Peter Kratz: "Rechte Genossen.
Neokonservatismus in der SPD", Kapitel 3
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3. "Winning Culture" 
Peter Glotz als Pate des Neokonservatismus in der SPD 

Wie kein anderer ist Peter Glotz in den 80er und 90er Jahren darum bemüht, Inhalte in die sozialdemokratische Politik einzubringen, die aus der Zivilisationskritik der Konservativen und Neokonservativen, aus der historischen Konservativen Revolution und der "Neuen Rechten" stammen. Dazu nutzte und nutzt er seine Positionen als Bundesgeschäftsführer der SPD von 1981 bis 1987 und als Chefredakteur der Zeitschrift "Die Neue Gesellschaft" seit 1983. Sein angeblicher Antinationalismus ist nicht mehr als Ethnopluralismus im europäischen Großwirtschaftsraum. Orientiert an den Europakonzeptionen der intellektuellen Vorbereiter des Faschismus, propagiert er die politischen Strategien der großen deutscheuropäischen Konzerne in der Triadenkonkurrenz, vor allem der Medienkonzerne. Das antiamerikanische Ressentiment gehört ebenso dazu wie die Panikmache vor "den Japanern". Seine Elitepolitik im Innern, bis hin zum ausgesprochenen Ekel vor der Parteibasis, und sein oftmals peinlich aufgesetzter Intellektualismus brachten ihm die Gegnerschaft des Gewerkschaftsflügels der SPD ein. Nachdem er als Bundesgeschäftsführer abgelöst wurde, verlor er durch die Neugliederung des bayrischen SPD-Landesverbandes auch noch seine Funktion als Bezirksvorsitzender von Oberbayern, der Münchner Hightech-Region. Obwohl Glotz nur in den 70er Jahren als Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft und als Berliner Wissenschaftssenator Regierungsmacht innehatte und jetzt nur noch einfacher Bundestagsabgeordneter seiner Partei ist, nennt man ihn zu Recht den Vordenker oder Chefideologen der SPD. Diese inoffizielle Funktion hatte er auch im Schattenkabinett des Kanzlerkandidaten Rudolf Scharping inne, wo er den Bereich "Zukunft" ausfüllen sollte. 

Wer "Exportweltmeister" werden möchte, muß Produkte verkaufen, die überall gebraucht werden. Um sie konkurrenzfähig herzustellen, müssen die geeigneten Fachleute von überall hergeholt bzw. die Produktionsstätten überall hingebracht werden können. Bornierter Nationalismus ist kontraproduktiv, wo große Märkte das Wirtschaften erst rentabel machen. Dennoch wird Differenz benötigt: Abgrenzung gegen Konkurrenten, Formierung des "Eigenen", um das Andere erobern und einverleiben zu können. Differenz auch, aus der Neues entstehen kann, am besten naturwüchsig, weil kostensparend. Aus der Vielfalt wachsen immer neue Produkte, immer neue Fächer immer neuer Fachleute, eine große Varianz der Einfälle, Patente und sozialen Bedingungen, aus denen die günstigsten ausgesucht werden können, aus denen immer neue Möglichkeiten der Kapitalverwertung entstehen können. Nicht der Melting Pot, in dem alles zu Einem verschmilzt, sondern das Gewusel des Verschiedenen, aus dem sich die Konzerne nach Bedarf bedienen, wird angestrebt. Produktinnovation braucht die Vielfalt der Anregungen, Produktionskosteneinsparung die Vielfalt der sozialen Bedingungen. Das interaktive Fernsehen braucht die Vielfalt der Spielfilm-Enden: Happy End, Fatalismus, Horror? Islamisch, abendländisch-mitteleuropäisch, freizügig-liberal? Wenn mit den neuen Kabel-Projekten Milliarden verdient werden sollen, muß die Variabilität der Wahl bestehen. Und in jedem zusätzlich wählbaren Filmende können wieder zusätzliche Werbezeiten für vielfältige Produkte verkauft werden. Fürwahr: Der Einheitsbrei hat ausgedient. 

Peter Glotz wendet sich vehement gegen den althergebrachten "kleinstaatlichen" Nationalismus. Ebenso vehement tritt er für die multikulturelle Gesellschaft Europas ein, die er ethnopluralistisch versteht: die Differenzen für die Möglichkeit von Zukunft bewahren. Seine Motive sind nicht humanistisch sondern kapitalistisch. Er ist - auch wenn er nach außen hin die Begriffe "Faschismus" und Konservative Revolution bekämpft - ideologisch auf dem hohen Niveau der intellektuellen "Neuen Rechten", die europäisch denkt und sich in der Tradition der "Europäer" der Konservativen Revolution und des Faschismus sieht. Ihre Ideologie folgte den ökonomischen Notwendigkeiten, die sie rechtfertigen sollte. Ihnen waren die Nationen mit ihren Verschiedenheiten immer nur Teile des Ganzen, des europäischen Großwirtschaftsraumes. Man muß ja nicht jede überlebte Schrulle des "Indoeuropäertums", des "Ariertums" oder "Slawo-Kelto-Germanentums" mitmachen, die früher einmal die Ganzheit über den Völkern stiften sollten, vom Nordkap bis Florenz, wie z. B. Houston Stewart Chamberlain meinte, der überragende Ideologe des deutschen Imperialismus. 

Homogen sind die Gesetze des Warenaustauschs, "von Brest bis Brest-Litowsk", wie Glotz schreibt. Der Großsozialraum bleibt in sich ethnopluralistisch heterogen, kontrollierte Armutsmigration und Manager-Eliten-Migration sind erwünscht. Der gemeinsame europäische Markt ist seit dem Ersten Weltkrieg ökonomisch überfällig. Daß er unter Führung der deutschen Konzerne stattfindet - deren Anteilseigner sich selbst längst europäisiert haben -, dafür wurden zwei Weltkriege verloren. Heute ist die deutsche Führung eine Binsenweisheit. 

Es ist der Denkfehler des bornierten Nationalismus, das Eigene über die Anderen zu stellen und zu überhöhen. Wer auf den Weltmärkten erfolgreich sein will, muß gerade die kulturelle, geistige und warenwirtschaftliche Flexibilität und Offenheit haben, die der alten Erkenntnis entspricht: Geld(wert) hat keine Nationalität. Das ist die Lehre aus dem Sieg des nordamerikanischen Kapitals über das europäische in zwei Weltkriegen. Die "Neue Rechte" hat das längst erkannt: "Nicht staatsnationalistisch, sondern im Sinne eines modernen, europäischen Nationalismus" will sie sein, wie Gerd Waldmann bereits in ihrer Entstehungphase bekannte. Es muß auch hier nicht jede fixe Idee übernommen werden. Wenn Waldmann 1968 in der rechtsextremistischen Zeitschrift "Nation Europa" schrieb, der neue europäische Nationalismus ruhe "auf dem Volksbewußtsein, verlangt aber gleichzeitig ein europäisches Bewußtsein, das Europa als Schicksalsraum des weißen Mannes begreift", so kann man den dümmlichen Rassismus getrost überlesen. Denn Waldmanns Ansatz ist ansonsten recht brauchbar für die Konzerne: "Ein neuer Staatsnationalismus auf unserem Kontinent wäre ohne zukunftsweisende Idee, würde nur die Nationen zu neuem Konkurrenzkampf zwingen und dadurch zur endgültigen Zerstörung Europas führen. Dann könnten kontinentfremde Mächte Europa endgültig beherrschen." Das Selbstbestimmungsrecht der Völker ist hier nicht als Recht auf Staatenbildung gemeint, sondern auf Kulturregionalismus in einem übergeordneten europäischen Verbund. 

Pierre Krebs vom Kasseler "Thule-Seminar", einer Denkfabrik des europäischen Neofaschismus um Alain de Benoist, Armin Mohler und Sigrid Hunke, schreibt in den 80er Jahren unentwegt von der "europäischen Wiedergeburt". Die "egalitär durchmerkantilisierte Gesellschaft" finde ihre Alternative in einem Europa, dessen Einwohner "Mitglieder einer ethnokulturellen Gemeinschaft" seien, "die durch Jahrtausende Geschichte ausgestaltet wurde" und "Schmelztiegel einer eigentümlichen Kultur und Zivilisation" sei, "die die Völker nahezu aller europäischen Nationen miteinander verbindet". Fast schon schreibt Krebs das Europa-Programm von Glotz nieder, wenn er über allen "volklichen Identitäten" und "kulturellen Heimaten" die Einheit Europas fordert, den "Sinn für Großpolitik". "Von seiner Einheit hängt in der Tat unumgänglich seine Zukunft ab. Nietzsches Stimme wird über allen Tumulten und über allem Geschwätz laut, die prophetische Stimme einer ehernen Zukunft: '... daß Europa sich entschließen müßte, gleichermaßen bedrohlich zu werden, nämlich einen Willen zu bekommen, durch das Mittel einer neuen, über Europa herrschenden Kaste, einen langen, furchtbar eigenen Willen. ... Die Zeit für kleine Politik ist vorbei: schon das nächste Jahrhundert bringt den Kampf um die Erd-Herrschaft - den Zwang zur großen Politik'", so zitierte Krebs Nietzsche, dessen "europäische" Ideen auch in der Glotz-Zeitschrift "Die Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte" (NG/FH) in den 90er Jahren eine bemerkenswerte Renaissance erfahren. Solche Aufmerksamkeit wie z. B. Nietzsches "Willen zur Macht", den man in NG/FH im Herbst 1994 sogar zum "Internationalismus" aufbläst, wird hier den Klassikern aufgeklärten und sozialistischen Denkens seit Jahren nicht mehr zuteil. 

Die Positionen von Glotz sind tatsächlich im Ergebnis mit denen aus "Nation Europa" oder dem "Thule-Seminar" sehr nah verwandt, wenngleich er selbstverständlich für den rassischen Mythos zu rational ist. Der ist im übrigen, neben all seinen Problemen und Verbrechen, die ihn unbrauchbar machen, für den Neofaschismus inzwischen weitgehend verzichtbar. Glotz kritisiert 1989 in seinem Buch "Die deutsche Rechte" den bornierten Nationalismus, der auf die Reinheit des Volkes bedacht sei und dabei die ökonomischen Interessen gefährde: "Daß Friedrich der Große in seinem erschöpften, klein gewordenen Preußen hunderttausend Hugenotten aufgenommen hat und die Juden von vielen Einschränkungen befreit hat, interessiert ihn nicht (den Nationalismus, P. K.). Daß es große und sehr erfolgreiche Gesellschaften gibt - wie zum Beispiel die USA -, die keineswegs auf einem homogenen Volk beruhen, sondern auf einer verfaßten Gesellschaft, wird verschwiegen." 

Der SPD-Vordenker setzt auf die "Europäisierung Europas", wie er es nennt, und die Europäisierung Deutschlands. Der Nationalismus wird auf die europäische Ebene gehoben, der europäische Block formiert, etwa so, wie Weiße und Schwarze der USA in gleicher Weise auf "the nation" verpflichtet werden. Wie alle wirklich Rechten in Europa seit 150 Jahren schielt Glotz neidisch auf die wirtschaftlichen Erfolge der Vereinigten Staaten von Amerika, deren Gesellschaft multikulturell vor allem in den sozialen Lebensbedingungen ist. 

Die ökonomische Konkurrenz innerhalb Westeuropas tritt mehr und mehr zurück, Kooperation ist bitter nötig, um in der weltweiten Triadenkonkurrenz überhaupt zu überleben. Hochnäsiger Nationalismus stört da nur, die Gleichberechtigungsdemagogie des "neurechten" Ethnopluralismus kommt wie gerufen. In Joachim von Ribbentrops Auswärtigem Amt und im Ideologiezentrum der SS wurde schon in den 40er Jahren auf ethnopluralistische Europakonzeptionen der Konservativen Revolution zurückgegriffen, mit denen 1944 die internationalen Kollaborateure noch einmal hinter die Interessen des deutschen Kapitals vereint werden sollten. Die Ideen sind älter, schon Chamberlain war "Antiimperialist" im Interesse deutscher Hegemonie. Der Ethnopluralismus gefährdet auch heute diese Hegemonie nicht. Denn der bestimmende Einfluß der deutschen Konzerne ist allein schon durch die normative Kraft des Faktischen gewahrt. Kaum ein Konzern in Europa würde davon profitieren, hieran zu rütteln. Wer stark ist, kann mit der Rede von Toleranz und Pluralität die Schwäche der anderen als deren "Eigenes" schützend bewahren. Wenn Glotz von Europa spricht, interpretiert man ihn wohl richtig, wenn man das deutsch geführte Europa versteht, denn ein anderes existiert nicht. Die Papiere zur SPD-Wirtschaftspolitik im Bundestagswahlkampf 1994 enthielten immer den Hinweis auf die "deutsche" Wirtschaft, deren Standortbedingungen verbessert werden sollen. 

Ethnopluralismus ist für Glotz kein Ziel, sondern Katalysator. Er ist kein Gegner des Konzepts der Nation, sondern seiner aktuellen Ausprägung in den zerfallenen früheren Blöcken. Einen Unterschied im Wesen gibt es zwischen dem alten kleinstaatlichen und dem neuen Euro-Nationalismus nicht. Er funktioniert nach innen und nach außen, formierend und erobernd, so wie immer schon. Glotz sieht die Europastrategien des deutschen Kapitals bedroht, weil andere Nationen im Rausch der scheinbaren Selbständigkeit - kurzfristig - wiedererstarken, sich abgrenzen, den Großwirtschaftsraum zersetzen - jetzt, so kurz vor dem Ziel. Vom kochenden Nationalismus bietet er lauwarm die nationale Identität in der Region an, die sich als Teil den Handelsgesetzen des Ganzen unterordnet, dafür aber eine kulturelle Eigenständigkeit erhalten soll, die den sozialen Abstieg und die gewollte soziale Differenzierung freilich nicht aufwiegt. Das ganze Geheimnis seiner vermeintlich antinationalen Politik ist es, das Entstehen der europäischen Nation für die Konzerne mit der Aufwertung national-regionaler Tümeleien für die Opfer der Konzernpolitik zu verbinden. Doch das Dilemma bleibt bestehen: Die Konzerne dringen nach Osteuropa vor und machen alles platt, als Gegenbewegung - auch der dortigen neuen Kapitalien - entstehen kleinnationale Abschottungsversuche. So gefährdet die Anarchie des Kapitalismus, das ungezügelte Profitstreben, langfristige Chancen. Glotz plant weiter und ist deshalb für die überstaatliche Lenkung, die eine Eingrenzung der Anarchie der Produktion jedoch nur in sehr breiten Strömen industrieller und finanzpolitischer Freiheit vornehmen will. Ob allerdings das Trostpflästerchen der Regionalfolklore die materiellen Verletzungen heilen kann, die die Konzernpolitik im konkreten Leben konkreter Menschen verursacht, kann wohl bezweifelt werden. 

"Die materiellen Interessen drängen auf Europäisierung", schrieb er 1990 in seinem Buch "Der Irrweg des Nationalstaats", "die Internationalisierung der Produktion und ihrer Finanzierung ist unaufhaltsam." Damit ihn niemand als Linken mißverstand, begründete er seinen Ethnopluralismus der "Völkermischzonen" und "Stämme", der die "Europäisierung" an der Basis ausfüllen soll, mit einem expliziten Zitat von Ernst Jünger, der schon in den 20er Jahren das Völkische mit der modernen Technik zur "totalen Mobilmachung" für die Konzerngewinne verband. Dieser Konservative Revolutionär habe schließlich dazugelernt und sei inzwischen ein ehrenwerter Mann. "Indem die Konkurrenz der Nationalstaaten erlischt", so führte Glotz in demselben Buch Jünger an, "kann etwa der Elsässer als Deutscher oder als Franzose leben, ohne zu dem einen oder anderen gezwungen zu sein. Vor allem aber kann er als Elsässer leben, wie es ihm gefällt. Das ist ein Wiedergewinn an Freiheit, der bis in die Völkersplitter, in die Stämme und Städte sichtbar wird. Im neuen Hause kann man freier als in den alten Bretone, Welfe, Wende, Pole, Baske, Kreter, Sarde oder Sizilianer sein", meinte Jünger 1941 nach Glotz 1990. Wohlgemerkt: Der Vordenker der SPD bezieht sich hier ausdrücklich positiv auf Jünger. Er weist als Ausweg gegen den "Irrweg des Nationalstaates" die Autobahnen der ethnopluralistischen Waffen-SS hin zu einem Europa der Völker unter deutscher Führung an, deren Prinzipien Jünger doch immerhin in den 40er Jahren als Besatzungssoldat der deutschen Wehrmacht vertrat. Solche Glotz-Zitate zeigen, welches Europa er meint. 

Allerdings hat die Kohle- und Stahlregion Elsaß-Lothringens aufgrund der Weltmarktsituation auch jeden Reiz verloren, den Zwang von 1870/71 oder 1914 anzuwenden. Ob ein arbeitsloser Stahlarbeiter aus Saarlouis oder aus Metz kommt, macht in der Tat keinen Unterschied an seiner Arbeitslosigkeit. Die fortgeschrittenen Teile des Faschismus wußten dies schon zu Beginn des Zweiten Weltkriegs, die Kriegstreiber aus den exportorientierten Kapitalfraktionen kooperierten auch während des Krieges international, sogar mit Konzernen der Kriegsgegner. 

"Der vertrotzte nationale Individualismus und die Siegergeschichte der Großen" haben sich nach Glotz überlebt, denn "die moderne Wirtschaft drängt auf großräumige Zusammenarbeit. Ein konkurrenzfähiger Wirtschaftsraum verträgt zum Beispiel keine sieben oder siebzehn geldpolitischen Souveränitäten; er braucht ein Entscheidungszentrum, in dem über Geldmenge und Zinshöhe entschieden wird." Demnach beschränkt sich der Ethnopluralismus auf Trachten, Volksmusik und Billiglohngebiete, wo "Souveränitäten" erwünscht sind. 

Zugegeben, es fällt manchmal schwer, in dem riesigen Wust inhaltlich breit gestreuter Glotz-Publikationen, die in Büchern, Zeitschriften, Tageszeitungen und in allen Wochenzeitungen vom "Rheinischen Merkur" der Bischöfe bis zur "Woche" Bissingers erscheinen, eine einheitliche Linie zu finden, zumal sich deren Aussagen öfter diametral widersprechen. Bisweilen entsteht der Eindruck, als werde der Vordenker der SPD von einem Rudel unkoordinierter Ghostwriter durch die deutschen Feuilletons gezogen. Dem ist nicht so. Christian Meurer schrieb in der Zeitschrift "Titanic" ein hintergründiges Glotz-Portrait, dessen Wahrheit auf dem Grunde des Glotzschen Gedankenmeeres leicht zu finden ist. Für Meurer hat Glotz "sein aus Camouflage und Finten zusammenmontiertes Blendwerk nur noch arrangiert, um Kuckuckseier zu verstecken". So mag man es ausdrücken. 

In den Glotz-Schriften, die Hunderte zählen und von der Pressedokumentation des Deutschen Bundestages säuberlich unter dem Namen ihres Autors gesammelt werden, finden sich über die Jahre konstant die wesentlichen Topoi der Konservativen Revolution. Der manchmal schäumende Antimarxismus reicht weit ins Antiliberale hinein, die konservative Zivilisationskritik setzt auf antiamerikanische Ressentiments, der Heroismus wird nur noch vom Elitarismus übertroffen, der vom Ekel vor den Massen und ihren Lebensweisen erfüllt ist. Vorfaschistische und faschistische Großwirtschaftsraum-Konzepte werden mit dem Ethnopluralismus der so alten "Neuen Rechten" ausgefüttert. Für die Hochtechnologie-Konzerne ist Glotz der ideale Neokonservative der 90er, denn er ist Sozialdemokrat. 

Glotz ist sich weitgehend einig mit den Konservativen von rechtsaußen, deshalb ruft er unentwegt "Haltet den Dieb!" in ihre Richtung. Sein Artikel "In Deutschland mutiert der Kern", den er im Oktober 1993 über "die jungkonservative Wende" schrieb, ist eine Selbstanalyse: "Verändert wird Deutschland weniger durch Franz Schönhuber oder Gerhard Frey, verändert wird es vor allem durch die unmerkliche, aber rasche Verwandlung der demokratischen Rechten." Vor allem Wolfgang Schäuble hat Glotz im Visier, dessen politische Konzeption für die nächsten Jahre er weitgehend teilt. "Alle Ingredienzien des Nationalkonservativismus" enthielten Schäubles Äußerungen. Man braucht nur die Namen auszuwechseln. "Den nationalrevolutionären Radikalismus rechter Intellektueller dürfte der nüchterne Rechner Schäuble sogar verachten; er kennt (kein Vorwurf!) die Interessen von Siemens, Hoechst und BMW." 

Glotz war im Juli 1994 der berufene Rezensent des Schäuble-Buches "Und der Zukunft zugewandt". Es erschien im Verlag von Wolf Jobst Siedler, den Glotz als konservativen Ideologen verehrt. Der Verlag gehört inzwischen zum Bertelsmann-Konzern. "Der mächtige und als handelnder Politiker zweifellos ernstzunehmende Schäuble liefert einen Aufguß des durchschnittlichen deutschen Konservativismus, eine taktisch wohl ausgewogene Sammlung von Gedanken, die man von Arnold Gehlen, Hermann Lübbe, Odo Marquardt, Hans Peter Schwarz oder Hans Jonas kennt", befand Glotz und zielte auf sich selbst. "Schäubles Analyse ist im Ergebnis oft plausibel, in der Formulierung allerdings provozierend", das Buch wirke "gelegentlich faszinierend herrschaftlich, wie manche Texte von Ernst Jünger oder Henry de Montherlant. Dieser neue, die Anbiederung meidende Ton, macht die Anziehungskraft Schäubles auf das neurechte Milieu aus. Er kritisiert es in vielen gut zitierbaren Sätzen. Aber er gibt dem Affen Zucker." 

Ist es "Haltet den Dieb!" oder fishing for compliments, wollte er sich selbst durch solche Sätze aufwerten, in der Hoffnung, Schäuble rezensiere nun auch einmal ein Glotz-Buch, Siedler würde es verlegen? Eher wird hier wohl die geistige Basis der Großen Koalition deutlich. Die Neokonservativen sind sich schließlich einig, vom "Kerneuropa" - von dem noch zu schreiben sein wird - bis zur Förderung deutschen Nachwuchses: "Nicht daß dieses Buch nicht eine Reihe richtiger Analysen enthielte. Schäuble kritisiert die deutsche Ladenschlußgesetzgebung so plausibel wie das familienfeindliche Steuerrecht, macht faire Bemerkungen zu den Zivildienstleistenden und vernünftige zur Zerstörung von Privatheit und Intimität durch bestimmte Medien", meint Glotz. Doch dann kritisiert er ihn wegen Textstellen, die Glotz bereits Jahre früher selbst schrieb. Schäuble entwerte "diese kritischen Feldzüge durch Hunderte, über das Buch verstreute Banalitäten: 'Vereine sind nicht der Inbegriff der Spießigkeit', bemerkt der Hydrauliker, 'sondern lebendige Formen des menschlichen Miteinander': 'Jo mei', würde der Bayer sagen, 'it depends' der Engländer." Glotz aber sagte exakt dasselbe schon 1989 in seinem Buch über "Die deutsche Rechte", das mehr ein Buch gegen die deutsche Linke war. 

Die Einigkeit ist nicht erstaunlich. Glotz setzt auf Eliten. Es ist auch der "faschistische Stil", die konservativ-revolutionäre Haltung, die seine Inhalte als so weit rechts erschließen. Er muß nicht immer alles selbst sagen, sondern kann in seiner Zeitschrift NG/FH auch andere deutsch schreiben lassen. Norbert Hilger portraitierte hier im August 1991 den früheren Privatsekretär Jüngers und langjährigen Geschäftsführer der Siemens-Stiftung, Armin Mohler, dem sich Glotz als erster und als einer von ganz wenigen Sozialdemokraten zur Verfügung stellte, um vor der Siemens-Stiftung zu sprechen: "In ihm äußert sich die Sehnsucht nach einer soldatischen, heroisch-agonalen Lebensform, die der Kompromiß- und Sekuritätsmentalität des bürgerlichen Krämer- und Händlertypus diametral gegenübersteht", so Hilger Sieht man sich sein Mohler-Porträt genauer an, so fallen die Parallen zur Politik und Glotz auf: die Formierungsbestrebungen, die gesellschaftliche - auch "geistig-moralische" - Erneuerung "auf dem Boden moderner Wissenschaft und Technik", der "starke, gesellschaftlichen Partikularinteressen enthobene Staat", die Hoffnung auf "überragende" Staatsmänner (Hilger), die plebiszitäre Demokratie als Ablenkung von der realen Machtlosigkeit der Bevölkerung. Glotz und seine Getreuen sagen oft dasselbe wie der "heroisch-realistische" Mohler, nur sozialdemokratisch verlangweilt. 

Glotz will Führer, "Charismatiker" sehen und eine draufgängerische Jugend, die sich für die Konzerninteressen opfert. Seine Vorstellung von Staatsführung ist oligarchisch, verwandt mit dem elitären "revolutionären Aristokratentum", das man in NG/FH an Nietzsche hervorhebt. "Was es jetzt bräuchte", schrieb Glotz im Januar 1994 in "Focus" zur Entwicklung Europas, "wären fünf Leute vom Schlage Jean Monnets, verteilt auf die wichtigsten Kanzleien Westeuropas." Dann sollen wohl die europäischen Probleme ruckzuck gelöst sein. "Eliten aller Länder vereinigt euch!", so benannte Rüdiger Görner in NG/FH im Oktober 1994 Nietzsches antisozialistischen "Internationalimus"; er stehe im Interesse "welthistorischer Zwecke" und für das "Überwinden des nationalstaatlichen Denkens", so Görner, der Nietzsche hier positiv als Ethnopluralisten vorstellte. Margret Feit machte bereits 1987 in ihrem Buch "Die 'Neue Rechte' in der Bundesrepublik" auf den Zusammenhang zwischen der Europaorientierung des modernen Neofaschismus und seinem Rückgriff auf Nietzsches "Willen zur Macht" aufmerkam. Der Wiederaufstieg des Kontinents, so zitierte sie aus "Nation Europa" von 1985, sei von der "Entschlußkraft der europäischen Führungseliten" abhängig. 

An eine europäische Bewegung von unten, wie sie die Linke vor und nach beiden Weltkriegen, sozial und pazifistisch ausgerichtet, zu Wege brachte, denkt auch Glotz nicht. "Die jungen Leute, die die erfahrenen, aber verholzten Großparteien aufmischen müßten", kritisiert er wegen ihres humanitären entwicklungspolitischen statt macchiavellisch parteipolitischen Engagements. Energien würden verschleudert "in Entwicklungsprojekte in Brasilien, Greenpeace-Demonstrationen gegen Ölverklapper oder Abenteuerurlaube im Norden Kanadas". Seine heimliche Bewunderung für den intellektuellen und gleichzeitig rüpelhaften Umberto Bossi, der italienischen Version des Konservativen Revolutionärs, rührt wohl neben gemeinsamen europa- und wirtschaftspolitischen Vorstellungen auch daher, daß Bossis Lega Nord das politische Establishment Italiens mal so richtig aufmischte und ihr Führer dabei das Gegenteil der Kleinbürger Poujade, Le Pen, Glistrup, Schönhuber darstellt. Glotz verabscheut "Parvenues", "Krämergeist" und "Wehleidigkeit vieler Ostdeutscher", wie er Anfang 1994 mal in der "Woche", mal in der "Süddeutschen Zeitung" schrieb. In diesen Artikeln diagnostizierte er "Abbröckelungsprozesse" der Gesellschaft, "die Regierbarkeit des Landes wird schwächer", weil "die politischen Eliten kooperationsunfähig, planlos, relativistisch und zerfahren sind". 

Ähnliches, bezogen auf die Massen, hatte er schon im August 1989 im "Vorwärts" geschrieben: "Was ist los mit diesem verdammten Volk?", ließ er einen fiktiven Parteifunktionär fragen, der vor leeren Sälen spricht und in Wirklichkeit wohl Glotz selbst darstellt. "Hängt es energielos vor Fernsehschirmen? Amüsiert es sich verantwortungslos zu Tode? Meidet es uns, obwohl wir doch inzwischen vor und nach dem Redner den Liedermacher mit Mundart-Programm eingeplant haben?" Er zeichnet seiner Partei ein Schreckensbild: "Die sozialen Milieus schmelzen ab. ... Die Heimaten lösen sich auf. Der Wähler, dieser launische Souverän, wird immer unberechenbarer. ... Die Emanzipation der Frauen bringt auch eine Emanzipation im Wahlverhalten mit sich; die Zeiten sind vorbei, in denen man mit dem Mann auch die Ehefrau überzeugt hatte." Diese Entwicklung ist für ihn eine "gefährlich-individualistische, intellektuell-verspielte, unzuverlässig-liberalisierende Aufweichung der Strukturen", der die Volksparteien entsprechen müßten - oder entgegentreten? Glotz argumentiert meist ambivalent, läßt beide Interpretationen zu. Auch dies ist ein Stück seiner Demagogie. 

Sein Rezept 1989: "Die italienischen Parteien laden unabhängige Frauen und Männer ein, auf ihren Listen zu kandidieren; so wird die politische Klasse 'intelligent' unterwandert." Das stellte sich zeitgeschichtlich dann doch etwas anders dar, als Weg der verspielten Rechts-Intellektuellen in eine Art von Mediendikatur. Aber Glotz will mit seinem Klagelied und dem Lösungsvorschlag ohnehin nur auf Konzerninteressen hinaus. Die verbreitete Angst vor dem Abstimmungsverhalten "Unabhängiger" und dem Aufweichen der Parteilinie konterte er nämlich mit dem Rat: "Die 'Beschlußlage' gelassener nehmen. ... Muß man um die Solidarität fürchten, wenn eine SPD-Frau für italienische Ladenschlußzeiten eintritt?" Die Antwort ist klar. Solange man nicht als Verkäuferin in einer Leichtlohngruppe der Einzelhandelsketten eingestuft ist, solange man nicht zu Hause am Telefon gefesselt auf den Arbeitsabruf im Stoßgeschäft warten muß, um überhaupt ein paar Mark verdienen zu können: sicher nicht. 

Glotz ist der Meinung, "das Volk" - und wohl vor allem seine sozialen Interessen - müsse "integriert" werden. Nicht selbstbestimmte Interessenvertretung sondern Befriedung ist sein Ziel. Das Passiv ist ernst gemeint und es verrät auch hier sein Gesellschaftsverständnis als modernen staatsmonopolistischen Kapitalismus. 1989 schloß er seinen "Vorwärts"-Artikel ambivalent, aber einen SPD-Ehren- und Elitepolitiker nennend, der uns noch beschäftigen wird: "Das Volk wird nicht mehr über Programme und über vielfältige, gegliederte Organisationen (Parteien) integriert, sondern über eine Person - und die Medien. Eine Geschichte wird erzählt und deckt alle anderen Geschichten zu. Ein Mythos wird handwerklich hergestellt. Zum Beispiel der Mythos Ronald Reagan. Wirksam ist das schon. Aufklärerisch ist das nicht. Welchen Weg werden die Volksparteien gehen? Schwer zu sagen. Manchmal reichen die Ruder der Politik, hat der Hamburger Altbürgermeister Klaus von Dohnanyi gesagt, nicht mehr ins Wasser. Die Frage ist: Rudern wir weiter oder ändern wir was?" 

All dies ist bei der Konservativen Revolution abgeschaut. Die Option, "das Volk" könne sich selbst regieren, die Mehrheiten könnten für sich selbst sprechen, kommt ihm nicht in den Sinn, jedenfalls nicht als positive Option. Formierung ist das Ziel, "aufklärerisch" durchgesetzt über Volksparteien mit jahrzehntelang gleichen Führungsoligarchien. Denn die Frage ist doch vor allem: Wer sitzt im Boot, wer ist Steuermann, wer darf nachgeordnet den Takt schlagen, wer ist Rudersklave? Wohl auch: Wem gehört das Boot, wer gibt das Fahrtziel vor? 

Die Mehrheit der Bevölkerung wurde im Januar 1994 von Glotz in der "Süddeutschen Zeitung" unumwunden als "hedonistisches Pack" bezeichnet. Er meinte es keineswegs ironisch, denn den Deutschen in Ost und West sei gemeinsam, "daß sie sehr über ihr Privatleben gebeugt sind". Offenbar soll das Volk Höheres im Sinn haben, das Individuum sich dem unterordnen. Sogar "Stattparteien" würden die Menschen schon gründen, kritisierte er, jedoch ohne die jungkonservative Ausrichtung dieser Gruppierungen zu kritisieren. Denn Glotz bemängelt vor allem die fehlende Bereitschaft des "hedonistischen Packs", gouvernementalen Zentralismus hinzunehmen, wenn er von scheinbar Wissenden verordnet wird. Gerade dies macht seine Demagogie aus: einerseits ethnopluralistisch zu argumentieren, andererseits auf Zentralismus zu pochen. Es ist, wie später gezeigt wird, auch der Hintersinn seiner Forderung nach einem "Europa der Vaterländer", die er - und mit ihm die gesamte "Neue Rechte" - von dem französischen Politiker Charles de Gaulle übernommen hat. 

Fast sehnsüchtig bezog er sich im Januar 1994 auf de Gaulle, der das vermeintlich genußsüchtige, ständig streikende und wirtschaftlich marode Nachkriegs-Frankreich autoritär modernisierte und die revolutionäre Linke zerstörte: "Irgendwann, in einer nicht allzu fernen Zeit, dürfte das Volk, der bloß symbolischen Politik überdrüssig, dreinschlagen. Aber in welchem bayrischen oder märkischen Colombey-les-deux-Églises (einem lothringischen Nest, das nur als Wohnort de Gaulles bekannt wurde, P. K.) sitzt ein mit allen Wassern des Macchiavellismus gewaschener Charismatiker und wartet auf seine Stunde?" De Gaulles Stunde war die des Algerienkrieges, den er führte und für den er in Frankreich Medienzensur und Verbote antimilitaristischer Filme durchsetzte; oder die des Mai 1968, als er Frankreich vor der revolutionären Linken rettete und dabei sogar bereit war, die Panzer seiner Armee zum Putsch rollen zu lassen. 1992 bot Glotz zum charismatischen Führer eine oligarchische Alternative an. Er nannte sie zwar "linkslibertäres Projekt", aber als Personal des Projekts führte er Engholm, Lafontaine, Renate Schmidt, Schily, Geißler, Süssmuth, Biedenkopf, Lothar Späth, Gerhard Baum und Kinkel auf. Drei Jahre früher, in dem Buch "Die deutsche Rechte", klassifizierte er die New Ager Franz Alt und Gertrud Höhler und den Burschenschaftler Dieter Haack - Autoren der rechtsextremen Zeitschrift "MUT" - als "ganz eindeutig den großen, integrationistischen Parteien der Bundesrepublik nahestehen(d) oder ihnen angehören(d)". Demokratisch müssen diese Organisationen wohl nicht unbedingt sein, Hauptsache: formierend. Auch hieran zeigt sich sein demagogischer Umgang mit Begriffen wie "links" oder "libertär".  (51) 

Untergang des Abendlandes 

Glotz liebt konservative Kulturkritik. Mehr noch, er ist ein prototypischer Kulturpessimist des elektronischen Zeitalters. 1989 bemühte er in dem Buch "Die deutsche Rechte" ausgerechnet den Lebensphilosophen Ludwig Klages als seinen Kronzeugen für die Bedrohung der europäischen Gesellschaft durch die Moderne und stellte ihn mit Erhard Eppler auf eine Stufe. So betonte er selbst die Kontinuität von den Vordenkern des historischen Faschismus zu denen der aktuellen Sozialdemokratie. Doch Glotz bringt die konservative Zivilisationskritik auf ein rationales Niveau, wenn auch er bemängelt, die Europäer säßen bald nur noch als Konsumenten vor japanischen Fernsehgeräten, die amerikanische Filme zeigten. Deutschland drohe zu einem "Flugzeugträger der Japaner" zu werden, meinte er 1993. 

Er bedient damit die ideologischen Bedürfnisse der deutsch geführten europäischen Hard- und Software-Unternehmen, der elektronischen und der medialen Industrie, der Konzerne der informationellen und audiovisuellen Produktfelder, die über Unterhaltungselektronik inzwischen weit hinausgehen. Der deutschsprachige Filmmarkt ist der größte Europas, Deutschland ist der zweitgrößte Fernsehmarkt der Welt. Die Expansion der Kapitalverwertungsmöglichkeiten verspricht riesige Profite, z. B. hält der deutsche Film selbst in seinem Mutterland zur Zeit nur einen Anteil von zehn Prozent. In Nordrhein-Westfalen, dem größen Medienland der Bundesrepublik, liegt die audiovisuelle Industrie mit rund 200 000 Beschäftigten schon auf Platz drei aller Branchen. Im Landtagswahlkampf 1995 warb die SPD hier mit dem Musik-Journalisten Dieter Gorny, der den Clip-Kanal "VIVA" für die deutsche Musikindustrie aufbaute: "Als VIVA die erste Pressekonferenz veranstaltete, saß der Chef der Staatskanzlei, Wolfgang Clement, mit auf dem Podium. ... Die Wirtschafts- und Medienpolitiker hierzulande wissen, daß Popmusik auf dem Markt eine wichtige Rolle spielt. Außerdem gibt es in NRW drei Millionen Kabelhaushalte", sagte Gorny dankbar der sozialdemokratischen "Zeitung am Sonntag"; und die Kabelempfänger sehen die Werbesendungen der übrigen Industrie. 

Vom Medienkuchen will Glotz ein großes Stück abschneiden. 1989 schäumte sein Antiamerikanismus über, als er beim Londoner Kongreß "Europe Our Common Home" sprach. Die "taz" dokumentierte die Rede rechtzeitig zur Europawahl. Glotz verband darin geschickt "vier große weltgeschichtliche Prozesse" mit den ökonomischen Interessen Europas: Die westeuropäische Integration, den Zusammenbruch des Sozialismus, die Bevölkerungs- und damit Markt- und Migrationsexplosion im Süden und "die Verbreitung einer weltweiten, nivellierenden Massenkultur aus den Vereinigten Staaten". Im Sinne des "neurechten" Befreiungsnationalismus sprach er von Europa als "kolonialem Terrain" Japans und Nordamerikas und meinte aufmunternd: "Europa wird noch einmal (!) die Chance bekommen, sich wirtschaftlich gegenüber den Amerikanern und dem fernen Osten zu behaupten", es müsse jedoch "ein paar große strategische Entscheidungen" treffen, sonst werde es "ein Kontinent mit absteigender Tendenz" - Oswald Spengler läßt grüßen. Historisch betrachtet, kann sich das "noch einmal" nur auf die beiden Weltkriege beziehen, die auch Kriege des nordamerikanischen Kapitals um den europäischen und asiatischen Markt waren. Was könnte Glotz sonst meinen? 

Alain de Benoist, europäischer Kopf der neofaschistischen "Neuen Rechten", beklagte im März 1990 in der rechtsextremistischen Zeitschrift "Europa vorn" "die amerikanische, kulturelle und medienmäßige Kolonisierung Europas" und sprach von "der amerikanischen Anti-Kultur". Warum schreibt Glotz ähnlich, wenn auch nicht ganz so radikal? Warum sagt er nicht Gegenteiliges zu Benoist? 

1985 bereits knüpfte er in einem "Dialog über die Grenzen" an frühere konservative Europakonzeptionen an: "Fast neige ich dazu zu sagen, wir müssen zurück zu einem Europabegriff, zu einem Begriff von 'Paneuropa', wie ihn Graf Coudenhove-Kalergi im Jahre 1923 entwickelt hat - er schloß damals interessanterweise England und Rußland aus. Nehmen Sie das jetzt nicht wörtlich. Nehmen Sie statt England die USA." So werden die Thesen Josef Blochs aus den "Sozialistischen Monatsheften" der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg aktualisiert. Es ist die alte Idee eines Mitteleuropa, dessen wirtschaftliche Expansion nach Osten - bis zu den Rohstoffquellen Sibiriens - fast nur noch in deutscher Hand liegt, heute zumindest in der eines deutsch geführten Kern-Europa. 

Glotz setzt die konservative und elitäre Kulturkritik so ein, wie es seit hundert Jahren getan wird. Seine "nivellierende weltweite Massenkultur", die in dem Londoner Vortrag mehrfach herhalten mußt, besteht aus "Produkte(n), die von den 'Majorcompanies' in den Vereinigten Staaten konzipiert werden und in Europa ebenso absetzbar sind wie in Arizona, Indien oder in Japan". Er fürchtet "eine kulturelle Hegemonie der 'Majorcompanies' aus Hollywood", ohne eine gesellschaftliche Analyse der Bedingungen ihrer Attraktivität zu versuchen, denn Glotz hält die Menschen ohnehin für willfährig medienmanipulierbar. "Wenn die jungen Mädchen in Wales, in Bayern, in Andalusien und in der Bretagne" - er wählt ohne Not, aber mit Bedacht nur solchen Regionen Europas aus, in denen selbsternannte befreiungsnationalistische separatistische Bewegungen agieren - "sich am liebsten so kleiden würden wie Sue Ellen und entscheidende Eliten in ganz Europa am liebsten den Lebensstil von J. R. Ewing kopieren würden, dann kann man die europäische Identität vergessen." Identität heißt für ihn: Kauft bei Siemens und Bertelsmann statt bei Sony! 

"Die reiche kulturelle Vielfalt unseres Kontinents: Europa ist mehr, als Denver und Dallas oder McDonalds und Coca Cola zu bieten haben", schrieb auch der schleswig-holsteinische Minister für Bundesangelegenheiten und Europa Gerd Walter, früher einer der führenden SPD-Europapolitiker im Europäischen Parlament, Ende 1993 im "Sozialdemokratischen Pressedienst". Schon 1989 hatte er hier geschrieben: "In den nächsten Jahren fällt die Entscheidung über das künftige Gesicht der Europäer in der Welt: Werden wir selbst bestimmen? Oder werden in Zukunft die Japaner alle Fernseher bauen, die Amerikaner alle Programme dafür liefern und die Europäer nur noch als Zuschauer vor den Geräten sitzen?" 

In seinem Tagebuch "Die Innenausstattung der Macht" notierte Glotz unter dem 20. 8. 1977: "Der amerikanische Präsident kommentiert den Tod von Elvis Presley. Dieser sei ein Symbol für die Vitalität Amerikas gewesen. Bei uns wäre es ganz unmöglich, daß ein deutscher Bundespräsident oder Bundeskanzler den Tod eines Schlagersängers kommentierte. Das liegt sowohl an den deutschen Schlagersängern (also am Fehlen einer ernstzunehmenden Volkskunst bei uns) als auch an den deutschen Politikern." In Wahrheit aber würdigten heutige deutsche Politiker einen Heinz Rühmann und ehrten Nazi-Propaganda-Schauspieler wie Hans Albers und Heinrich George mit einer Briefmarke - Repräsentanten der Zeit, als die deutsche Filmindustrie Europas Leinwände beherrschte. Der gigantische deutsche Filmkonzern Ufa wurde 1917 durch General Erich Ludendorff als "kriegssozialistische" Maßnahme gegründet, Propagandaunternehmen gegen die revolutionäre Heimatfront, und war in den Händen Alfred Hugenbergs ein Instrument, um die Machtübergab an die Nazis vorzubereiten. Heute gehört das, was in Westdeutschland von der Ufa übrigblieb, zu Bertelsmann. Marlene Dietrich dagegen, die mit amerikanischen Truppen gegen den Faschismus kämpfte, wurde bisher nicht derart geehrt. 

Glotz versteht nicht die Qualität der weltweiten Kultur. Daß Elvis - erst vom US-Medienkonzern RCA verkauft, dann von CBS, der RCA schluckte, jetzt vom japanischen Konzern Sony verkauft, der die US-Institution CBS schluckte - gerade ein Teil der "Volkskunst" der Deutschen ist - wie der Franzosen oder der Thais oder wessen auch immer, selbst der damaligen Sowjetmenschen hinter einem Eisernen Vorhang -, das darf er im Interesse der deutscheuropäischen Medienkonzerne nicht verstehen. Die zig Tausende Rockbands zählen für ihn nicht als "ernstzunehmende Volkskunst", wohl weil sie auf Marshall-, Fender- oder Yamaha-Verstärkern spielen. Nicht das dröge Angebot deutscher Musikwarenhersteller, sondern das Ohr japanischer Hightech-Produzenten am Rhythmus der nordamerikanischer Slums brachte neue Musikrichtungen hervor, die weltweit attraktiv sind. Auch solche Kunst ist materiell bedingt. Beethovens Musik wäre ohne die Erfindung des metallgegossenen Pianorahmens eben rein technisch gar nicht möglich gewesen. 

An solchen Beispielen zeigt sich, wie sehr das völkische Denken, dem Glotz anhängt, gegen die Interessen der Mehrheit gerichtet ist. Er trennt nicht "primitive" von "entwickelter", nicht "edle" von "Gossen"-Kultur, sondern amerikanische von deutscher. Er macht sich keine Gedanken zur Qualität der Kultur, sondern zu den Eigentumsverhältnissen der Kultur vermarktenden Konzerne. Er verurteilt den American Way of Life, weil die europäischen Unternehmen ihn verschlafen haben. Um den Weg selbst geht es gar nicht, die Kulturkritik ist rein funktional, man möchte glauben: neidisch blickend. "Einer 'winning cultur'", sagte er 1994 auf dem Kieler Kongreß "Innovationsfähigkeit - Herausforderung für Gesellschaft und Kultur", "genügt nicht die Attitüde des In Die Hände Spuckens. Bevor man aufbricht, muß man wissen wohin. Wo liegen die Märkte der Zukunft und welche High- und Low-Tech-Produkte werden sie aufnehmen?" Und wieder drehte er es völkisch, dabei die "nationale Identität" aber als veränderbar, manipulierbar im Konzerninteresse verstehend, den Ethnopluralismus instrumentalisierend: "Die Spielfreude der Japaner war es, die im Umgang mit Stereoanlagen und Computern, Film- und Videokameras, Walk- und Diskman die Voraussetzungen für eine rasche Erschließung ihres Binnenmarktes, das schnelle Erreichen hoher Produktionszahlen und damit günstige Voraussetzungen für Export und internationale Wettbewerbsfähigkeit schuf. Die Qualität eines Innovationsstandortes hängt also auch vom kulturellen Hintergrund, von der gesellschaftlichen Einstellung zur Technik und vom allgemeinen Konsumverhalten ab." 

Jedenfalls hat das japanische Medienkapital Ludwig van Beethoven, Elvis Presley und Michael Jackson längst als Träger japanischer ebenso wie weltweiter "Volkskunst" begriffen. Siemens-Chef Heinrich von Pierer sagte fast gleichzeitig mit Glotz im Frühjahr 1994: "Woher kommt denn der Erfolg der Japaner auf dem Gebiet der Halbleiter? Der kommt ja nicht nur durch das Miti, sondern der kommt daher, daß die Japaner von Anfang an in breite Anwendungen gehen konnten. Sie beherrschen doch die ganze Unterhaltungselektronik, die den Massenverbrauch für die Chips bringt." So ist die konservative Kritik der "Massenkultur" nichts als Demagogie euro-nationaler Kapitalien. Die Abgrenzung von japanischen und US-Medien hat auch eine ideologische Funktion: Formierung, Fronten bilden, hinter denen die Hightech-Konzerne "Bewußtsein" als Ware handeln, aber auch anderes als "Bewußtsein" verkaufen können, materielle Produkte als Primärware nämlich. 

Die Kulturkritik von Glotz dient keineswegs einer europäischen kulturellen Vielfalt, sondern der europäischen Medienindustrie, einer Kapitalfraktion, die weltweit - allerdings noch unter US-amerikanischer Führung - bereits in der Lage ist, Kriege zu inszenieren, um Werbezeiten innerhalb erhöhter Einschaltquoten zu verkaufen. Die Invasionen in Somalia oder Haiti haben gezeigt, daß auch die Medienkonzerne "Rohstoffe" und "Ressourcen" brauchen und wie sie sie herstellen. Nachrichten: posierende Marines beim Landemanöver, das als echter Krieg ausgegeben wird; für die Kamera werfen sie sich mal eben in Kapmpfstellung auf den Strand. Der Bertelsmann-Konzern, Europas größter Medienriese und weltweit auf Platz zwei, rechnet demnächst mit Umsätzen von 160 Milliarden Mark. Das Unternehmen hat sich nicht nur bei dem Sender "Premiere" mit Europas großem Filmhändler Leo Kirch zusammengetan, sondern zu dritt - gemeinsam mit der staatlichen Telekom - die Media Service GmbH gegründet. Neue Übertragungswege in Glasfaserkabeln, über Satelliten und Digitalisierung - hier arbeitet Bertelsmann mit dem französischen Canal Plus zusammen, der ebenfalls bei "Premiere" engagiert ist - müssen entwickelt und ihr Ausbau staatlich finanziert werden. Die Deutsche Telekom rechnet vor allem mit dem osteuropäischen Markt, der betriebswirtschaftliche Umbau und die Privatisierung der Bundespost dienen der medialen Eroberung Osteuropas mit Hilfe der audiovisuellen Hightech-Elektronik. Der neue Chef der Deutschen Telekom, Ron Sommer, war vorher bei Siemens-Nixdorf und Sony, er weiß, um was es geht; und Hans-Olaf Henkel fordert als Präsident des Bundesverbandes der deutschen Industrie "eine weitere Freigabe der Telekommunikationsmärkte" an private Investoren - und Profiteure -, um einen Einstieg in den kostengünstigen Telearbeitsplatzmarkt zu erreichen. "Hier böten sich für beherzte Unternehmen mit innovativen Ideen viele Geschäftschancen", zitierte ihn die "FAZ" im März 1995. Die Betreiber der Unterhaltungsmedien sind allenfalls noch Pioniere, auf entwickelten Datenautobahnen wird der Anteil der Popmusik-Clips am Gesamttransport nur noch minimal sein. Bertelsmann und Kirch bestimmen heute über zwölf Fernsehsender, Kirch-Mitbesitzer Otto Beisheim kontrolliert über sein Eigentum an der Kaufhof AG und der Großhandelskette Metro auch einen Großteil der Gebrauchsgüter- und Lebensmittelversorgung in Europa. Die hier angebotenen Waren werden über die Werbeminuten der privaten Fernsehsender verkauft, die Filmproduktion und den Filmhandel, die für die Einschaltquoten und damit das Rahmenprogramm der Werbesendungen sorgen, bestimmt wiederum Kirch. Das ist der wahre Kern der Kapitalkonzentration im Medienbereich. 

Daß Glotz schon 1975, damals noch Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft unter Kanzler Helmut Schmidt, zum 25jährigen Betriebsjubiläum von Bertelsmann beim Festakt in Gütersloh sprach, paßt ins Bild. Auch, daß Schmidts Finanzminister Manfred Lahnstein später in den Unternehmensvorstand von Bertelsmann wechselte. Glotz setzte als SPD-Medienpolitiker durch, daß seine Partei nach langem Zögern der Einführung des Privatfernsehens zustimmte. Die als amerikanisch geschmähten Seifenopern produzieren die deutschen Sender jetzt selbst und senden sie zu jeder Tageszeit. Sogar die Nachrichtensendungen der öffentlich-rechtlichen Anbieter wurden dem niedrigsten vermarktbaren Niveau angepaßt. Der Aufbau von "heute", "Tagesschau", "RTL aktuell", "Top-News" usw. ist weitgehend gleichgeschaltet und entspricht dem der Provinzzeitungen: ein bißchen Politik, etwas Kultur, immer Unfälle, Geiselnahmen, Schießereien und Sport, "das Wetter". Dies ist wohl die größte politische Leistung von Glotz. Ohne sein jahrlanges Bemühen in den eigenen Reihen hätte es ein privates Fernsehen in Deutschland nicht so schnell und vielleicht nicht in der jetzigen Form gegeben, denn die SPD-regierten Bundesländer mußten zustimmen. Der Bürgerfunk wurde erfolgreich verhindert, der private Konzernfunk durchgesetzt. 

Kein Wunder, daß die Medienkontrolleure im sozialdemokratisch regierten Schleswig-Holstein, die zu entscheiden hatten, ob Kirchs Sender "Pro 7" gegen das Konzentrationsverbot verstoße, den Mogul und seinen Sender-Sohn seit Jahren ungeschoren wirken lassen. Wie praktisch man sich in die Ämter teilt: Gernot Schumann leitet die für "Pro 7" zuständige "Unabhängige Landesanstalt für das Rundfunkwesen in Schleswig-Holstein". Vorher war er Referent in der Staatskanzlei des Ministerpräsidenten Björn Engholm. Beruhigt konnte "Pro 7"-Geschäftsführer Georg Kofler für die Unternehmens- und Meinungskonzentration bei Kirch/Beisheim das bewährte Argument ins Feld führen, die japanischen und US-Medien müßten abgewehrt werden, aus "kultur- und wirtschaftspolitischen Gründen", wie er sagte. 

Da kann es sich Glotz sogar schon einmal leisten, die Medienkonzentration öffentlich zu kritisieren, wie im April 1993. Doch "die bisher eingetretene Beeinträchtigung der Meinungsvielfalt wird kaum umkehrbar sein", beruhigte er die privaten Anbieter, die inzwischen zu einem großen Teil vom deutschen Finanzkapital abhängig sind. "Im Zweifelsfall schreckt die SPD-Spitze vor einem Konflikt mit Kirch und Springer zurück", kritisierte die "Süddeutsche Zeitung" im August 1994. Vor allem Bertelsmann werde von den SPD-Landesregierungen hofiert. Kurz vor der Bundestagswahl sprach Scharping die Medienstrategie seiner Partei sogar mit den Managern und Konzerninhabern des Privatfunks ab, Kirch inklusive. 

"Wir müssen uns überlegen", meinte Glotz in London, "wie wir es erreichen, daß die nivellierende Massenkultur auf Weltniveau, daß die überall verkaufbaren Produkte von NBC nicht die Medien und die Kommunikation unserer europäischen Gesellschaften dominieren. Dazu bedarf es einerseits der Schaffung einer eigenen europäischen Kulturpolitik; zum Beispiel mächtige (!) filmtechnische Betriebe, erstklassige europäische Fernsehsender, Schauspielschulen, Zentren des intellektuellen Austauschs. Es ist aber auch eine Medienstruktur nötig, in der die europäische Vielfalt, das multikulturelle Europa zum Ausdruck kommen kann. Wenn das ohne einen europäischen Medienprotektionismus geht, ist das gut. Aber besser ein solcher Medienprotektionismus als die Verdrängung der europäischen Vielfalt." So sorgt man sich um die Vermehrung der Kapitalverwertungsmöglichkeiten. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten - bisher die Garanten der anspruchsvollen Programm- und Meinungsvielfalt - will Glotz dagegen abbauen: "Sie müssen schlanker, effizienter, unbürokratischer, hungriger werden. ... Der gemeinwirtschaftliche Rundfunk muß sich entschlacken, verjüngen, flexibilisieren, in gewissem Sinne sogar enthemmen und internationalisieren", schrieb er im Januar 1994 im "Vorwärts". Zudem: Wo die Technik schon "mächtig" konzentriert sein soll, ist für ein dezentrales "Multi" ohnehin kein Platz mehr. Andernorts sagte er es noch deutlicher: "Die ARD muß rationalisieren und Programmeinschränkungen machen." Dagegen sind Sex und Crime auf dem Bildschirm der Privaten für Glotz notwendige Erscheinungen, wo "gewinnträchtige neue Techniken" entwickelt werden müßten. "Innerweltliche Askese" sei da ganz fehl am Platz, die Bischöfe sollten nicht so prüde sein.  (52) 

"Vom Untergang des Abendlandes zum Aufgang Europas" lautete 1989 ein Buchtitel der "neurechten" Ideologin Sigrid Hunke. Er kann auch als Beschreibung der Glotz-Medienpolitik herhalten. Wie wenig es ihm - ebenso wie der "Neuen Rechten" - in Wahrheit um kulturelle Eigenständigkeit geht, zeigen seine Empfehlungen für den Jugoslawienkrieg. "Hätte der Westen, statt militärisch herumzufuchteln, nicht besser gleich mit seiner Medienmacht eingreifen müssen?", fragte er im September 1993 in der "Zeit". Das Wohlwollen der europäischen Linken für die Strategie der (Medien-) Konzerne erheischend, schrieb er: "Man muß einen grausamen Krieg entweder ausbluten lassen, oder man muß das betreffende Land besetzen, mit allen Konsequenzen und der Bereitschaft, dort lange zu bleiben und eine neue politische Kultur zu erzwingen." Der neue Nationalismus auf dem Balkan habe seinen Siegeszug über die regionalen Medien angetreten, die von Serben und Kroaten strategisch eingesetzt worden seien. "Der erste Schritt dieser Strategien war immer die Einführung der Kontrolle über die Medienorganisationen, vor allem die Fernsehanstalten. Der Westen muß begreifen: Wenn er nicht den Mut aufbringt, frühzeitig in die Kommunikationsprozesse dieser Regionen zu intervenieren, muß er später mit Soldaten intervenieren - oder zuschauen. ... Eine rechtzeitige Medien-Intervention wäre unblutiger, billiger und wirksamer als Embargos, Blauhelme oder Flächenbombardements. Wenn der Westen sich berufen fühlt, seine universalistischen Ideale in die Tat umzusetzen, dann sollte er damit anfangen, der emotionalen Mobilmachung von ganzen Völkern entgegenzuwirken, und zwar just in time. Die technischen Möglichkeiten dazu - boden-, luft- und satellitengestützte TV- und Rundfunkstationen, auch Streukommunikationssysteme und die Finanzierung schlichter Computer-Mailboxen, die über das normale Telephonnetz verbunden werden können - stehen zur Verfügung." Als Beispiel verwies er auf den ehemaligen CIA-Sender Radio Free Europe. Der Artikel trug die vielsagende Überschrift "Der Wahrheit eine Waffe", seine Militärsprache verriet das Ziel. Medien - Filme, Tonträger - sind der zweitgrößte Posten des US-Exportes. Was könnte Bertelsmann vom Balkan bis Tschetschenien verdienen, wo heute die Europäische Gemeinschaft mit den USA um die Neuverteilung der Einflußsphären ringt, nachdem das "Jalta-System" nicht mehr existiert! 

Es mag seinem Elitarismus und Antimarxismus entspringen, daß Glotz glaubt, die Menschen seien unabhängig von ihren materiellen Interessen beliebig medial manipulierbar. So mag es sich ein autodidaktischer Macchiavellist vorstellen. Im Ernst, Glotz fordert nichts anderes als den unbeschränkten Kulturimperialismus der europäischen Konzernmaschinerien und verkauft dies als Friedenspolitik. Die staatsmonopolistische Interpretation des Universalismus steht hinter der ethnopluralistischen Floskel von der multikulturellen Identität Europas. 

"Ja, die Deutschen müssen bereit sein, einem neuen Hitler in den Arm zu fallen", schrieb er im April 1993 in der "Woche". "Also sollten wir uns an Blauhelm-Operationen der UN beteiligen, auch an 'robusten'. In Somalia, Kambodscha oder Bosnien kann es nötig werden, gelegentlich einen Warlord zu entmachten. Weder das Aufbringen serbischer Schiffe auf der Donau noch das Mitfliegen in Awacs-Flugzeugen ist politisch von vornherein fragwürdig." "Robust": Wie schnell sich doch die Tarnsprache des Krieges breitmacht. Vor allem sollen wohl die Alleinvermarktungsrechte an den Blauhelmaktionen nicht bei CNN und Sony bleiben, die bisher im Windschatten US-amerikanischer schneller Eingreiftruppen als erste an Land gingen und ihre Mediennetze über den besetzten Regionen aufspannten. Sein Eingreif-Universalismus bleibt in der "Woche" ambivalent: "Aber die 200 000 Toten in Berg-Karabach sind nicht deshalb leichter zu nehmen, weil die deutschen Medien dort keine Korrespondenten unterhalten. Die Deutschen sollten gelernt haben, daß jeder Krieg bestialisch ist. Die Entscheidung, wo eine militärische Intervention unvermeidbar ist, enthält immer ein Stück Willkür. Am Ende des 20. Jahrhunderts sind Skepsis, Mißtrauen, Vorsicht und Zurückhaltung die wichtigsten Tugenden für die einst so draufgängerischen Deutschen." Zwischen den Zeilen steht die kluge Frage: Überall wahllos Krieg führen oder nur dort, wo eigene Chancen bestehen? Denn blindes Draufgängertum führte ja schon zweimal zur Niederlage. (53)  

Ethnopluralismus und nationale Identität 

Mit dem völkischen Begriff der "Völkermischzonen" ging Glotz schon in dem "Zeit"-Artikel vom September 1993 wie selbstverständlich um. Das alte Jugoslawien ist ihm "Völkermischzone", ebenso der Kaukasus. Im November 1991 jonglierte er im "Vorwärts" wie selbstverständlich mit dem Begriff des "Völkischen", als wäre er eine soziologische und keine faschistisch-ideologische Kategorie. "Selbstbestimmung richtet sich auf die Wahrung der Eigenart, Sprache, Kultur eines Volkes. ... Es gibt auf der Welt siebentausend Sprachen und völkische Individualitäten", belehrte er seine Gegner - die Verfechter eines staatlichen statt folkloristischen Selbstbestimmungsrechts der Völker nämlich -, "aber nur rund einhundertfünfzig Staaten." 

Glotz möchte den völkischen Pluralismus unterhalb der staatlichen Ebene ansiedeln, wo er die Großwirtschaftsräume der Konzerne nicht stört, ihnen sogar nutzt, wenn die Handelsgesetze homogen sind. Dabei spielt er selbst mit dem nationalistischen Feuer, das er zu löschen vorgibt. 1985 sagte er in der Zeitschrift "Die Neue Gesellschaft" in einem "Dialog über die Grenzen": "Ich glaube, daß die Mentalitätsgeschichte der kleinen europäischen Völker in der modernen technischen Entwicklung (moderne Medien, Überflutung und Verfremdung der Kulturen) gefährdet ist. Aus diesem Grund schlage ich vor, daß wir versuchen, einen Begriff von Gesamteuropa wiederzugewinnen, der kulturell definiert ist. Ich will abschließen mit einem Satz, den Willy Brandt kürzlich gesagt hat: 'Die flache Europakarte an der Wand wird wieder ein Relief.' Damit meinte er, daß erneut eine verlorengeglaubte Tendenz zur kulturellen Eigenständigkeit in diesen europäischen Völkern hochkommt. Das spürt man in den beiden deutschen Staaten, das spürt man in Ungarn, man spürt aber auch solche kulturellen Tendenzen zur Eigenständigkeit sogar in bestimmten Volksgruppen, ich nehme die Basken in Spanien oder ich nehme Eigenbestimmungstendenzen der Flamen und Wallonen. Daß die Europakarte wieder ein Relief wird, weil die kulturelle Eigenständigkeit, das Bewußtsein von eigener Geschichte und Tradition in diesen kleineren Staaten stärker wird, das halte ich für eine Bewegung, die auch politisch förderungswürdig ist." 

Alain de Benoist sagte 1990 im Interview mit der rechtsextremistischen Zeitschrift "Europa vorn": "Für die Identität und die Kultur des europäischen Kontinents ist die größte Gefahr, einerseits in dem Sinne aus der Geschichte zu verschwinden, daß es Gegenstand der Geschichte anderer wird, andererseits in einer technisch-ökonomischen weltweiten Egalisierung aufzugehen. Eine solche Bewegung hat ganz offensichtlich Amerika zum Mittelpunkt. Nachdem sich immer klarer der Zusammenbruch des Kommunismus abzeichnet, erscheint es mir augenscheinlich, daß Europas Hauptfeind geopolitisch die Vereinigten Staaten und ideologisch der philosophische, politische und wirtschaftliche Liberalismus ist." 

1985 war es für Glotz noch nicht ganz so weit: "Ich glaube, wir brauchen eine Europäisierung unserer Politik. Das heißt aber, daß diese Europäisierung gerade in diesem kulturellen Bereich (jenseits der Bündnisstrukturen) natürlich auch schon in einer gewissen Abarbeitung an den jeweiligen Supermächten stattfinden muß. ... Ich denke daran, daß wir durch die neuen Medien, genauer durch die politisch-ökonomische Organisation der neuen Techniken in die Gefahr kommen, daß bestimmte kulturelle Produktionen europäischer Völker unterdrückt werden, daß die kaputtgemacht werden. Ich nenne ein konkretes Beispiel aus meinem Land: Wir haben zur Zeit eine Situation, in der viele Kinos in den kleineren Städten und auf dem Land von einer großen amerikanisch-israelischen Kette aufgekauft werden. Wenn das passiert, werden dort Filme nur noch in bestimmten Staffeln vorgeführt. Acht amerikanische und dann noch zwei deutsche. ... Dies bedeutet eine Gefährdung europäischer Kultur, und zwar durch die ökonomischen Strukturen, die durchgesetzt werden, in diesem Fall von der westlichen Supermacht bzw. von den großen transnationalen, multinationalen Konzernen." 

Wer welchen Film anschauen möchte, spielt für Glotz gar keine Rolle. Das angeblich manipulierbare Publikum soll fressen, was die europäischen Medienkonzerne servieren. Dann spielt es auch keine Rolle, wenn sie selbst multinational auftreten, Hauptsache: im deutscheuropäischen Besitz, Hauptsache: die Kapitalverwertungsmöglichkeiten bleiben für deutscheuropäisches Kapital geöffnet. Dabei ist z. B. die Kinokette der Ufa, die in einer Großstadt wie Köln fast ein Drittel aller Filmtheater besitzt und vor allem amerikanische Filme spielt, weil das Publikum dann Geld hineinbringt, heute eine Bertelsmann-Tochtergesellschaft. Doch was macht das aus, wenn sich trefflich gegen einen "amerikanisch-israelischen" Golem agitieren läßt und Hollywoods Medienkonzerne - die "Neue Rechte" spricht es sogar aus, Glotz nicht - zudem noch "jüdisch" beherrscht sind. 

Der wesentliche Unterschied zwischen Benoist und Glotz soll nicht zugeschüttet werden: Benoist möchte eine Auflösung der Blockstrukturen und ein "blockfreies" Europa unter deutscher Hegemonie, Glotz möchte die Nato unter deutscheuropäischer Führung für weltweite Kriegseinsätze bestehen lassen. Doch die Gegner sind identisch. Wer hat die klügere Strategie gegen sie? 

1990 beschrieb Glotz seine Vorstellung vom Ethnopluralismus genauer. Er genierte sich nun auch nicht mehr der biologistisch-rassistischen Anspielungen: "Der Nationalstaat ist am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts ökonomisch, ökologisch, militärisch und kulturell überholt. Kulturell müssen wir hinunter zu den 'Stämmen', zu den kleinen sprachlichen, ethnischen, landsmannschaftlichen Einheiten, zu einem Föderalismus, in dem die Basken sich so frei fühlen wie die Flamen, die Walonen, die Slowaken und die Bayern oder die Sachsen. Ökonomisch und ökologisch aber müssen wir zu größeren, supranationalen Strukturen kommen. ... Der Markt für Fernsehgeräte, ISDN-Telefone und Mobilfunk muß europäisch sein, wenn nicht weltweit." 

"Balkanisierung für jedermann" nannte dies Henning Eichberg einmal, der Mystiker der "Abkopplung" von den Supermächten und Autor in der Glotz-Zeitschrift NG/FH, dessen Ideologie im jugoslawischen Bürgerkrieg praktisch wurde. Allerdings ist Eichberg technikfeindlich, romantizistisch, wie die alten Völkischen. Eichberg will - wieder einmal - die "nationale Identität" auch religiös begründen, in "keltogermanischen" Mythen, wie überall in der europäischen "Neuen Rechten", wie schon in der völkischen Bewegung des 19. Jahrhunderts. Man fragt zu recht, ob Glotz tatsächlich etwas anderes vorschwebt. In welchen Kategorien handelt er, bewußt, aber auch unterbewußt? In seinem bekannten Streitgespräch mit Franz Schönhuber 1989 in der "Welt" setzte Glotz die "Juden" gegen die "Bayern" und "Schleswig-Holsteiner", ein religiöses Bekenntnis gegen den "Stamm", gegen die biologische Abstammung. Dem Ausspruch Schönhubers über den Zentralrat der Juden als "fünfter Besatzungsmacht" schleudert Glotz entgegen: "Was hat die berechtigte Feststellung, daß wenn ein Jude unter Umständen Unterschlagungen begangen hat, es genauso untersucht werden muß, wie wenn es ein Bayer oder ein Schleswig-Holsteiner tut, was hat das mit der fünften Besatzungsmacht zu tun? Nichts. Sie spielen auf dem Klavier von Gefühlen im rechten Rand unserer Gesellschaft." Keine bayrischen Juden möglich? Religion gleich Blut, wie die Nazis definierten? Es mag ein Lapsus gewesen sein, nebenbei herausgerutscht, keine zentrale Aussage. Gerade das muß ebenso alarmieren wie der Fall jenes CDU-Vorstandsmitglieds, das jüngst gegenüber dem stellvertretenden Vorsitzenden des Zentralrates der Juden in Deutschland, Michel Friedman, von "Ihrem Botschafter" sprach, als der israelische gemeint war. "Gehen Sie in Ihr Land zurück", hatte der NPD-Vorsitzende Günter Deckert kurz vorher an Friedman geschrieben. 

"Europa, das ist kulturell die Vielfalt", sagte Glotz 1989 in London. "Zwischen der Kultur von Südtirol und Sizilien liegen Welten, obwohl alles angeblich 'italienisch' ist." Das hätte Umberto Bossi nicht anders gesagt, dem Glotz andernorts ausdrücklich eine "berechtigte Kritik" am zentralen Nationalstaat Italiens zubilligte. Glotz wurde in London praktisch: "Von europäischer Identität wird man nur sprechen können, wenn der vielfältigen europäischen Kultur und Selbstverständigung in Europa ein bestimmter Marktanteil erhalten bleibt. Weniger technokratisch ausgedrückt: wenn die vielfältige Ausdrucksfähigkeit Europas noch Medien findet." "Wir brauchen keinen europäischen Einheitsbrei", schloß er seine Rede, "übernationale Abstimmungsmechanismen in der Wirtschaft und in der Außen- und Verteidigungspolitik dürfen die Eigenständigkeiten der europäischen Regionen nicht zerstören." Solange der deutsche Kulturraum die größte europäische Region bildet und damit für die deutschen Konzerne ein sicheres Stammgebiet vorhanden ist, von dem aus die Hegemonie über die anderen, viel kleineren Regionen erreicht werden kann, wird das Lob der Eigenständigkeiten gesungen: Teile und herrsche. 

Doch dann kommt ein anderer Ghostwriter und schreibt unter dem Namen Peter Glotz das Gegenteil. Im Frühjahr 1994 sang er im "Spiegel" das Lob der universalistischen Kultur als Bremse des neuen Nationalismus: "Unter dem Druck der Internationalisierung und Privatisierung des Mediensystems schreitet die Konzentration von Pressekonzernen, Filmhandel und privaten Fernsehstationen voran, und die Mogule (Leo Kirch, Berlusconi, Murdoch) sind natürlich konservativ. Ob sie ihre Programme allerdings der Nationalisierung öffnen oder doch noch der gewinnträchtigen, grenzüberschreitenden, postnationalen amerikanischen Popularkultur verpflichtet bleiben, muß man abwarten. Hier liegt eine Chance für die Linke, wenn sie sie denn kapiert." Auch jetzt störte Glotz vor allem das Adjektiv "amerikanisch". Gäbe es doch eine europäische gewinnträchtige, postnationale und grenzüberschreitende Kultur! Wolfgang Thierse hatte fast gleichzeitig zur "Neubesinnung auf den Begriff und den Inhalt der Kulturnation" aufgerufen und die imperialistische Mission gleich mitgeliefert: "Während Nationalstaaten dazu tendieren, einander auszuschließen, ist Nationalkultur immer grenzüberschreitend, schließt alle ein." Solange sie sich verkaufen läßt. 

Als Chamäleon des deutschen Feuilletons präsentierte sich Glotz auch im Januar 1994 in der "Frankfurter Rundschau". "Die Bewaffnung mit Identität" warf er hier Hans-Jürgen Syberberg vor: "Authentizität und Ethnizität, das Plädoyer für 'Natur' und gegen die 'Plastikwelt', gegen die 'billigen, bequemen, schnellen Wegwerfwaren wie Punk, Pop und Junk', also das in nationalen Kreisen auf der ganzen Welt beliebte Verdammungsurteil gegen massen- und gegen kulturelle Phänomene" sei ein Motiv für Syberbergs "Normalisierungs-Nationalismus". Die Entrüstung ist echt und zu akzeptieren, denn Syberberg - so Glotz voll Abscheu - "polemisiert sogar gegen Computer". Die Lernfähigkeit hält sich also in den Grenzen der Hightech-Warenwirtschaft. 

Und Glotz bleibt Ethnopluralist: "Es geht darum, den Gedanken Herders festzuhalten: 'Jede Sprache, jede Kultur, jeder Code ist ein Gedanke Gottes.'" Daß Herder es doch etwas anders ausdrückte, soll hier nicht hochgespielt werden. Daß Franz Schönhuber die Herder-Stelle immer wieder - richtig - zitiert, und mit ihm die gesamte "Neue Rechte", daß schon der Urvater der Völkischen, Paul de Lagarde, sie in den Satz faßte: "Jeder Mensch ist ein besonderer Gedanke Gottes", zeigt den Weg des Peter Glotz auf. Er benutzt Herder, wie ihn die "Neue Rechte" benutzt. Das zeigte sich schon 1990 in seinem Buch "Der Irrweg des Nationalstaats", in dem er Herder auf die Ebene von Rousseau stellte, um den Denker des Egalitarismus hin zum vermeintlichen Recht auf Ungleichheit zu wenden. Herder und Rousseau hatte Henning Eichberg schon 1987 in seinem Buch "Abkopplung" zusammengebracht; Rousseau antiegalitär zu wenden, hatte vorher auch schon der "neurechte" Heinrich Meier in einer umfangreichen Arbeit über den Vordenker der Französischen Revolution versucht. In den 70ern war Meier noch im Neonazismus aktiv, ab 1985 dann als Chef der Siemens-Stiftung ein würdiger Nachfolger von Armin Mohler. 

Glotz: "Daß die Sprachtrennung, die kulturelle Vielfalt, die Besonderheit einzelner Völker ein Wert sei, mußte regelrecht 'entdeckt' werden. Die Entdecker heißen Jean-Jacques Rousseau und Johann Gottfried Herder. Bitte bedenken Sie, daß Völker und Territorien damals hin- und hergeschoben wurden wie Spielsteine auf einem Mühle-Brett. ... Gegen diese Willkür setzte Jean-Jacques Rousseau aus Genf in seinem 'Gesellschaftsvertrag' die Lehre von der Souveränität des Volkes, in dessen volonté generale die Freiheit und die Gleichheit aller eins würden. Und gegen 'die wilde Vermischung der Menschen-Gattungen und -Nationen unter einem Scepter' konzipierte Herder in Riga, dem Genf des Ostens, also einer Stadt im Russischen Reich, die mit Autonomierechten der deutschen Oberschicht ausgestattet war, seine Idee von der Nation als Wesensgemeinschaft, als pflanzenartigem Organismus." Soll heißen: Bestimmtes Blut gehört auf bestimmten Boden, auch wenn Rousseau etwas ganz anderes meinte als den frühen Rassismus Herders. So, wie Glotz in diesem Buch Jünger zu retten versuchte, sprach er Herder, den Propagandisten völkischer Reinheit, ausdrücklich von jeder ideologischen Mitschuld am Komplex Auschwitz frei. Denn "wir können auch nicht hinter Herder zurückfallen", so Glotz weiter, "und so tun, also ob seine Anrufung der schöpferischen Kräfte der Volkssprache und der Volkstraditionen, seine Entdeckung der besondere Individualisierung der Zivilisation in einer Gemeinschaft, zum Beispiel der litauischen, einfach achselzuckend übergangen werden könnten." Soll heißen: Die liberale, republikanische und internationalistische Identität Rousseaus, im großbürgerlichen Genf gewonnen, habe dieselbe Legitimität wie die völkische, agrarische, deutsch-christliche Herders. Jedem das Seine eben, der "deutschen Oberschicht" Autonomierechte, den Massen die Zarenknute, oder wessen auch sonst. 

"Für Herder war jede Nationalität ein lebendiger Organismus - und deshalb etwas, was man pflegen sollte", so Glotz weiter. Herders Parole hieß: "Jedes Volk bete auf seine Weise"; das war ein Startschuß für die germanentümelnden Antisemiten des 19. Jahrhunderts, für die völkischen "religiösen Sozialisten" der 20er Jahre, für die heidnischen "Kirchenkämpfer" der Nazis, die alle diese Parole auf ihre Fahne schrieben. Ihre Apologeten heute beteuern, sie hätten doch nur Apartheid gewollt, nicht Auschwitz. Glotz scheint dies freilich nicht wahrhaben zu wollen. 

Er benutzte den mißdeuteten Herder gegen den antinapoleonischen Johann Gottlieb Fichte und dessen "Reden an die deutsche Nation", um die gemeinsame Linie der beiden zu vertuschen, um scheinbar antinational zum Ethnopluralismus zu kommen, den er bei Herder fand. So schrieb er 1994 in der "Frankfurter Rundschau" weiter gegen Syberberg: "Worum es gleichzeitig geht: Den Gedanken Fichtes abzuweisen: Deutsch gegen Welsch, Reinheit gegen Vermischung. Die aufklärerische Utopie, die Welt wäre am schönsten, wenn alle Menschen dieselbe 'Weltsprache' sprächen, ist arm." Vor allem: Sie macht den arm, der Fremdsprachenmedien verkaufen möchte. Dennoch aber brauchen Herders gepfegte Kleinkulturen Schutz und Abschottung, Völkerzoo eben, sonst verschwänden mit den vielen Fremdsprachen eben auch die verschiedenen Märkte der fremdsprachlichen Waren. "Die nationalistische Utopie, die Welt müsse am jeweils eigenen Wesen genesen, ist obskur, terroristisch. Europa, diese Völkermischzone par excellence, muß ohne solche Abziehbilder leben", meinte Glotz, der immer gleich praktisch denkt, an die Konzerninteressen: "Nicht die 'Nation' und ihr 'Patriotismus' ist das Problem", formulierte der Vordenker 1994 holprig, "sondern das Zuschleifen des Patriotismus zu einer Waffe. ... Deswegen wäre es kein Kulturchauvinismus, wenn sich die deutsche und französische Filmindustrie Abspielstätten für ihre Produkte erhielte; falls dieser Protektionismus nicht den elitären Hochmut gegen Pop, Massenkultur und amerikanische Kunst transportierte" - auf einmal dies! Was denn nun? Lernfähig, verwirrt, Demagoge mal so, mal so? Der Aufsatz gegen Syberbergs neuem altem Nationalismus endet: "Deutschland bewegt sich, Deutschland muß sich bewegen. Aber wohin?" Da kann man wieder zustimmen! Das ist echt Peter Glotz!  (54)  

Glotz ist gebürtiger Sudetendeutscher aus Eger. Im April 1995 erregte er Aufsehen, als er den Aufruf "Versöhnung '95" unterzeichnete, in dem gefordert wurde, die tschechische Regierung solle direkt mit den Sudetendeutschen - nicht etwa mit der deutschen Regierung - über die Vertreibung der Deutschen aus der Tschechoslowakei reden. Bestürzung löste aus, daß die Unterzeichner an Tschechien appelierten, über alles zu verhandeln, was "zumindest eine Seite für offen hält", also auch die Forderungen der Landsmannschaften nach Rückgabe von Eigentum, Heimkehr usw. Der deutsche Zugriff auf das Gebiet, das Nazi-Deutschland 1938 heim ins Reich holte, sollte erst einmal auf Umwegen gesichert werden, z. B. über eine deutsch-tschechische Stiftung mit staatlicher Beteiligung, die vor allem im Grenzgebiet - dem Sudetenland eben - als Einstieg kulturelle Projekte unterstützen sollte - darunter dann selbstverständlich auch sudetendeutsche Projekte: Ethnopluralismus als Einfallstor für Wirtschaftsinteressen. Der Ausruf: "Wer gegen Vertreibung ist, muß für Vermischung sein!", den Glotz im Juni 1995 in einer Bundestagsdebatte zu Vertreibung und Wiederaufbau nach dem Kriege tat, meint ökonomische Einmischung mit Hilfe folkloristischer Hineinmischung. Die tschechischen Sozialdemokraten wiesen den Aufruf "Versöhnung '95" sofort zurück, Verbände von Widerstandskämpfern gegen die Nazi-Besatzung bezeichneten ihn als "Angriff auf die staatlichen und nationalen Interessen" der Tschechischen Republik, die Prager Regierung lehnte jede Reaktion darauf rundheraus ab, da sie nicht mit Vertriebenenverbänden, sondern nur mit Regierungen verhandele. 

Zu den Unterzeichnern zählte neben Glotz auch der langjährige bayrische SPD-Landesvorsitzende, Vertriebenenpolitiker und Chef der sozialdemokratischen Sudeten-Organisation "Seeliger-Gemeinde", Volkmar Gabert. Im November 1993 interviewte Glotz Gabert für NG/FH. "Ich will die Zwei-Völker-Geschichte Böhmens nichts vergessen", hieß die programmatische Überschrift. Gabert erinnert hier mehrfach an Wenzel Jaksch, den persönlichen Freund Otto Strassers und Kopf der "heimatvertriebenen" Sudetendeutschen in der SPD nach 1945; freilich wird nichts davon gesagt, daß Otto Strasser über Jaksch schon in den 30er Jahren die sudetendeutsche Sozialdemokratie stark beeinflußte. "Die Sudetendeutschen waren ja stark, und auch in der bayrischen Sozialdemokratie hat es einen erheblichen Einfluß der Sudetendeutschen gegeben. Wie sah das aus?", fragte Glotz, und Gabert kritisierte, daß der Einfluß von Jaksch zu Zeiten der Ostpolitik Willy Brandts zurückgedrängt worden sei. "Heute, nach den Debatten um Minderheitenrechte und Volksgruppenrechte in der KSZE und im Europarat, sieht die Linke die Probleme klarer als in den sechziger Jahren. Damals galten wir gelegentlich als reaktionär. Die Unterdrückung von Minderheiten in Jugoslawien oder Georgien macht heute allen klar, worunter die Sudetendeutschen gelitten haben. Heute ist das Wort von der 'ethnischen Säuberung' in aller Munde. Dieses 'ethnic cleaning' ist uns auch widerfahren", antwortete Gabert. Diese Politik der Gleichsetzung betreibt heute ein Alfred Mechtersheimer ebenso, mitten im Neofaschismus, gemeinsam mit seinem Freund Henning Eichberg und einer nationalrevolutionären Szene um Peter Brandt und Herbert Ammon, die in der Sozialdemokratie agitiert. 

Glotz liebt Henning Eichberg und es bleibt unklar, ob es eine Haßliebe ist. In seinem Buch "Die deutsche Rechte" von 1989 widmete er ihm ein ganzes Kapitel. Nach einer scheinbaren Biographie Eichbergs, die Glotz referierte und dabei dessen Herkunft aus der Strasser-Fraktion des deutschen Faschismus und Eichbergs Lehrjahre bei der Zeitschrift "Nation Europa" ebenso unterschlug wie seine zentrale Rolle beim Aufbau der nationalrevolutionären Organisationen aus der NPD heraus, schwärmte Glotz über die Verwandtschaft: "Eichbergs ethnopluralistischer Denkansatz kommt sozusagen 'von unten', nicht von oben. Er denkt nicht vom Staat her wie die meisten Rechten, sondern vom 'Volk'. ... Er knüpft zuerst einmal bei den rebellischen Widerstandskräften nationaler Minderheiten an, beim Kampf der Bretonen oder der Iren, der Basken oder Katalanen, der Korsen oder Okzitanier, der Frankokanadier, der Balten oder der Kurden." Nicht nur in der Aufzählung ist man sich einig. "Eichberg kämpft gegen die Wodka-Cola-Kultur, also gegen die Zerstörung der nationalen Vielfalt Europas durch multinationale Supermächte." Glotz zitierte Eichberg: "'Die deutsche Nation zu schaffen, das heißt Dezentralisierung, weg von den Hauptquartieren der Wodka-Cola, Abfall von den Metropolen. Deutscher Nationalismus heißt: Erkennen, daß wir selbst eine Minderheit sind, die mit dem inneren Kolonialismus, mit der Entfremdung in den eigenen Gehirnen zu kämpfen hat wie die Basken und Indianer. Entkolonialisierung, also Abkopplung. Nicht mehr der BRD-Bürger sein mit amerikanisierter Sprache und mit ITT-Bewußtsein - sondern deutsche Identität, das ist ein Schritt zur Balkanisierung für jedermann.'" 

Doch dann kommt der Bruch. Glotz nimmt Eichbergs "Antiimperialismus" ernst, so, als hätte der identische "Antiimperialismus" Chamberlains oder Jüngers die Konzerne des Kaiser- und Führerreiches von zwei Kriegen abgehalten, nachdem Wilhelm II. Chamberlain-Lesekreise für die Eliten eingerichtet hatte und die NSDAP die Chamberlain-Schriften zu immer neuen Massenauflagen trieb, nachdem Jünger Besatzungsoffizier des Nazi-Deutschland wurde. "Wenn die Deutschen erst ihren Imperialismus aufgäben", so interpretierte Glotz nun Eichberg, "und aufhörten, die 'nationale Volksarmee' nach Afrika und den Siemens-Konzern nach Indien zu schicken, dann könne die großdeutsche Nation 'kleiner' sein als die beiden deutschen 'Blockstaaten'." Glotz kann Eichberg folgen, solange es gegen das "ITT-Bewußtsein" geht, nicht jedoch auch gegen das Siemens-Bewußtsein. 

Endlich im Dezember 1991 ließ Glotz Eichberg auch in NG/FH schreiben. Zu wichtig ist Eichbergs Funktion für die Ideologie des Ethnopluralismus, als daß man gänzlich auf ihn verzichten könnte. Zwar vertrete er eine "höchst fragwürdige Philosophie", so Glotz, aber "die späte Bonner Republik braucht Kontroversen. Sie erstickt sonst an ihrem Konformismus"; man sei schließlich "nicht weniger offen als das 'Tagebuch' Leopold Schwarzschilds, eines jüdischen, linksliberalen Publizisten, der 1929 Ernst Jünger zu Wort kommen ließ." Vor Auschwitz, nach Auschwitz: wo mag der Unterschied sein für den Vordenker der SPD? "Noch vor ein paar Jahren sind bestimmte Linke kritisiert worden, weil sie Ernst Jünger und Gottfried Benn für den Faschismus oder für Auschwitz verantwortlich gemacht haben. Mit Recht sind sie kritisiert worden", befand Glotz im "Spiegel" schon 1977. 1991 bot er nun braune Vitamine aus der konservativ-revolutionären Spritze wie Frischzellen an, als habe es das Jahr der Nonkonformisten, der Konservativen Revolution, die Erfahrungen von 1932/33 gar nicht geben. In Wahrheit verabreichte Glotz mit dem Eichberg-Artikel jedoch eine Giftkur faschistischer Sterbehilfe für eine angeblich "kranke" Demokratie, die man gerne schon bei ihrer Geburt als ungeliebtes Kind amerikanischer Reeducation ertränkt hätte. 

Täte man Glotz unrecht, wenn man ihn nicht einen Totengräber der zweiten deutschen Republik riefe? Denn in Eichbergs Artikel war nun auch der Liberalismus fällig. Eichberg richtete sich gegen die Ideen von 1789 und versuchte, die "Brüderlichkeit" als Zusammengehörigkeitsgefühl der Volksgemeinschaft gegen "Freiheit" und "Gleichheit" auszuspielen, als "den dritten Weg". Da sprach Eichbergs Lehrer Otto Strasser, der den "Solidarismus", den "Deutschen Sozialismus", propagierte - und Glotz ließ ihn gerne sprechen. 

Man nahm alte Rollen ein. Der verquaste Eichberg-Artikel erreichte seinen Höhepunkt, als die völkische Religiösität wieder in ihr Recht gehoben wurde: Sie war schon immer die ideologische Basis dieses "dritten Weges" der Konservativen Revolution. Eichberg stützte sich nun ebenso auf den "nordischen" Ideologen N. F. S. Grundtvig - Säulenheiliger auch in Hunkes "eigener Religion Europas", dem nordischen Mythos - wie auf auf den jüdisch-völkischen Martin Buber, der wie die Nazis Religion mit Rasse verwechselte. Den Trick, seine "nordisch"-völkischen Thesen akzeptabel erscheinen zu lassen, indem man einen prominenten Juden anführt, hatte 1932/33 schon der Nazi-Kirchenkämpfer Wilhelm Hauer angewandt, der persönlich mit dem Zionisten Buber befreundet war, auch wenn - oder gerade weil! - er gegen das europäische Judentum zum "Krieg bis zum Sieg" aufrief. Am Ende trafen sich Glotz und Eichberg, als dieser schrieb: "Der dritte Weg ist ein Weg jedes einzelnen Volkes - und doch zugleich eine gemeinsame Aufgabe." Hieraus ließe sich bei einiger Kompromißbereitschaft eine Koalition mit den Konzernen formen: Einheit in der Vielfalt. Die religiöse Identität geht der nationalen voraus, das meinte schon Herder mit seinen "Gedanken Gottes", die die Völker darstellten. 

Wie in der Geschichte des Ethnopluralismus immer, so mündet die Einheit in der Vielheit auch bei Glotz in einen Angriff auf die demokratischen Grundprinzipien. Die zentrale Forderung seit der Französischen Revolution, "ein Mensch - eine Stimme", ist ebenso sein Angriffsziel wie das der "Neuen Rechten" überhaupt. Sein "Europa der Regionen", das er im "Irrweg des Nationalstaats" konzipierte, soll "in einer zugleich überethnischen und föderalistischen Ordnung" münden, "überethnisch" die Ökonomie, "föderalistisch" die Folklore und die sozialen Bedingungen. Es soll "sowohl den Bedürfnissen nach übernationaler Kooperation als auch nach nationaler Individualität Raum schaffen. Dann darf Europäisierung nicht Beseitigung der Verschiedenheit, sondern muß Ausschöpfung der Eigentümlichkeiten bedeuten. Dann müssen wir in einem vielfältig durchmischten Europa die einfache Formel one man - one vote überwinden, müssen unsere simplizistische Organisation den komplizierter werdenden gesellschaftlichen Strukturen anpassen. Im ethnisch homogenen Staat kann die Opposition von heute durch Überzeugung und Beeinflussung morgen Regierung werden. Im ethnisch gemischten Staat besteht die Gefahr, daß die Minderheit diese Chance niemals bekommt" - und das schon mal gar nicht, wenn sie nicht einmal mehr das gleiche Stimmrecht hat, wie heute die Ausländer in Deutschland, die fast zehn entrechtete Prozent der Bevölkerung stellen. Glotz sieht Abstimmungsmehrheiten völkisch bestimmt, und Minderheiten sollen nicht politisch, durch "One Man, One Vote", ihre Chance zur Mitbestimmung erhalten, sondern in der Kultur, im Minderheitenschutz des folkloristischen Völkerzoos. Wenn nicht alle in gleicher Weise mitbestimmen, wenn die Bürgerrechte abgewertet werden, können die Konzerne gefahrlos "überethnisch" handeln. 

"Ein Staat ohne Identität hält nicht zusammen", schrieb Glotz 1993 in der "Berliner Zeitung", denn "auf die Dauer hält ein gut organisiertes Netz von Gütern und Dienstleistungen allein eine Gesellschaft nicht zusammen. ... Ein Staat, der gedeihen soll, braucht positive Sentiments seiner Bürger, sonst fällt er auseinander." Doch in Wahrheit ist Glotz zu rational für Eichbergs Romantizismus. "Sind wir also stolz, Deutsche zu sein?" fragte er deshalb in der "Berliner Zeitung" und antwortete: "Hoffentlich. Laßt uns stolz sein auf die guten Löhne, die man bei uns verdienen kann. Auf die Geschicklichkeit unserer Facharbeiter, auf die Intelligenz unserer Ingenieure, die Systemstärke unserer Produkte." Hier zeigte sich der Neuaufguß des "Deutschland, Deutschland über alles" der Lensch, Haenisch, Noske aus dem Ersten Weltkrieg. Und worauf kann der Schwarze in Afrika stolz sein? Daß er tanzen kann und "uns" die "guten Löhne" ermöglicht? Ansonsten darf er sich schämen, keine Hightech entwickelt zu haben. "Jedem das Seine" ist angewandter Ethnopluralismus, Neid ist immer eine Einbahnstraße. "Und laßt uns dafür sorgen", meint Glotz hier noch, "daß in diesem Stolz niemals Arroganz mitschwingt, niemals die Abwertung von Leistungen, Fähigkeiten und Besitztümern, die anderen zustehen" - Hollywoods Sue Ellen Ewing und Afrikas Kupfer selbstverständlich ausgenommen. (55)  

Das alte Lied von Toleranz und Vielfalt, rechts gewendet, geriet Thomas Schmid zur Hymne, als er 1989 in NG/FH über die multikulturelle Gesellschaft schrieb. Glotz stimmte ihm in dem Buch "Die deutsche Rechte" wenig später ausdrücklich zu: "Im übrigen gibt es in manchen Kreisen die Neigung, auch noch die unbedarfteste Ausländerinitiative in München zu verklären und die lebendige Tradition des Vereinslebens in Holzkirchen oder Hausham als stinkenden Mief zu verachten. Das dürfen wir nicht dulden", entfuhr es ihm unbedacht. Schäuble äffte dies später in seinem Buch "Und der Zukunft zugewandt" fast wortgleich nach. Schmid, inzwischen zum stellvertretenden Chefredakteur der ostdeutschen Zeitung "Wochenpost" aufgestiegen, hatte 1989 eine Lanze für das "Hinterwäldlertum" in Deutschland gebrochen, die "multikulturelle Gesellschaft" sozusagen nach innen eingefordert. Er meinte die Gesellschaft, die in der Wirklichkeit Armut toleriert, Zwergschulen in den Tälern der Oberpfalz einrichtet, nach Zittau weniger Fernsehkanäle ausstrahlt als nach Berlin oder München und auch den Theater- und Kinobesuch für Bewohner der Metropolen reserviert, zu denen ja Glotz und Schmid zählen. Die bösen Erfahrungen gerade in Bayern, das aufgrund der fehlenden Entwicklungspolitik unter König Ludwig II. die industrielle Revolution zugunsten von Märchenschlössern, Waldbauernbuben und der Alm ohne Sünd' verträumte, erscheinen Schmid erstrebenswert. 

"'Provinzielle' Lebensstile gelten bei der Linken nicht viel", kritisierte er in seinem Artikel, "reflexartig fällt ihr dazu meist nur das Prädikat 'dumpf' ein. Das ist selbstgerecht und dumm. ... Wenn sie noch die unbedarfteste subkulturelle Initiative in der großen Stadt verklärt und für die Vielfalt kultureller Initiativen in der Provinz nur Spott übrig hat, wenn sie jedem alternativen Zusammenschluß Respekt entgegenbringt und die noch immer lebendige Tradition von Vereinen als finsteren Hort der Meierei mißachtet, dann ist sie alles andere als offen und neugierig, dann meint sie es mit der schönen Vision von der Koexistenz verschiedener Kulturen wohl doch nicht so ernst." 

Und hinter dem Wald sind die Löhne auch viel billiger, hierhin wird die schlechte Arbeit ausgelagert. Es geht immer noch um die Vielfalt der sozialen Milieus, denn was macht "Kultur" konkret aus! Die völkische Homogenisierung der "Stämme" bedeutet Armut und Abhängigkeit der Peripherie von den Metropolen schon im eigenen Land, bedeutet Abkopplung gesellschaftlich kostenintensiver ländlicher Regionen, Kolonialisierung nach innen. Der Gegensatz von "provinziellen Lebensstilen" und der totalen Mobilmachung für die Hochtechnologie löst sich dann auf, wenn die moralisch gleiche Wertigkeit verschiedener Lebensverhältnisse, verschiedener Lebenschancen, gepredigt wird. Dann wird die Hightech eben kostengünstig in den Metropolen entwickelt, dort gibt es dann auch ein entsprechendes Bildungswesen, ohnehin ist nur Elitenförderung für die Produktionsstätten des 21. Jahrhunderts nötig. Die Dequalifizierung derer, denen kein Hightech-Arbeitsplatz beschafft werden kann, wird zur positiv gewerteten "Fremdheit" umgedeutet, der auch noch das angebliche Recht zugedacht wird, fortzubestehen - "Recht auf Ungleichheit" eben, wie es die "Neue Rechte" offen fordert. 

"Der 'Hinterwäldler' ist sehr wohl für die offene, die kulturell vielschichtige Gesellschaft zu gewinnen", so Schmid weiter, "das kann aber nur gelingen, wenn das mulitkulturelle Programm ganz ernst und wörtlich gemeint ist, wenn der 'Hinterwäldler' also nicht mehr befürchten muß, er werde hier in Wahrheit zur Selbstaufgabe und zur Anpassung an die imperiale Kultur der urbanen Zentren gezwungen." Und wenn die Kinder hinterm Wald auch eine Gesamtschule besuchen möchten, um ihre Berufs- und Lebenschancen zu verbessern? Abgelehnt: "Begegnung bedeutet nicht Verschmelzung"; "... und weil wir Unterscheidungen, die der Motor von Vielfalt sind, lieben, brauchen wir Grenzen." Schmids Logik besticht in ihrer Schlichtheit: "Man kann dem Fremden nicht begegnen, wenn man es seiner Fremdheit berauben will." "Abgrenzung ist also per se kein Akt dumpfer Einigelung, sondern Voraussetzung für Wahrnehmung, Kommunikation und Kooperation." Von Teilhabe ist keine Rede mehr, wenn abgegrenzt wird. 

Glotz wurde gleich wieder praktisch: "Blauäugig" wäre es, allzu viele Ausländer nach Deutschland einzulassen, ergänzte er in seiner "Streitschrift" über "Die deutsche Rechte" 1989. Wenig später luden die Jusos Schmid zu einem "Werkstattgespräch Multikulturelle Gesellschaft" in die Parteizentrale ein, sein Artikel wurde kommentarlos verbreitet, eine emanzipatorisch ausgerichtete Diskussion über seine Thesen fand nicht statt. Thomas Schmid ist inzwischen ebenfalls praktisch geworden. Im Dezember 1994 unterschrieb er mit Peter Gauweiler und Alfred Mechtersheimer einen Solidaritätsappell für die "Junge Freiheit", auf deren Druckerei es einen Brandanschlag gegeben hatte - einmal nicht auf ein von Ausländern bewohntes Haus. 

Im Oktober 1989 setzte Klaus Hartung in NG/FH noch einen drauf. "Die antifaschistische Mehrheit" gefährde die gesellschaftlichen Zustände in Deutschland, denn sie tabuisiere die "Schwierigkeiten" der "multikulturellen Gesellschaft", die inzwischen ein linker "Kampfbegriff" sei. "Bei der Frage, welche Widersprüche die vielen Kulturen wohl hervortreiben könnten, hielt sich kaum jemand auf. Statt dessen wurde ein staatliches Verordnungsprogramm, ein maximalistisches Programm von Integration diskutiert und verabschiedet", so kritisierte er den Parteitag der Grünen, "allgemeines Bleiberecht, offene Grenzen, Zwangsintegration in den Schulen, kommunales Wahlrecht sowieso" hätten die Grünen gewollt. "Der bemerkenswerte Erfolg der Linken, die multikulturelle Gesellschaft als Ziel und Programm des Sozialstaates durchzusetzen", sei "das Problem". Dabei gebe es doch schon viel zu viele "Opfer von Mustersiedlungen und beispielhafter Sozialpolitik", statt der organisierten Integration solle man die sich befehdenden Ausländer und Deutschen sich selbst überlassen: "Eine multikulturelle Gesellschaft kann ... nur eine Utopie sein, die von der Gesellschaft eine große Kraft abverlangt, Konflikte selbst zu regeln; die zugleich notwendig einhergeht mit der Entstaatlichung beispielsweise im Bereich der Bildung oder der Stadtplanung." Noch vorsichtig ausgedrückt ist dies das politische Programm des Neokonservatismus gegen den Sozialstaat.  (56)  

Die Zeitschrift "Die Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte" 

Die Artikel von Schmid oder Eichberg sind keineswegs Einzelfälle in der letzten noch verbliebenen Theoriezeitschrift der Sozialdemokratie. Das Blatt wurde 1954 von denen gegründet, die dann den weltanschaulichen Kompromiß des Godesberger Programms der SPD aushandelten. "Die 'Neue Gesellschaft' steht links, da, wo das Herz schlägt", hieß der erste Satz der ersten Ausgabe. Neben Linken wie dem Marxisten Wolfgang Abendroth oder Otto Brenner von der IG Metall gehörten dem redaktionellen Beirat jedoch auch schon Heinrich Deist vom Hofgeismarkreis der Jungsozialisten der 20er Jahre und der Freund Otto Strassers, Wenzel Jaksch, an. In einer der ersten Nummern schrieb sogleich Karl Otto Paetel über den nationalrevolutionären Widerstand gegen die Hitler-Fraktion; Paetel war in den frühen 30ern ein Verbündeter Niekischs. NG/FH nahm in den 80ern eine scharfe Rechtswende. Nationalrevolutionäre aus der Schule Ernst Niekischs und Otto Strassers haben im letzten Jahrzehnt hier immer wieder schreiben können, Linke dagegen nicht mehr oder nur als Feigenblätter. 

Daß man die Zeitschrift heute in der Tradition der "Sozialistischen Monatshefte" Josef Blochs sehen muß, ist also kein Zufall. Peter Glotz wurde 1983 Chefredakteur, 1985 schloß er das Blatt mit den "Frankfurter Heften" zusammen, die der Linkskatholik Walter Dirks und der Antifaschist Eugen Kogon 1946 gegründet hatten. Glotz meinte: "Dies ist ein neuer Anfang", und gab dem Zusammenschluß zwei Sinnsprüche mit auf den Weg: "Wir wollen aus der Vergangenheit das Feuer übernehmen, nicht die Asche" des französischen Sozialistenführers Jean Jaurès, der ständiger Autor der "Sozialistischen Monatshefte" gewesen war; den zweiten Spruch hatte Dirks 1946 geschrieben: "Die große Gefährdung der deutschen Zukunft ist das Ressentiment." 

Heute wird die Zeitschrift "herausgegeben für die Friedrich-Ebert-Stiftung von Holger Börner, Klaus Harpprecht, Johannes Rau, Carola Stern, Hans-Jochen Vogel". Mit Vogel und Börner treffen sich hier zwei ausgewiesen völkisch denkende Sozialdemokraten. Börner unterstützte als Freireligiöser vehement die Nazi-Sekte "Deutsche Unitarier Religionsgemeinschaft" um die Nachfolger der Strasser-Weggefährten Wilhelm Hauer und Ernst Graf von Reventlow. Ein Redaktionsbeirat sorgt für breite Verankerung: neben anderen gehören dazu Iring Fetscher, Martin Greiffenhagen, Norbert Greinacher, Reinhard Höppner, Thomas Meyer, Susanne Miller, Peter von Oertzen, Richard Schröder, Wolfgang Tierse, Christoph Zöpel. Vor kurzem verließ die verantwortliche Redakteurin Ulrike Ackermann die Redaktion - nach langem Streit um die politische Ausrichtung, wie es in Bonn hieß. Der frühere Mitherausgeber Günter Grass, wegen der Asylgesetzgebung aus der SPD ausgetreten, verließ das Herausgebergremium 1994. 

Hans-Joachim Schabedoth, ein rechtsaußen angesiedelter Mitarbeiter der "Grundsatzabteilung" der IG Metall, zu der auch der "neurechte" Anti-Antifa-Autor Wolfgang Kowalsky gehört, sitzt ebenso im einflußreichen, kleinen "Redaktionskreis" der Zeitschrift wie der Nationalrevolutionär Tilman Fichter. Die NG/FH-Autoren Kowalsky und Fichter publizierten auch im Ullstein-Verlag unter Herbert Fleissner im damaligen Lektorat von Rainer Zitelmann - im Dunstkreis Schönhubers und der "Auschwitz-Lügner", die sich selbst Geschichtsrevisionisten nennen. Welcher Geist heute in NG/FH herrscht, mag auch ein Mitarbeiter wie Schabedoth klären, der 1992 in der "Frankfurter Rundschau" einen Artikel mit der Überschrift "Wider einem linken Fundamentalismus in der Asyl- und Blauhelm-Debatte" veröffentlichte. Darin wurden die Abschaffung des Asylrechtes und die grundgesetzliche Möglichkeit militärischer Auslandseinsätze der Bundeswehr gefordert. Schabedoth rief hier - kurz nach dem rassistischen Pogrom von Rostock - dazu auf, "den gewachsenen Unmut in der Bevölkerung über den offenkundigen massiven Mißbrauch des Asylrechts" nicht als "Ausländerfeindlichkeit abzustempeln" und fragte allen Ernstes, wem "mit einem Deutschland gedient (ist), dessen ganze Energien durch die Probleme der Zuwanderung absorbiert werden". Deshalb müsse man die Zuwanderung stoppen. 

Im Mittelpunkt von NG/FH stehen heute die Bedürfnisse der deutscheuropäischen Konzerne. "Die Deutschen haben verlernt, ihre eigenen Interessen zu definieren", schrieb Glotz im Juli 1993 im Editorial seines Blattes und meinte die Triadenkonkurrenz auf dem Weltmarkt: "Nirgends wird dies deutlicher als bei der ebenso reinlichen wie unsinnigen Trennung von Außen- und Wirtschaftspolitik. Wenn der amerikanische Außenminister (gleichgültig wie er jeweils heißen mag) durch die Welt reist, hat er jeweils wohlpräparierte Papiere über einen Großauftrag in der Medizintechnik oder die Subventionen für eine geplante amerikanische Firmengründung bei sich. Und er hat diese Papiere nicht nur in der Ledermappe mit dem Wappen, er zitiert sie auch und gibt sie weiter. Vor einiger Zeit gab es in Deutschland einen amerikanischen Botschafter, der ein Drittel seiner Zeit darauf verwandte, sich für die Liberalisierung der deutschen Telekommunikationslandschaft einzusetzen - es lebe AT&T. Für deutsche Außenminister und die meisten Spitzendiplomaten sind solche Arbeiten viel zu prosaisch. Die Folge ist, daß die deutsche Politik in den vergangenen Jahren nicht einmal daran gedacht hat, die arabische Karte zu spielen. Um Gottes willen - könnten wir damit nicht unsere amerikanischen Verbündeten verprellen? Das Verhältnis zur Türkei und zu China wird gerade wieder mühselig repariert. Wie tapfer ist die deutsche Japan-Politik? Und existiert eine Indien- oder Indonesienpolitik der Deutschen? Fragen über Fragen, auf die es kaum vernünftige Antworten gibt." Glotz will sie mit seiner Zeitschrift geben. "Wir stellen sie in der Absicht, eine heftige Kontroverse auszulösen." Im Juli 1993 schrieb er, Deutschland solle sich auf seine Wirtschaftsmacht besinnen und sei gut beraten, sich "klug aus allen kriegerischen Verwicklungen herauszuhalten, in die es nicht sozusagen naturwüchsig (!) verwickelt wird. ... Die Deutschen sollten Wert darauf legen, daß bekannt wird, daß sie die Wirtschaftsreferenten ihrer Botschaften wichtiger nehmen als die Militärattachés" - trotz aller gebotenen Tapferkeit in der Außenpolitik. 

1979, noch unter der Chefredaktion von Herbert Wehner, brachte die "Neue Gesellschaft" einen aufklärerischen Artikel über die gerade entstandene "Neue Rechte" in Frankreich. Ihre Wurzeln in der Konservativen Revolution und ihrer demagogischen Kulturkritik wurden ebenso aufgezeigt wie ihr Rückgriff auf die moderne Biologie von Konrad Lorenz und Richard Dawkins. Als eine der ersten warnte die Zeitschrift damals vor dem intellektuellen antidemokratischen Potential der "Nouvelle Droite" um Alain de Benoist. "Deutschland und seiner Geschichte wird von diesen Männern große Aufmerksamkeit geschenkt. Hitler wird 'objektiv' gesehen, desgleichen die Ideologen, die ihm den Weg geebnet haben. Kein Wort der Verurteilung fließt in ihre Feder, nicht einmal ein Anflug des Zornes oder der Entrüstung kommt zum Vorschein. Nicht zufällig ist: Diese 'Ideologen' haben - mögen sie es auch bestreiten - einige der Gedanken übernommen, die im Dritten Reich grausame Wirklichkeit wurden." 

Um wieviel anders stellt sich die Zeitschrift zehn, fünfzehn Jahre später dar! Die Konservative Revolution hat unter Glotz Einzug gehalten, Ziel ist es nun nicht mehr, vor den Gemeinsamkeiten innerhalb des (Neo-) Faschismus zu warnen, sondern die eigenen Gemeinsamkeiten mit der "Neuen Rechten" zu verschleiern. Ein Mittel hierzu ist der Angriff auf den Begriff der Konservativen Revolution selbst, der als politikwissenschaftliche Kategorie zerschlagen werden soll, weil er zu einem schlagkräftigen Kampfbegriff des Antifaschismus wurde. Wo Armin Mohler die vielen weltanschaulichen Wurzeln sammelte und ihre Verwandtschaft und Identität zum Faschismus deutlich machte, wo er den Zusammenhang von Faschismus und Konservativen Revolution als unentwirrbares "Knäuel" bezeichnete, um sogleich hieran wieder politisch anzuknüpfen, da wird nun solange auseinanderdifferenziert, bis die Gemeinsamkeiten verschwunden sind, bis der Begriff verschwunden ist und mit ihm die Vergleichsmöglichkeit zur eigenen Position. 

Das Buch "Anatomie der Konservativen Revolution" von Stefan Breuer war der NG/FH im Oktober 1993 willkommen, um "das Konstrukt 'Konservative Revolution' zu dekonstruieren", wie man Breuer zitierte. Der Kernsatz seiner Arbeit der Unkenntlichmachung lautete: "Es führt kein Weg daran vorbei: 'Konservative Revolution' ist ein unhaltbarer Begriff, der mehr Verwirrung als Klarheit stiftet. Er sollte deshalb aus der Liste der politischen Strömungen des 20. Jahrhunderts gestrichen werden." Die "Neue Rechte" selbst bekundete Breuer Respekt für sein Verwirrspiel, das sich gegen die antifaschistische Linke richtet, und hob seine "wohltuende Fairness" im Umgang mit den Jungkonservativen, Nationalrevolutionären und Völkischen der Weimarer Republik hervor, wie Karlheinz Weißmann in "Criticon" im Juli 1993. Weißmann zitierte Breuers Kulturkritik lang und zustimmend und machte zugleich die Funktion dieser Debatte deutlich: "In Breuers Schlußsatz heißt es, der Westen müsse sich 'eingestehen, daß sein Universalismus, mit dem er die Welt überzieht, nicht nur pure Philanthropie, sondern auch eine Waffe ist, Transportmedium und Begleitideologie einer technologischen Zivilisation, die gegenüber allen historisch gewachsenen partikularen Traditionen indifferent ist. Der deutsche Nationalismus, der dies als erster in der Kette der modernen Nationalismen ins Bewußtsein gehoben hat, ist bislang nur als warnendes Beispiel für die katastrophalen Folgen behandelt worden, die eine Abweichung vom Entwicklungspfad dieser Zivilisation hat. Könnte er nicht auch als Stachel aufgefaßt werden, der diese zur Selbstreflektion und Selbstkritik veranlaßt?'" Und Weißmann kommentierte: "Das ist allerdings eine erstaunliche Sympathiebekundung, deren Wert man um so höher veranschlagen muß, als sie von jemandem stammt, der seine Herkunft von der Linken nicht leugnet." 

Solcher Revisionismus, solche Geschichtsfälschung wird nun nicht etwa in der NG/FH kritisiert. Im Gegenteil, Breuer bekam Gelegenheit, dies in einem Interview noch weiter auszuführen. In aller Offenheit sagte er hier: "Der Terminus 'Konservative Revolution' (zielt) gerade darauf, Unterschiede zurücktreten zu lassen, (wirkt) also ideologisch. Er ist deshalb auch bei Ideologen sehr beliebt, sei es den Ideologen der rechten Sammlungspolitik wie Mohler, sei es bei den Ideologen des Antifaschismus, für die das politische Spektrum schon rechts vom linken Flügel der SPD eine braune Färbung anzunehmen beginnt." Breuer nahm dann noch Ernst Niekisch gegen den Antifaschismus in Schutz. Er betonte sodann, von der Konservativen Revolution ginge heute keine Gefahr mehr aus: "Das alles ist mit dem Deutschen Reich 1945 untergegangen", Vergleiche zu heutigen Entwicklungen seien "bar jeder Urteilskraft". Der Rechtsextremismus der 90er Jahre sei neuartig, "mit der alten Antifa-Rhetorik verstellt man sich vollkommen das Verständnis für dieses neue Phänomen". In der Tat: Nachdem auch in den Feuilletons der Tageszeitungen zu lesen ist, die Konservativen Revolutionäre seien nichts als der intellektuelle Überbau des Faschismus, muß die Rechte ein Interesse daran haben, die Kenntlichkeiten wieder zu verwischen. Ziel der Breuer-NG/FH-Attacken ist der Faschismusbegriff selbst, der Glotz schon lange ärgert, weil Auschwitz die Konsequenz der Ideen von Jünger oder Niekisch war. Auseinanderzudividieren, was zusammengehört, erleichtert es, an die unkenntlich gemachten Einzelteile wieder anzuknüpfen. Das Ideen-Recycling, an dem sich die Nationalrevolutionäre innerhalb der SPD beteiligen, verträgt keine Assoziation mit den Verbrechen des Faschismus. Deshalb ist Breuer der willkommene Dekonstruktivist. 

In NG/FH vom Februar 1995 führte Eckhard Jesse, der ansonsten gemeinsam mit Rainer Zitelmann publiziert, Breues Geschäft auf unterstem Niveau fort: "Der inflationäre Gebrauch" des Begriffs der "Neuen Rechten" stehe "in einem beträchtlichen Kontrast zu seiner mangelnden analytischen Trennschärfe". Es gebe die "Neue Rechte" nur als "Phantom" und "verschwörungstheoretische Vermutung" der "Linksintellektuellen", die die Gesellschaft seit 1968 dominierten und den Begriff in den Feuillletons durchgesetzt hätten. Wer derart schamlos die Position der geistigen Anti-Antifa vertritt, muß allerdings ein Interesse daran haben, auch schon die analytischen Instrumente des Antifaschismus zu zerstören. Jesse nimmt dann noch die Zeitschrift "MUT" des früheren NPD-Bundestagskandidaten und militanten Neonazis, Bernhard C. Wintzek, als Beispiel dafür, daß die "Neue Rechte" gar nicht existieren könne: Denn hier publizierten doch Autoren wie Erhard Eppler, Heinz Eggert, Franz Alt, Rudolf Wassermann und Arnulf Baring. 

Das Ziel der Dekonstruktionen in NG/FH wird hier deutlich: Politiker, die sich in den letzten Jahren auf vielen Feldern - von der nationalen Identität über den Antisemitismus bis zur autoritären Innenpolitik und expansiven Außenpolitik - den Positionen der extremen Rechten genähert haben, werden als Anker genutzt, um das politische Spektrum verschieben zu können. "MUT" sei, so der selbsternannte "Extremismusforscher" Jesse nun, "ein Periodikum der Mitte". In seinen eigenen Schriften - z. B. dem "Jahrbuch Extremismus und Demokratie", das Jesse gemeinsam mit Uwe Backes im "arisierten" Bonner Bouvier-Verlag herausbringt, der vor der Nazi-Zeit noch Verlag Friedrich Cohen hieß - schreiben ausgewiesene Vertreter der "Neuen Rechten": Hans-Helmuth Knütter, Ernst Nolte, Rainer Zitelmann, Immanuel Geiss (sein Bouvier-Buch gegen die Linke um Habermas im Historikerstreit heißt: "Der Hysterikerstreit"), Michael Wolffsohn, Herbert Ammon; auch Brigitte Seebacher-Brandt, Armin Pfahl-Traughber und Friedrich Karl Fromme von der "FAZ" fehlen hier nicht. So schafft man Übergänge. 

Im Januar 1993 brachte NG/FH ein Interview mit dem "indo-europäischen Religionswissenschaftler" Maurice Olender, das sich scheinbar kritisch mit der "Neuen Rechten" auseinandersetzte, tatsächlich jedoch den Eindruck erweckte, als habe die Unterscheidung von "arisch" und "semitisch" eine reale Basis. Die Frage des Interviewers: "Also ist der indeo-europäische Gedanke ein Glücksfall für das Christentum gewesen, weil er ihm den Bruch mit seinen jüdischen Ursprüngen ermöglichte?" wurde mit dem Satz "Sie stellen diesen Punkt mit Recht heraus" beantwortet. Eine Kritik an diesem völkisch-rassistischen Unsinn, den schon die Altväter des Faschismus, Lagarde und Chamberlain, behaupteten, wurde jedoch nicht geübt. Der "indo-arische" Ideologe Georges Dumézil - ein Ideengeber für die "Neue Rechte" Europas - wurde vor der angeblichen Einvernahme durch Alain de Benoist verteidigt, obwohl Dumézil Benoist ausdrücklich unterstützte. 

Am Ende dieses undurchsichtigen Interviews bleibt der Eindruck einer prinzipiellen Offenheit zur "Neuen Rechten" hin übrig. "Man muß also äußerst wachsam die Verwendung des 'indo-europäischen Gedankens' verfolgen", meinte Olender und zitierte einen Kollegen des 19. Jahrhunderts: "Sicherlich beinhalten die Forschungen über die Arier, dieses vom Denken wiederentdeckte Volk des Goldenen Zeitalters, letztlich den beinahe bewußten Traum einer idealen Menschheit." Und Olender kommentierte: "Uns bleibt heute die Aufgabe, über die Verbindungen nachzudenken, die vor unseren Augen zwischen einer neuen Form arischer Utopie, der Utopie eines immer zukünftigeren Paradieses und der radikalen Negation des Anderen geknüpft werden." Was soll das heißen? Was heißt es angesichts des ethnopluralistischen Zoos reicher und armer Völker, den Glotz oder Schmid als "multikulturell" propagieren? 

Das bewußte Offenhalten dieser Fragen ist auch ein Stück "Querfront"-Politik. Glotz gab im Editorial Hinweise: "Die europäische Rechte des Jahres 1993 ist zwar unvergleichlich stärker als die des Jahres 1988; aber sie bleibt besiegbar. Allerdings nur für ein konzeptionelles und entschlossenes Handeln, auf das sich die Funktionseliten von Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur rasch verständigen müssen." Allerdings haben sich die Eliten des Siemens-Konzerns z. B. schon entschieden: für die Förderung der "neurechten" Ideologie mit Hilfe der Siemens-Stiftung Armin Mohlers und seines Nachfolgers Heinrich Meier, zu der Glotz keine Berührungsängste hat. 

Im November 1993 sah sich Glotz gezwungen, auf den "Aufruf zur Wachsamkeit" vor der "Neuen Rechten" zu reagieren, den französische Intellektuelle zum Schutz der Werte der bürgerlichen Revolutionen veröffentlicht hatten. Walter van Rossum durfte hierzu in NG/FH einen "Spaziergang durch den Dschungel" von "rechts-links" machen, der in Absurditäten endete. "Wo verläuft die Trennungslinie von rechtem und linkem Denken? Wir wissen es nicht", bekannte van Rossum, der nichts vom antizivilisatorischen, barbarischen Kern der "Neuen Rechten" begriffen zu haben scheint. "Die Reinheit der Lehren ist ein verwirrend Geschäft. Da stellt sich die Frage, ob wir solche Reinheiten überhaupt brauchen?" Mindestens aber habe die Linke Schuld am Entstehen der Rechten: "Die Linke hat entweder gar kein oder aber kein eigenes Verhältnis zum 'Existentiellen', zu einer metaphysisch verstandenen Sorge ums Dasein. Oder sagen wir es in weniger aufreizenden Worten: Die instrumentelle Vernunft linker Politik hat nun einmal nur eine bestimmte Reichweite. Den obskuren Rest tabuisiert eine mächtige und mächtig verinnerlichte linke Tradition als 'kleinbürgerlichen Individualismus'. Dummerweise gibt es aber diesen Rest. ... Das führt immer wieder dazu, daß sich Linke ihr Seelenfutter ganz offen an rechten Krippen holen." Metaphysik statt Sozialpolitik. Eine linke Kritik der gesellschaftlichen Bedingungen dieser Art von Seelenhunger - siehe oben, Manifest von Marx und Engels - ist von der letzten verbliebenen sozialdemokratischen Theoriezeitschrift nicht zu erwarten. 

Statt dessen flüchtete sich van Rossum in die Wertedebatte der Konservativen: "Da würde ich den Ort einer authentischen linken Theorie vermuten: in einer offensiven wertorientierten Begründung des Politischen. Im Gegensatz zu einer liberalistischen Begründung des Politischen, die sich auf eine formale Freiheit beruft, für deren faktische und materielle Folgen sie keine Verantwortung mehr übernimmt. Und im Gegensatz zu rechten Versuchen, das Politische ideologisch-metaphysisch zu entmächtigen." Abzulenken von der Möglichkeit einer Kritik der politischen Ökonomie als der historisch und tatsächlich einzig möglichen Begründung linker Politik ist das Ziel dieser Beschäftigung mit der "Neuen Rechten"; und abzulenken davon, daß der Liberalismus dialektische Bedingung ihrer Möglichkeit ist, aufgehoben in sozialistischer Politik. 

Peter Glotz hat seinen eigenen Zugang zur Kritik liberaler Grundsätze, die als Wertorientierung des Politischen ausgesondert werden sollen wie die sozialistischen, aus den Seiten von NG/FH wie aus dem politischen Leben schlechthin. Es ist seine individuelle Version der "Auschwitz-Lüge", die derart drastisch bisher nur von der "Nouvelle Droite" im Vorfeld der 200-Jahr-Feiern der Französischen Revolution vertreten wurde, um den Befreiungsakt der Menschheit als blutiges Schlachtfest zu präsentieren. Ihr Sinn ist es, die Emanzipationsbestrebungen, die unter der Parole "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" Bürgerrechte einforderten, zu diskreditieren. Die Parole schmückt übrigens die offizielle Traditionsfahne der SPD, ausgehängt bei jedem Parteitag. Glotz veröffentlichte seine Gleichsetzung von Auschwitz und Französischer Revolution am 3. Oktober 1990 "zum Tag der Einheit" in der Bonner Zeitung "General-Anzeiger": "Der Holocaust als geistiger Wendepunkt der modernen deutschen Nation; natürlich nicht als das einzig wichtige, wohl aber als ein nicht hintergehbares Datum. Die Rolle, die im Kanon des französischen Denkens das Jahr 1789 spielt, kommt im deutschen Kanon der Periode des Faschismus zu. Nationalbewußtsein bedeutet: Auseinandersetzung mit dieser Geschichte, mit den Erfahrungen und Motiven der Schuldigen und Unschuldigen."  (57)  

Es wundert nach alldem nicht, daß Jürgen Habermas und seine These von der Notwendigkeit eines aufgeklärten "Verfassungspatriotismus" entlang der Menschenrechtserklärung von 1789 in NG/FH wiederkehrend abgelehnt wird: "Der an universalen Prinzipien orientierte 'Verfassungspatriotismus', für die alte Bundesrepublik fraglos ein großer Gewinn, reicht nicht aus, um die Solidarität zu begründen, auf die es im vereinten Deutschland ankommt: die nationale Solidarität", schrieb hier z. B. im Juli 1993 Heinrich August Winkler. Lothar Probst ergänzte im März 1994 nach seinem Appell, den materiellen Wohlstand im Interesse der Nation zu verringern, unter der Überschrift "Gesellschaft vs. Gemeinschaft", es seien Zweifel angebracht, "ob ein rein verfassungspatriotisch begründetes Identitätsangebot den gegenwärtigen Problemlagen in Deutschland gerecht wird", und forderte "eine neue nationale Identität", die sich im Selbstbewußtsein "Deutschlands" ausdrücke, "seine eigenen Interessen zu verfolgen". Deshalb muß Auschwitz relativiert werden. 

"Neue Rechte" bis ins Detail: Im August 1994 erschien in NG/FH zum 100. Geburtstag von Antoine de Saint-Exupéry eine gänzlich undistanzierte, schwärmerische Würdigung des französischen Rechtsintellektuellen und heldischen Soldaten. Die "Nouvelle Droite" unter Benoist feiert ihren "Saint-Ex" seit langem, ebenso ihre Ableger im deutschen "Thule-Seminar" der Pierre Krebs und Armin Mohler. Nichts davon war in NG/FH zu lesen. Immer wieder wurden Saint-Exupérys Werke als Teil der französischen Fraktion der europäischen Konservativen Revolution kritisiert. Doch die NG/FH-Autorin Judith Klein bedauerte dies nun ausdrücklich. Die "philosophische, ästhetische und gesellschaftspolitische Radikalität" des elitären Luftwaffenoffiziers werde "in Deutschland von allen möglichen Klischees überdeckt. ... Hin und wieder erhoben Literaturwissenschaftler den Vorwurf, gewisse Themen Saint-Exupérys entstammten faschistischem Denken: Heroismus, Opfer, Hingabe ans Werk. Eine solche These mißachtet die simpelsten Grundsätze der Dialektik, wonach Teil und Ganzes, Element und Struktur sich bedingen und das Ganze nicht die bloße Addition der Teile ist, während die Teile doch vom Ganzen abhängig sind. Ob der Diskurs des Heroismus und des Opfers als Potential des Besseren, als Element der Emanzipation wirkt oder ob er zu Überheblichkeit und Unterdrückung ausschlägt, darüber entscheidet die ethische Struktur eines Werkes." Saint-Ex, wie ihn der französische Militarismus heute liebevoll nennt, sei da über jeden Vorwurf erhaben. Keinen Gedanken verwandte Klein darauf, daß sein Werk breit von der "Neuen Rechten" rezipiert wird, kein Zweifel beschlich sie in ihrer Wertung, Heldentum überhaupt und besonders das ihres Idols könne emanzipatorisch statt elitär wirken. Daß der adelige französische Schriftsteller selbst die "tragische" Lebenhaltung der Konservativen Revolution verkörperte und bis heute von seinen einschlägigen Fans durch sein Leben und Sterben als lebendiger Ausdruck des Heroischen Realismus verstanden wird - all dies war der NG/FH keine kritische Bewerkung wert. Der apologetische Artikel endete mit einem Zitat des Angebeteten, das ihn noch einmal ausdrücklich als Vertreter der Konservativen Revolution zeigte, ergänzt von Kleins Kommentar, der sie als Gefolgsfrau von Glotz auswies: "'Was mich viel mehr als der Krieg erschreckt, ist die Welt von morgen.' Kriege, Ungerechtigkeit, Raffgier, Profit, Wettlauf um politische Posten drohten, in der 'Welt von morgen' Dauererscheinungen zu werden, überdeckt vom Filter der Kulturindustrie, der 'Standardkultur'." 

Als vorläufiger Höhepunkt dieser Entwicklung erschien im September 1994 ein NG/FH-Schwerpunktheft zur "neuen konservativen Intelligenz". Wie kompetent die Darstellung der "Neuen Rechten" war, erkannte man sogleich, als NG/FH-Autor Clemens-Peter Haase, Leiter des Goethe-Instituts in Tampere, Finnland, von der "Neuen Freiheit" schrieb, wenn er die "Junge Freiheit" meinte. Warum Haase statt eines ausgewiesenen Kenners oder einer Kennerin der "Neuen Rechten"? Warum präsentierte er den dritten Aufguß aus Sekundärliteratur, fast jeden Namen aus der Konservativen Revolution einmal nennend, warum hatte er vorher augenscheinlich keinen einzigen Blick in die Literatur der "Neuen Rechten" geworfen? Gerade das zeichnete ihn wohl aus, denn hier ging es einmal mehr um einen Angriff auf die Linke. 

Der inzwischen als Angestellter des Bundesamtes für Verfassungsschutz enttarnte "MUT"-Autor Armin Pfahl-Traughber schoß in diesem NG/FH-Heft eine Breitseite auf den Jounalisten Otto Köhler und dessen Kritik am Ullstein-Verlag unter Fleissner und Zitelmann ab, die die Zeitschrift "Konkret" im Oktober 1993 veröffentlicht hatte: "Dabei scheut er (Köhler, P. K.) sich nicht davor, selektiv ausgewählte Beispiele sachlich unzulässig zu verallgemeinern, aus dem Zusammenhang gerissene Zitate suggestiv einzusetzen und mit nicht näher belegten und daher willkürlich erscheinenden Behauptungen zu arbeiten. All dies vermengt Köhler mit völlig überspannten politischen Bewertungen, die in nahezu allen Ullstein-Neuerscheinungen die braune Gesinnung nachweisen wollen." Als flotter Dreier durften Backes-Jesse-Zitelmann hierzu von einem Foto aus dem Heft lächeln. Welche Kritik am Neofaschismus "sachlich zulässig" ist, entscheidet demnach wohl der Verfassungsschutz, wer "überspannt" ist und demnach wohl eine Einweisung braucht, ebenfalls. Das erinnert fatal an andere geheimdienstliche Behandlungen einer unbotmäßigen Linken. 

Pfahl-Traughbers Artikel über Ullsteins neue Linie hatte wohl vor allem den Sinn, die Ullstein-Autoren Fichter, Mechtersheimer und Kowalsky in Schutz zu nehmen, nachdem Kowalskys Anti-Antifa-Buch "Rechtsaußen ... und die verfehlten Stategien der Linken" für Aufsehen gesorgt hatte. Darin greift Kowalsky die Linke scharf an und fordert mehr Gesprächsbereitschaft mit Neokonservativen und nationalistischen Kräften. Er benutzt den alten Trick der "Querfront"-Strategen und beteuert, er wolle doch nur "Denkblockaden freilegen" und "Freiräume für neues Denken schaffen". Deshalb möchte er die "Lagermentalität" zwischen Linken und Rechten aufheben. Die Linke solle ihre "Schützengräben" verlassen und ihre "Ausgrenzungsstrategie" gegen die extreme Rechte beenden. Den Eichberg-Begriff der "nationalen Identität" will er "mit überzeugenden Inhalten füllen" und fordert einen "unbeschwerten Umgang mit dem Begriff und der Tatsache Nation". Dagegen hält er den Begriff der "Ausländerfeindlichkeit" für einen "politischen Kampfbegriff" und warnt davor, "Ausländerkriminalität zu verharmlosen". 

Kowalsky gab auch der "Jungen Freiheit" im November 1992 ein Interview unter dem Titel "Die Linke muß ihr Verhältnis zur Nation überdenken". Hier forderte er wiederum den Dialog mit der extremen Rechten. Schon 1991 veröffentlichte er sein Buch "Deutschland nur den Deutschen?" beim neofaschistischen Straube-Verlag, in dem auch der Nationalrevolutionär und NG/FH-Autor Wolfgang Venohr ("Ein Deutschland wird es sein") und der Mitautor des REP-Parteiprogramms Hellmut Diwald ("Geschichte macht Mut") publizierten. 

Pfahl-Traughber schrieb im September 1994 in NG/FH: "Seinen Platz findet Kowalskys Buch in einem national-konservativen Verlagsprogramm durch zweierlei: Es geht (teilweise völlig berechtigt) gegen die politische Linke, und er kritisiert diese, weil sie kein positives Verhältnis zu 'Nation' und 'Nationalbewußtsein' habe." Der Verfassungsschützer stimmte dem Rechtsaußen-Referenten fast in allem zu. "'Viele Strategien" der Linken, so zitierte er ihn, "antworten auf Fragen von gestern und bewegen sich im Grunde immer noch im Rahmen eines Antifaschismus der dreißiger Jahre.' Kowalskys Verdienst ist es, die unterschiedlichen Konzepte systematisch unterschieden, an Beispielen belegt und deren Tauglichkeit hinterfragt zu haben. Dabei weist er zu Recht auf schiefe historische Vergleiche oder die moralisierende Betroffenheitsrhetorik mancher Linker hin und problematisiert Handlungen, die mehr der Selbstbestätigung und weniger dem Wirken gegen den Rechtsextremismus dienen." Das zielte wohl gegen die Lichterketten gegen Ausländerfeindlichkeit. 

Es ist in der Tat erstaunlich, wie tief eine sozialdemokratische Theoriezeitschrift sinken kann. Doch Pfahl-Traughbers Beitrag war lange noch nicht der Nullpunkt des September-Heftes 1994. Wolfgang Kowalsky selbst schrieb hier gegen die "verschwörungstheoretisch begabten Zeitgenossen" auf der Linken an, die lediglich "Denunziation nicht genehmer Meinungen (vorzugsweise innerhalb der Asyldebatte)" betrieben, um der "Aufrechterhaltung eines linken Alarmismus" willen. "Statt sich nun mit der eigenen Unfähigkeit, neue Antworten auf die neue Situation zu geben, auseinanderzusetzen", so Kowalsky in NG/FH, "werden Rechtsintellektuelle und vor allem jene Linken, die sich der Schweigespirale nicht anschließen wollen, zum Gegner der Republik erklärt. Dabei vergrößert die altlinke Aussonderungsmaschinerie, die jeden Positionswechsel als Verrat rubriziert, das Lager der Verräter von Tag zu Tag: Hans-Magnus Enzensberger, Martin Walser, Botho Strauß und viele andere stellen sich als Seismographen einer neuen Epoche den Herausforderungen der Zeit und werden dafür sogleich aus der heiligen linken Familie ausgegrenzt", höhnte er weiter. Dann ließ er niemanden mehr im Unklaren: "Die kleine 'Junge Freiheit' greift den Ehrentitel des Nonkonformismus und der Unkonventionalität auf und präsentiert Fragen und Antworten, die ihre Relevanz erst aus der intellektuellen Friedhofstimmung des heutigen Deutschlands beziehen." So wird eine ehemals ehrenwerte Zeitschrift mit antifaschistischer Tradition zum Schwesterblatt der "Jungen Freiheit". 

Kowalsky konnte bereits im Februar 1993 in NG/FH darlegen, wie sehr er mit Glotz und dessen Äußerungen aus dem London-Vortrag übereinstimmt. Nach heftigen Angriffen auf die Faschismus-Forscher Siegfried Jäger und Reinhard Kühnl und einer Philippika gegen "die DKP-orientierte Fraktion der Marburger Schule" klärte er die Zusammenhänge in Glotz-Manier: "Wenn es in der Bevölkerung große Kreise gibt, die sich durch eine Migrationswelle bedroht fühlen, dann sollten wir über die Zusammenhänge zwischen Fremdenhaß und Migration nachdenken." - "Innerhalb der zum Chaos neigenden neuen Weltlage ist es notwendig, daß es Pole gibt, die führen, lenken und in diesem Sinne hegemonial werden." - "Wir können uns dieser Verpflichtung zur Hegemonie nicht entziehen, und in diesem Zusammenhang sind auch die Migrationsströme zu diskutieren." Das hatte Glotz dem Sinne nach ebenso in seinem Londoner Vortrag 1989 gesagt. Die deutscheuropäische Hegemonie läßt sich nicht mit einer weiteren Ausländerzuwanderung verbinden, lehrt dies, erst recht nicht bei gleichzeitigem Sozialabbau im Interesse der Hightech-Konzerne. Ob man im Vorstand der IG Metall eigentlich weiß, auf was der dortige Grundsatzreferent hinaus will?  (58) 

Nein, auch dies war noch nicht der Nullpunkt des Absinkens. Der war Karl-Heinz Klär vorbehalten, langjähriger Büroleiter Willy Brandts und Amtschef des Ministerpräsidenten Scharping in Mainz, heute Beauftragter für Bundesangelegenheit des Landes Rheinland-Pfalz. Klär veröffentlichte 1986 im "Lexikon des Sozialismus", das er mit herausgab, einen Text Henning Eichbergs, als sei dieser ein linker Autor, ohne auch nur mit einer einzigen Silbe über Eichbergs Neofaschismus zu informieren. Weitere Lexikon-Autoren waren ebenfalls Rechtsausleger, Ideologen der deutschen Nation: Brigitte Seebacher-Brandt, Peter Brandt und Bernd Rabehl, Erhard Eppler ("MUT"-Autor), Eike Hennig ("wir selbst"- und "Junge Freiheit"-Interviewpartner), der deutschtümelnde "Vorwärts"-Redakteur Michael Scholing, der unermüdliche Deutschland-Vereiniger Wolfgang Wiemer, heute engster Mitarbeiter Thierses. Das "Lexikon des Sozialismus", im DGB-eigenen Bund-Verlag erschienen, war Ende der 80er Jahre das wichtigste und umfassendste Werk der Sozialdemokratie zur Geschichte und Gegenwart der internationalen Bewegung der Arbeiterinnen und Arbeiter. Zu den Mitherausgebern zählten mit Susanne Miller und Thomas Meyer zwei bedeutende Theoretiker der heutigen SPD. Daß hier ein Eichberg publizieren konnte, der eine Neonazi-Vergangenheit und eine völkisch-religiöse Gegenwart aufwies, muß als Signal verstanden werden; daß er sich in seinem Beitrag auf ein Buch des "ökoreligiösen" Sozialdarwinisten Hubertus Mynarek stützte, in dem rechtsextreme Sekten bis hin zu Scientology Church positiv dargestellt werden, bestätigt dies. 

Klär wäre unter einem Bundeskanzler Scharping Kanzleramtsminister geworden - kein kleines Licht der Partei also. Sein Artikel in NG/FH vom September 1994 hieß "Das Vision Thing", und er meinte den Titel positiv. Zugegeben, es sollte amerikanisch und nicht germanisch verstanden werden, und auf die Idee, daß die Linke konkrete Utopien vertritt, die Rechte aber Visionen nachhängt, ist er wohl nicht gekommen. Doch das listig-lustige Wortspiel mit dem Thing der arischen Vorfahren kommt einem sogleich in den Sinn, ging doch Eichbergs Artikel im "Lexikon des Sozialismus" um germanische Thing-Spiele, die er als Vorläufer sozialistischer Freizeitkultur ausgab. 

Doch darum soll es hier gar nicht gehen. Klär machte sich "visionäre" Gedanken zur "Zukunft der Arbeit" und meinte, "der vollendete Homo oeconimicus" sei "weder eine realistische noch eine wünschenswerte Vision", denn "die moralische Ökonomie gemeinschaftlicher Arbeit und persönlichen Zusammenhalts ist eine unbezahlbare Hervorbringung des Evolutionsprozesses. ... Um die Zukunft dieser Arbeit reformerisch, gar visionär auszuleuchten, bräuchte es indes eine wirkliche Debatte, eine neue Anstrengung. Gut wäre, wenn dabei auch die obligatorischen Sozialdienste unvoreingenommen überdacht würden. Statt sich vom Alb (sic!) des faschistischen Reichsarbeitsdienstes stillstellen zu lassen, könnte ein Blick auf amerikanische Überlegungen zum Civil Service bei Harry Boite und anderen nützlich sein. Ein Zivildienst nicht bloß als Alternative zum Wehrdienst, sondern als ein umfassendes, variables Pflicht-Angebot, Betonung auf Pflicht und Angebot, den Nutzen nicht nur der Gesellschaft, sondern auch der gezogenen Individuen berechnend und mehrend: damit ließen sich viele Probleme anpacken, die unter den bestehenden Verhältnissen unlösbar erscheinen. Ich erwähne nur das Mißglücken von Berufsausbildung und Berufseinstieg in alljährlich Zigtausenden von Problemfällen oder die gesellschaftliche Integration von Jugendlichen aus Immigrantenfamilien." 

Das freilich ist eine neue Dimension sozialdemokratischer Politik: Zwangsarbeit für Ausländerkinder, die als Lebenshilfe verkauft wird. Konzentrations-Besserungsanstalten für "Problemfälle" - wer definiert sie? Nach welchen Kriterien? Dazu fällt einem nicht viel mehr ein als "Arbeit macht frei". Dieser Denkansatz endete in der deutschen Geschichte zuletzt bei der Euthanasie, die damals als Gnadentod angepriesen wurde. Die "Denkblockaden" sind also nun aufgebrochen, die "linken Schützengräben" verlassen, die "Empathie", die Kowalsky gegenüber dem Neofaschismus fordert, hat zur Identifikation geführt. Das kommt bei manchem schlechten Therapeuten vor.  (59) 

Ein Ideologiestrang zieht sich seit mehr als einem Jahrzehnt durch NG/FH: die nationalrevolutionäre Propaganda für ein wiedervereinigtes Deutschland als europäischer Hegemonialmacht, die aus der Niekisch-Strasser-Richtung kommt. Die NG/FH-Autoren Peter Brandt, Herbert Ammon, Theodor Schweisfurth, Wolfgang Venohr sind samt und sonders bekennende Niekisch-Fans und gesellen sich damit einer antiwestlich-antiliberalen, auch antisemitischen Haltung zu, die beim militaristischen Niekisch-Flügel der historischen Konservativen Revolution in die Forderung nach Blutorgien gegen Liberale und Sozialisten mündete. Die Genannten möchten dies freilich verbergen. Ihr Anknüpfungspunkt war in den 80er Jahren der nationale Teil der Friedensbewegung, dem es um die Revision des Ausgangs des Zweiten Weltkriegs ging. Über eine Debatte zur angeblich mangelnden Souveränität Deutschlands wollten sie die Wiedervereinigung und die Umwandlung des europäischen Teils der Nato in ein kontinentales Sicherheitssystem unter deutscher Führung erreichen, Ideen, wie sie schon in den 50er Jahren von der Niekisch-Strasser-Linie vertreten worden waren, mit der sie in den 80ern auch personell zusammengingen. "Das Verlangen nach 'Frieden in Deutschland' verbindet sich mit dem nie erloschenen Bedürfnis nach engerer nationaler Verbundenheit", schwärmte Ammon nun in NG/FH. "Als tragendes Sentiment der deutschen Friedensbewegung ist somit auch die 'nationale Frage' erneut zu einem wichtigen Faktor der europäischen Politik geworden." 

Die Autoren hatten sich durch einschlägige Buchprojekte einen Namen als Nationale gemacht. Nachdem Henning Eichberg 1978 im Verlag Langen-Müller mit Unterstützung der Burschenschaften sein grundlegendes Buch "Nationale Identität" herausgebracht hatte, zogen Peter Brandt und Herbert Ammon 1981 nach. Ihr Buch "Die Linke und die nationale Frage" unter dem Lektorat von Freimut Duve enthielt Texte von Niekisch und Eichberg, die plötzlich als Linke verkauft wurden. Wolfgang Venohr - heute einer der Protagonisten der Ludendorff-Renaissance, der 1993 im Ullstein-Verlag das Buch "Ludendorff - Legende und Wirklichkeit" über den "Kriegssozialisten" herausbrachte - hatte 1982 im rechtslastigen Lübbe-Verlag das Buch "Die deutsche Einheit kommt bestimmt" veröffentlicht, in dem Brandt, Ammon und Schweisfurth gemeinsam mit offenen Neofaschisten ein blockfreies Gesamtdeutschland forderten und eine Rückkehr auch zum kulturell verstandenen Deutschtum propagierten. Brandt und Ammon lobten hier das deutsche Volkslied und verurteilten die angeblich amerikanisierte Jugend-Weltkultur, so wie die völkische Bewegung und die Nazis bereits "Negermusik" als undeutsch verteufelt hatten. Ähnliche Positionen vertraten Brandt und Ammon dann auch in NG/FH; Venohr und Schweisfurth variierten hier ihre "neurechten" Wiedervereinigungskonzepte für ein breites SPD-Publikum, dem die Querfront-Buch-Koalitionen Venohrs dann doch zu nationalistisch waren. 1989 bezog sich Glotz in "Die deutsche Rechte" offen positiv auf Schweisfurth, obwohl er - nach dem Titel - eigentlich ein kritisierter Gegenstand des Buches hätte sein müssen. 

Wolfgang Wiemer, heute persönlicher Referent von Wolfgang Thierse, schrieb 1982 in der NG über "Neuen Patriotismus - Gefahr oder Chance?" Die nationalrevolutionäre, befreiungsnationalistische Agitation gegen die vermeintliche Kolonialisierung Deutschlands durch die Sieger des Zweiten Weltkriegs, die Eichberg seit 1978 systematisiert hatte, kennzeichnete Wiemers Artikel. Er wollte nach der Manier der Niekisch-Strasser-Linie der 80er Jahre den Pazifismus der Friedensbewegung und großer Teile der SPD in Richtung Wiedervereinigung und Souveränitätsrechte gegen die Sieger des Zweiten Weltkriegs umleiten, in Westdeutschland vor allem gegen den Weltmarkt-Konkurrenten USA. "Die wichtigsten Fragen, die heute von Teilnehmern deutschlandpolitischer Bildungsveranstaltungen gestellt werden, sind: 'Wie souverän ist die BRD eigentlich?'; 'Werden wirklich Deutsche auf Deutsche schießen müssen?' und 'Gibt es denn wirklich den Unterschied, der in der Bezeichnung der DDR als 'Satellit' der UdSSR, der BRD aber als 'Bündnispartner' der USA zum Ausdruck kommt?'", so fragte Wiemer damals scheinheilig. Es zeige sich in der Friedensbewegung die Hoffnung, "daß sich jetzt ein neuer Inhalt des deutschen Nationbegriffs bilden wird aus der Negation des Wettrüstens, des Militärischen überhaupt". Der Friedensbewegung, die in Wahrheit pazifistisch ausgerichtet war, wurde mit nationalistischer Demagogie eine Wiedervereinigungsperspektive aufgedrängt, deren heutige militaristische und imperialistische Konsequenzen damals bereits vorherzusehen waren: Allein schon aufgrund der Bündnispartner der Wiemer, Brandt, Ammon, Schweisfurth und anderer, später auch Fichter, die sie sich aus dem Neofaschismus holten, hätte klar sein müssen, welche "Souveränität" Deutschlands gemeint war. 

1982 stand in NG/FH auch ein warnender Artikel: "Links wie rechts - auf der Suche nach nationaler Identität?", der Autor war Arno Klönne. Er zeigte in aller Deutlichkeit die Quellen dieser Diskussion im deutschen Faschismus und seinen Vorläufern auf und konstatierte gegenüber Brandts und Ammons Rechtskontakten damals schon: "Die Berührungsscheu ist offenbar gewichen." Er kritisierte die Blut-und-Boden-Ausrichtung bei manchen "Linksnationalisten" und wies auf die "drohenden Untertöne" gegen die europäischen Nachbarn hin. Klönne erinnerte an die Lehren aus dem Mißverständnis, in "staatlicher Wehrwirtschaft" und "Kriegssozialismus" des Ersten Weltkriegs emanzipatorische Ziele zu sehen: "Wo immer die deutsche Linke nach 1871 sich nationalistisch orientierte, da wurde sie von den herrschenden Inhalten 'nationaler Identität' in Deutschland rasch eingeholt und unterworfen, da ließ sie sich auf ein ideologisches Muster festlegen, das den politischen Interessen anderer Kräfte diente und die Arbeiterbewegung lähmte. Jene Linken in der Bundesrepublik heute, die die 'nationale Frage stellen', müssen sich fragen lassen, ob sie nicht einer Gefühlsbewegung Vorschub leisten, von der am Ende nur politische Interessen profitieren, die weder demokratische noch soziale Ziele im Blick haben", schrieb er. 

Doch das Ergebnis dieses Artikels war nur der NG-Abdruck einer blindwütigen Antwort Ammons auf Klönne in einer der nächsten Ausgaben und eines Aufrisses von Schweisfurth zu seiner zwei Jahre später mit Ammon, Fichter, Brandt, Mechtersheimer und etlichen Neofaschistischen ausgearbeiteten "Denkschrift Friedensvertrag, Deutsche Konföderation, Europäisches Sicherheitssystem". Während Schweisfurth die Fragen nach dem erfolgversprechenden Weg zur deutschen Hegemonie über Europa stellte ("Wie ist die rechtliche Lage Deutschlands in diesen Fragen? Ist der friedensvertragliche Weg gangbar?"), beschränkte sich Ammon auf Verbalinjurien wie "Nationalallergetiker" und brachte ausgerechnet Regis Drebray, Rudolf Bahro und den alten Johann Gottlieb Fichte, Stammvater des deutschen Nationalismus, zur eigenen Verteidigung an. Damals wandte sich Ammon dagegen, ihn und Peter Brandt "als verkappte Nationalrevolutionäre in die Tradition des deutschen Irrationalismus einzureihen", obwohl sie gerade erst Niekisch- und Eichberg-Texte publiziert hatten. "Gegenüber den vielzitierten Eruptionen Thomas Schmids, der sich zu seiner Vorliebe für 'deutsche Tiefe' bekennt, halte ich geistige Distanz", beteuerte er 1982, doch die Wege sind kurz: 1994 schrieb Ammon in der "Jungen Freiheit". 

Das nationale Trommelfeuer, hier nur in einzelnen Etappen dargestellt, setzte sich z. B. 1988 mit einem NG/FH-Schwerpunkt "Deutscher Geist, Deutsches Reich, Deutsche Identität" fort. Fichter propagierte hier die "Deutsche Konföderation" als ersten Schritt zur wiedervereinigten Hegemonialmacht und erinnerte an die Ammon/Schweisfurth-Denkschrift von 1984/85. Der Nationalrevolutionär Reinhard Hesse, Deutschland-Wiedervereiniger in neofaschistischen "Friedens"-Initiativen und Unterzeichner der "Denkschrift", vorher schon Autor in NG/FH, ergänzte dies im selben Heft durch einen Artikel gegen "die elitär-esoterische Auffassung der Frankfurter Schule" vom Verfassungspatriotismus. Er griff Habermas wegen der Eröffnung des "Historikerstreits" gegen Ernst Nolte an: "Als ich las, was Jürgen Habermas vor einiger Zeit über die 'Mittellage Deutschlands' schrieb, nämlich daß es 'Tamtam' sei, dies zu behaupten (Die Zeit, 11. 7. 1986, Eine Art Schadensabwicklung. Die apologetischen Tendenzen in der deutschen Zeitgeschichtsschreibung), holte ich einfach (!) einmal meinen Schulatlas hervor, um mich zu vergewissern, ob sich seit Sexta in der Geographie Europas konkret etwas verändert hat", so Hesse. "Ich sehe folgende Karten: das Deutsche Reich des Mittelalters als Vielvölkerstaat, freie Reichsstädte mit Selbstverwaltungsorganen, deutsche Stadtrechtsgründungen in vielen Teilen Europas ... Ich frage mich: Sind das keine politisch ernstzunehmenden Leistungen, ist das alles nicht der Rede wert?" 

Und dann schrieb er allen Ernstes: "Der rassisch minderwertige Jesse Owens wurde unter den Augen des Führers zum Liebling des Publikums." Nein, Hesse setzte wirklich keine Anführungszeichen um "rassisch minderwertig", und Glotz als Chefredakteur ließ es durchgehen. So wurde die Zielrichtung der Kritik an Habermas, der die Bürgerrechte statt der Abstammung ins Zentrum des Patriotismus rücken wollte, überdeutlich. Hesse: "Der einzig legitime Patriotismus sei ein Verfassungspatriotismus, schreibt Habermas. ... Merkt er nicht, daß er damit die Idee der deutschen Nation, die mehr war und mehr ist als die Menschen im Geltungsbereich des Grundgesetzes, verabschiedet? ... Habermas ist ... im Grunde davon überzeugt, das 'die Deutschen' politisch unzurechnungsfähig sind. ... Wenn wir als Deutsche abdanken, so wie Adenauer und Habermas es vorschlagen, und das Feld 'dem Westen' überlassen, so müssen wir wissen, daß 'Westen' - auch - Pershing 2 und Cruise Missile, Pluton und Hades heißt. ... Die Lage Europas erfordert, daß wir als Deutsche handeln. ... Eine bizarre 'Kritische Theorie', die sich der Aufklärung verpflichtet weiß und dem eigenen Volk die Mündigkeit verweigern will! ... Ich bin 1945 geboren worden; bin aufgewachsen in der Nachriegs-BRD Adenauers, bin durch die Medien und in der Schule - gerade von meinen kritischen Lehrern - mit Selbstentmündigungsparolen der erwähnten Art überschüttet worden." Nein, das ist kein Sexta-Niveau mehr, das ist Fascho-Niveau, abgedruckt in NG/FH. 

Glotz plazierte dies neben den einzig kritischen Artikel zur "nationalen Identität" in NG/FH, den der alte Haudegen Horst Ehmke in dieser Zeitschrift gegen die Positionen der Nationalrevolutionäre durchsetzte. Allerdings schien Ehmke, der dem linksliberalen Flügel der SPD angehörte und die Reform- und Ostpolitik der 70er Jahre mitbestimmt hatte, von den Neuerungen in der Debatte um nationale Identität nichts zu wissen, die Kniffe und Finten der Nationalrevolutionäre, die ihren Ethnopluralismus längst mit dem einheitlichen europäischen Großwirtschaftsraum verbunden haben, nicht zu kennen. "Ich halte z. B. nichts von einem sich 'links' etikettierenden Nationalismus, der dann natürlich schnell Gemeinsamkeiten mit der Rechten entdeckt", schrieb Ehmke. "Ich halte auch nichts von dem damit eng verbundenen kulturellen Anti-Amerikanismus, der sich zwar 'links' nennt, aber sich alter rechter Klischees bedient: Deutsche Kultur gegen amerikanische Zivilisation (und das möglichst in Jeans, mit Kaugummi im Mund und Walkman auf dem Ohr)." Ehmke erkannte, wie Glotz die sozialdemokratische Europa- und Weltpolitik der Willy-Brandt-Ära hegemonial zu verfälschen gedachte: "Vom Aufwärmen des schillernden Begriffs 'Mitteleuropa' erwarte ich außer neuen Mißverständnissen nichts." Doch Ehmke war bereits schwer erkrankt und zog sich aus der Politik zurück. Genau an dieses "Mitteleuropa" Friedrich Naumanns erinnert Glotz immer wieder, und schon drei Monate nach Ehmkes Kritik schrieb Til Bastian in NG/FH zu Naumanns "Mitteleuropa"-Buch von 1915, das nichts weiter als eine deutschnationale Kriegszieldenkschrift zum Ersten Weltkrieg war: "Seine Ausrichtung auf eine die nationalen Grenzen überwindende europäische Konföderation gibt eine jener Traditionslinien an, an die anzuknüpfen wäre, wenn heute von deutscher Geschichte zu reden ist." 

Hatten Peter Brandt und Günter Minnerup schon im August 1987 in NG/FH von der Möglichkeit der "Europäisierung Europas" durch die deutsche Wiedervereinigung gesprochen und damit die Position von Glotz aufgenommen, so schrieb Brandt im September 1994, wiederum einig mit Glotz, daß "der Kontinent auf absehbare Zeit seine Zukunft in einer historisch neuartigen Kombination bundesstaatlicher und staatenbündischer Lösungen finden (wird), in der auch die alten Nationalstaaten noch einen gewichtigen Part mitzuspielen haben werden." Glotz nenntdieses Ziel in Anlehnung an Charles de Gaulle und die "Neue Rechte" einfach "Europa der Vaterländer". Nach Brandt kommt Deutschland hierbei die Schlüsselrolle zu: "Die Bundesrepublik (muß) ihre Rolle hauptsächlich darin suchen, die Zusammenfügung der beiden Hälften Europas einschließlich Rußlands zu fördern. Wie das geschieht, ist eine untergeordnete Frage." 

Und noch einen Tritt gegen das Schienbein von Jürgen Habermas konnte sich Brandt 1994 nicht verkneifen. Habermas habe für eine gesellschaftliche Identität entlang der Menschenrechte anstelle eines traditionellen Nationalpatriotismus geworben und dabei übersehen, daß "ein 'Verfassungspatriotismus' ohne Verankerung in der Kultur und Geschichte des betreffenden Landes ein blutleeres und wirkungsloses Kunstprodukt" sei. Nach so viel Blut und Boden des nordischen Europa wies Brandt noch einmal ausdrücklich auf die ethnopluralistischen Prinzipien hin: "Die spezifischen nationalkulturellen und nationalgeschichtlichen Bedingungen" seien jeweils und unverzichtbar "eine Art Rohmaterial" für die jeweiligen Identitätsbildungen im "demokratischen Nationsverständnis". Das ist exakt Henning Eichbergs These, der das germanische Thing als Vorbild einer germanisch-keltisch fundierten, deutschnationalrevolutionären "Demokratie" gegen die liberalistischen und sozialistischen Prinzipien der Linken setzt. Peter Brandt ließ keinen Zweifel, wer ein halbes Jahrhundert nach dem 8. Mai 1945 den Zweiten Weltkrieg gewonnen hat. Er triumphierte: "Die staatliche Einheit Deutschlands ist als eine der Folgen der Totalkapitulation der UdSSR seit drei Jahren Realität." 

Übrigens schreibt Glotz dann auch mal wieder das Gegenteil, wenn es geboten scheint, um die deutsche Führungsrolle in Europa zu beanspruchen. In der "Woche" meinte er 1994: "Und die deutsche Linke sollte nicht verdrängen, daß die geistige Führung des nächsten Jahrzehnts davon abhängt, ob sich in Deutschland die Leitbilder von Verfassungspatriotismus und ziviler Gesellschaft halten oder durch eine erneuerte nationale Kulturidee ersetzt werden." 

Die Linke überhaupt, so möchte man Glotz entgegenhalten, sollte nicht verdrängen, daß sich die Konzerne mit jedem einlassen, solange er die Profite garantiert: mal Gorbatschow, mal Pinochet, mal Verfassungspatriotismus, mal Gesellschaftsformierung, je nach Bedarf und Stärke der Linken.  (60)  

Von "Mitteleuropa" über "Zwischeneuropa" zu "Kerneuropa" 

Die Befürchtungen, die Jürgen Habermas 1986 im "Historikerstreit" 1986 über das "geopolitische Tamtam" zur Mittellage Deutschlands in Europa und zur apologetischen Geschichtsschreibung - mehr noch inzwischen: zur apologetischen Politik - äußerte, sind in den 90ern Wirklichkeit geworden. Die Rechte hat in dem Streit gesiegt, auch Dank der national gewendeten SPD. Wo früher in Europa Nachbarn zusammen Grillfeste feierten, wo Kinder gemeinsam in die Schule gingen, dasselbe Einmaleins lernten, wo dieselben Waren auf denselben Bauernmärkten angeboten wurden, herrscht heute "Völkermischzone". Glotz verschweigt, daß dies ein Ergebnis deutscher Politik ist. Das "Teile und herrsche!" verträgt keine Reunion der auseinandergebrochenen Staaten, es sei denn, auf europäischer Ebene und unter deutscher Führung. 

Das wahre Ziel hinter all dem ethnopluralistischen Gedusel ist ein zentralistisches Europa unter deutscher Hegemonie. Es ist das alte Ziel des schon alten Ethnopluralismus seit der völkischen Bewegung des 19. Jahrhunderts, als Paul de Lagarde oder Houston Stewart Chamberlain mit antiimperialistischer Geste, aber zum Gefallen des Kaiserreichs der geadelten "Bourgeois" Krupp und Siemens, auf die Kolonialisierung Südosteuropas orientierten. "Ein Europa der Regionen, das handlungsfähige übernationale Strukturen aufbaut, wäre unschlagbar" - so offen präsentierte Glotz 1989 in London sein politisches Ziel der "winning culture". Die "Völkermischzonen" müssen wieder von starker Hand geordnet werden. Faktisch ist dies die deutsche, und niemand in Europa wagt noch, daran zu zweifeln. Die neuen Regierungen der osteuropäischen Staaten übernahmen bereits zu Beginn der 90er Jahre das System des deutschen Handelsrechts und schufen so die Grundlage der Neuordnung. 

Glotz fegt über die europäischen Krisenregionen und hat überall die Lösung schon parat. Im Mai 1993 brannte er in mehreren Zeitungen mit fast gleichen Artikeln ein wahres Feuerwerk zum Balkankrieg ab: "Es gibt nur zwei realistische Optionen", lautete eine wiederkehrende Textpassage, "entweder der Westen besetzt die ganze Region, ordnet sie neu und hält sie ein Jahrzehnt oder länger unter Kuratel. Oder er muß akzeptieren, daß die starken Völker (Serben, Kroaten, Albaner) sich durchsetzen und kann den Schwachen (Muslimen, Mazedoniern) bestenfalls ein Leben in Schutzzonen oder unter Minderheitenrecht garantieren." Welche Option mag Glotz bevorzugen? Jedenfalls die, in der Serben und Kroaten nicht die Fernsehsender beherrschen. 

"Das langfristige Ziel muß 'Gesamteuropa' sein - ein voll integrierter Bundesstaat von Brest bis Brest-Litowsk, vom Atlantik bis an die Westgrenzen der Sowjetunion", schrieb er im Januar 1990 in NG/FH. "Vom Atlantik bis zum Ural" war eine Formulierung de Gaulles. Der IG Farben-Lobbyist Carl Duisberg, auch Vorsitzender des Reichsverbandes der Deutschen Industrie, hatte im März 1931 einen "geschlossenen Wirtschaftsraum von Bordeaux bis Odessa" gefordert, damit "Europa Rückgrad" bekomme, "dessen es zur Behauptung seiner Bedeutung in der Welt" bedürfe. Duisberg und sein Verein sahen bald im deutschen Faschismus die rechte Hand zur Durchführung des Plans, der allerdings ab 1943 vorerst scheiterte. "Deutschland ist immer noch reich und voller Ideen, es kann im Jahr 2010 der stärkste europäische Nationalstaat sein", schrieb Glotz im Januar 1994 in der "Süddeutschen Zeitung". Und im August gab er der Münchner "Abendzeitung" gemeinsam mit Peter Gauweiler ein Interview: "Gauweiler: Kohl hat durchgesetzt, daß ins CDU-Programm wieder der Begriff eines Europas der Vaterländer kommt. Glotz: Ich bin in der Europapolitik mit Kohl völlig einig." 

"Es ist zu erreichen die Gründung eines mitteleuropäischen Wirtschaftsverbandes durch gemeinsame Zollabmachungen, unter Einschluß von Frankreich, Belgien, Holland, Dänemark, Österreich-Ungarn, Polen und eventl. Italien, Schweden und Norwegen. Dieser Verband, wohl ohne gemeinsame konstitutionelle Spitze, unter äußerlicher Gleichberechtigung seiner Mitglieder, aber tatsächlich unter deutscher Führung, muß die wirtschaftliche Vorherrschaft Deutschlands über Mitteleuropa stabilisieren." Das schrieb Reichskanzler Theobald von Bethmann-Hollweg am 9. September 1914 über die Ziele des Ersten Weltkriegs. 

Die "Hamburger Stiftung für Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts" hat 1987 in der Zeitschrift "1999" die Zusammenhänge zwischen den Mitteleuropa-Strategen des deutschen Kapitals, der Konservativen Revolution und Finanzpolitikern wie Hjalmar Schacht offengelegt, die der NSDAP die Macht übertrugen und dann in den 50er Jahren - als man in der Not die blutigen Fraktionskämpfe der frühen 30er Jahre beiseite schob - mit den Nationalrevolutionären der Strasser- und Niekisch-Linien gegen die Westintegration der Bundesrepublik Deutschland agitierten. Auf sie stützten sich dann in den 80ern Brandt, Ammon, Schweisfurth und Fichter. Die Beziehungen der 20er Jahre-High-Tech-Konzerne zu Oswald Spengler ("Der Untergang des Abendlandes") und Eduard Stadtler ("Kriegssozialismus", "Deutscher Sozialismus"), zu den "Solidariern" der Ludendorff-, Reventlow- und Strasser-Linie wurden in "1999" als Versuche deutlich gemacht, nach dem Verlust des Ersten Weltkrieges doch noch zu einem deutsch beherrschten "Mitteleuropa" zu kommen, das schon Lensch und Ebert, auf Friedrich Naumann gestützt, innerhalb der SPD verfochten hatten. Das demagogische Konzept des "Deutschen Sozialismus" der Nationalrevolutionäre war "immer zugleich verbunden mit 'Mitteleuropa-Plänen' und weitergehenden Expansionsstrategien", urteilte in "1999" Manfred Asendorf.  (61) 

In der SPD fasziniert die Mitteleuropa-Strategie des deutschen Kapitals in den 80ern erneut, wie in den Anfangsjahren des Ersten Weltkriegs. Mit einer zweiteiligen Folge zur "Mitte Europas" wartete NG/FH im Sommer 1986 auf. Hier war noch das Aufbrechen der Blöcke Nato und Warschauer Pakt zugunsten des dritten Block, eines deutsch beherrschten Europa, Etappenziel. Glotz eröffnete die Serie mit dem Abdruck eines Teils von Naumanns "Mitteleuropa"-Buch von 1915. Als "Linksliberalen" und "Wegbereiter des sozialen Liberalismus" stellte er Naumann vor. Dessen Textpassagen zum "Alten Reich" veröffentlichte Glotz unkommentiert: das Reich der Staufer und Habsburger mit den Ländereien, die Glotz ab 1990 "Zwischeneuropa" nennt - "Polen, Litauen, Böhmen, Mähren, Ungarn" und "südslawische Gebiete unter türkischer Herrschaft", also das spätere Jugoslawien. Sie beanspruchte der tote Naumann nach siebzig Jahren noch einmal in NG/FH als Einflußsphären des Deutschtums. Offenbar sieht Glotz in Naumann ein positives Vorbild für die Sozialdemokratie, denn vom "Alten Reich" als Idee eines "multikulturellen Europa" schwärmte er in den nächsten Jahren selbst immer wieder. Die "nationale Revolution" sei eine französische Idee, so Glotz in demselben Heft; sie sei Europa von Napoleon aufgezwungen worden und habe "das föderative, über-nationale, deutsch-slawische Mitteleuropa zerstört". Und dann zählte er Naumanns Ländereien noch einmal auf und fand - im Einklang mit Schweisfurth und den Nationalrevolutionären -, daß Europa heute nur noch "Glacis" sei, "das zerrissene Aufmarschfeld zweier Globalmächte". Bis in die Wortwahl vertritt Glotz nationalrevolutionäre Positionen. Der Begriff des "Glacis", des kolonial beherrschten Vorfeldes, wurde von den Konservativen Revolutionären der 20er Jahre benutzt und in den 80ern von der "Neuen Rechten" wiederbelebt, um ihrem Befreiungsnationalismus einen seriösen Anstrich zu geben. Arthur Moeller van den Bruck vertrat die "mitteleuropäische Reichsidee", und die Vertreter der schlesischen und sächsischen Industrie profitierten direkt davon, die "mitteleuropäischen" Vorfeldstaaten sozial abzuwerten. Das ist heute nicht anders, wenn sächsische Unternehmen ihre Produktion in die Tschechische Republik auslagern, weil dort die Standortbedingungen besser - das heißt: unsozialer - sind. "Ich komme nicht los von Böhmen; das war die Mitte Europas", jammerte Glotz 1986. Ein Foto von Prag sollte die Mitte sinnlich wahrnehmbar machen. Glotz wollte zwar später lieber Bonn statt Berlin als deutsche Hauptstadt, aber vor allem, um die periphären Metropolen, München und Prag zuerst, ethnopluralistisch aufzuwerten. Und an Brüssel als Verwaltungshauptstadt Europas ist realistisch ohnehin nicht zu rütteln. 

Ein Vergleich mit den "neurechten" Positionen drängt sich auf: 1987 beschwor Bernard Willms in "Criticon" das "Alte Reich" und meinte: "Kaiserstädte wie Aachen, Prag, Wien oder Berlin, namentlich die drei letzteren, könnten wieder ihrer Geschichte, ihrer Bedeutung und ihrem hauptstädtischen Potential angemessene Funktionen übernehmen. Prag wäre als eigentliche Metropole denkbar." Nach Willms muß, "wer Mitteleuropa sagt, in der Tat Deutschland meinen." Er forderte, "daß wir Deutschen Europa eine europäische Antwort auf die Frage geben, die wir selbst in unserer Geschichte und unserem Schicksal darstellen. ... So muß also mit Nationen als faktisch getrennten Besonderheiten ebenso gerechnet werden, wie eine Tradition vom Reich als der die Nationen übergreifenden politischen Form, die Europa bereits entwickelt hat, als gemeinsamer Bestand aktiviert werden kann." 

Im europäischen Rahmen, analog zum Reich der Staufer und Habsburger, - so dachte man vor 1989 von den Nationalrevolutionären in der SPD bis zum Bund der Vertriebenen, so denkt man noch heute - bedarf es nicht unbedingt der staatlichen Vereinigungen, nicht einmal Deutschlands. Willms brachte 1988 zusammen mit Paul Kleinewefers das Buch "Erneuerung aus der Mitte. Prag - Wien - Berlin" heraus. Danach sollten die beiden deutschen Staaten, die Tschechoslowakei und Österreich eine "zentraleuropäische Konföderation" nach Alt-Habsburger Vorbild eingehen, die "Germanen und Slawen" zusammenführen solle. "Die Idee vom Reich", schrieben Willms und Kleinewefers, "vermittelt der auf unseren mitteleuropäischen Raum bezogenen Politik die Idee der Einheit und die Verwirklichung der friedlichen Gemeinsamkeit von Völkern, Stämmen, Nationen und Sprachen in einer lebendigen Vielfalt." 

Es ergibt sich kaum eine Differenz zu dem Konzept "Zwischeneuropa", das Glotz 1990 reaktivierte und in dem er das Ziel sozialdemokratischer Europa-Hegemonialpolitik so beschrieb: "Ein europäischer Föderalismus der Völker mit ausgebauten Minderheiten- und Volksgruppenrechten und darüber überwölbende, übernationale, überterritoriale Strukturen und Bindungen, die es Europa ermöglichen, im politischen und ökonomischen Kräftespiel der Weltpolitik weiterhin eine Rolle zu spielen." Glotz muß den Führungsanspruch der Deutschen in Europa nicht so drastisch aussprechen wie mancher fanatische Ideologe der "Neuen Rechten", er kann Rücksicht nehmen auf antiimperialistische Gefühle an der Basis der SPD und getrost auf die realen Kräfteverhältnisse im Großwirtschaftsraum vertrauen, die die deutsche Hegemonie hinterrücks ohnehin durchsetzen. 

Wieder zum Vergleich: 1991 gab es eine "Criticon"-Schwerpunktausgabe zu Mitteleuropa. "Auch im mitteleuropäischen Raum hat es große Reiche gegeben, die aber im Charakter nie wirklich imperial und zentralistisch sein konnten, und in deren früher Entwicklung eine Vereinheitlichung der Bevölkerung auf sprachlichem und staatsrechtlichem Gebiet nicht angestrebt wurde", schrieb hier Kurt Heißig von der rechtsextremen "Deutschen Gildenschaft", ein Ordensbruder des "Gildenschaftlers" Karlheinz Weißmann. "Deutschland hätte die Aufgabe, den Respekt vor den Einzelkulturen seiner Völker, Stämme und Regionen in die gemeinsame politische Kultur Europas einzubringen und die westeuropäischen Nationen mit der Verschiedenheit des mittel- und südosteuropäischen Nationsbegriffs zu versöhnen." Der Religionsphilosoph Thomas Molnar, inzwischen aus dem Exil nach Budapest zurückgekehrt, meinte: "Unterstreichen wir, daß dieses neue, im Grund alte Mitteleuropa nicht auf beliebige Weise, sondern nur mit Deutschland als Kern entstehen wird." Dieser Vision hielt er das Schreckensbild entgegen: "Die Deutschen wollen gar nicht die Einheit, ... sie sind Softies, Hedonisten, unklar und amerikanisiert." 

Glotz in diese Reihe zu stellen, ist keineswegs Polemik, denn dies sind ursprünglich rechtssozialdemokratische Ideen. Derselbe Kleinewefers, der 1988 mit Willms an die Reichsidee erinnerte, nahm 1932 - im Jahr seines NSDAP-Eintritts - als Industrieller einer niederrheinischen Maschinenfabrik an dem berühmten Treffen des Ruhr-Kapitals mit Adolf Hitler im Düsseldorfer "Industrieclub" teil, war Mitglied in Karl Haushofers "Arbeitsgemeinschaft für Geopolitik", wurde SS-Fördermitglied und führte schließlich einen ausgezeichneten "NS-Musterbetrieb", wie das damals hieß. Vor seinem Engagement für den Nationalsozialismus gehörte er der konservativ-revolutionären Fraktion des Faschismus an; als Mitglied des "Tat-Kreises" vertrat er die Positionen von Hans Zehrer, Giselher Wirsing und Ferdinand Fried, auf die sich heute Glotz bezieht. 1977 nannte Kleinewefers in seinem Buch "Jahrgang 1905" neben Zehrer, Wirsing und Fried auch die Konservativen Revolutionäre Arthur Moeller van den Bruck, Hans Grimm und Oswald Spengler als seine Bezugspunkte. 

Die Reichsidee von 1988 hatte er womöglich aus den "Sozialistischen Monatsheften" abgeschaut, in denen 1932 Walther Pahl einen Artikel zum Reich als dem kommenden Konzept der europäischen Vereinigung schrieb: "Europa als Reichsidee". Die Zeitschrift existierte bis zum Frühjahr 1933 und verfocht noch immer dieselben Positionen zugunsten eines deutsch-französisch geführten europäischen Großwirtschaftsraumes, den Josef Bloch in der Weltmarktkonkurrenz gegen das britische Empire, gegen die Wirtschaftsmächte Nordamerikas, Ostasiens und Rußlands um die Jahrhundertwende konzipiert hatte. "Wahrhafter, verantwortungsvoller Dienst an der Nation", schrieb Pahl, "verlangt ihre Einordnung in eine Ganzheit höherer Ordnung." Das sozialdemokratische Theorieorgan präsentierte mit diesem Artikel 1932 reinsten Ethnopluralismus: "Die Reichsidee ist zutiefst eine antinationale Idee, ja eine internationale Idee, wenn man, wie wir es hier tun, der internationalen Zusammenarbeit die Aufgabe stellt, den Nationalismus zu entzaubern, um die Nation wirklich zu sichern. Das Reich will die Glieder zu einem Ganzen fügen, ohne sie zu vergewaltigen. Es will die eigenwilligen Nationalismen, die neben einander hergehen, zur Einheit bringen. Seine Einheit ist aber ein Ganzes, das mehr ist, als die Summe seiner Teile. ... Das Reich im alten Sinn will die Teile, die es zum Ganzen fügt, nicht beherrschen sondern eingliedern", so die naive Ideologie, die die Konzerne in ganz anderer Weise praktisch machten wollten. Wie heute Teile des Bundes der Vertriebenen ihre Ansprüche auf Schlesien in einer europäischen Lösung suchen statt in einer staatlichen Angliederung der ehemals deutschen Gebiete an die Bundesrepublik, so sah Pahl schon 1932 eine Möglichkeit, Österreich, die von Deutschen bewohnten Teile Polens und Südtirol heim ins Reich zu holen, indem die "Erfüllung der Reichsidee" in der Vereinigung Europas gesucht werde. Vorbild war ihm das "mittelalterliche Heilige Römische Reich Deutscher Nation", das bereits England ausgeschlossen habe. Gemeinsam mit Frankreich solle ein Kontinentalreich als "relativ autonomer Großwirtschaftskomplex" gegen das Weltreich des britischen Empire und die erstarkende Macht der USA gebildet werden. 

Die Orientierung am "Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation", das die französische Bougeoisie mit Hilfe der napoleonischen Feldzüge untergingen ließ, als dem Vorbild eines "keltogermanischen" (Eichberg) oder "slawokeltogermanischen" (Chamberlain), multikulturellen Europa der Vaterländer bestimmt seit langem die Politik der alten und der "Neuen Rechten". Sein Regionalismus und die zentrale Zusammenfassung gemeinsamer Interessen wird als Alternative zum "Völkergefängnis" der nachnapoleonischen Habsburger K.u.K-Monarchie gepriesen. "Das Reich ist tot - Es lebe Europa" hieß eine der frühen Varianten Sigrid Hunkes aus den 60er Jahren, die ihr letztes großes Buch 1989 "Vom Untergang des Abendlandes zum Aufgang Europas" betitelte. Ihr Bezugspunkt: der Staufer Kaiser Friedrich II., Weltherrscher vom Baltikum bis nach Ägypten, dem 1994 eine Briefmarke gewidmet wurde. Alain de Benoist propagiert die Reichsidee, "weil ein Reich sich darauf beschränke, die zu ihm gehörenden Nationen zu föderieren, ihnen aber die Autonomie belasse, während eine Nation dazu neige, die nationale Einheit durch Zentralisation und Einebnung ethnischer wie kultureller Unterschiede zu sichern", wie Martina Koelschtzky schon 1986 in ihrem Buch über die "Neue Rechte" befand. Daß die verschiedenen ethnopluralistischen Konzepte eines Groß-Europa unter deutscher Führung immer wieder aufs "Reich" hinauslaufen, das übergreifend die gemeinsamen Interessen der "Vaterländer" organisieren soll, zeigte auch schon Margret Feit im Hinblick auf die europäische "Neue Rechte" seit den 60er Jahren. 

Der frühere Berliner SPD-Bundestagsabgeordnete Gerhard Heimann, stellvertretender Obmann seiner Fraktion im Bundestagsausschuß für innerdeutsche Beziehungen, drückte dieses Konzept mit ganz anderen Worten 1985 in NG/FH so aus: "Die 'deutsche Frage' ist selbstverständlich offen; denn sie ist älter als die Nachkriegszeit und die nach 1945 in Europa geschaffene Lage. Sie ist so alt wie die deutsche Geschichte selbst. Sie ist die Frage nach der politischen Organisation der europäischen Mitte. ... Was unzählige Generationen immer wieder beklagt haben, die kleinräumige Vielstaatlichkeit Deutschlands nach dem Dreißigjährigen Krieg, hat einen tief verwurzelten und immer noch lebendigen Föderalismus hervorgebracht. In den deutschen Städten und Gemeinden lebt eine Selbstverwaltungstradition fort, die bis in das Mittelalter zurückreicht und niemals ernstlich durch eine staatliche Zentralgewalt in ihrer Substanz bedroht war. ... Wenn nicht alles trügt, wird sich das Prinzip Dezentralisation als geschmeidiger, anpassungsfähiger, unmittelbarer, dichter, kreativer und effizienter, kurz als überlegen erweisen gegenüber den monolithischen und eindimensionalen Strukturen von Zentralgewalt. Mit dem Prinzip Dezentralisation haben die Deutschen eine längere und innigere Erfahrung als die meisten anderen Völker Europas. Sie haben allen Grund, mit diesem Pfunde zu wuchern." Das könnte in jeder "neurechten" Zeitschrift stehen, und es erinnert an die Demagogie der Lensch-Cunow-Heanisch-Gruppe, die Deutschland mit Sozialismus gleichsetzte. 

Bei Heimann steigerte sich die vermeintliche Sendung des mehrstaatlichen Deutschland zur Hybris. 1987 schrieb er im "Sozialdemokratischen Pressedienst", das Fortbestehen der deutschen Teilung sei deshalb die große Chance für Europa, "weil es (das deutsche Volk, P. K.) gezwungen war, das ohnehin überholte Prinzip des Nationalstaates durch Formen zu ersetzen, die zu einem Modell systemübergreifender, gesamteuropäischer Zusammenarbeit werden können." So sei schlechthin "das deutsche Volk das europäische Volk Europas". Die verschiedenen Arten, am deutschen Wesen zu genesen, scheinen unerschöpflich zu sein. Glotz nahm Heimanns These 1991 in NG/FH noch einmal auf: "Ist der Gedanke, daß die Erfahrung der jahrzehntelangen Teilung uns einen Erkenntnisvorsprung (statt einer - Behinderung) gebracht haben könnte, wirklich so abwegig?" "Uns", nicht etwa den Franzosen, Briten, Griechen, Europäern. Die verschiedenen Arten, Deutschlands Überlegenheit auszudrücken, seinen Führungsanspruch zu erheben, sind ebenso wenig erschöpft.  (62) 

Im Januar 1990 leitete Glotz mit seinem Artikel "Gesamteuropa - Skizze für einen schwierigen Weg" eine neue Phase ein. Er bekannte sich nun offen zur Konservativen Revolution der frühen 30er Jahre und zu ihrer Geopolitik von Karl Haushofer und Giselher Wirsing, die mit Schreibzeug und Gewehr die europäische Neuordnung im Zweiten Weltkrieg betrieben. Wenn die Ostpolitik der SPD einmal auf Interessensausgleich und Koexistenz in Europa ausgerichtet war, so kehrte Glotz nun zum Hegemonialanspruch zurück. Er tat es als einer der ersten seiner Partei, die sich erst im Laufe der nächsten Jahre mehrheitlich zur Politik der Lensch, Ebert, Wels zurückwandte. Der Artikel wurde in der Zeitschrift "Europa Archiv" der rechtslastigen "Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik e. V." - stellvertretender Präsident: Ex-SPD-Bundeskanzler Helmut Schmidt - eher versteckt als veröffentlicht. Das "Gesamteuropa"-Konzept von Glotz lehnte sich an die Idee von "Zwischeneuropa" an, die der Konservative Revolutionär Wirsing 1932 in dem Buch "Zwischeneuropa und die deutsche Zukunft" veröffentlichte. Glotz bezog sich hier - und auch in seinem Buch "Der Irrweg des Nationalstaats" aus demselben Jahr - explizit und positiv auf die alte Wirsing-Schrift. 

"Zwischeneuropa" ist der "Großwirtschaftsraum" vom Rhein bis zum Bug, von Lettland bis Jugoslawien. Kaum ist das verhaßte "Jalta-System" der Sieger von 1945 gefallen, stellen sich für die Verlierer die alten Fragen. "Wie läßt sich verhindern, daß jetzt ein raum- und systemloses Durch- und Nebeneinander von soundsoviel angeblich gleich souveränen Staaten, ein strukturloses Chaos entsteht?", so Glotz. "Völkerchaos" war der Begriff für diese Region, den Chamberlain zur Kaiserzeit prägte. Glotz: "Wie kann vermieden werden, daß erneut jenes 'Zwischen-Europa' der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen entsteht, das wöchentlich für eine neue Explosion, einen neuen Aufstand, eine neue Strafexpedition, eine neue Verletzung von Menschenrechten gut war?" Die mitschwingende Sorge, die man hier noch als linke politische Orientierung auf die Rechte der Individuen, als kritische Aufnahme des ideologischen Begriffs "Zwischeneuropa" mißverstehen könnte, verliert sich über die Jahre. 1994 benutzte Glotz mal in NG/FH, mal in der "Zeit", das historisch belastete Wort "Zwischeneuropa" als selbstverständlichen Namen für eine europäische Region, in der sein Schöpfer Wirsing die deutsche Führungsrolle durchzusetzen half. Die Wortwahl muß als Signal verstanden werden. 

Wirsing gehörte zum "Tat-Kreis" um Hans Zehrer, der den Strasser-Reventlow-Flügel der NSDAP und die "Querfront"-Kanzlerschaft Kurt von Schleichers 1932/33 unterstützte. Er schrieb nach 1945 für die "Welt am Sonntag", in der noch später Rainer Zitelmann diese politische Linie fortsetzte. 1931 schon war die "Zwischeneuropa"-Idee, die mit Schleichers "Mitteleuropa"-Konzept weitgehend identisch war, von Ferdinand Friedrich Zimmermann, der sich Ferdinand Fried nannte, in seinem Buch "Das Ende des Kapitalismus" vertreten worden. Otto Strasser war von Frieds Buch begeistert, Fried war ab 1941 Professor an der "Deutschen Karls-Universität Prag" - so erobert man sich einen Arbeitsplatz! Wirsing wurde SS-Strumbannführer und verfaßte 1942 die Denkschrift "Die Zukunft der deutschen Herrschaft in Rußland". 

"Das deutsche Raumschicksal, Europas Mitte und Herz zu sein, ist der Angelpunkt der politischen Existenz unseres Volkes", schrieb Wirsing und beklagte "das Schicksal Deutschlands, eine Kolonie des Westens zu werden". Er verteilte 1932 die Rollen, die ab 1938 (Zerschlagung der Tschechoslowakei) durchgesetzt wurden: "deutsche Veredelungswirtschaft" gegen "Einfuhr von zwischeneuropäischen agrarischen Rohstoffen"; den Rhein-Main-Donau-Kanal - den erst Bundeskanzler Heltmut Schmidt bauen ließ - sah er bereits als verbindende Handelsstraße. Wenn Glotz heute die Öffnung der Europäischen Union für osteuropäische Waren fordert, muß man Wirsing mitdenken, weil er sich auf Wirsing bezieht. Hightech wird von dort wohl nicht eingeführt, agrarisch soll der Osten bleiben, Konkurrenz können Siemens oder Bayer nicht gebrauchen. So sieht Ethnopluralismus praktisch aus. Wirsing machte sich bereits Gedanken, wie die nationalen Ansprüche der Kleinen - "die Frage der Minderheiten" und ihrer "Kulturautonomie" - in "Zwischeneuropa" ethnopluralistisch gelöst werden könne. Das hatte schon Haushofer so gesehen, der dem "Deutschtum im Ausland" verpflichtet war und "Geopolitik" und "Ethnopolitik" - die heute "Minderheitenpolitik" heißt - als zwei Seiten derselben Medaille angesehen hatte. 

Kurt Sontheimer hat in seinem Buch "Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik" die Positionen Wirsings so beschrieben: "Die 'großräumliche Völkerordnung' fand einen einflußreichen Anwalt im Tatkreis, der die Idee einer mitteleuropäischen Führungsstellung des Reiches immer wieder betonte und zu einem der Hauptpunkte seines Programms erhob. Der junge Giselher Wirsing sprach zwar weniger vom Reich als von Zwischeneuropa oder Mitteleuropa, aber was er vortrug, war nichts anderes als eine Variation der Reichsidee in praktischer Anwendung auf eine gegebene politische und geographische Situation. ... Er fand fast durchgehend, daß die politische und ökonomische Lage dieser Staaten sowie das beunruhigende Problem der völkischen Minderheiten eine Art mitteleuropäischer Integration nahelegten, wobei Deutschland selbstverständlich die führende Macht sein sollte." Doch solche Einschätzungen stören Glotz nicht weiter. 

Für ihn ist 1990 klar, "daß das ethnisch durchmischte Ost- und Ostmitteleuropa mit dem Westeuropa der großen, spätestens im neunzehnten Jahrhundert durchgesetzten Staatsnationen überhaupt nicht zu vergleichen ist". Die Realität völkisch angeheizter Sozialkonflikte auch in Westeuropa nimmt er nicht zur Kenntnis, denn es geht ihm darum, "Zwischeneuropa" einmal mehr als unfähig hinzustellen, sich selbst zu regieren: Das wäre der große Interventionsgrund, bevor die nationalistischen Kriege den Westen zwingen, sich aufgrund kleiner Interventionsgründe zu verschleißen. Es war die Sowjetunion, die "Zwischeneuropa" wirtschaftlich einigte. Jetzt könnte das deutsch geführte Europa, das weder 1914 noch 1939/41 den "Großwirtschaftsraum" herzustellen vermochte, sie beerben. Glotz fürchtet nach dem Zusammenbruch der realsozialistischen Hegemonie die Wiederkunft der alten Nationalismen mit Kleinkonkurrenz und Protektion, die den potentiellen "Großwirtschaftsraum" der ersten Jahrhunderthälfte zersetzen werden: "Sicherlich könnten diese alten Impulse in einem neuen europäischen 'Zusammenhang' - in geopolitischen Zeiten hätte man gesagt: einer Raumstruktur, heute bevorzugt man den Begriff 'Friedensordnung' - aufgefangen werden - aber dieser 'Zusammenhang' muß erst einmal zustande gebracht werden." Das erledigte Klaus Kinkel im Ansatz, indem er als Justizminister die osteuropäischen Staaten veranlaßte, das deutsche Handelsrecht einzuführen. Ein weiteres Stück der geopolitischen Raumstruktur war 1994 die faktische Übernahme des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuches durch Rußland, das durch eine "Deutsche Stiftung für Internationale Rechtliche Zusammenarbeit" in Moskau betrieben wurde. "Im Wettbewerb mit den USA um Einflußnahme auf Rußlands neue Rechtsgrundlagen hat Europa damit einen wichtigen Teilsieg errungen", schrieb die "Süddeutsche Zeitung" im Dezember 1994. 

Geopolitik erledigt auch das "Schengener Abkommen", denn Glotz fürchtet die Migrationswellen, die der Fall des Eisernen Vorhangs und die westeuropäische Integration auslösen: "Das verstärkt die ethnische Vermischung, und diese wiederum verstärkt die Fremdenangst, den Fremdenhaß und damit rechtspopulistische Bewegungen und Parteien", die zudem noch am "verstandeskalten kosmopolitischen Modernismus der Europäischen Gemeinschaft" erstarkten. Immer wieder hatte Glotz in den 80er Jahren Einwanderungsbeschränkungen für Deutschland gefordert, immer wieder auf die Einwanderung osteuropäischer Juden nach Wien und Berlin zu Beginn des Jahrhunderts als der angeblichen Ursache des Faschismus verwiesen, so auch in seinem Buch "Die deutsche Rechte" von 1989. Damit der neue Nationalismus nicht den "Großwirtschaftsraum" zersetzt, so versteht man ihn nicht falsch, darf es keine Migrationswellen geben, müssen alle an ihren völkischen Plätzen bleiben. Das Fremde soll fremd bleiben "dürfen", wie es schon Thomas Schmid in NG/FH ausdrückte, denn das ethnopluralistische "Europa der Vaterländer" ist eben kein Schmelztiegel. "Das Bedürfnis nach Identität", "das Bedürfnis nach eigener Geschichte", so Glotz, müsse föderal, regional, ethnopluralistisch befriedigt werden. Henning Eichbergs "Abkopplung" von der "Wodka-Cola-Kultur" der Supermächte nannte Glotz in "Die deutsche Rechte" "links" und "grün", wenngleich sie ihm auch noch zu nationalistisch war, vor allem aber wohl zu romantizistisch gegen Hochtechnologie gerichtet. 

Die Rollenverteilung in "Zwischeneuropa" ist damit festgelegt. Wirsing hatte sie 1932 theoretisch, als SS-Mann in der besetzten Sowjetunion auch praktisch, nicht anders vorgenommen. Hier hohe Profite (und hohe Löhne) durch Hightech, dort agrarische und Billiglohn-Regionen - Wanderung ausgeschlossen. Hunkes und Chamberlains "antiimperialistisches" Europa-Modell unter deutscher Vorherrschaft stellt für Glotz die jahrhundertelang erprobte Lösung dar. Selbstverständlich nennt er ihre Namen nicht, das ist auch nicht nötig. Außerdem muß die alte Geopolitik modernisiert werden, angepaßt an die Probleme zur Jahrtausendwende. Ihr Ziel aber bleibt dasselbe. 

"Prag, Budapest und Warschau sind europäische Städte. Das ist nicht nur eine - banale - geographische Feststellung, sondern die Formulierung eines Kulturanspruchs." - "Eine politisch-geschichtliche Wirklichkeit wie 'Europa' kann nicht willkürlich definiert werden, indem man von Gebieten, Völkern und Räumen, die geschichtlich zu Europa gehören, absieht." Der erste Satz stammt von Glotz aus seinem Zwischeneuropa-Artikel, der zweite von Bernard Willms aus seinem "Mitteleuropa"-Artikel in "Criticon". Beide formulieren deutsche Hegemonieansprüche, sonst nichts. Ziel sei es, "Ostmitteleuropa zu inkorporieren", schrieb Glotz im Geiste Wirsings, wobei den im Januar 1990 noch existierenden beiden deutschen Staaten "entscheidende Bedeutung" zukomme. Er meinte das alles befreiungsnationalistisch gegen die Weltmarkt-Konkurrenten: "Die Vermischung des alten mit einem der neuen Kontinente ist geistig, geographisch und politisch Unsinn."  (63) 

1994 ergänzte Glotz das Konzept "Zwischeneuropa", die Neokolonialisierung Ostmitteleuropas, um eine Konkretisierung des hegemonialen Machtzentrums. Er griff die alte Idee der Völkischen, der Konservativen Revolution, des Faschismus, der "Neuen Rechten" nach einem "keltogermanischen" - wie es dort ideologisiert heißt -, deutsch-französischen Zusammengehen auf und sprach bereits im Januar von "Kerneuropa", Monate vor der Veröffentlichung des sogenannten Schäuble-Papiers, in dem die CDU/CSU-Hardliner zum Entsetzen der internationalen Öffentlichkeit und ausgerechnet am Antikriegstag, dem 1. September 1994, offen die deutsche Vorherrschaft über die Europäische Union forderten, scheinbar entschärft durch eine Beteiligung Frankreichs. Der deutsch-französische Block ist auch im Neofaschismus keine Erfindung Alain de Benoists, der ihn seit Jahren propagiert, und im antidemokratischen Konservatismus ist er kein Reservat des Gaullismus. Der Sozialdemokrat Joseph Bloch verfocht ihn schon zu Beginn des Jahrhunderts. Man ist gegen Egalitarismus und "Französische Revolution", aber nicht antifranzösisch schlechthin. Ähnliche Positionen vertreten die Neogaullisten und der ehemalige französische Premierminister Edouard Balladur, in dessen Kabinett Vertreter der "Nouvelle Droite" saßen und der ebenfalls schon vor Schäuble über das Konzept eines Kerneuropa aus Deutschland und Frankreich sowie den kleinen Zwischenstaaten offen sprach. Deutschlands Hegemonie wird entschärft und leichter möglich gemacht, indem andere beteiligt werden. Die großen Hochtechnologie-Projekte in der EU sind ohnehin fast reine deutsch-französisch-niederländische Koproduktionen. 

Im Januar 1994 schrieb Glotz in "Focus": "Der Wunsch, einen ganzen Archipel unterschiedlichster Groß- und Kleinstaaten mit Demokratie und Wohlstand à l'allemagne zu beglücken, ist ethisch grandios (!), aber politisch ohne Chance. Kern-Europa muß sich zusammenfinden, zur Not auch ohne Zögerlinge wie die Engländer, die ihr Land zu einem Flugzeugträger der Japaner gemacht haben, von dem aus die europäische Industrie beschossen wird." Klarer kann man kaum noch ausdrücken, um was es geht. Reizt diese Sprache nicht zum Krieg gegen England, wie in den 10er und 40er Jahren? Im September 1994 stimmten die Bundesbank, das "Handelsblatt", Glotz und Lafontaine dem Ziel des Schäuble-Papiers zu, die faktische Große Koalition bildete sich nun auch offen in der Hegemonialpolitik. "Unangenehme Wahrheiten" nannte das "Handelsblatt" den Grund für die Einigkeit. "Kerneuropa" sei aus ökonomischen Gründen nötig, befand Lafontaine im Programm eines privaten Fernsehsenders zum Schäuble-Papier, "man kann Volkswirtschaften unterschiedlicher, stark voneinander abweichender Leistungsfähigkeit nicht unter dem Dach einer Währungsunion zusammenfassen. Von daher gesehen ist das Europa der zwei Geschwindigkeiten begründet." Dem stimmten die SPD-Führungsgremien ausdrücklich zu. Der Konflikt entstand lediglich darum, "ob Deutschland definieren sollte, wer zum Kern gehören soll", wie die Europapolitikerin Heidemarie Wieczorek-Zeul sagte. Auch Lafontaine war besorgt, "daß nicht bei den Nachbarstaaten wieder soviel Unruhe entsteht". Damit war "Kerneuropa" durch, Mitterrand und Balladur sollten doch bitte die Mitgliedernamen aussprechen. 

Thomas Schmid hatte schon 1989 in NG/FH den europäischen Ethnopluralismus als Weg der "Ungleichzeitigkeiten" angepriesen und gegen den Egalitarismus seit der Französischen Revolution verteidigt. Die "multikulturelle Gesellschaft" sei "nur möglich, wenn verschiedene Werte und vor allem verschiedene Zeiten in ihr anerkannt sind und koexistieren. In der 'multikulturellen Gesellschaft' hat das Ungleichzeitige Platz, sie ist also kein im landläufigen Sinne modernes Projekt. Ungleichzeitiges nicht als rückständig, reaktionär, defizient und zur Nivellierung freigegeben anzusehen - das ist für die nun beinahe 200 Jahre alte Linke eine ganz neue und frische Erfahrung." Sie wäre allerdings schon bei den Autoren der 100 Jahre jüngeren völkischen Bewegung nachzulesen gewesen. Die Ungleichzeitigkeiten schlagen sich nun im Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten nieder. Die "Neue Rechte" formuliert die sozialdemokratische Politik, Daimler-Benz, Siemens, Bayer usw. bestimmen sie. Thomas Schmid benannte den Feind: "Mühelos ließen sich Dutzende von Marxzitaten anführen, in denen mit des Meisters unnachahmlichem Ingrimm gegen alle Nischen, gegen alles Überkommene und dem neuen Geist der Industrie sich Entziehende zu Felde gezogen und dessen Ausrottung empfohlen wird, mit Stumpf und Stiel." Wie günstig erscheint dagegen Schmids Lob des "Hinterwäldlertums", der "provinziellen Lebensstile" den Konzernen des Kerneuropa. Verschiedene Geschwindigkeiten im bayrischen Wald und in München, in Sizilien und Mailand, in Portugal und Deutschland werden zu kulturellen Nischen umgedeutet, obwohl sie jeweilige Nischen der Armut oder des Reichstums, der fehlenden oder überquellenden Lebenschancen sind. Die innereuropäische Wohlstandsumverteilung findet eine ideologische Rechtfertigung, nachdem die egalitaristischen Marxzitate zugunsten der ethnopluralistischen "Ungleichzeitigkeit" ausgedient haben. 

"Kerneuropa" entspringt dem Wohlstandsseparatismus, der von Manchester nach Norden und von Bologna und Barcelona nach Süden alles abspalten will, was Geld kostet, ohne die Märkte zu verlieren. Die Londoner "Times" protestierte Anfang September 1994 gegen das Schäuble-Balladur-Europa als eines der "konzentrischen Kreise", in denen Großbritannien die "slow lane" befahren solle. Rudolf Scharping legte kurz darauf "Vier Thesen zu einer neuen Ostpolitik" vor, in denen es hieß: "Wir sollten uns auf ein Europa unterschiedlicher Dichte einstellen: Zum Kern der heutigen Gemeinschaft werden die EFTA-Länder treten, die das wollen. Dahinter sehe ich einen Kranz von mitteleuropäischen Staaten, denen die Perspektive auf Mitgliedschaft durch maßgeschneiderte Assoziierung eröffnet werden soll: Ungarn, Polen, die Tschechei (und die Slowakei, obwohl das für dieses neue Land schwieriger sein wird). Es ist denkbar, daß die drei baltischen Staaten in diese Kategorie fallen, sofern sie wirtschaftlich schnelle Fortschritte machen. Weißrußland, die Ukraine, Rumänien und Bulgarien sind wohl als ein weiterer Kreis von Staaten zu sehen, die besondere Assoziierungs-Abkommen erhalten sollten." Das New Yorker "Wall Street Journal" mutmaßte "something bigger going on" hinter alledem. Die eigentliche Frage laute doch: "Who will lead Europe?", und der noch versteckte zweite Teil sei: "And to where?". 

Nun zeigt sich die politische Kontinuität von "Mitteleuropa" über "Zwischeneuropa" bis "Kerneuropa". Die Konzepte waren den jeweils verschiedenen internationalen Umständen vor und nach dem Fall des Jalta-Systems angemessen, verfolgen aber dasselbe Ziel. Dem sind die deutscheuropäischen Konzerne heute näher als jemals in diesem Jahrhundert. Peter Boenisch - früher Chefredakteur der "Bild-Zeitung", dann Berater Helmut Kohls -, faßte den Zusammenhang in die griffige Formel: "Schäubles Baukasten-Methode nutzt Europa: Familie ist Familie, Dorf ist Dorf, Stadt ist Stadt, Heimat ist Heimat, Vaterland ist Vaterland, Europa ist Europa." 

Die "ethnische Durchmischung" Osteuropas wird von Glotz in ihrer politischen Bedeutung kräftig aufgewertet, um damit das "Teile und herrsche!" überhaupt erst ideologisch ummänteln zu können. Das Völkische als politische Kategorie, "Volk" als Subjekt der (Regional-) Geschichte, muß erst herbeigeredet werden, weil die Menschen andernfalls richtig und gewissermaßen naturwüchsig ihre und anderer materielle Interessen als geschichtsbewegend begreifen. Seine ständigen Hinweise auf angeblich völkische Ursachen der Konflikte in Europa haben einen klaren Zweck: Die Konflikte dürfen nicht als soziale erkannt werden, damit sich die Mehrheiten nicht erneut an sozialen Kriterien orientieren. Denn der Sozialismus muß ein für alle Mal besiegt bleiben. Ein ethnopluralistisch gezähmter, angeblich der Natur entwachsender Nationalismus als "nationale Identität" bringt den reichen Regionen entschieden mehr ein. Niemand darf auf die Idee kommen, daß die Menschen z. B. im ehemaligen Jugoslawien durch den sozialen Ausgleich zwischen verschieden reichen und armen Regionen, auch wenn er bisweilen "erzwungen" gewesen sein mag, recht gut lebten, jetzt aber sterben. Die Ursache ihres Sterbens darf nicht im konkurrenzlosen Kapitalismus gesehen werden, weil dann Wahlergebnisse wie neuerdings in Bulgarien den jungen Sieg gefährden könnten. Niemand darf auch auf die Idee kommen, daß die meisten Lebensbedürfnisse der Menschen gleich sind und ihre Befriedigung der Konkurrenz nicht bedarf. Denn die angeblich so lebenszentrale Ungleichheit gibt die Grundlage für die Formierung des eigenen Blocks in der Triadenkonkurrenz ab. 

Diese Politik braucht einen Ethnopluralismus, der von den Verbrechen der Völkischen gereinigt erscheint, um ihn gegen den Sozialismus zu setzen. Glotz bekämpft die Begriffe "Faschismus" und "Konservative Revolution", weil sie den Zusammenhang zwischen seinen und den alten Konzepten, zwischen der heutigen Politik und den früheren Verbrechen kenntlich machen, weil sie für die Kontinuität der deutschen Kapitalinteressen in Europa und der Welt stehen. "Die neue deutsche Rechte ist vielfältig", schrieb er im Juni 1994 in der "Wochenpost", "einfältig ist, wer alle Tendenzen in einen Topf wirft und anklägerisch mit dem Begriff des 'Faschismus' operiert." Vorher meinte er: "In der alten Bundesrepublik drängelte sich alles auf dem Äquator, jetzt sagt der Jungrechte Karlheinz Weißmann: 'Wer souverän zur Kenntnis nimmt, daß von Pluralismus nur die Rede sein kann, wenn es eine 'Linke', eine 'Mitte' und eine 'Rechte' gibt, hat nicht nur sich selbst, sondern auch unserem Land einen Dienst erwiesen.' Recht hat er." So schafft Glotz die Einheit nach innen. 

Selbstverständlich verschwieg er bei seinem Bezug auf Wirsing, daß dieser auch SS-Offizier in der besetzten Sowjetunion war. Selbstverständlich beteuerte er hinterher, nichts gewußt zu haben, als er 1990 in der nationalrevolutionären Zeitschrift "Europa" des rechtsextremistischen, NPD-nahen "Nationaleuropäischen Jugendwerkes" publizierte: "Die neue Lage und die deutsche Rechte", abgedruckt "mit freundlicher Genehmigung" des Autors Peter Glotz. In dem Blatt schreiben die Köpfe der europäischen "Neuen Rechten". Der "Schriftleiter" Harald Thomas wirbt: "Der Kulturkrieg findet bereits überall statt. Bewußtsein und Willen sind die beiden Hauptkräfte, die Europa braucht, um sich aus seinem selbstmörderischen Wahn der Gleichheit und Konsumsucht zu lösen. Unser Humanismus gründet auf der Freiheit der Vaterländer mit ihrer volklichen Identität, dem Recht auf Verschiedenheit und der nationalen Selbstbestimmung." So etwas ist Glotz peinlich, aber er fragt sich nicht, warum die rechtsextreme Zeitschrift "Europa" seinen Beitrag ihrer Szene präsentierte. 

Statt dessen fordert er "Unterscheidungsvermögen" ein und verurteilt den "gängigen Antifaschismus", weil der die Saubermann-Maske eines vermeintlich gereinigten Ethnopluralismus, der sich des wohlfeilen Etiketts "multikulturell" bedient, empirisch lüftet. "Es ist absurd", meinte er 1989 in "Die deutsche Rechte", "die eigene (!) Sprache auf ein solch primitives Niveau herabzuwürdigen, daß man für ganz verschiedene Gegner nur noch einen Begriff hat."  (64)  

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Anmerkungen: 
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(51) Waldmann, G.: Sechs Thesen zum modernen Nationalismus, in "Nation Europa" Nr. 6/1968. 
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Ders.: Gedanken zu einer kulturellen Wiedergeburt, in: Krebs, P. (Hrsg.): Das unvergängliche Erbe. Alternativen zum Prinzip der Gleichheit, Tübingen 1982. 
Görner, R.: Nietzsche und der Wille zur Macht, in NG/FH, Nr. 10/1994. 
Feit, M.: Die "Neue Rechte" in der Bundesrepublik, Frankfurt a. M. 1987. 
Glotz, P.: Die deutsche Rechte. Eine Streitschrift, Stuttgart 1989. 
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Meurer, Chr.: Avanti, Dr. Glotz!, in "Titanic" Nr. 11/1993. 
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Ders.: Der Ehren-Amerikaner, in "Die Woche" 3. 3. 1994. 
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"Linkslibertäres Projekt": in einem Glotz-Interview mit dem Bonner Stadtmagazin "Schnüss" im Juni 1992. 
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Gespräch zwischen Glotz und Gabert in NG/FH, Nr. 11/1993. 
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Eichberg, H.: Das revolutionäre Du. Über den Dritten Weg, in NG/FH, Nr. 12/1991. 
Glotz im "Spiegel"-Interview vom 3. 10. 1977 zit. n. "Innenausstattung der Macht". 
Glotz, P.: Ein Staat ohne Identität hält nicht zusammen, in "Berliner Zeitung" 23. 1. 1993. 
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Hartung, K.: Die antifaschistische Mehrheit, in NG/FH, Nr. 10/1989. 
(57) Glotz-Editorial in NG/FH, Nr. 7/1993. 
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Frigo, Th.: Konservative Revolution, in NG/FH, Nr. 10/1993. 
Interview mit St. Breuer in NG/FH, Nr. 10/1993. 
Vgl. Breuer, St.: Anatomie der Konservativen Revolution, Darmstadt 1993; ders.: Die "Konservative Revolution" - Kritik eines Mythos, in "Politische Vierteljahresschrift", 31. Jg., 1990. 
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Interview mit M. Olender in NG/FH, Nr. 1/1993. 
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Haase, C.-P.: Die Rehabilitierung des Konservatismus, in NG/FH, Nr. 9/1994. 
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Zum Straube-Verlag vgl. Siegler, B.: Eine rechte Karriere. Der Aufstieg des Unternehmers Dietmar S., in: Hethey, R. und P. Kratz (Hrsg.): In bester Gesellschaft. Antifa-Recherche zwischen Konservativismus und Neo-Faschismus, Göttingen 1991. 
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Kowalsky-Interview in NG/FH, Nr. 2/1993. 
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(63) Glotz, P.: Gesamteuropa - Skizze für einen schwierigen Weg, in "Europa-Archiv", 45. Jg., 2. Folge, 1990. 
Ders.: Nationalismus und Opportunismus, in NG/FH, Nr. 3/1994. 
Ders.: Der größte Brocken auf dem Kontinent, in "Die Zeit" 24. 6. 1994. 
Wirsing, G.: Zwischeneuropa und die deutsche Zukunft, Jena 1932. 
Sontheimer, K.: Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik, München 1968. 
BGB in Rußland: "Süddeutsche Zeitung" 14. 12. 1994. 
(64) Glotz, P.: Europa braucht eine liberale Revolution, in "Focus" 24. 1. 1994. 
Glotz zu "Kerneuropa" auch im Editorial von NG/FH, Nr. 10/1994. 
"Handesblatt" 5. 9. 1994. 
Lafontaine im Interview bei "n-tv" 5. 9. 1994. 
"The Times" 7. 9. 1994. 
Scharpings "Vier Thesen zu einer neuen Ostpolitik", Pressemitteilung vom 8. 10. 1994. 
"The Wall Street Journal" 8. 9. 1994. 
Boenisch in "Die Welt" 28. 11. 1994. 
Glotz, P.: Die neue Lage und die deutsche Rechte, in "Europa. Berichte zur Zeitenwende" Nr. 3/1990. 
Die Redaktionsadresse von "Europa" war 1990 identisch mit dem "Buchversand Anneliese Thomas", der u. a. den Videofilm "Triumph des Willens - Reichsparteitag der NSDAP 1934 in Nürnberg" vertreibt. 1994 erschien im "Verlag Anneliese Thomas" das "Jahrbuch zur Konservativen Revolution", "Geleitwort: Armin Mohler". Ein Autor des Buches ist der Nationalrevolutionär Peter Bahn, der im Eichberg-Hausblatt "wir selbst", in der "Nordischen Zeitung" von Jürgen Riegers "Artgemeinschaft" (Mitglied hier: Pierre Krebs vom "Thule-Seminar") und in der "Jungen Freiheit" publizierte, aufregende Vergangenheiten hat (Ex-NPD, Ex-KPD der 70er-Jahre-Maoisten, Ex-"Nationalrevolutionärer Koordinationsausschuß", Ex-"Deutscher Unitarier") und in Sachen Wiedervereinigung ab 1984 Mitstreiter der "Neue Gesellschaft"-Autoren Ammon, Hesse, Schweisfurth, Venohr war. 

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