© 2010 by Peter Kratz. Jede Verwendung der Texte und der Abbildungen unterliegt dem Urheberrecht.
|
|
|
|
|
Völlig unwissenschaftlich war die Ausstellung über Hirschfelds "Institut für Sexualwissenschaft", die die Berliner Humboldt-Universität im Mai und Juni 2010 in der "Kommode" am Bebelplatz zeigte (alle Fotos aus der Ausstellung: BIFFF...). Hirschfeld selbst hatte nach ein paar letzten Semestern an der Berliner Universität, wo er nach langem Umherschweifen schließlich ein Medizinstudium abschloss, nie wieder etwas mit der späteren Humboldt-Uni zu tun. Sein privates "Institut" waren Erweiterungsräume seiner privaten Arztpraxis in seinem Wohnhaus. Schon am Eingang der "Kommode" lockte wochenlang ein verdrecktes Hinweisschild in die Ausstellung, ... ... dessen Aussehen dem inhaltlichen Niveau der Ausstellungstafeln durchaus entsprach. Oben rechts auf dem Zettel sah man die Veranstalter: die berüchtigte private Berliner Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft e.V. (MHG), die seit fast dreißig Jahren maßgeblich die Hirschfeld- Geschichtsklitterung mitbetreibt, und das "Institut für Kulturwissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin", das unter der Publicity-geilen Christina von Braun, die zu allem und jedem schwätzt, offenbar nicht einmal mehr Fachhochschul-Niveau erreichen kann. Die Ausstellung war maßgeblich von dem Agraringenieur (!) Rainer Herrn und dem MHG-Gründer Ralf Dohse fabuliert worden. Herrn hatte schon 2008 als "Kurator" einer wesentlich ausführlicheren, aber von denselben Fehlern, Verfälschungen und Auslassungen gekennzeichneten Ausstellung im "Medizinhistorischen Museum" der Charité der Humboldt-Universität fungiert. Oberflächlich und vielfach inhaltlich falsch, dafür aber teilweise offen rassistisch, berücksichtigte die "Kommode"- Ausstellung von 2010 kaum eine neuere Forschung über Hirschfeld und sein Institut, die das Bild des Helden der MHG in den richtigen historischen Zusammenhang der Vorbereitung der Nazi-Verbrechen stellt. Die Ausstellungs- Tafel über Hirschfelds engsten Mitarbeiter Arthur Kronfeld z.B. (unten) beinhaltete kein einziges Ergebnis der neueren Forschungen über Kronfeld, die seit 2003 bereits im Internet bekannt sind: Nur in wenigen Sätzen wurde auf Hirschfelds Hauptarbeitsgebiet, die Selektion "lebensunwerter" Menschen durch Eugenik, eingegangen (unten), dabei unkommentiert seine abwartende Zustimmung zum Nazi-"Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" zitiert, als habe es daran nichts zu kritisieren gegeben: Zwei Tafeln über die Eheberatung am Hirschfeld-Institut gingen mit keinem Wort auf die konkreten Inhalte ein, die Hirschfeld doch selbst während seiner USA-Reise 1930/31 als den Kern seiner Eheberatung dargestellt hatte: Statt dessen zitierte man - wieder unkommentiert, als gebe es hierzu nichts weiter zu sagen - Hirschfelds absurde Vorstellung über den Zusammenhang von Handschrift, Berufswahl und Sexualiität: Auf der Ausstellungstafel der MHG heißt es: "In der Handschrift wie auch in Zeichnungen und anderen Handfertigkeiten lassen sich - so Hirschfeld - die Auswirkungen von Männlichkeit und Weiblichkeit erkennen: 'Es zeigt sich, in wie hohem Grade die Hand das Ausführungsinstrument der Seele ist. So seltsam es klingt: die Berufsneigung und Berufswahl des Menschen wird in erster Linie von seinen Geschlechtsdrüsen geleitet.' (Hirschfeld 1930)" Zitiert wird aus Hirschfelds letztem Hauptwerk "Geschlechtskunde - auf Grund dreißigjähriger Forschung und Erfahrung bearbeitet von Dr. Magnus Hirschfeld" aus dem Jahr 1930. Miese rassistische und sexistische Bildchen, die Hirschfeld in Kolonialzusammenhängen sammelte, im Institut öffentlich aushängte und in Büchern mit Pseudoweisheiten über das angebliche Sexual- und Familienleben der "Kolonialvölker" (die freilich niemand aus seinem Institut je besucht hatte!) veröffentlichte, zeigt die MHG-Ausstellung an der Humboldt-Uni auch 2010 noch ohne weiteres. Die in ihrer Menschenwürde verletzten Personen waren selbstverständlich nicht gefragt worden, ob ihre Fotos ausgestellt und rassistisch kommentiert werden dürften -- für die MHG und die Hirschfeldlobby am Institut für Kulturwissenschaften der HU kein Problem! Die Nestorin der "Gender Studies" an der HU, Christina von Braun, scheint keine Einwände gehabt zu haben. (Wir haben die Gesichter der Frauen, die auf unserer starken Verkleinerung dder Ausstellungstafel ohnehin nicht mehr zu erkennen waren, zusätzlich gepixelt.) Feixend rennen tumbe Studenten an den Tafeln vorbei: "Haha, Hottentitten!" Unter dem linken Bild (unten) steht "Hottentottin", die MHG nennt diese entwürdigende Zurschaustellung einer Kolonial-Untertanin des Deutschen Kaiserreiches frech "Sexualethnologie": Ausstellungstafeln in der "Kommode" der Humboldt-Universität zu Berlin im Mai und Juni 2010, wo man zwar kein gesichertes Wissen über Sexualität, wohl aber jede Menge Stoff für Studentenulk finden konnte: |
Aus den neuesten Forschungen des BIFFF...:
Das Idol sexueller Emanzipation
gerät immer mehr ins Zwielicht. In Berlin wird breit
mobil gemacht für die Errichtung einer "Magnus Hirschfeld
Stiftung" und eines neuen Hirschfeld-Denkmals am Spreeufer, wo einst
sein "Institut für Sexualwissenschaft" stand. Doch die politischen
Ziele des Namensgebers, die durch BIFFF...-Recherchen immer klarer
werden, lassen das
Schlimmste befürchten: Auf seiner "Weltreise", die Hirschfeld
1930/31 in den USA begann, sprach er sich für die institutionelle
Kontrolle des Fortpflanzungsverhalten der Menschen zugunsten einer
willkürlich definierten Volksgesundheit aus, die den Freiheits-
und Menschenrechten diametral entgegen gesetzt ist. In Artikeln, die seine
Vorträge vor einem damals in den USA recht großen eugenisch
engagierten Publikum begleiteten, dessen größte Sorge sich
auf die "Rassenmischung" bezog, breitete Hirschfeld aus, was
tatsächlich an seinem "Institut für Sexualforschung" in
Berlin zwischen 1919 und 1930 geschah: eine auf Ausgrenzung abweichenden Verhaltens des konkreten
Individuums und auf die Höherzüchtung des abstrakten
Volkskörpers gerichtete "Eheberatung", deren Kriterien einzig
Hirschfelds Vorurteile darüber waren, wer sich mit wem
zu welchem Zweck fortpflanzen sollte. Ein Kriterium seiner
Beratungsgespräche, das
Hirschfeld dabei ausdrücklich nennt: Forschungen des
BIFFF... in den USA Das BIFFF... hat in
aufwendigen Recherchen in den USA, die wir in den letzten Jahren
anstellten, die tatsächliche Reise
Hirschfelds zu den rassistischen Eugenikern rekonstruiert -- Fakten,
die
von den deutschen Hirschfeld-Lobbyisten bisher weitgehend
totgeschwiegen
werden. Wir beginnen hier
aus Anlass des 75-jährigen Todestages des
"Sexualwissenschaftlers", der in Wahrheit ein Ideologe des eugenischen
Rassismus war, eine Folge
von kommentierten Darstellungen der Artikel Hirschfelds aus
US-Zeitungen und
-Zeitschriften der Jahre 1930/31, die bisher in der deutschsprachigen
Diskussion
überhaupt
nicht berücksichtigt wurden. Der Abdruck der Artikel,
die Hirschfelds doch eher bescheidene Vortragsreise durch einige
Staaten der USA promoten sollten, wurde von
Hirschfelds engem Freund George Sylvester Viereck organisiert, der die
gesamte USA-Reise auf Hirschfelds
Bitte hin geplant und durchgeführt hatte. Viereck, ein
Literat der US-amerikanischen Richtung der
Konservativen Revolution, war während des Ersten Weltkriegs nach
dem Kriegseintritt der USA als Propagandist der Kriegsziele des
Deutschen Kaiserreiches aufgetreten. Seine anfänglichen
amerikanischen Verleger, ausgewanderte deutsche Juden, trennten sich
von Viereck, als dieser begann, die politische Bewegung Adolf Hitlers
zu unterstützen, die er als legitime Nachfolgerin der
Hohenzollern-Herrschaft ansah. Sekundärquellen zufolge war
Vierecks Vater, mit
dem Hirschfeld bereits am Ende des 19. Jahrhunderts befreundet gewesen
sein soll-Familie, ein
"illegitimer" Spross der Hohenzollern; unabhängige
Bestätigungen hierfür stehen aus. Allerdings würde dies
erklären, weshalb Hirschfeld immer wieder Anekdoten aus den
deutschen Adelsfamilien als Beweise für seine abstrusen
eugenischen Vorstellungen anführte. In den 1940er Jahren
saß Viereck in den USA wegen offener Nazi-Propaganda im
Gefängnis. Weil er sich auch nach dem breiten Bekanntwerden der
Nazi-Verbrechen an den europäischen Juden nicht vom
Nationalsozialismus distanzieren wollte, trennte sich seine Frau von
ihm. Sein erst kürzlich verstorbener Sohn Peter Viereck, ein
liberal-konservativer Historiker und Politikwissenschaftler in
Massachusetts, distanzierte sich schon früh vom Vater. Die
deutschnational-rassistische Atmosphäre, die Viereck schon in den
1910er bis und 30er Jahren um sich schuf, scheint Hirschfeld in keiner
Weise gestört oder abgestoßen zu haben, wie sein
Briefwechsel mit Viereck zeigt. Technizistische
Eheberatung Der Artikel Hirschfelds, den wir hier als ersten in
Auszügen dokumentieren, erschien am 22. August 1931 in dem
wöchentlichen Boulevard-Magazin "Liberty", das in New York City
erschien. Er stellt den von Hirschfeld entwickelten Fragebogen für
die Ehe-, Paar- und Partnerberatung am Berliner "Institut für
Sexualwissenschaft" dar,
ein Thema, dass die USA-Reise beherrschte und in dem die eugenischen
Vorstellungen Hirschfelds kulminierten. Nach seiner Darstellung waren
diese eugenischen Beratungen das Hauptarbeitsfeld des Berliner
Instituts, und keineswegs - wie es die heutige Hirschfeld-Lobby
darstellt - der Einsatz für die sexuelle Emanzipation. Der Artikel
zeigt das intellektuell
bescheidene Menschen- und Gesellschaftsbild Hirschfelds, für den
das Induviduum wie ein Zahnrad ins Getriebe passen sollte und das
entweder an den von Hirschfeld aufgrund seines Fragebogens mit 140
Fragen als richtig diagnostizierten Platz montiert oder erst noch
passend gefeilt werden muss.
Gänzlich rigide
Vorstellungen vom Menschen, seinen Rollen und seinem Platz in der
Gesellschaft bestimmen dabei sein Denken, Vorstellungen, die weitgehend
dem 19. Jahrhundert entstammen. Für Entwicklungen und
Veränderungen von Individuum und Gesellschaft ist kein Platz.
Hirschfeld vertritt hier einen totalitären Erklärungs- und
Machtanspruch für sich und sein Berliner Institut, dem sich die
Menschen in ihren Liebesbeziehungen zu fügen haben, wenn sie
glücklich werden wollen. Diese Art von Glücksversprechen
kennt man ansonsten aus religiösen Sekten. Die Kritik, die Judith
Butler am Berliner "Christopher Street Day" 2010 und seinen
Veranstaltern übte, traf auf eine Weise ins Schwarze, wie es sich
wohl nicht einmal Butler hätte träumen lassen: denn die
Träger des Berliner CSD sind auch die Protagonisten der
Hirschfeld-Idolisierung, die von Butler kritisierte Zementierung
hergebrachter Gender-Vorstellungen war Hirschfelds primäres
politisches Ziel in einer Welt völligen gesellschaftlichen
Umbruchs, ein Umbruch, der ihm unheimlich war. Hirschfeld sieht sich
in dem Artikel selbst als der große Menschenverwalter, als
Ingenieur
zwischenmenschlicher Beziehungen, der besser als die Betroffenen
beurteilen kann, ob sie eine Liebesbeziehung eingehen sollen. Seine
Kriterien sind dabei ausschließlich auf das unauffällige
Funktionieren der Individuen in der vorgegebenen gesellschaftlichen
Konstellation und Rolle ausgerichtet, wie man es schon aus seiner
Berater- und Gutachtertätigkeit für Polizei und Justiz in
Preußen kannte, zum Beispiel aus seinen Transvestiten-Gutachten.
Die
Subjektivität des Menschen wird seiner Funktionalität
vollkommen untergeordnet, ohne dass die Kriterien - für was, wen
und
wie funktionieren? - thematisiert und offen gelegt würden. Nicht
die
individuelle Zuneigung von Menschen zueinander ist entscheidend
für Hirschfelds Ehe- und Partnerberatung, sondern die
Funktionalität als
Zeugungs- und Gebärmaschine für den abstrakten
Volkskörper (beziehungswise, soweit es sich um Homosexuelle
handelt, deren Lebensumstände allerdings auf seiner USA-Reise
nicht thematisiert wurden: die Funktionalität als biologische
Sackgasse für vermeintliche Erbfehler, die
aus der evolutionären Keimbahn der Menschheit ausgeschieden werden
sollen). Wer Wissenschaftlichkeit
erwartet, wird - wie immer in Hirschfelds Publikationen - mit
suggestiven Anekdoten abgespeist. So bleibt sein Machtanspruch auf das
Happy End unhinterfragbar. Und tatsächlich folgen ihm seine Fans
bis heute bedingungslos, im tiefen Glauben an den Meister. Schon
Hirschfelds Einstieg in die Darstellung seines Fragebogens, der
über Wohl und Weh der Liebe entscheiden soll, lässt tief
blicken: "In the old days of fairy tales the knight who wanted to marry
a princess was asked three riddles. If he could answer them
satisfactorily he received the hand of the princess. If he could not
answer them he was thrown to the dragons." Das könne sein
Fragebogen heute viel besser. Das Drachensystem der
Nazi-Herrschaft war zwar noch nicht real (obwohl es sich bereits
abzeichnete), als Hirschfeld sich so äußerte - scheinbar
ganz
lustig und harmlos -, aber in einigen Staaten der USA galten bereits
rassistische
Eugenikgesetze, die Ehetauglichkeitsprüfungen vorsahen und zum
Beispiel gemischtrassische Ehen verboten. Dies problematisierte
Hirschfeld nicht etwa auf seiner USA-Reise, im Gegenteil, er setzte
voll auf das eugenisch-rassistische Vorverständnis seiner
Zuhörer und Leser und pries seinen Fragebogen als das Nonplusultra
der eugenisch kontrollierten Ehe.
Anfang
des fünfseitigen Artikels aus der Zeitschrift "Liberty", Hirschfelds Ideen passen
in die Zeit der Weltwirtschaftskrise und der Massenverarmung eines
großen Teils der US-amerikanischen Bevölkerung, jedoch
keinesweg im Sinne von Emanzipation und sozialer Wende. Seine
Vorstellungen sind romantisch-technizistisch und zielen auf die
Ängste und Träume der weißen Mittelschicht ab, die sich
in ihren Privilegien bedroht fühlt, den sozialen Abstieg
befürchtet und sich in die Vorstadt-Idylle wünscht.
Hirschfelds Glücksversprechen ähnelt dem der Sekten-Gurus: es
verlangt die Folgsamkeit gegenüber seinem Urteil und Rat; es ist
ebenso irreal wie reaktionär, denn die Anpassung an die von
Hirschfeld übernommenen gesellschaftlichen Normen für das
private Leben in den weißen suburbs rettet niemanden aus den
Zwängen der sich in den 20er und 30er Jahren dramatisch
verändernden Gesellschaft. Wie immer in seinen
Veröffentlichungen täuscht auch hier Hirschfelds blumiger
Erzählstil darüber hinweg, dass seine Ideen rein gar nichts
mit Wissenschaft zu tun haben, sondern sich einzig aus seinem reichen,
lebenslang angesammelten Schatz von Anekdoten speisen, deren
Aussageggehalt er niemals
irgend einer wissenschaftlichen Überprüfung unterzogen hat,
sondern nach Gutdünken als 'Beweise' einsetzt. Vielleicht sind sie
auch gänzlich erfunden, wer könnte das prüfen? Dass
Hirschfeld von der
medizinischen Zunft seiner Zeit verlacht wurde, hängt nicht
zuletzt damit zusammen, dass er von wissenschaftlichem Arbeiten
nichts verstand. Der Mensch als
Automobil Sein Ansatz ist
technizistisch, wie schon die ersten Sätze des Artikels zeigen
(gelbe Markierungen durch BIFFF...):
Und wenig weiter, an
haarsträubenden Fehlkonzepten der frühen Psychiatrie und dem
Rollenverständnis des 19. Jahrhunderts für den Mann und die
Frau festhaltend:
Tod oder Kastration Gegenüber abweichendem Verhalten äußert sich Hirschfeld so rigoros, wie es die Nazis dann praktizierten. (Später unterstützte er sogar vorsichtig das NS-Gesetz "zur Verhütung erbkranken Nachwuchses", das ihm allerdings zu lasch (!) war.) Rasse und "Makel des Blutes" Hirschfeld bleibt zeitlebens vollkommen gefangen in der Denkweise der "Rassenhygiene" und Eugenik. Ein paar Abschnitte weiter knüpft er wieder an sein Bild der Autowerkstatt vom Beginn des Artikels an, verlangt Ehefähigkeitsbescheinigungen, um durch medizinische Tests einen angeblichen "Makel des Blutes" auszuschließen, bevor sich Eheleute -- wie in der Tierzucht -- paaren, statt zu lieben. Dass er es dennoch "Liebe" nennt, zeigt, wie sehr Hirschfeld menschliche Gefühle technizistisch- mechanistisch angeht. Sein Fragebogen, so Hirschfeld weiter, gehe weit über rein medizinische Betrachtungen hinaus. Er umfasse auch Fragen der Rasse, des Vorkommens Krimineller in der "Sippe", des Alkoholkonsums in der Verwandtschaft und gewöhnlicher "abnormaler Neigungen" wie Abenteuerlust, Mystizismus oder Genialität, die er für ererbt hält. Letztlich verfolgt Hirschfeld das Diagnostik-Programm der Nazi-Rassenkunde, vor allem, wenn er explizit Konzepte wie das der "Sippe" (tribe) in seine Überlegungen einbezieht. Sein Hinweis, er würde nichts kritisieren, sondern nur konstatieren, ist lächerlich angesichts der Konsequenzen, die die Auskünfte der Betroffenen über ihre Lebensumstände für das abschließende Urteil des Ehe- und Partnerberaters haben. Schädelform und Augenfarbe: Ehe-Kriterien wie bei den Nazis Dann kommt er ganz offen und ohne Umschweife zu den Kriterien der Nazi-Rassenkunde wie Schädenform und Augenfarbe, die für ihn wesentliche Momente in der Partnerberatung sind. Schließlich geht es auch noch um das Abfragen der politischen Meinung, gerade so, als hätten sich die Liebenden bisher über nichts unterhalten. Für Hirschfeld war es auch offenbar wichtig, all diese wild durcheinander gewürfelten Informationen zu speichern, falls das Paar in Zukunft noch einmal zur Beratung zurück komme -- die totale Verwaltung des Individuums. Hirschfelds
grotesker Ausforschungswahn mutet geradezu Doktor-Mabuse-artig an. Er
geriert sich als der Alleinwissende und der Drahzieher, dessen Rat
alles zum Besseren wendet, ohne dessen Rat aber die Liebenden in die
Drachengrube fallen könnten. Dabei ist die Basis seines Handelns
nichts weiter als ein paar überkommene Gender-Stereotype, die
nicht in Frage gestellt werden sollen.
Tyrannei des Fragebogens Abstrus ist auch seine Verneinung der Entwicklungsmöglichkeit der menschlichen Persönlichkeit, die freilich Bedingung für die Totalverwaltung der Individuen ist, denn wer sich ändern kann, wird unberechenbar. Doch die Berechenbarkeit menschlichen Verhaltens in einer totalitären Gesellschaft ist Hirschfelds Arbeitsziel. Am Ende wird aufsummiert, mechanistisch-technizistisch die Empfehlung für den angeblich idealen Partner abgegeben, für Heirat oder Trennung -- ein absurdes Theater einer "Love Clinic", die nach dem Modell der Autowerkstatt errichtet wurde. Um "tausend Prozent", verspricht Hirschfeld, würden die Chancen des lebenslangen Liebesglücks steigen, wenn man nur seinen Fragenbogen zu Rate ziehe. 'Das gewisse Etwas' -- er behauptet, es zu kennen, denn er habe die "Magie des Sex Appeal" entschlüsselt. Und er meinte das alles ernst. In Wahrheit lieferte Hirschfeld mit seinem Fragebogen nur die Rechtfertigung für die Fortsetzung bestehender Machtverhältnisse, insbesondere zwischen Mann und Frau, und der hergebrachten Rollenaufteilung in der Ehe für die Masse der Bevölkerung. Deren gesellschaftliche Zementierung zu garantieren, ist die Grundlage seiner Arbeit. Die modernen Techniken der Fragebogenerarbeitung, die Probleme der Interpretation der Antworten der Probanden usw. sind ihm unbekannt. Er geht rein intuitiv vor. Aufgrund seiner eigenen, nicht weiter validierten und supervidierten Lebenserfahrung interpretiert Hirschfeld quasi "frei Schnauze". Man könnte ebenso gut zum Pfarrer des Vertrauens gehen. Der allerdings würde zumindest nicht auf der Basis der Idee der Selektion 'wertigen' und 'unwertigen' Lebens beraten, wie es Hirschfeld machte. (Juni 2010)
|