, um eher eine Biographie Isherwoods zu schreiben; dabei verliert er sich weitgehend im vermeintlichen Spaß, den er an "schlüpfigen" Darstellungen zu haben scheint -- verklemmt, wie sein Objekt. Das bringt alles nichts Neues, bemerkenswert ist allenfalls, dass Schoeps nicht auf Isherwoods antisemitische Ausfälle eingeht. An keiner Stelle. Dass gerade Isherwoods hochnäsig-elitärer Schreibstil die Identifikation der Leser mit den Nazi-Sprüchen fördert, statt diese literarisch zu kritisieren, scheint Schoeps nicht aufgefallen zu sein. Denn die Darstellung des alltäglichen und privaten Nazi-Terrors wirkt eben ganz und nicht "bedrückend", wie Schoeps schreibt, wenn Isherwood zum Beispiel ohne weiteres die Mädchen aus dem Auto der "jungen Juden" "hinausschlüpfen" und "davonlaufen" lässt; hier wird das antisemitische Stereotyp des übersexualisierten verführenden Juden fortgesetzt, dem sich junge Mädchen entwinden müssen -- das ist "Der Stürmer" pur, gerade auch in der unterschwelligen Wirkung der bloßen Andeutung der Gefahr in Isherwoods scheinbar objektiver kommenarloser Darstellung. Genau so funktionierte die Propaganda des "Stürmer". Doch Schoeps bemerkt es nicht.

Denselben Schoeps-Text, hier und da umgestellt, brachte Springers "Die Welt"  zur Ankündigung der Potsdamer Magnus-Hirschfeld-Tagung im Mai 2003; er wurde dann auch im Reader der Tagung abgedruckt. Kritik an der Nähe dieser Leute zur NS-Ideologie kommt nicht mal als beschönigende "Zeitgeist"-Entschuldigung vor. Es gibt sie nicht, sie sehen sie nicht. 
(Dezember 2008) 
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